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Ein Tabu, das über Kulturgrenzen hinweg in der Wissenschaft lange galt, scheint gebrochen: Anfang Februar 2016 wurden in Großbritannien Versuche genehmigt, bei denen menschliche Embryonen gezielt genetisch verändert werden sollen und die den Weg zur Keimbahninterventionen ebnen. Letzteres bedeutet, dass genetische Veränderungen auf künftige Generationen vererbt werden können.

Die Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) gab als zuständige Behörde einer Arbeitsgruppe am Francis Crick Institute in London die notwendige Erlaubnis. Die Zustimmung der britischen Ethikkommission, des Cambridge Central Research Ethic Committee, steht noch aus, wird aber voraussichtlich im Laufe der nächsten Wochen erteilt werden.

Großbritannien gilt bei der biowissenschaftlichen Forschung generell als liberal. Freilich sind sich Forscher und Entscheider auch dort der Tragweite der neuen Entwicklungen bewusst. Nicht zuletzt deshalb unterliegen die genehmigten Experimente engen Grenzen. So dürfen die genetisch veränderte Embryonen beispielsweise nicht zu Fortpflanzungszwecken verwendet werden, sondern sollen allein zu Forschungszwecken dienen – zur Untersuchung der genetischen Grundlagen der menschlichen Embryonalentwicklung. Das bedeutet unter anderem, dass die Embryonen nach wenigen Tagen getötet werden müssen.

Die Forschergruppe in Großbritannien ist nicht die erste, die sich die gezielte Veränderung des Genoms menschlicher Embryonen vornimmt. Bereits im April 2015 publizierte eine chinesische Arbeitsgruppe Ergebnisse ähnlicher Embryonenforschung und stieß damit auf deutliche Kritik. Allerdings war bereits seit längerer Zeit abzusehen, dass solche Versuche unternommen werden würden; mit der Ausweitung der Forschung ist nun verstärkt zu rechnen.

Der Auslöser des zu erwartenden Forschungsschubs sind neuartige methodisch-technische Möglichkeiten, die unter dem Begriff „Gene Editing“ („Genome Editing“) zusammengefasst werden. Die Grundlage dafür bildet das sogenannte CRISPR/Cas9-System, das vor wenigen Jahren entwickelt und seither erfolgreich eingesetzt wurde, um gezielt genetische Veränderungen von Organismen – Bakterien, Tieren, Pflanzen, menschlichen Zellen – vorzunehmen; und zwar mit einer wesentlich höheren Präzision und Effizienz, als dies bisher möglich war. Vorhandene Gene lassen sich damit zielgenau ausschalten oder fremde Gene präzise einfügen, sodass in der Grundlagenforschung Modellorganismen zur Untersuchung zellulärer Mechanismen erzeugt werden können. Es lassen sich beispielsweise auch in der Züchtungsforschung gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere herstellen, bei denen der gentechnische Eingriff nicht mehr von natürlichen Züchtungsverfahren zu unterscheiden ist.

Das Gene Editing setzte eine neue Dynamik in Gang, die sich bis zu den aktuellen Versuchen an menschlichen Embryonen fortgesetzt hat und die nun völlig neue experimentelle Ansätze realisierbar macht. Gene Editing ist eine sinnvolle und nützliche Methode, deren Weiterentwicklung grundsätzlich gefördert werden sollte. Der Nutzen für die Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung – sofern sie nicht am Menschen erfolgt – ist offensichtlich. Allerdings müssen hochsensible Anwendungsbereiche, wie etwa Keimbahninterventionen, die zu erheblichen ethisch-rechtlichen Problemen führen oder deren sichere Nutzung noch nicht gewährleistet werden kann, kritisch bewertet werden.

 

Wieder einmal: Der Rubikon wird überschritten

In der Regel werden wissenschaftliche Fragen erst dann öffentlich wahrgenommen, wenn ihre Ergebnisse anwendungsreif sind. In den Biowissenschaften ist dies anders: Zum einen liegen dort Grundlagenforschung und Anwendung oft so eng beieinander, dass beides nicht mehr voneinander zu trennen ist. Zum anderen betrifft die Humananwendung der Molekularbiologie und Gentechnik den Menschen direkt. Indem der Mensch selbst in den Anwendungsbereich gerät, steht das Mensch-Sein, die conditio humana, zur Disposition. Menschen werden biologisch gestaltbar; das „Kant’sche Instrumentalisierungsverbot“ geriete damit in Gefahr.

Die so evozierten Fragen können nicht mehr allein wissenschaftsintern beantwortet werden. Es sind vielmehr zutiefst politische und anthropologische Fragen, bei deren Beantwortung nicht nur Biowissenschaftler und Mediziner, sondern auch Ethiker und Juristen – und nicht zuletzt auch alle gesellschaftlich und politisch Engagierten – einbezogen werden müssen. In den bioethischen Debatten übernehmen die Kirchen seit Langem die oft undankbare Rolle des Mahners. Dabei geht es ihnen nicht darum, den wissenschaftlichen Fortschritt zu blockieren, sondern um die Eröffnung notwendiger Freiräume zum Nachdenken über die „menschendienliche Perspektive“ der Forschung, und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem die Forschung noch keine vollendeten Tatsachen geschaffen hat.

Im Falle des Gene Editing findet dieses Bestreben Unterstützung bei den Wissenschaftlern selbst: Im März 2015 forderten amerikanische Wissenschaftler ein Moratorium für Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Diese Forderung nach einer Denkpause wurde im Dezember 2015 bei einem „International Summit on Human Gene Editing“ in Washington präzisiert, der gemeinsam von der amerikanischen National Academy of Sciences, der National Academy of Medicine, der britischen Royal Society und der Chinese Academy of Sciences veranstaltet worden war. Auch Wissenschaftler in Deutschland unterstützen dieses Ansinnen, allen voran die großen deutschen Wissenschaftsakademien. Dass Wissenschaftler selbst eine Denkpause anmahnen, zeugt von der Brisanz des Themas. Bereits 1975 gab es einen ähnlichen Vorgang: In der berühmt gewordenen Konferenz von Asilomar riefen renommierte Biowissenschaftler dazu auf, die damals noch junge Gentechnik kritisch zu reflektieren. Damals wie heute ist der Moratoriumsaufruf ein Zeichen für das Verantwortungsbewusstsein der Wissenschaft.

 

Forschungspause ist keine Denkpause

Das Moratorium wird nicht allein auf der Grundlage des guten Willens von Wissenschaftlern funktionieren; es muss politisch durchgesetzt werden. Die angemahnte Pause in den Laboratorien – eine „Forschungspause“, keine „Denkpause“ – muss auch tatsächlich für eine gesellschaftliche Debatte genutzt werden. Noch ist sie zu sehr auf Wissenschaftskreise beschränkt.

Die zur Diskussion stehenden Sachverhalte und die sich daraus ergebenden ethischen und rechtlichen Fragen sind so kompliziert, dass es einfache Antworten nicht geben kann. Chancen und Risiken liegen auch diesmal eng beieinander und lassen sich nur sehr schwer klar trennen. Positiv zu bewerten ist – in der langfristigen Perspektive – die Möglichkeit, mithilfe des Gene Editing schwere genetisch bedingte Krankheiten ursächlich zu heilen, indem Gendefekte beseitigt werden. Geschieht dies an Körperzellen, so ist die ethisch-rechtliche Bewertung wesentlich einfacher, als wenn Keimbahnzellen einbezogen werden sollten. Zu bedenken ist aber, dass die Beseitigung defekter Gene in der Keimbahn auch große Vorteile besitzen könnte: Vererbbare Krankheiten ließen sich – für alle künftigen Generationen – heilen. Allerdings sind so die Risiken und die Verantwortung ungeheuer groß, weil auch eventuelle Fehler und ihre Konsequenzen auf die kommenden Generationen übertragen würden.

Zur schwierigen Risikoabwägung kommt die Missbrauchsgefahr: Die Keimbahn könnte nicht nur in Bezug auf Krankheit und Gesundheit korrigiert werden, sondern auch Enhancement und Eugenik wären möglich. „Designerbabys“ könnten realisierbar werden; das Schreckbild der Menschenzüchtung würde greifbarer.

Wo sollten die Grenzen der neuen Möglichkeiten liegen? Wer träfe die Entscheidungen – die Eltern, Ärzte, der Staat? Wie würde sich eine solche „Optimierung“ auf die Menschenwürde, die Gleichheit und Selbstbestimmung, das Selbstverständnis des Menschen und das gesellschaftliche Zusammenleben auswirken? Wäre sie mit den Grundrechten vereinbar? Von biologischer Seite kommt die briante Frage hinzu, wie sich eine künstliche Evolution langfristig auf die natürliche Evolution des Menschen auswirken würde. Die Chancen und Risiken, die mit dem Gene Editing verbunden sind, sollten in einer transparenten und sachlich fundierten gesellschaftlichen Debatte diskutiert werden.

 

Nationale Gesetze – internationale Forschung

Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet verbrauchende Embryonenforschung und Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Experimente, wie sie in China stattfanden und wie sie in Großbritannien genehmigt wurden, sind hier nicht möglich. Gene Editing kann daher in Deutschland nur an Mikroorganismen, Pflanzen, Tieren und menschlichen Zellkulturen Anwendung finden, nicht aber an der Keimbahn des Menschen. Allerdings scheint es schon jetzt Unschärfen im Gesetz zu geben, und im Hinblick auf die hohe Dynamik des biowissenschaftlichen Fortschritts könnte das intendierte Schutzniveau schon bald in Gefahr geraten.

International ist die Situation weit weniger eindeutig. Das seitens der Wissenschaft initiierte Moratorium könnte jedoch zu einem vertieften Nachdenken über die Folgen führen. Dem Wissenschaftlertreffen in Washington soll im Laufe der nächsten Zeit ein ausführlicher Bericht folgen. Darauf aufbauend könnte versucht werden, ein internationales Verbot der Keimbahnintervention zu erzielen. Die Vereinten Nationen wären dafür die geeignete Plattform, denn es geht um politische Grundsatzfragen höchster Brisanz und nicht um wissenschaftsinterne Details. Dies ist kein einfaches Unterfangen. Wie schwierig es ist, einen internationalen bioethischen Konsens zu finden, lässt sich schon an den unterschiedlichen Regelungen in Europa erkennen. Die in bioethischen Debatten oft zu hörende Kritik, die ethisch-rechtliche Reflexion und die politischen Regelungen hinkten der biowissenschaftlichen Entwicklung hinterher, könnte im Falle der Keimbahnintervention mittels Gene Editing vermieden werden: Noch ist es Zeit, ethisch-rechtliche Weichen zu stellen.

 

Norbert Arnold, geboren 1958 in Ellar, Leiter Team Bildungs- und Wissenschaftspolitik, Hauptabteilung Politik und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.

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