Wie auch gesellschaftliche Gruppen heute kaum in analoger Gestalt, sondern fast ausschließlich mit statistischen Mitteln, also: digitalisiert sichtbar zu machen sind, gilt das letztlich auch für die politische Kommunikation. Sie kann fast nur mit digitalen Mitteln arbeiten, will heißen: Sie muss die Komplexität ihrer Einwirkung auf die Gesellschaft immer deutlicher erklären, auch weil sich politische Konzepte kaum mehr in Paketlösungen anbieten lassen. Politik lebt aber auch von der plakativen, von der analogen, von der unmittelbar lebensweltlich anschlussfähigen Sprache, schon um ihre Funktion zu erfüllen, Kollektivitäten durch Ansprache adressierbar zu machen. Je komplexer die Situation, desto weiter freilich streben die politische und die sachliche Ebene des Politischen auseinander. Was verloren geht, ist die Erzählbarkeit des Politischen. Die beiden großen Themen der letzten beiden Jahre, die Finanz- und Schuldenkrise einerseits, die Flüchtlingskrise andererseits, sind gute Beispiele dafür. Bei der Finanz- und Schuldenkrise tritt die sachliche Ebene schon deshalb hinter die des Politischen zurück, weil sie sogar Experten kaum erklärbar ist und somit schwer in politische und politikfähige Narration übersetzt werden kann. Das hat zu Abstiegsängsten und Unbehagen gegenüber der Steuerungs- und Handlungsfähigkeit des Staates und der europäischen Institutionen geführt. Ähnlich hat die Flüchtlingskrise zu einer Situation geführt, die die politische von der sachlichen Ebene entfernt hat. Der Unterschied zur Finanzkrise liegt darin, dass sich hier relativ einfache Chiffren der kulturellen Differenz, der Fremdheitsangst und nicht zuletzt der lebensweltlichen Unmittelbarkeit simulieren lassen. Selbst wenn die Flüchtlingskrise unter sachlichen Gesichtspunkten eher eine logistische Herausforderung ist, wird sie als kulturelle Bedrohung kommunizierbar. Die Erzählbarkeit liegt dann auf der Hand. Erheblich narrationsfähiger als tatsächlich komplexe Sachprobleme wie die Bereitstellung beziehungsweise der Bau von Wohnraum oder der Umgang damit ist, dass sich viele Flüchtlinge tatsächlich nicht in dem Maße für Ausbildungsberufe qualifizieren lassen, wie dies als Voraussetzung für die Integration in den Arbeitsmarkt notwendig wäre. Hier sind komplexe Fragen zu bewältigen, die zum Teil nicht einmal für die politischen Eliten narrationsfähig sind.
Politische Opposition von außen, also politischer Protest gegen das politische System, lebt von solcher Erzählbarkeit und ihrer preisgünstigen Verfügbarkeit. An den derzeit besonders prominenten Formen im rechten Spektrum lässt sich dies besonders gut ablesen. Wenn man es nur an PEGIDA festmachen wollte, so gelingt es dieser Bewegung und ihren Derivaten, komplexe Zusammenhänge in einfachen Kategorien darzustellen. Fremde, Flüchtlinge, Muslime etc. werden dadurch als Verantwortliche adressierbar, weil sie als Fremde eine Form von Sichtbarkeit aufweisen, die der Gesellschaft sonst verlorengegangen ist. Rechte Orientierungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich den Menschen nur als Angehörigen einer festen Gruppe vorstellen können. Von Armin Mohler, dem rechten Vordenker des Antiliberalismus, stammt der ebenso böse wie schöne Satz, die Liberalen beurteilten die Menschen danach, was sie sagten, nicht danach, was sie seien.1
Insofern ist politische Kommunikation stets indizierte Kommunikation. Analog dazu, dass etwa die Anpreisung eines Produkts durch einen Firmenvertreter nicht nur einen Sachaspekt hat – das Produkt kann wirklich gut sein –, sondern immer und unvermeidlich auch als Werbekommunikation oder Marketing wahrgenommen wird, enthält die Kommunikation eines Politikers stets neben dem Sachaspekt auch einen politischen Index. Was gesagt wird, wird ebenso unvermeidlich als Statement innerhalb politischer Konkurrenz um Positionen wahrgenommen.
Exakt hier setzt der Populismus an. Er bietet einerseits stets einfache Lösungen für komplizierte Probleme an, und er versucht, die Differenz von Staat und Staatsvolk aufzuheben. Nicht umsonst setzt politischer Populismus zumeist an der Kollektivität des Adressaten an, man denke etwa an die „Wahren Finnen“ oder an Marine Le Pens Front National, Heinz-Christian Straches Post-Haider-FPÖ oder die Dansk Folkeparti mit traditionell nationalistisch-konservativen Positionen, aber auch an Geert Wilders in den Niederlanden oder die belgische Nieuw-Vlaamse Alliantie von Bart De Wever, an die Wahlerfolge der polnischen Prawo i Sprawiedliwość („Recht und Gerechtigkeit“, PiS) im Jahre 2015, an Viktor Orbáns Fidesz („Ungarischer Bürgerbund“) und nicht zuletzt an die „Alternative für Deutschland“ (AfD), die im Herbst 2015 von der Diskussion um die Flüchtlingskrise profitiert hat und inzwischen so etwas wie der parlamentarische Arm von PEGIDA zu werden scheint.
So unterschiedlich diese Bewegungen auch sind, so sehr treffen sie sich in einem Punkt: Sie kommen darin überein, dass das moderne Gemeinwesen jenen Identitätskern verloren habe, den es als Nation, als Schicksalsgemeinschaft einmal hatte. Dies ist eine merkwürdig moderne und anti-moderne Haltung zugleich. Antimodern ist sie darin, dass sie nicht mit der Vielfalt, dem Pluralismus und der Komplexität einer modernen Gesellschaft zurechtkommt. Modern ist sie, weil das Modell europäischer Nationalstaaten spätestens seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts darauf gesetzt hat, eine Solidarität unter Fremden zu stiften, deren Zumutung darin bestand, trotz der gesellschaftlichen Komplexität einer sich modernisierenden Gesellschaft eine Gemeinschaft zu sein, die ein gemeinsames Schicksal teilt. Dass die Bewohner europäischer Nationalstaaten ihre unveräußerlichen Rechte als Menschen in Gestalt veräußerlicher Rechte als Bürger eines konkreten Staates genossen, gehört zu den bis heute nicht geheilten Wunden des Modernisierungsprozesses, allen normativen Ideen eines neuen „Kosmopolitismus“ zum Trotz. In diese offene Wunde streut der Rechtspopulismus sein Salz. Was populistische Bewegungen freilich gemeinsam haben, ist ihre Fähigkeit, komplexe gesellschaftliche Probleme auf leicht verständliche und kommunizierbare Nenner zu bringen.
Diese Welt ist in der Tat komplizierter geworden, vor allem dann, wenn sich der immerwährende Traum wachsender Prosperität und steigender Lebensstandards nicht mehr träumen lässt. Konkurrenten um knappe Ressourcen und Lebenschancen haben es immer weniger mit kollektiven, klar identifizierbaren Gegenübern zu tun. Der Konkurrent wird abstrakter und unsichtbarer unsichtbar unter anderem deswegen, weil die Konkurrenten nur noch in Ausschnitten ihrer Persönlichkeiten miteinander konkurrieren, nicht mehr als Exemplare von eindeutigen Gruppen, Klassen und Milieus. Der Konkurrent um Ausbildung, Arbeit, Wohnung, soziale Sicherheit, sogar um intime Zuneigung und soziale Anerkennung ist letztlich nur noch eine statisch wahrnehmbare Größe, ein Konglomerat ähnlicher Merkmale. Konkurrenten werden, wie schon erwähnt, digitalisiert – sie treten nicht mehr als analoge pralle Formen auf, nicht mehr als soziale Gruppen, sondern als statistische Gruppen. Damit werden auch Verantwortliche und Schuldige immer weniger adressierbar und identifizierbar. Der Konkurrent wird schlicht unsichtbar. Für Sichtbarkeit sorgt dann der politische Populismus. Er macht Verantwortliche sichtbar und reduziert die Komplexität der Welt auf illegitime Interessen bestimmter Gruppen („gierige“ Manager, „korrupte“ Politiker, „kriminelle“ Nutznießer von Sozialleistungen, „Lügenpresse“ etc.). Populisten machen all das in prallen Bildern erzählbar.
Besonders aber sind Migrationsfolgen für den politischen Populismus lohnende Themen, denn Migranten erzeugen eine doppelte vermeintliche Sichtbarkeit: Einerseits kann man sie aufgrund von Sprache, Aussehen und „Kultur“ wirklich sichtbar machen. Andererseits sind sie sichtbarer Ausdruck für den schlechten Zustand der Gesellschaft. Gerade am Migrationsthema kann man die Technik des politischen Populismus sehr schön ablesen: Er treibt die politische Kommunikation vor sich her, vergiftet letztlich bestimmte Themen, die in der Öffentlichkeit nicht mehr differenziert diskutiert werden können, weil die einfachen Lösungen auf dem Tisch liegen.
Es hat sich in der Bundesrepublik inzwischen eine rechte Publizistik etabliert, die weit von den eher unbeholfenen Parolen auf der Straße entfernt ist, ihr aber intellektuell den Rücken deckt. Man kann davon ausgehen, dass diese Publizistik mit Autoren wie Götz Kubitschek, Martin Lichtmesz, Karlheinz Weißmann oder Manfred Kleine-Hartlage2 durchaus ähnlich wie manche linksextreme Unterstützung aus dem Umfeld von Universitäten in den 1970er-Jahren für das Umkippen der Studentenproteste den Nährboden dafür bereitstellen, Beschreibungsformeln und zitierbare Sätze zu produzieren, die nicht nur bei PEGIDA-Reden genutzt werden, sondern auch Blaupausen für AfD-Politiker anbieten.3 Womöglich ist diese Intellektualisierung des rechten Diskurses eines der deutlichsten Anzeichen dafür, dass sich diese Denkungsart etabliert und auf Dauer stellt.
Solches rechte Denken ist sogar in der Lage, Toleranz und Multikulturalismus zu ermöglichen und zu begründen, wie man es bei dem sehr einflussreichen französischen Publizisten und Philosophen Alain de Benoist nachlesen kann. In seinem Buch Aufstand der Kulturen plädiert er für eine Rehabilitierung der „Verschiedenheit“ als grundlegendes Ordnungsprinzip explizit als Gegenprinzip gegen das Versprechen der Gleichheit, wie es seit der Aufklärung gilt.4 Man kann dieses Denken von Benoist und der sogenannten „identitären Bewegung“ auch als ein Lob der Vielfalt lesen, und zwar in dem Sinne, dass man Vielfalt insofern gutheißt, als es durchaus unterschiedliche Kulturen und Lebensformen geben darf, aber eben nicht vermischt und innerhalb eines Raumes, sondern nebeneinander. Es ist eine partikularistische Toleranz, die unterschiedliche Behälter nebeneinander gutheißt, aber mit möglichst wenig Grenzverkehr.
Man kann dann Fremdenfeindlichkeit als Toleranz ausgeben und das Recht an den Boden binden.5
Das Wirksame am Populismus ist vor allem sein Kommunikationsstil. Er weist das politische System auf die Differenz zwischen staatlichem Handeln und politischer Partizipation hin. Er geriert sich wie der unsympathische Gast auf Familienfeiern, der unausgesprochene Bedingungen des Familienlebens ausspricht. Er kann so tun, als spreche er die Wahrheit, weil er sich als Volkes Stimme stilisieren kann. Er stört politische Kommunikation, weil er die Antagonismen von Regierung und Opposition, von unterschiedlichen politischen Lösungen noch einmal von sich selbst unterscheidet. Er ist ein Spielverderber, weil er das Spiel nicht mitspielt. Aber es ist kein Spiel, und begegnen wird man dem politischen Populismus wohl nur, wenn es im politischen Prozess genug Differenzen und Alternativen gibt, zwischen denen man sich entscheiden kann. Der Satz „Wir sind das Volk“ symbolisiert dann auf geradezu ästhetische Weise, dass diese Art Populismus sich tatsächlich außerhalb der politischen Institutionen verortet.
Wenn man die Polemiken und den Hass gegen Flüchtlinge richtig versteht, geht es zumeist gar nicht in erster Linie um kulturelle Differenzen oder Ähnliches.6 Das kann man schon daran erkennen, dass man sich vor Islamisierung am meisten dort fürchtet, wo es fast keine Muslime gibt. Das ist ähnlich manisch wie die Furcht vor der Christianisierung des Morgenlandes, die einen Teil der islamistischen Extremisten im Nahen Osten motiviert. Was wohl stärker im Vordergrund steht, ist jene angebliche Privilegierung von Flüchtlingen, die staatliche Leistungen erhalten, ohne etwas dafür zu tun. Es lohnt sich schon, Originaltöne der Debatte zu beobachten, und zwar nicht diejenigen diskursgeübter Mittelschichten, sondern Originaltöne jener, die weder in der Verständnissemantik geübt sind noch zu den faschistoiden Schlägern und Zündlern gehören, die Wohnheime attackieren.
Das normale, kleinbürgerliche Ressentiment ist weniger ein kulturelles, schon weil man es mit der eigenen kulturellen Identifizierbarkeit nicht gar so kunstvoll hinbekommt. Das Ressentiment besteht eher darin, dass man bei den Flüchtlingen einen Mechanismus außer Kraft gesetzt wähnt, der zur ureigenen Selbstbeschreibung gehört: Dass man das, was man besitzt und worüber man verfügen kann, durch eigene Arbeit oder aus Arbeit resultierender Anspruchsberechtigung bezieht. Es ist dieser Mechanismus, der insbesondere in jenen Schichten eine besondere Rolle spielen dürfte, in denen Arbeit weniger Eigensinn hat als Zweck ist, was sich der mittelschichtorientierte Diskursfähige nicht vorstellen kann.
Diese Andeutungen mögen genügen, um die Struktur der rechten Erzählbarkeit der Welt auf den Begriff bringen zu können. Rechtes Denken bietet sehr einfache Lösungen an, weil es die Strukturfragen der Sachdimension in einer Gesellschaft verteilter Intelligenzen in die Sozialdimension verschiebt und Personengruppen ausfindig machen kann, die über die Misere der mangelnden Beschreibbarkeit einer komplexen Welt hinweghelfen. Mein Argument kapriziert sich darauf, dass solcherart Denken, das Basis für politischen Protest ist, damit letztlich vor allem ein Beschreibungsproblem zu lösen vermag. Es ermöglicht Sätze mit klaren Kausalitäten, wo andere angesichts komplexer Verhältnisse mit komplexen Aussagen aufwarten. Und nicht zuletzt behauptet es klare Lösungen für die grundlegenden Probleme. Solche Perspektiven stellen eine Diskursfalle dar, denn es handelt sich um Kommunikation, die sich selbst gegen äußere Argumente oder Einwirkungen immunisiert. Jegliche Einwirkung von außen, jegliche Widerlegung, jeglicher Widerspruch stärkt letztlich die eigene Position, weil dadurch bestätigt wird, was die Bewegung zu einfachen Erklärungen nötigt: nämlich die Komplexität der Welt.
Armin Nassehi, geboren 1960 in Tübingen, Lehrstuhl I für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Mitglied des Vorstands der Stiftung Forschungsinstitut für Philosophie Hannover.
Entnommen aus: Armin Nassehi, Die Wiedergewinnung des Politischen. Eine Auseinandersetzung mit Wahlverweigerung und kompromisslosem Protest (Kapitel 6), herausgegeben von der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin/Berlin 2016.
1 Vgl. Mohler, Armin: Gegen die Liberalen, 3. Auflage, Antaios Verlag, Schnellroda 2013, S. 9.
2 Vgl. dazu Nassehi, Armin: Die letzte Stunde der Wahrheit. Warum rechts und links keine Alternativen mehr sind und Gesellschaft ganz anders beschrieben werden muss, Murmann Verlag, Hamburg 2015, S. 27 ff. und S. 45 ff.
3 Vgl. dazu Zastrow, Volker: „Höckes Rassentheorie“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 20.12.2015.
4 Benoist, Alain de: Aufstand der Kulturen. Europäisches Manifest für das 21. Jahrhundert, Verlag Junge Freiheit, Berlin 2003, S. 128.
5 Vgl. dazu ausführlich Nassehi, Armin: Die letzte Stunde der Wahrheit. Warum rechts und links keine Alternativen mehr sind und Gesellschaft ganz anders beschrieben werden muss, Murmann Verlag, Hamburg 2015, S. 26 ff.
6 Vgl. Nassehi, Armin: „,Die arbeiten nichts‘. Eine kleine Polemik gegen den ,Wirtschaftsflüchtling‘“, in: Nassehi, Armin / Felixberger, Peter (Hrsg.): Kursbuch 183: Wohin flüchten?, Murmann Verlag, Hamburg 2015, S. 101–110.