Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beklagte in seiner Weihnachtsansprache 2018, in den Sozialen Medien werde „gegiftet“, da sei Lärm und tägliche Empörung“ (Steinmeier 2018). Das fällt in Deutschland besonders auf, da politische Diskurse hierzulande – im Gegensatz zu den USA – weit mehr von gegenseitigem Respekt und geringer Emotionalität geprägt sind (Ferree et al. 2002). Dies gilt jedoch nicht gleichermaßen für Diskurse in den Sozialen Netzwerken (Frieß/Neu 2018; Neu 2019).
Doch wie hängen Facebook-Nutzung und Debattenkultur zusammen? Politische Diskussionen finden nicht mehr nur offline am Stammtisch oder in den klassischen Medien wie im Fernsehen oder in der Zeitung statt, sondern zunehmend auch online. Die meisten Politiker haben ein Facebook-Profil, die politischen Parteien sowieso. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat sich dieser Frage empirisch mit zwei Umfragen unter Internet- und Facebook-Nutzern genähert: einer repräsentativen Telefonbefragung und einer nicht-repräsentativen Onlineumfrage( in der repräsentativen Telefonumfrage wurden 1.075 Personen von Infratest dimap im Zuge einer laufenden Bevölkerungsumfrage zwischen dem 28.11.2018 und 04.12.2018 zu ihrem Nutzungsverhalten im Internet und auf Facebook befragt. In der nicht-repräsentativen Onlineumfrage wurden 2.041 Personen mittels Online-Access-Panel zwischen dem 26.11.2018 und 04.12.2018 befragt. Dafür wurde das Payback Panel von Infratest dimap genutzt).
Dabei wurde deutlich, dass die politische Reichweite des Internets im Allgemeinen und von Facebook im Speziellen nicht überschätzt werden sollte. Die repräsentative Telefonbefragung ergab, dass lediglich gut jeder dritte Wahlberechtigte Facebook nutzt. In der nicht-repräsentativen Onlinebefragung wurde die Facebook-Nutzung detaillierter unter die Lupe genommen: Lediglich bei einer Minderheit der Facebook-Nutzer werden auf der eigenen Facebook-Seite politische Inhalte angezeigt. Mindestens ein Drittel der Befragten beschäftigt sich dort überhaupt nicht mit Politik: Diese Nutzer lesen keine politischen Inhalte, liken, teilen oder kommentieren sie nicht und verbreiten erst recht keine eigenen politischen Inhalte. Das gilt vor allem für die Wähler von Union, SPD und FDP. Die Wähler der AfD und der Linken nutzen Facebook dagegen häufiger für Politik.
Einstellungen zu Facebook
Zusätzlich zur Frage der politischen Nutzung wurden in der nicht-repräsentativen Onlineuntersuchung Einstellungen zu Facebook ermittelt, die sich insgesamt erstaunlich wenig zwischen den Parteianhängerschaften unterscheiden. Zwei Befunde ragen dabei heraus: Die Anhänger der AfD sind mit 61 Prozent deutlich überdurchschnittlich der Auffassung, auf Facebook würden sie Meinungen erfahren, die außerhalb der Sozialen Medien unterdrückt würden. Hierin äußert sich nicht nur Skepsis gegenüber den klassischen Medien, sondern auch ein Hang zu Verschwörungstheorien (Frieß/Neu 2018). Zugleich gibt fast ein Fünftel der AfD-Anhänger an, auch selbst bei Facebook-Einträgen mutiger zu sein und Meinungen zu äußern, die sie sonst nicht artikulieren würden. Die Plattform Facebook wird von einigen AfD-Wählern offenbar als Möglichkeit wahrgenommen, sich auf eine Art und Weise zu äußern, die außerhalb der Sozialen Netzwerke nicht als angemessen wahrgenommen oder gar negativ sanktioniert wird.
Darüber hinaus wurde online untersucht, welche Emotionen die Nutzer empfinden, wenn sie Inhalte auf Facebook sehen (die Antwortmöglichkeiten wurden vorgegeben. Bei einer offenen Abfrage wären die Ergebnisse sicher anders ausgefallen).
Dabei überwiegen neutral-positive Gefühle: Die Mehrheit fühlt sich unterhalten, etwa die Hälfte fühlt sich informiert. Negative Emotionen wie Provokation (15 Prozent) oder Verärgerung (33 Prozent) empfindet eine (allerdings recht große) Minderheit.
Vor allem die Wähler der Linken fühlen sich durch Facebook-Inhalte verärgert und provoziert. Allerdings wurde nicht untersucht, ob es Inhalte von Sympathisanten der AfD sind, die hier ihre Meinung offener äußern und dadurch die Wähler der Linken verärgern.
Abbau moralischer Hemmungen
Im Zusammenhang mit einer veränderten Debattenkultur im Internet spielen auch sogenannte inzivile oder Hasskommentare eine wichtige Rolle. Im Netz fällt es durch die Möglichkeit anonymer Äußerungen leichter, inzivile Kommentare zu äußern. Diese haben noch dazu eine große Reichweite, wie eine Umfrage der Landesanstalt für Medien NRW zeigt: Insgesamt nehmen 78 Prozent der Bevölkerung Hasskommentare im Internet wahr. Für ein gutes Drittel gilt das sogar häufig oder sehr häufig (Isenberg 2019: 28 f.). Besonders oft stoßen junge Menschen zwischen vierzehn und 24 Jahren dort auf Hasskommentare. 96 Prozent der 14bis 24-Jährigen geben an, im Netz auf Hass gestoßen zu sein (Isenberg 2019: 29).
Welche Gründe kann es für zunehmende Hasskommentare geben? Vier Ursachen können aus anderen Studien genannt werden (Kümpel/Rieger 2019: 5 ff.): Erstens stehen Debatten im Internet und in Sozialen Netzwerken der Öffentlichkeit zur Verfügung. Jeder kann die Diskurse und damit auch die Hasskommentare einsehen und verfolgen. Was am Stammtisch geäußert wurde, war möglicherweise ähnlich inzivil, jedoch bekamen dies nur die Stammtischteilnehmer mit. Nun sind diese Äußerungen jederzeit zugänglich, sodass sich die Wahrnehmung verändert hat. Zweitens fällt es durch die Funktionsweise von Sozialen Medien leichter, Inhalte und damit auch Hasskommentare zu verbreiten, als dies früher möglich war. Drittens spielt die erwähnte Anonymität eine Rolle. Sie vereinfacht das Verbreiten von Hasskommentaren, da der Absender keine negativen Sanktionen befürchten muss. Viertens werden Hasskommentare verbreitet, um negative Gefühle wie Wut oder Ärger abzubauen. Wie die vorliegende Umfrage zeigt, werden negative Gefühle zwar nur von einer Minderheit empfunden. Andere Studien deuten jedoch darauf hin, dass die Mehrheit der Hasskommentare nur von einer kleinen Minderheit geschrieben wird (Isenberg 2019: 29).
Die vorliegende Studie lässt vermuten, dass eine Art Eskalationsspirale entsteht: Die einen trauen sich auf Facebook verstärkt, ihre möglicherweise gesellschaftlich nicht anerkannten Meinungen – möglicherweise auch in Form von Hasskommentaren – zu äußern, wovon sich die anderen verärgert und provoziert fühlen. Dadurch wird der Umgangston bei politischen Debatten in den Sozialen Netzwerken rauer.
Sabine Pokorny, geboren 1981 in Wesel, Koordinatorin Empirische Sozialforschung, Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Literatur
Ferree Marx, Myra / Gamson, William A. / Gerhards, Jürgen / Rucht, Dieter: „Four models of the public sphere in modern democracies“, in: Theory and Society 31/2002, S. 289–324.
Frieß, Hans-Jürgen / Neu, Viola: Die Heterogenität des Protests. Eine Untersuchung von Einstellungen potenzieller Protestwähler und politischem Protest im Internet, Sankt Augustin / Berlin 2018, https://kasnet.kas.de/db_files/kas/dokumente/7_dokument_dok_pdf_53242_1.pdf
Isenberg, Meike: „Wie nimmt die Bevölkerung Hassrede im Netz wahr? Ergebnisse einer repräsentativen forsa-Umfrage der Landesanstalt für Medien NRW“, in: die medienanstalten (Hrsg.): Der Ton wird härter. Hass, Mobbing und Extremismus. Maßnahmen, Projekte und Forderungen, Jugendschutz- und Medienkompetenzbericht, Berlin 2019.
Kümpel, Anna Sophie / Rieger, Diana: Wandel der Sprach- und Debattenkultur in sozialen Online-Medien. Ein Literaturüberblick zu Ursachen und Wirkungen inziviler Kommunikation, Sankt Augustin / Berlin 2019.
Neu, Viola: „Das wird man wohl noch sagen dürfen.“ Eine Analyse der Facebookseiten von CDU, SPD und AfD im Wahlkampf, Analysen und Argumente, Nr. 356, Sankt Augustin / Berlin 2019, https://www.kas.de/analysen-und-argumente/detail/-/content/das-wird-man-wohl-noch-sagen-duerfen
Pokorny, Sabine: (Un-)Soziale Medien? Der Einfluss der Facebooknutzung auf die Sprach- und Streitkultur, Analysen und Argumente, Nr. 357, Sankt Augustin / Berlin 2019, https://www.kas.de/analysen-und-argumente/detail/-/content/un-soziale-medien
Steinmeier, Frank-Walter: Weihnachtsansprache von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 25. Dezember 2018 in Schloss Bellevue, siehe www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2018/12/181225-Weihnachtsansprache-2018.pdf?__blob=publicationFile [Aufruf am 04.02.2019].