Polen: Die Wahlen zum Europäischen Parlament waren für die Menschen im Dezember 2013 noch kein wichtiges Thema, die Politik schweigt bislang weitgehend dazu. Allenfalls in internen Zirkeln der regierenden Bürgerplattform PO (Platforma Obywatelska) wird die Europawahl diskutiert, wobei man sich die bange Frage stellt, ob sich der in den Meinungsumfragen abzeichnende Ansehensverlust von Ministerpräsident Donald Tusk und seiner Partei im Wahlergebnis widerspiegeln könnte. Beobachter gehen davon aus, dass die oppositionelle PiS (Prawo i Sprawiedliwość, „Recht und Gerechtigkeit“) um Jarosław Kaczyński, die in nationalen Umfragen derzeit bis zu zehn Prozent vor der regierenden PO liegt, einen Sieg bei den Europawahlen einfahren könnte. Voraussichtlich wird die Wahlbeteiligung unter dreißig Prozent liegen. Dabei wird der PiS eher zugetraut, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren, und davon ausgegangen, dass die teils frustrierten PO-Wähler in großer Zahl wahlabstinent bleiben könnten.
Das Jahr 2013 markierte in Polen die Mitte der Legislaturperiode. Ob es sich nur um einen „Halbzeit-Durchhänger“ der generell europafreundlichen Bürgerplattform handelt, lässt sich nicht abschließend sagen. Die schwierige Kommunikation der Regierungs- und Reformpolitik, vor allem aber das Bild der inneren Zerrissenheit sind indes Anzeichen für eine tiefere Krise. Der Spagat zwischen eher linksliberalen, städtischen Wählermilieus und wertkonservativen polnischen Traditionalisten wird immer schwieriger. Die einst verbindende Überzeugung, nur gemeinsam Jarosław Kaczyński und seine PiS verhindern zu können, reicht als einigende Klammer nicht mehr aus und gilt auch den meisten Polen nicht mehr als entscheidendes Wahlargument.
Bei der PiS, der größten Oppositionspartei, ist noch manche europapolitische Provokation aus ihrer Regierungszeit in unguter Erinnerung. Auch vertritt sie in sehr robuster Form vor allem gegenüber der Kommission nationale Positionen. Dabei vermeidet diese populistische Partei dezidiert antieuropäische Reflexe, weil die polnische Bevölkerung nicht euroskeptisch eingestellt ist. Circa 75 Prozent der Polen befürworten die EU-Mitgliedschaft und bewerten sie positiv. Polen hat es wie kein anderes Beitrittsland geschafft, von den EU-Fonds zu profitieren und die europäischen Hilfsgelder optimal für den wirtschaftlichen Aufbau einzusetzen. Die Bevölkerung erkennt dies an und zeigt sich dankbar. Allerdings lehnen dennoch 75 Prozent der Polen die Euro-Einführung ab. Die Politik spart das Thema aus: Mit Blick auf die anstehenden Europa- und Kommunalwahlen, aber auch schon mit Blick auf die Parlamentswahlen 2015 möchte man die Wähler nicht noch mehr vergraulen.
Christian Schmitz, Auslandsbüro Warschau der Konrad-Adenauer-Stiftung
Großbritannien und Irland: „Stell dir vor, es ist Europawahl und keiner geht hin!“ – ganz so drastisch stellt sich die Situation in Großbritannien kurz vor der Europawahl nicht dar, aber das Interesse hält sich noch sehr in Grenzen. Und dies, obwohl kaum ein Tag vergeht, an dem die britischen Medien Europa nicht in irgendeiner – meist allerdings in negativer Weise – thematisieren.
Nachdem Premierminister David Cameron den Briten für 2017 ein Referendum über den Verbleib des Königreichs in der Europäischen Union (EU) in Aussicht gestellt hatte, nahm die Debatte über Vor- und Nachteile der EU-Mitgliedschaft Fahrt auf. Immigration und Missbrauch von Sozialleistungen sind dabei die beherrschenden Themen. Vor allem die populistische United Kingdom Independence Party (UKIP) versucht, davon zu profitieren.
Der Premierminister hat Mühe, die eigene Konservative Partei geschlossen hinter sich zu versammeln. Auch sein Bestreben, innerhalb der EU einschneidende Reformen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, vor allem aber die Rückführung von Kompetenzen auf die nationalstaatliche Ebene zu erreichen, findet in den übrigen EU-Staaten bislang nur bedingt Anklang. Zudem hat er jüngst in der Financial Times angekündigt, die Aufenthaltsbedingungen für Rumänen und Bulgaren verschärfen zu wollen, womit er nicht nur die EU-Kommission, sondern auch die Außenminister zahlreicher osteuropäischer Mitgliedsstaaten, gegen sich aufgebracht hat.
Die Emotionalität der Debatte spiegelt sich jedoch in den nationalen Umfragen bisher kaum wider. Hier liegt Labour unangefochten bei rund 35 Prozent mit fünf bis zehn Prozentpunkten Vorsprung vor den Conservatives, während sich Liberal Democrats (LibDems) und UKIP gegenseitig den dritten Platz (zehn bis zwölf Prozent) streitig machen.
Ganz anders stellt sich hingegen das Bild bei den Umfragen zur Europawahl dar: Nachdem die Conservatives bei der Europawahl 2009 27,7 Prozent erzielt hatten, liegen sie nun laut einer Umfrage von YouGov vom Oktober 2013 nur noch bei 21 Prozent und damit an dritter Stelle hinter UKIP (22 Prozent) und Labour (35 Prozent). Von dem bei der Europawahl geltenden Verhältniswahlrecht (im Gegensatz zum sonst in Großbritannien herrschenden Mehrheitswahlrecht) profitiert vor allem die UKIP, die ihre Präsenz im Europäischen Parlament beträchtlich ausbauen könnte. Besonders angesichts der zu erwartenden geringen Wahlbeteiligung scheint das vom Vorsitzenden der UKIP, Nigel Farange, prognostizierte „politische Erdbeben“ ein wahrscheinliches Szenario zu sein.
Immerhin gibt es einige Hoffnungszeichen: Nachdem bis dahin die Befürworter des Austritts fast konstant die Nase vorn gehabt hatten, war im November zum ersten Mal ein Patt zwischen diesen und den Gegnern eines EU-Austritts (39 Prozent zu 39 Prozent) zu verzeichnen. Vermutlich geht das auf eine Initiative des Unternehmerverbands und von Teilen der Finanzbranche zurück, die erstmals öffentlich vor den Folgen eines EU-Austritts gewarnt hatten. Der reale Verlust von Arbeitsplätzen wiegt anscheinend doch schwerer als die vermeintliche Bedrohung durch Einwanderungswellen.
Mehr als eine Randnotiz ist in diesem Zusammenhang die „schottische Frage“: Nach der Europawahl steht am 18. September 2014 ein Referendum über die Loslösung Schottlands von Großbritannien an. Dass sich im Falle einer Unabhängigkeit zwei Drittel der Schotten für eine EU-Mitgliedschaft aussprechen würden, ist ebenso absehbar wie die Tatsache, dass ein Wahlsieg der UKIP Wasser auf die Mühlen der schottischen Unabhängigkeitsbewegung wäre. Insofern könnte die UKIP zur „Hebamme“ (David Gow, Guardian) der schottischen Unabhängigkeit werden.
In Irland steht die Europawahl zwar (noch) nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, es gibt aber weder eine explizit antieuropäische Stimmung, noch versuchen sich politische Kräfte mit populistischer Kritik an Europa zu profilieren. Das ist umso bemerkenswerter, als die rigorosen Sparmaßnahmen der letzten drei Jahre im Zusammenhang mit der Fine Gael-Labour-Koalitionsregierung, der Troika und der EU-Kommission gesehen werden. Aufgrund des EU-Beitritts von Kroatien wird Irland für das Europäische Parlament einen Abgeordneten weniger stellen als zuvor. Was die verbleibenden elf Mandate betrifft, deuten Umfragen darauf hin, dass Fine Gael seine vier Sitze im Europäischen Parlament ebenso behält wie Fine Fail seine bisherigen drei Mandate. Am ehesten drohen Labour Verluste (bisher drei Sitze) zugunsten von Sinn Féin.
Hans-Hartwig Blomeier, Auslandsbüro London der Konrad-Adenauer-Stiftung
Spanien: Der EU-Beitritt Spaniens 1986 bedeutete das Ende der außenpolitischen Isolation des Landes und leitete eine beeindruckende ökonomische Aufholjagd ein. Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ist die spanische Europa-Euphorie jedoch deutlich abgekühlt. Ernüchterung, wenn nicht sogar Resignation prägt die Stimmung. Das gilt für Politik, Medien und Gesellschaft gleichermaßen. Die Regierung ist der Meinung, dass ihre Sparanstrengungen in Brüssel nicht ausreichend gewürdigt werden – sogleich nach dem Auslaufen des Bankenrettungsprogramms hatte die Europäische Kommission gemahnt, den Kurs der Haushaltskonsolidierung fortzusetzen. Für die angekündigten Steuersenkungen hat Ministerpräsident Mariano Rajoy nun anscheinend keinen Spielraum mehr. Seitdem im März 2012 ein Spanier seinen Posten im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) verloren hat, wird zusätzlich ein mangelnder Einfluss in den europäischen Gemeinschaftsinstitutionen beklagt. Die Medien entwerfen ein Europabild, das diese Institutionen als von den nördlichen Mitgliedsstaaten „gekapert“ zeichnen. So solle „dem Süden“ Austerität und Mentalitätswandel aufgezwungen werden. Die Konsequenz ist, dass mittlerweile zwei Drittel der Spanier die Meinung vertreten, es bestünde keine Notwendigkeit, zur Verbesserung der ökonomischen Leistungsfähigkeit des Landes „signifikante Reformen“ durchzuführen (Eurobarometer, November 2013).
Für die Wahlen zum Europaparlament wird eine ähnlich niedrige Wahlbeteiligung wie 2009 erwartet: 46 Prozent. Laut aktuellen Umfragen würden die Konservativen 29 und die Sozialisten 28 Prozent der Stimmen (ein Minus von 13 respektive 11 Prozentpunkten) erhalten und damit jeweils sechs Sitze in Straßburg einbüßen. Die Zentrumspartei „Union Fortschritt und Demokratie“ (Unión Progreso y Democracia, UPyD) könnte ihr Ergebnis auf acht Prozent verdreifachen, die Postkommunisten ihres sogar vervierfachen (fünfzehn Prozent, Daten nach Metroscopia, November 2013). Europaskeptische Formationen oder Populisten spielen jedoch keine Rolle. Wichtig ist allerdings auch die Frage, wie sich die Regionalparteien verhalten. So waren zum Beispiel die katalanischen Nationalisten 2009 getrennt nach Rechts-Links-Ausrichtung angetreten.
Adriaan Kühn, Auslandsbüro Madrid der Konrad-Adenauer-Stiftung
Kroatien ist das jüngste Mitgliedsland der Europäischen Union (EU). Nachdem der Beitritt am 1. Juli 2013 lautstark gefeiert worden war, ist in der Bevölkerung inzwischen Ernüchterung eingekehrt. Viel hatten sich die Kroaten vom Beitritt versprochen, vor allem eine sofort spürbare Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse. Neben der „immateriellen“ Bestätigung ihrer europäischen Identität erhofften sie sich konkret die umfassende wirtschaftliche Einbeziehung des Landes in den Europäischen Binnenmarkt, vorteilhafte Regelungen bezüglich der Freizügigkeit im Güter-, Dienstleistungs- und Personenverkehr sowie wirtschaftliche Unterstützung (Struktur- und Kohäsionsfonds) bei der Realisierung öffentlicher Infrastrukturinvestitionen. Die Freizügigkeit im Personenverkehr ist nun aber für zwei Jahre ausgesetzt, und die Bereitstellung von Mitteln des Struktur- und Kohäsionsfonds bleibt an noch ausstehende erfolgreiche Projektvorschläge sowie an den Kofinanzierungsmodus gebunden. Entgegen den Erwartungen hat die kroatische Wirtschaft erst einmal erhebliche wirtschaftliche Nachteile erlitten, wie etwa den Verlust von traditionell wichtigen Absatzmärkten in der Region (Central European Free Trade Agreement, CEFTA). Zudem erschweren die rigiden EU-Handelsbeziehungsweise Produktions- und Auszeichnungsvorschriften (siehe das Beispiel „Prosek“) den Export vor allem von landwirtschaftlichen Produkten in die EU. Gleichzeitig drängen europäische Dienstleister (RWE) und Handelsketten (Hofer, IKEA) auf den kroatischen Markt und machen den einstigen kroatischen Monopolisten Konkurrenz. Darüber können sich zwar die Verbraucher, nicht aber die staatlichen Versorgungsunternehmen freuen. Hinzu kommt, dass die Mehrbelastungen durch den fälligen EU-Mitgliedsbeitrag und die möglichen Kofinanzierungskosten den kroatischen Haushalt beziehungsweise die kroatische Wirtschaft belasten.
Den kroatischen Bürgern wird auf diese Weise klar, dass sich mit dem EU-Beitritt keines der Probleme Kroatiens von allein löst. Dabei scheint die kroatische Regierung dringend erforderliche Strukturreformen so lange verzögert zu haben, bis diese den Kroaten – im Rahmen des jetzt beschlossenen EU-Defizitverfahrens – als Auflagen der EU oder des Internationalen Währungsfonds (IWF) vermittelt werden können. Politisch weniger kenntnisreiche Wähler könnte das dazu verleiten, der EU die Verantwortung für die jetzt unvermeidbaren und schmerzhaften Sanierungsmaßnahmen zu geben.
Sollte dieser Fehlschluss gezogen werden, könnte es bei den Europawahlen zu einer noch geringeren Wahlbeteiligung kommen als bei dem EU-Referendum 2012, als sie bei 43,5 Prozent lag. Es steht zu befürchten, dass es sogar zu einer Stärkung der europaskeptischen politischen Strömungen und Parteien im Land kommen könnte. Die oppositionelle Kroatische Demokratische Union (Hrvatska demokratska zajednica, HDZ), die der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört, hatte schon immer den EU-Beitritt Kroatiens angestrebt und wird sich deshalb auch in Zukunft den antieuropäischen Strömungen im Land entgegenstellen. Die kroatische Regierungskoalition unter Führung der Sozialdemokraten dagegen haderte – zuletzt wegen der Anwendung des Europäischen Haftbefehls gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher im Balkankrieg – bereits mehrmals mit der EU-Kommission und pflegt einen eher „robusten“ politischen Dialog mit der EU. Es bleibt abzuwarten, wie kooperativ sich die kroatische Regierung im anstehenden Defizitverfahren zeigen wird, wenn es darum geht, die haushaltspolitische Schieflage des Landes zu beenden.
Michael A. Lange, Auslandsbüro Zagreb der Konrad-Adenauer-Stiftung