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Perspektiven aus Südbaden

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Mit dem Auto kann man die rund 800 Kilometer lange Strecke von Freiburg nach Berlin – einmal diagonal durch die Republik – bestenfalls in gut siebeneinhalb Stunden schaffen. Die gefühlte Distanz zwischen Südbaden im südwestlichen Zipfel des Landes und Berlin ist eher noch größer, als es der Blick auf die Landkarte vermuten lässt. Der Südbadener ist kein Freund von langen Reisen. Dazu ist es im Schwarzwald, im Markgräfler Land, am Kaiserstuhl oder am Bodensee viel zu schön. Schon die Fahrt nach Stuttgart tritt man nicht ohne Not an, für eine Berlin-Reise muss es erst recht einen triftigen Grund geben.

 

Leben im Dreiländereck

Südbaden ist durch die Lage im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Schweiz geprägt. Der alemannische Sprachraum endet nicht an den heutigen Grenzen, sondern reicht im Süden weit in die deutschsprachige Schweiz, im Westen ins Elsass hinein. Entlang des Rheins fühlt man sich dem Nachbarland Frankreich und der Europastadt Straßburg auf besondere Weise verbunden. Die Nähe zu Frankreich und die Zeit der französischen Besatzung nach dem Kriege haben ihre Spuren in der südbadischen Lebensart hinterlassen: Savoir vivre! Aus den einstigen Erzfeinden sind längst gute Freunde geworden; Adenauer und de Gaulle sei Dank. Über die Grenze ist es nur ein Katzensprung; guten Wein und gutes Essen findet man auf beiden Seiten des Rheins, völlig unkompliziert, seitdem es den Euro gibt.

Mehr als 38.000 Frauen und Männer aus Waldshut, Lörrach oder Freiburg pendeln Tag für Tag über die Grenze zur Arbeit in die Nordwestschweiz, vor allem nach Basel. Die Schweizer wiederum bevölkern Hotels und Restaurants in Südbaden, erledigen ihre Einkäufe erheblich günstiger beim großen Nachbarn und lassen die Kassen im südbadischen Einzelhandel klingeln. Nicht immer verläuft dieser kleine Grenzverkehr konfliktfrei, unter dem Strich ist er aber für beide Seiten von Vorteil. Die Schweiz profitiert von gut ausgebildeten deutschen Fachkräften, der deutsche Fiskus freut sich über zusätzliche Einnahmen. Wer die täglichen LkwStaus auf der A5 an der Schweizer Grenze kennt, ahnt, welch ein fataler und kostspieliger Rückschritt ein Europa der geschlossenen Grenzen wäre.

 

Freiburg pflegt seinen Mythos

Werfen wir einen Blick auf die Stadt Freiburg, auch wenn die Breisgau-Metropole keineswegs typisch für das Leben in Südbaden ist. Schon der Bau des Freiburger Münsters war Ausdruck einer wohlhabenden und selbstbewussten Bürgerschaft.

Wie durch ein Wunder hat dieses Freiburger Wahrzeichen inmitten einer zerstörten Altstadt die Bombardierung kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges nahezu unbeschadet überstanden. In Freiburg war man so weitsichtig, die Altstadt behutsam in den Proportionen der mittelalterlichen Stadt wieder aufzubauen, mitsamt ihrer Gässle und Bächle. Diese Pflasterstein-Idylle mit dem bunten Markt am Münster ist Kern des Mythos Freiburg. Die sonnenverwöhnte Stadt im Grünen erscheint als Wohlfühlinsel oder Puppenstube. Auch die Studenten und Fahrradfahrer gehören zu diesem Image Freiburgs, nicht zu vergessen neuere Label wie „Solarhauptstadt“ oder „Green City“.

 

Klischees – wahr und falsch zugleich

All diese Freiburg-Bilder sind wahr und falsch zugleich. Die Freiburger halten sie lebendig und tragen sie mit einem Augenzwinkern in die Welt. Schließlich verdanken sie ihrem guten Ruf Scharen von Touristen, Studenten und Neubürgern. Auch im Schwarzwald-Tourismus bedient man sich der Klischees von Bollenhut, Kuckucksuhr und Schwarzwälder Kirschtorte und interpretiert diese auf moderne Art und Weise neu. Tatsächlich steht das schöne Freiburg – wie jede andere Stadt – vor ganz normalen Problemen: Hoffnungslos überteuerte Immobilien und eine Wohnungsknappheit, die junge Familien aufs Land treibt; die höchste Kriminalitätsrate Baden-Württembergs oder etwa die Herausforderung der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen, um nur drei Punkte zu nennen. Spätestens mit dem gewagten und umstrittenen gläsernen Neubau der Universitätsbibliothek hat man sich in Freiburg auch von einer beschaulichen Architektur und Stadtplanung verabschiedet.

 

Nach der Landtagswahl

In der Freiburger Politik dominiert die Farbe Grün schon seit Langem. Ein grüner, pragmatischer Oberbürgermeister: Manche Projekte wurden von Schwarz und Grün gemeinsam auf den Weg gebracht. Bei den Landtagswahlen gewinnen die Grünen im Stadtgebiet Freiburg 43,2 Prozent der Stimmen (+0,2 Prozent), die CDU muss sich mit 16,5 Prozent (−5 Prozent) begnügen. Der ökologische Vorzeige-Stadtteil Vauban war schon immer eine grüne Hochburg: 61,2 Prozent (−11 Prozent!) wählen hier die Grünen, nur fünf Prozent (+1,2 Prozent) die CDU. Die Grünen fahren in den Groß- und Universitätsstädte im Ländle traditionell ihre besten Ergebnisse ein, während die Vorherrschaft der CDU auf dem Lande bislang ungebrochen war. Mit der Landtagswahl haben die Grünen nun auch große Teile des ländlichen Raums erobert. Die CDU, die sich immer als die Baden-Württemberg-Partei verstanden hat, muss mit 27 Prozent der Stimmen (−12 Prozent) einen historischen Tiefstand verkraften. Im Ringen um den richtigen Kurs in der Flüchtlingspolitik hat sie am Ende in beide Richtungen verloren: 190.000 Stimmen an die AfD und 107.000 an die Grünen. Die Grünen gewinnen zahlreiche Direktmandate und ziehen, hinter dem breiten Rücken ihres überaus populären Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, mit über dreißig Prozent der Stimmen (+6,1 Prozent) erstmals an der Union vorbei. Die AfD als Sammelbecken der Kritiker der Flüchtlingspolitik und der Unzufriedenen gewinnt aus dem Stand 15,1 Prozent und lässt SPD (12,7 Prozent), FDP (8,3 Prozent) und Die Linke (2,9 Prozent) weit hinter sich. Hat es die CDU in Baden-Württemberg versäumt, sich beizeiten zu modernisieren? Fehlt es ihr an überzeugenden Konzepten und charismatischen Köpfen? Oder hat sich die Partei von ihren Wurzeln entfernt und ist zu weit nach links gerückt, sodass sie kaum noch von den Grünen zu unterscheiden ist? Die CDU hat sich jedenfalls entschieden, Verantwortung zu übernehmen und in die „saure Kiwi“ zu beißen. Die grün-schwarze Koalition unter Führung des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ist ein Wagnis mit ungewissem Ausgang, vor allem für den kleineren Partner.

 

Regionale Vielfalt

Berlin ist nicht Deutschland, Stuttgart ist nicht Baden-Württemberg und Freiburg ist nicht Südbaden. Die Vielfalt selbstbewusster Regionen hat viel zum Erfolg unseres Landes beigetragen. Das Leben spielt sich nicht nur in den großen Städten ab. In Baden-Württemberg gibt es vielerorts lebendige Dörfer mit gesunder Infrastruktur, auch wenn die Balance zwischen Stadt und Land in Zeiten des demografischen Wandels schwieriger wird. Je genauer man hinschaut, desto deutlicher treten regionale Unterschiede und Besonderheiten zutage, selbst in einem überschaubaren Gebiet wie Südbaden. Die Freiburger ticken anders als die Hotzenwälder, das Leben auf der Baar unterscheidet sich vom Alltag in der Ortenau, und in Lörrach hat man andere Sorgen als in Konstanz.

 

Subsidiarität gegen Populismus

Deutschland profitiert davon, dass politische Entscheidungen, dem Prinzip der Subsidiarität folgend – wo immer es möglich und sinnvoll ist –, vor Ort oder im Lande fallen. Wird die Politik nur in der Ferne gemacht, in Brüssel oder in Berlin, werden immer mehr Menschen der Politik fernbleiben und in das Lager der Nichtwähler oder Populisten wechseln. Unsere Demokratie ist in jeder Generation aufs Neue auf Menschen angewiesen, die bereit sind, sich als Gemeinderäte, Bürgermeister oder Abgeordnete für ihr Dorf, ihre Stadt oder ihr Land einzusetzen. Politische Bildung hat die Aufgabe, dieses demokratische Engagement zu wecken und zu fördern. Will sie erfolgreich sein, muss sie nah bei den Bürgerinnen und Bürgern sein. Selbst das prächtigste Feuerwerk hochrangiger Veranstaltungen in Berlin wird in der Provinz überhaupt nicht wahrgenommen. Regionale Vielfalt ist Deutschlands Stärke.

 

Thomas Wolf, geboren 1961 in Geldern, Leiter des Regionalbüros Südbaden des Politischen Bildungsforums Baden-Württemberg, Konrad-Adenauer-Stiftung.

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