Martin Liebscher treibt die Idee des Selfies auf die Spitze. Seinen „Wimmelbildern“ gehen endloses Posieren und Fotografieren voraus, manchmal sind Tausende Fotoaufnahmen der eigenen Person nötig. Doch sind die digital zusammengefügten Collagen das Gegenteil hypertropher Selbstporträts: Je mehr Liebschers den Bildraum bevölkern, desto unpersönlicher werden sie. Offenbar führt die Übersteigerung des Ichs zu seiner Selbstauflösung.
Liebschers wir-loses Massen-Ich nimmt in unserer Fotostrecke vor allem die Rolle eines teils gelangweilten, teils skeptischen und gereizten Publikums ein, das dem Auftritt der eigentlichen Bühnendarsteller wenig freudig entgegensieht. Zuweilen geht es schon zur Revolte über. Mit solchen Erwartungen möchte niemand konfrontiert sein. Aber möglicherweise lauert auf der Bühnenseite ja ein noch größerer Überschuss an Selbstwahrnehmung.
Da wie dort bringt es nichts Gutes hervor, von sich selbst umzingelt zu sein. In seinen nicht nur humorvollen Inszenierungen nimmt Martin Liebscher auf ironische Art Abstand von sich selbst. Liegt darin nicht ein Mittel, um wieder verstärkt die Verbundenheit mit den anderen und dem Allgemeinen zu erfahren, die die res publica voraussetzt?