Asset-Herausgeber

Die Revolution von 1848/49 in den deutschen Ländern

Asset-Herausgeber

Mannheim, 27. Februar 1848: 2.500 Bürger kommen in der Aula des Vereinigten Großherzoglichen Lyzeums zusammen. Geleitet wird die Versammlung von Friedrich Hecker, einem radikalen Anhänger der Republik, und dem Liberalen Adam von Itzstein. Nach hitzigen Diskussionen wird am Ende des Abends ein Dokument verabschiedet: die „Petition vieler Bürger und Einwohner der Stadt Mannheim, betreffend die endliche Erfüllung der gerechten Forderungen des Volkes“. Adressat ist die Regierung des Großherzogtums Baden. Vier Forderungen sind es im Wesentlichen, die die Versammlung erhebt: Freiheit der Presse, die Einrichtung von Schwurgerichten nach englischem Vorbild, Volksbewaffnung bei freier Wahl der Offiziere und die Herstellung eines deutschen Parlaments. Damit verbunden ist die Hoffnung auf die Gründung eines deutschen Nationalstaats.

In den folgenden Wochen bestimmen diese sogenannten Märzforderungen die Tagesordnung der oppositionellen Gruppen, die sich vom Südwesten ausgehend in den deutschen Ländern mit Massenprotesten und Demonstrationen Gehör verschaffen– wobei diese nicht immer friedlich bleiben. Bemerkenswert ist, dass die Revolutionäre nicht auf begrenzte politische Veränderungen abzielen, sondern auf grundsätzliche Reformen. Zwei Ideen sind es, die, so der Historiker Dieter Hein, den „roten Faden der Revolutionsgeschichte“ bilden: zum einen der Gedanke einer umfassenden Emanzipation der Gesellschaft, um sich „in Freiheit selbst organisieren und über die Zukunft bestimmen zu können“, zum anderen das Leitbild einer „sich selbst konstituierenden Nation“ in einem nationalen Verfassungsstaat.

 

Eine europäische Revolution

 

Entzündet hat sich der Funke der Revolution in Paris, wo sich der seit 1830 regierende König Louis-Philippe I. am 24. Februar 1848 gezwungen sieht, abzudanken und ins Exil nach England zu fliehen. Vorausgegangen waren in den Tagen zuvor öffentliche Proteste, die sich rasch zu Straßenkämpfen ausgeweitet hatten. Am 25. Februar 1848 wird in Paris die Zweite Französische Republik ausgerufen und eine provisorische Regierung aus bürgerlichen Republikanern und Sozialisten gebildet.

Die Nachricht von den Pariser Ereignissen verbreitet sich im übrigen Europa und inspiriert die Menschen, die mit den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen schon lange unzufrieden sind. Die politischen Verhältnisse und die daraus resultierenden Probleme sind von Region zu Region und von Land zu Land zwar sehr verschieden. Vor allem aber werden wirtschaftliche und soziale Faktoren – etwa die Hungerkrise Mitte der 1840er-Jahre – als ursächlich für die revolutionären Ereignisse erachtet. Hinzu kommt der wachsende Legitimationsverlust der alten Mächte, die offenbar nicht mehr in der Lage sind, die Probleme zu lösen. Weitere Aspekte sind die zunehmende Politisierung bürgerlicher Schichten sowie das Erstarken liberaler, demokratischer und nationaler Ideen in der Zeit des Vormärz.

Der österreichische Staatskanzler Fürst von Metternich symbolisiert wie kaum ein anderer die politische Erstarrung der Jahrzehnte seit dem Ende des Wiener Kongresses 1815. Als er am 13. März 1848 überstürzt die Flucht aus Wien nach London antreten muss, wirkt das wie ein Fanal des gesamteuropäischen Aufbruchs. Zuvor hatten Aufständische in Wien anlässlich des Zusammentretens des Niederösterreichischen Landtags das Ständehaus gestürmt, woraufhin es zu einer Konfrontation zwischen dem Militär und Demonstranten gekommen war.

 

„Die Straßen schwimmen von Blut“

 

„Ich habe heute die alten deutschen Farben angenommen und Mich und Mein Volk unter das ehrwürdige Banner des Deutschen Reiches gestellt. Preußen geht fortan in Deutschland auf.“ Unter dem Druck der revolutionären Ereignisse gibt der preußische König Friedrich Wilhelm IV. am 21. März 1848 diese Erklärung ab, mit der er versucht, sich als Anführer der nationalen Bewegung zu inszenieren. Dieses scheinbare Einlenken folgt jedoch auf einen besonders blutigen Zusammenstoß: Am Nachmittag des 18. März 1848 waren Schüsse des in der Stadt zahlreich versammelten Militärs auf Demonstranten auf dem Schlossplatz gefallen. „Die Straßen schwimmen von Blut“, berichtet ein Augenzeuge, der 23-jährige Johann Gustav Dalchow, „selbst die französischen Revolutionen könnten im Vergleich zur Berliner Märzrevolution nur Kinderei[en] gewesen seyn.“

Mehr als 300 Todesopfer fordern die Barrikaden- und Straßenkämpfe am 18. und 19. März 1848 in Berlin. Vor allem Angehörige der klein- und unterbürgerlichen Schichten sind unter den Getöteten: unter anderem 115 Gesellen, dreizehn Lehrlinge sowie 52 „Arbeitsleute und Proletarier“, 34 Diener und Kleinhändler. Für die deutschen Länder hat die Forschung gezeigt, dass gerade unter den Handwerkern die Protestbereitschaft im Frühjahr 1848 besonders hoch gewesen ist, denn viele von ihnen führten ein Leben am Rande des Existenzminimums. Auch der zunehmende Verlust traditioneller Bindungen – etwa die Zugehörigkeit zu einem bürgerlichen Haushalt unter dem Dach eines „Hausvaters“ – verschärft in der Zeit der Frühindustrialisierung die sozialen Spannungen, besonders in den größeren Städten. Auf dem Land dagegen sind es vor allem die nach wie vor bestehenden Feudallasten, die die Bevölkerung zum Protest bewegen.

Auch sieben „berufslose“ Frauen sind unter den Berliner Märzgefallenen. Der Historiker Rüdiger Hachtmann zitiert einen Beobachter: Demnach habe „eine größere Zahl von Frauen der niedrigsten Volksklasse“ Steine in Körben in die oberen Etagen der Häuser transportiert, den Kämpfenden Munition sowie Erfrischungen gebracht und Verwundete versorgt. Auch andernorts sind Frauen an Barrikadenkämpfen und Aufständen beteiligt.

Nicht nur die revolutionären Handlungen an sich werden von Frauen mitgetragen; sichtbar ist vor allem eine allgemeine Politisierung, die durch die weibliche Zuhörerschaft bei den zahllosen Versammlungen, Kundgebungen und in den Parlamenten augenfällig wird. Darüber hinaus gründen Frauen erstmals in größerer Zahl Vereine, die sich Fragen der Bildung und sozialen Themen widmen.

 

Märzministerien und Vorparlament

 

Ende März 1848 scheint der Sieg der Revolution in den deutschen Ländern greifbar. Am 21. März bekennt sich der preußische König zum Nationalitätsprinzip und reitet mit einer schwarz-rot-goldenen Armbinde – den Symbolfarben der nationalen Bewegung – durch Berlin. Am 29. März setzt Friedrich Wilhelm IV. ein Reformministerium unter Führung der bekannten rheinischen Wirtschaftsliberalen Ludolf Camphausen und David Hansemann ein, für den 1. Mai 1848 werden Wahlen für ein Parlament, das für Preußen eine Verfassung ausarbeiten soll, angesetzt. Damit folgte die Entwicklung in Preußen jener der meisten deutschen Klein- und Mittelstaaten, in denen die Fürsten unter dem Druck der Proteste im März 1848 Reformen eingeleitet haben. An deren Ende stand meist die Berufung eines sogenannten Märzministeriums, das in der Regel liberale Oppositionspolitiker einschloss. Im Großherzogtum Hessen-Darmstadt ist es der bekannte Führer der liberalen Opposition Heinrich von Gagern, der zum neuen Ministerpräsidenten berufen wird.

Am 31. März 1848 tritt das Frankfurter Vorparlament auf Anregung einer Gruppe bekannter liberaler und demokratischer Politiker aus dem Südwesten zusammen. Das Ziel ihrer Initiative ist es, den Gang der Ereignisse nicht den Fürsten und etablierten Mächten zu überlassen. 574 Abgeordnete folgen der Einladung nach Frankfurt und tagen bis zum 4. April. Für den weiteren Verlauf der Revolution ist es entscheidend, dass sich die Gruppe der gemäßigten liberalen Politiker gegenüber den radikalen Kräften durchsetzt, die sich umgehend als Nationalversammlung konstituieren und eine Republik ausrufen möchten. Stattdessen steht am Ende der Beratungen die Entscheidung zur Durchführung einer Wahl für eine Nationalversammlung.

Der Bundestag des Deutschen Bundes, die Versammlung weisungsgebundener Bevollmächtigter der deutschen Bundesstaaten, beschließt dann in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Vorparlaments das dafür geltende Wahlrecht: In allgemeiner und gleicher Wahl soll pro 50.000 Einwohner ein Abgeordneter gewählt werden. Alle volljährigen selbstständigen Männer sind zur Wahl zugelassen. Am Ende sind es etwa achtzig Prozent aller volljährigen männlichen Deutschen, die zur Wahl berechtigt sind; für die damalige Zeit bedeutet dies eine außerordentlich breite politische Legitimationsbasis.

Die Eröffnungssitzung des nach dem Ort seines Zusammentreffens benannten „Paulskirchenparlaments“, der ersten frei gewählten deutschen Nationalversammlung, findet im Kaisersaal des Frankfurter Römer am 18. Mai 1848 statt. Es tagt mit einer kurzen Unterbrechung im Winter 1848/49 zwölfeinhalb Monate bis zum 30. Mai 1849. Die Abgeordneten – meist tagen 400 bis 450 Personen, im gesamten Zeitraum sind es 809 Abgeordnete – beraten in dieser Zeit vor allem über eine künftige Reichsverfassung.

 

Wegweisender Grundrechtskatalog

 

Am 21. Dezember 1848 beschließen die Abgeordneten der Paulskirche einen Grundrechtskatalog. Er enthält als zentrales Element das Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Aufhebung aller Vorrechte des Adels, persönliche und politische Freiheitsrechte, so die Meinungs-, Presse-, Religions-, Versammlungs- und Gewerbefreiheit, Vereinsrecht, Freizügigkeit und die Abschaffung der Todesstrafe. Es ist ein wegweisender Katalog, der schließlich auch Eingang in die Reichsverfassung vom 28. März 1849 findet – eine Verfassung, die allerdings nie Gültigkeit erlangt, denn die Kräfte der Gegenrevolution haben inzwischen wieder die Oberhand gewonnen. Als am 3. April 1849 Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone, die ihm eine Deputation der Paulskirche anbietet, ablehnt, obwohl seine Kaiserwürde in das Verfassungswerk der Paulskirche eingebunden werden soll, ist das Scheitern der liberalen Bewegung offenkundig.

Im Jahr des 175-jährigen Jubiläums zeichnet sich dennoch eine weitgehend positive Sichtweise auf die Revolution von „1848“ ab. In der Genealogie des deutschen Parlamentarismus und der Demokratie kommt der Paulskirchenverfassung ein herausragender Platz zu. Das gilt umso mehr, als Freiheit, Recht und Demokratie aktuell weltweit verstärkt unter Druck stehen.

 

Christine Bach, geboren 1970 in Sankt Ingbert, promovierte Historikerin, Referentin Zeitgeschichte, Wissenschaftliche Dienste /Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Konrad-Adenauer-Stiftung.

comment-portlet