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Nicht nur in den USA ist das Wahlverhalten der Geschlechter unterschiedlich

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Aus dem Ausgang der US-Wahl lassen sich viele Schlüsse ziehen, über die in den kommenden Monaten intensiv diskutiert werden wird. Die Wählerwanderung innerhalb der Latino-Community zu den Republikanern beispielsweise hatte sich schon seit Längerem angekündigt, war in ihrer Dimension aber dennoch überraschend deutlich. Insbesondere eine Untergruppe dieser Wahlberechtigten weist auf ein wesentlich größeres Thema hin: Deutlich mehr Latino-Männer als Latino-Frauen haben Donald Trump gewählt. Auch in dieser Gruppe zeigte sich also das Phänomen des gender gap, des unterschiedlichen Abstimmungsverhaltens von Männern und Frauen.

Die meisten Wahlanalysten waren sich in dieser Frage vor der US-Wahl einig. Egal, welcher Partei sie nahestanden, ihre Prognose lautete: 2024 könnte es die größte Kluft in den Wahlpräferenzen zwischen den beiden Geschlechtern in der modernen politischen Geschichte geben. Besonders sollte das für die jüngste Wählergeneration (Generation Z) zutreffen, die ideologisch und politisch am stärksten nach Geschlecht gespaltene Altersgruppe.

Das Verblüffende war nur: Dieser Unterschied im Wahlverhalten zwischen Männern und Frauen hat sich ganz anders ausgedrückt, als es sich die Demokratische Partei erhofft hatte. Ihre Strategen hatten vor der Wahl betont, dass es dieses Mal die Frauen wären, die über Sieg oder Niederlage entscheiden würden. So beschrieb es etwa Celinda Lake, eine der renommiertesten Wahlforscherinnen der Demokraten, in einem Tagesspiegel-Artikel der Autorin des vorliegenden Beitrags: „Die Formel für die Demokraten ist, mehr Frauen zu gewinnen, als Männer zu verlieren. Und die Formel für die Republikaner ist, mehr Männer zu gewinnen, als Frauen zu verlieren.“[1]

Am Ende waren die Republikaner genau deshalb erfolgreich. Es waren tatsächlich die Männer, vor allem die jungen Männer, die Trump statt Kamala Harris ins Weiße Haus schickten. Diese Entwicklung ist für die Zukunft der Demokratischen Partei äußerst gefährlich. Sie sollte jedoch auch ein Warnsignal an Wahlkämpfer in anderen Ländern sein.

 

Der Backlash hat begonnen

Ein Blick auf die Statistik zeigt: Bei der US-Wahl 2024 entschieden sich Männer im Alter zwischen 18 und 29 Jahren mit vierzehn Prozentpunkten Vorsprung für den konservativen Kandidaten Trump. Die Verschiebung in dieser Bevölkerungsgruppe ist einerseits gewaltig, vor allem angesichts der Tatsache, dass die Präferenz junger Menschen für linksgerichtete Kandidaten in den vergangenen Jahrzehnten als gesetzt galt. Andererseits lag Kamala Harris bei den jungen Frauen mit achtzehn Punkten Vorsprung vorn. Besonders deutlich wird dieser Teilerfolg, betrachtet man die Kluft zwischen den Geschlechtern in der Gesamtwählerschaft: Insgesamt gewann Harris weibliche Wähler mit nur sieben Prozentpunkten Vorsprung.

Wer mit Experten spricht, hört unterschiedliche Erklärungsversuche für die wachsende Kluft zwischen den Geschlechtern. Einer lautet: Die zunehmenden Gleichstellungsbemühungen vertiefen die Spaltung. Wie bei einem Nullsummenspiel würde das bedeuten, dass dem einen das schadet, was dem anderen nutzt.

Mit Blick auf die Aufstiegschancen lässt sich folgendem Argument etwas abgewinnen: Eine Beförderung kann nur an einen von zwei Bewerbern vergeben werden. Werden also Frauen strukturell mit der durchaus berechtigten Begründung, dass sie lange benachteiligt wurden, bevorzugt, so kann das Ressentiments befördern. Dazu kommen die schmerzhaften Aufarbeitungen der #MeToo-Bewegung: Dass sich etwa männliche Studenten auf einmal einem Generalverdacht ausgesetzt sahen, hat Spuren hinterlassen – und das längst nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Gegenbewegung, der Backlash, hat längst begonnen.

 

Trumps „Männlichkeitsstrategie“

Ein weiterer Erklärungsversuch hat zunächst einen stärkeren USA-Bezug: Trump gab im Wahlkampf eine Reihe von Interviews mit reichweitenstarken Podcastern, Bloggern und YouTubern, die darauf abzielten, vor allem junge Männer zu erreichen. Diese Strategie intensivierte er in den letzten Wahlkampfmonaten. Gezielt wurde diese Gruppe, in der sich deutlich mehr hispanisch- und asiatischstämmige Männer befinden und die als eher wenig politikinteressiert galt, in wichtigen Swing States angesprochen.

Als genialer Schachzug stellte sich etwa das Interview mit dem Podcaster Joe Rogan, einem ehemaligen Kampfsportler und Comedystar heraus, der mit seinen Sendungen ein Millionenpublikum erreicht. 56 Prozent seiner Hörerschaft sind zwischen 18 und 34 Jahre alt – und 81 Prozent sind männlich. Auf YouTube wurde es mehr als fünfzig Millionen Mal aufgerufen.

Der republikanische Präsidentschaftskandidat besuchte zudem Events der Ultimate Fighting Championship, eines schrillen, testosterongetriebenen Kampfsports. Auch damit verstärkte er das Bild von sich als „Kämpfer“ – was durch seinen Umgang mit dem Attentatsversuchs bereits tief in der Kampagne angelegt war. Evan Vuccis Foto nur wenige Sekunden nach dem Attentatsversuch, als Trump mit blutüberströmtem Gesicht die Faust nach oben reckte und seinen Anhängern zurief, sie sollten kämpfen, ist zu einer Ikone seiner Bewunderer geworden. Bereits nach seiner Verurteilung im New Yorker Schweigegeldprozess konnten Fans T-Shirts mit dem Aufdruck Never surrender! („Niemals aufgeben!“) erwerben. Und sie taten es in großer Zahl.

Dass Trump diese „Männlichkeitsstrategie“ wählte, war ein Beleg für die Einsicht in die Tatsache, dass er mit seiner Haltung in der Abtreibungsfrage bei weiblichen Wählern kaum Boden gutmachen konnte. Allerdings kam die trotzige, alles „politisch Korrekte“ ablehnende Haltung bei der Zielgruppe junger Männer so gut an, dass er dieses Manko ausmerzen konnte. Seine Anhänger haben offenbar auch keine Probleme damit, dass gleich mehreren designierten Mitgliedern in Trumps Kabinett sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden. #MeToo ist für sie erledigt.

Sie fürchteten den Backlash und gaben sich kämpferisch: National Women’s March am 2. November 2024 in Washington, D.C. Foto: © picture alliance / REUTERS | TIERNEY L CROSS.

Die Tendenz, dass die Generation Z auseinanderdriftet, ist indes kein rein amerikanisches Phänomen. Die gleichen Muster zeigen sich anderswo, wie The Guardian auflistet: So wählten bei den Parlamentswahlen in Großbritannien 2024 fast doppelt so viele junge Frauen die Grünen wie junge Männer (23 Prozent zu 12 Prozent) – und doppelt so viele junge Männer stimmten für Nigel Farages europaskeptische Reform UK (12 Prozent zu 6 Prozent). Schaut man auf Umfragen in Deutschland, zeigt sich laut Guardian ebenfalls, dass Männer im Alter von 18 bis 29 Jahren doppelt so oft für die AfD stimmen würden wie ihre Altersgenossinnen.[2]

„Junge Männer versuchen, ihren Platz in einer sich schnell verändernden Gesellschaft zu finden“, zitiert die BBC News den Meinungsforscher Daniel Cox vom American Enterprise Institute in Washington. „Das sind sehr reale Sorgen“, und diese jungen Männer fühlten sich damit alleingelassen.[3]

Für die Parteien stellt sich damit die Frage, wie sie mit diesem Gefühl der Vernachlässigung innerhalb der Bevölkerung umgehen sollen. Eine mögliche Antwort haben Donald Trump und seine MAGA-Republikaner [MAGA = Make America Great Again-Bewegung, Anm. d. Redaktion] gegeben: Sie haben diese Gefühle noch befeuert und Ressentiments verstärkt – und sie sind damit erfolgreich gewesen. Das sollte demokratische Parteien auch außerhalb der Vereinigten Staaten aufhorchen lassen. Wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, gegen ähnliche Praktiken rechter Parteien zu verlieren, müssen sie besser zuhören und kreativer werden, als sie es bisher gewesen sind.

 

Meinungsunterschiede bei Gleichstellungsfragen

Denn ob es einem gefällt oder nicht: Der Backlash gegen die von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft propagierte Gleichstellung treibt die Geschlechter auseinander. Das bestätigt eine zum Internationalen Frauentag im März 2024 erhobene Studie des Meinungsforschungsinstituts Ipsos. Demnach gibt es bei den 18- bis 29-Jährigen die größten Meinungsunterschiede zwischen den Geschlechtern, wenn es um Gleichstellungsfragen geht. Für die Studie wurden Stichproben aus mehreren Ländern erhoben, darunter Australien, Brasilien, Frankreich, Deutschland, Japan, Südkorea und die Türkei. Eine brisante Aussage: „60 Prozent der Männer der Generation Z in 31 Ländern sind der Meinung, dass die Gleichstellung von Frauen Männer diskriminiert.“[4]

Ähnlich bemerkenswert: Die Aussage „Ein Mann, der zu Hause bleibt, um sich um seine Kinder zu kümmern, ist kein richtiger Mann“ stößt in der Babyboomer-Generation auf eher wenig Zustimmung (10 Prozent der Frauen und 11 Prozent der Männer). Bei der Generation Z war das anders. Hier betrug der Meinungsunterschied elf Prozentpunkte: 31 Prozent der Männer sahen das so und 20 Prozent der Frauen.

Zur These der zunehmenden Spaltung passt eine Umfrage von Gallup aus dem September 2024. Dabei wurde festgestellt, dass Frauen unter dreißig Jahren in den USA bei einer Reihe von Themen nach links tendieren. Der gender gap war demnach besonders bei Themen wie Umwelt, Waffenkontrolle und Zugang zur Abtreibung ausgeprägt.[5]

Nicht alles, was aus den USA kommt, ist Vorbild oder sollte zur Nachahmung animieren. Aber es ist immer sinnvoll, Trends zur Kenntnis zu nehmen und nach neuen Antworten zu suchen. Dass sich Gesellschaften im 21. Jahrhundert zunehmend anhand der Geschlechter sortieren, ist definitiv ein Grund, genauer hinzuschauen.

 

Juliane Schäuble, geboren 1976 in Offenburg, seit 2018 Korrespondentin des „Tagesspiegels“ in Washington, D.C.

 

[1] Juliane Schäuble: „‚Frauen könnten diese Wahl entscheiden‘: Wie Harris und Trump den Geschlechterkampf in den USA anheizen“, in: Tagesspiegel, 25.10.2024, in: www.tagesspiegel.de/internationales/die-us-wahl-und-der-kampf-der-geschlechter-diese-wahl-konnte-von-den-frauen-entschieden-werden-12566429.html [letzter Zugriff: 17.12.2024].
[2] Jonathan Yerushalmy: „What’s behind the global political divide between young men and women?“, in: The Guardian, 14.11.2024, www.theguardian.com/us-news/2024/nov/14/us-election-donald-trump-voters-gender-race-data [letzter Zugriff: 17.12.2024].
[3] Mike Wendling: „‚He’s just a bro’: Trump’s attempts to woo the ‚manosphere‘“, in: BBC News, 12.10.2024, www.bbc.com/news/articles/cj9j43890k7o [letzter Zugriff: 17.12.2024].
[4] Olivia Ryan: „Millennials and Gen Z less in favor of gender equality than older generations“, Ipsos News, 04.03.2024, www.ipsos.com/en-us/millennials-and-gen-z-less-favour-gender-equality-older-generations [letzter Zugriff: 17.12.2024].
[5] Lydia Saad: „U.S. Women Have Become More Liberal; Men Mostly Stable“, in: Gallup News, 07.02.2024, https://news.gallup.com/poll/609914/women-become-liberal-men-mostly-stable.aspx [letzter Zugriff: 17.12.2024].

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