Asset-Herausgeber

Ein Streifzug durch die Anhängerschaft der WM-Teilnehmer

Asset-Herausgeber

Die Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland steht vor der Tür, die Gruppen sind gelost und die ersten Tickets verkauft. Angesichts der angekündigten restriktiven Einreisebestimmungen – so müssen beispielsweise alle Ticketinhaber vor der Anreise eine sogenannte Fan-ID mit persönlichen Daten beantragen sowie der Speicherung und Weitergabe der Daten zustimmen – und der hohen Kosten (ab etwa 90 Euro pro Ticket) stellt sich die Frage, wer nach Russland fährt, um die Spiele zu sehen, und welche nationalen Fankulturen dort aufeinandertreffen werden. Sport hat dabei durchaus die Kraft, Menschen in Kontakt zu bringen, Austausch zu ermöglichen und zu verbinden. Während der Großteil der Zuschauer die Spiele genießen und Fans anderer Länder kennenlernen möchte, stehen für einen kleinen Teil auch gewaltsame Auseinandersetzungen im Fokus.

Zur Einordnung: Hooligans sind Fangruppen, deren primäre Intention beim Besuch von Fußballspielen – im Gegensatz zu den Ultragruppen – nicht in der Unterstützung der Mannschaft liegt, sondern in der Ausübung von Gewalt. Ultras dagegen vergemeinschaften sich in erster Linie zur Unterstützung des Vereins im Stadion; sie organisieren Gewalt nicht (wie die Hooligans), lehnen sie aber auch nicht grundsätzlich ab. Generell meidet zumindest die deutsche Ultra-Bewegung vom europäischen Fußballverband (UEFA) beziehungsweise vom Weltfußballverband (FIFA) organisierte Großereignisse aufgrund der Eventisierung und Kommerzialisierung. Klassischerweise widerspricht die Liebe zu Verein und Stadt, welche prägend für Ultragruppen ist, Sympathien für die Nationalmannschaft. Zudem richtet sich die Kritik vieler Ultragruppen gegen die Verbände (Deutscher Fußballbund – DFB, UEFA und FIFA). Daher wäre die Unterstützung des DFB-Teams ein Widerspruch.

Festival der Gewalt?

Die Frage nach möglichen Gewaltszenarien im Sommer 2018 bleibt ungewiss. So waren es doch während der Europameisterschaft 2016 in Frankreich gerade russische Hooligans, die durch Gewalt für Aufsehen sorgten und dabei nicht zuletzt von Mitgliedern der russischen Regierung verbale Rückendeckung erhielten; beispielsweise äußerte sich Igor Lebedew, Vizepräsident der Duma und Vorstandsmitglied des russischen Fußballverbandes RFS, nach den Vorfällen über Twitter: „Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Eher im Gegenteil. Bravo, Jungs. Macht weiter so!“ Die Beziehung zwischen dem russischem Staat und den russischen Hooligans ist daher ambivalent: Einerseits will sich Russland als guter Gastgeber präsentieren, andererseits bestehen persönliche Kontakte zwischen Hooligans und Funktionären, und die Anwendung von Gewalt zur Demonstration nationaler Stärke wird von beiden Seiten als legitim anerkannt. So war etwa Alexander Schprygin, der Vorsitzende des Dachverbands russischer Fußballfans und Mitglied im RFS-Verbandskomitee für Sicherheitsfragen, in den 1990er-Jahren Anführer der Dynamo-Moskau-Hooligans. Offenbar hat seine Fan-Organisation russische Hooligans bei der EM 2016 in einer Chartermaschine eigens zum Spiel gegen England nach Marseille fliegen lassen, wo es zu schweren Krawallen kam.

Vonseiten russischer Hooligans wurde im Gespräch mit der BBC für die WM 2018 ein „Festival der Gewalt“ ausgerufen, für das bereits Vorbereitungen und regelrechte Trainings stattfinden würden. Es wird einerseits erwartet, dass sie Gewalt gegen andere Fangruppen inszenieren, andererseits stehen sie auch über Verbindungen zu Funktionären für ein „Gelingen“ der WM in Russland ein. Wie die russischen Gastgeber diesen Widerspruch auflösen, bleibt abzuwarten.

Auch die Anhänger anderer Nationalmannschaften gilt es zu berücksichtigen. Nicht zuletzt die Nazi-Gesänge eines kleinen Teils der deutschen Fans beim Spiel der Nationalmannschaft gegen Tschechien im September 2017 sollten uns daran erinnern, das Verhalten der eigenen Fanscharen ebenfalls zu hinterfragen. Wie schon bei der EM 2016 gibt es Tickets für Anhänger der Nationalelf auf offiziellem Wege nur über den „Fan Club Nationalmannschaft“. Der Vorteil für den DFB liegt auf der Hand: So lässt sich im Rahmen der Registrierung überprüfen, ob gegen den Antragsteller ein Stadionverbot vorliegt. Andererseits hat sich der DFB sein Publikum weitgehend selbst geschaffen, was sich möglicherweise in der schwachen Unterstützung und in sinkenden Zuschauerzahlen bei Heimländerspielen niederschlägt. Nicht zu vergessen ist allerdings, dass Fans auch die Möglichkeit haben, über andere Wege Karten zu beziehen.

Vor diesem Hintergrund und unter Beachtung der geschilderten politischen Situation sollen nun einzelne Länder und deren Fankulturen kurz dargestellt werden:

Ägypten verfügt im Vereinsbereich über eine ausgeprägte Ultra-Fankultur, die sich insbesondere im Kontext des „Arabischen Frühlings“ aufseiten der Demonstranten engagierte. Ultras bildeten hierbei, als „erfahren im Umgang mit der Polizei“ geltend, menschliche Schutzschilde für zivile Demonstranten. Am 1. Februar 2012 kamen in Port Said 74 Anhänger des größten Vereins des Landes, Al Ahli, ums Leben. Die Partie gilt bis heute als „Spiel der Vergeltung“; Vorwürfe, wonach das Massaker durch Polizei und Militär herbeigeführt beziehungsweise zumindest geduldet wurde, halten sich hartnäckig. Hinsichtlich der Nationalmannschaft sind die Fans des Landes angesichts der dramatischen WM-Qualifikation und der ersten Teilnahme seit 1990 zusammengerückt.

Spanien weist eine Vielzahl von Ultra- und Hooligangruppen auf, die in ihrer Feindschaft auch den aktuellen Konflikt zwischen der spanischen Zentralregierung und Katalonien mit austragen. Symbolisch für die Auseinandersetzungen zwischen Spanien und Katalonien stehen die beiden Innenverteidiger Sergio Ramos (Real Madrid) und Gerard Piqué (FC Barcelona). Piqué steht den Freiheitsbemühungen Kataloniens aufgeschlossen gegenüber und wird in Madrid regelmäßig angefeindet. Abzuwarten bleibt, wie sich der schwelende Konflikt auf die Fans auswirkt, wobei davon auszugehen ist, dass extreme Vertreter Kataloniens nicht anreisen werden, da sie eine eigene Nationalmannschaft befürworten.

Iran: Weil sie mit ihrem Verein Panionios Athen im Spiel gegen das israelische Team von Maccabi Tel Aviv angetreten waren, sind Kapitän Massoud Schojaei und sein Stellvertreter Ehsan Hajsafi aus dem iranischen Kader entfernt worden. Die Fans im Iran fürchteten daher lange eine Disqualifikation des Teams durch die FIFA. Hintergrund ist das seit 38 Jahren bestehende Verbot für iranische Sportler, gegen israelische Konkurrenten anzutreten.

Das Vorgehen des Verbandes wird im Iran medial weitgehend als richtig dargestellt, das Verhalten der Sportler als „Schande“ beschrieben.

Frankreich: Die Vereins-Fankultur ist gekennzeichnet durch eine starke staatliche Repression und einen Verzicht auf sozialpädagogische Fanarbeit. Dies führte in den vergangenen Jahren zu einer Radikalisierung vieler Gruppen und zu Konflikten zwischen rechten und linken Vereins-Fangruppen, die in der Regel wenig Interesse an der Nationalmannschaft haben.

Dänemark: Die dänischen Fans haben zuletzt dadurch auf sich aufmerksam gemacht, dass sie „alternative“ Pyrotechnik in einem Modellversuch testen wollten.

Argentinien: Mit Anspannung wird erneut der Auftritt der argentinischen Fans erwartet. Die „Barras Bravas“ sind vergleichbar mit den hiesigen Ultras und gelten als frenetisch und zumindest in Teilen als gewaltaffin. Sie besuchen nicht nur Spiele ihrer Vereinsmannschaften, sondern auch die der Nationalmannschaft, was dazu führt, dass Vereinsrivalitäten auch im Umfeld der Nationalmannschaft ausgetragen werden.

Island: Mit dem charakteristischen Schlachtruf „Huh!“ und dazu passender Klatscheinlage werden die isländischen Fans vermutlich auch nach der Europameisterschaft in Russland wieder positiv auf sich aufmerksam machen und nun die erstmalige Teilnahme ihrer Nationalmannschaft an einer WM feiern.

Kroatien: Bei der EM 2016 fielen Fans durch Ausschreitungen auf. Beim Spiel gegen Tschechien flogen Bengalos auf den Platz, und im Block kam es zu Schlägereien. Die Gruppen – in erster Linie Ultras und Hooligans – verstehen die Randale als Protest gegen die ihrer Meinung nach korrupte Verbandsspitze und versuchen, die eigene Mannschaft durch die Krawalle zu sabotieren – schließlich wurde in der Vergangenheit Fan-Randale zum Teil durch Ausschlüsse der entsprechenden Mannschaften geahndet. Insbesondere Zdravko Mamić, der starke Mann des kroatischen Fußballs und Präsident von Dauermeister Dinamo Zagreb, steht im Fadenkreuz: Nach Meinung der Ultras manipuliert Mamić die Spiele der kroatischen Liga zu seinen Gunsten. Sogar die Ultras von Dinamo Zagreb lehnen sich gegen ihn auf, weil er „ihren Club geklaut hat“. Der Protest wurde bereits bei der EM 2016 auch über die Nationalmannschaft ausgetragen, da viele führende Ultras die kroatische Auswahl unterstützen. Es ist davon auszugehen, dass diese Fangruppen die Bühne der WM nutzen, um ihre Anliegen der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

In Serbien stellt Gewalt sowohl in der Liga als auch bei Länderspielen ein gravierendes Problem dar; als mahnendes Beispiel gelten die Aktionen beim EM-Qualifikationsspiel gegen Albanien 2014, bei dem eine Drohne mit nationalistisch-albanischen Botschaften durchs Stadion kreiste – unter anderem eine Flagge mit den Umrissen „Großalbaniens“, das auch Teile Serbiens umfasst. Dies löste eine Massenschlägerei unter den Spielern aus; serbische Hooligans stürmten auf den Platz. Letztlich kam es zu einem Abbruch der Partie und Punktabzügen. Serbische Fans werden sicherlich aufgrund der relativ nahen Anreise in einer größeren Anzahl in Russland vertreten sein.

Belgien: In den 1980er- und 1990er-Jahren waren belgische „Fans“ zum Teil berüchtigt für Gewaltexzesse, die seitdem sukzessive abnahmen. Allerdings ist aktuell – bedingt vermutlich auch durch die Terrorakte rund um Brüssel – ein Erstarken rechter Kräfte mit Verbindungen zum Fußball zu beobachten. Die Partie gegen England dürfte die aus Polizeisicht riskanteste Begegnung der Vorrunde werden.

England: Klassische Fans verfolgen die Spiele heute aufgrund der hohen Preise und der Abschaffung der Stehränge in der Premier League eher in der Kneipe als im Stadion. Beim Freundschaftsländerspiel zwischen England und Deutschland im November 2017 sorgten Papierflieger für die größte Begeisterung im Publikum, was leider mittlerweile stellvertretend für die Stimmung in englischen Stadien stehen dürfte. Diese Entwicklung ist insbesondere dem hohen Altersdurchschnitt der Zuschauer in englischen Fußballarenen geschuldet, der knapp zehn Jahre höher liegt als in Deutschland. Faninitiativen versuchen, diesem Trend mit Aktionen gegen die hohen Kartenpreise sowie mit Stehplatz-Modellversuchen entgegenzuwirken; der Erfolg solcher Maßnahmen ist bisher überschaubar.

Polen: 2004 schlossen polnische Ultragruppen einen Pakt, sich künftig bei Länderspielen nicht mehr gegenseitig anzugreifen. Seitdem ist die Stimmung bei Länderspielen deutlich gemäßigter, viele Ultras fahren selbst jedoch nicht mehr zu den Spielen. Aufgrund der räumlichen Nähe zu Russland dürfte die polnische Szene dennoch zahlreich vertreten sein.

Angesichts der politischen Gemengelage und möglicher Terrorgefahren ist eine Prognose über Gewaltaktivitäten in Russland derzeit schwierig. Von einem „Festival der Gewalt“ oder anderen Horrorszenarien ist jedoch nach derzeitigem Dafürhalten eher nicht auszugehen. Möglicherweise aber führt das Erstarken rechter Kräfte – gerade in Europa – dazu, dass sich „neue“ Gruppen bilden oder „alte“ Gruppen zeigen, die solche Großereignisse dazu nutzen, ihre nationale Gesinnung über gewalttätige Auseinandersetzungen zur Schau zu tragen. Hier mag die EM 2016 ein erster Vorbote gewesen sein. Die geografisch zentrale Lage Frankreichs in Europa, die relativ kurzen Distanzen zwischen den Spielorten und das politische System haben hier jedoch sicherlich einen nicht zu unterschätzenden Beitrag geleistet – Faktoren, die allesamt gegen das Aufkommen größerer Gewaltexzesse in Russland sprechen, was sich bereits bei dem friedlich verlaufenen Confed Cup 2017 zeigte, bei dem allerdings nur zur Hälfte gefüllte Stadien das Bild prägten. Es ist daher eher damit zu rechnen, dass der weit überwiegende Anteil der Fans aus „Touristen“ und „Hoppern“, also solchen Fans, deren Fokus auf dem Besuch möglichst vieler unterschiedlicher Stadien liegt, die aber nichts zur Stimmung beitragen, bestehen wird.

-----

Gabriel Duttler, geboren 1981 in Würzburg, Sportwissenschaftler und Mitarbeiter des Instituts für Fankultur (IfF).

Boris Haigis, geboren 1981 in Würzburg, Rechtsanwalt und Mitarbeiter des Instituts für Fankultur (IfF).

comment-portlet