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Wie es um Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit bestellt ist

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Gern wird in der Debatte um die weltweite Ungleichheit mithilfe von Statistiken dramatisiert. Dabei lautet ein gängiges Klischee: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Bald soll ein Prozent der Weltbevölkerung fünfzig Prozent des gesamten Weltvermögens besitzen. Zahlen wie diese schockieren und befeuern in regelmäßigen Abständen die Diskussion, in der es heißt, die Einkommens- und Vermögensverteilung verschlechtere sich grundsätzlich. Behauptungen wie diese greifen allerdings zu kurz, vielmehr offenbaren sie die Neigung der Deutschen zur Schwarzmalerei – und das in einer Situation, in der Deutschland ökonomisch so gut dasteht wie kaum ein anderes Industrieland.

Weder die Vermögens- noch die Einkommensungleichheit sind im letzten Jahrzehnt drastisch angestiegen. Zwar sind die Vermögen stärker gestiegen als die Einkommen, doch im Durchschnitt nicht nur bei den Reichen.

Das reichste Prozent der Welt besitzt derzeit 48,2 Prozent der gesamten Vermögen; das war allerdings schon vor fünfzehn Jahren der Fall. Würde die These einer dramatisch wachsenden sozialen Kluft zutreffen, müsste in der Konsequenz jeder Wegzug eines Millionärs aus Deutschland zu mehr Gerechtigkeit führen. Wahr ist aber, dass es dadurch nur statistisch gesehen gerechter zuginge; die unteren Vermögensschichten profitierten davon nicht. Im Bemühen um soziale Gerechtigkeit gibt es in der Tat noch Verbesserungspotenzial – auch hierzulande. Grundsätzlich aber sind Vermögens- und Einkommensunterschiede in einer demokratischen Gesellschaft völlig normal, gar unausweichlich. Wie ist es um die soziale Gerechtigkeit in Deutschland bestellt? Warum ist Chancengleichheit, nicht aber eine absolute Gleichheit erstrebenswert? Und welche Maßnahmen könnten hierzulande noch mehr Gerechtigkeit schaffen?

 

Gute Chancen auf Wohlstand

Erstmals haben mehr als 43 Millionen Menschen einen Job – nie gab es in Deutschland so viele Erwerbstätige. Mehr als dreißig Millionen von ihnen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Nicht nur die Arbeitslosenquote ist in den letzten zehn Jahren von 11,7 Prozent in 2005 auf 6,6 Prozent Anfang 2015 gesunken. Auch die Jugendarbeitslosigkeit ist die niedrigste in Europa. Zahlreichen Unkenrufen zum Trotz blickt die Wirtschaft mit einem geschätzten Wachstum von rund zwei Prozent in diesem Jahr optimistisch in die Zukunft.

Damit wird klar: Der Arbeitsmarkt in Deutschland boomt, der Aufschwung kommt bei den Menschen an. Von einer allgemeinen Verarmung der Bevölkerung kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Zuletzt war ein Anstieg der Bruttogehälter um 3,2 Prozent (in 2013 nur 2,7 Prozent) sowie der verfügbaren Einkommen um 2,3 Prozent zu verzeichnen. Die Beschäftigungszunahme führt zu steigenden verfügbaren Einkommen, Konsumausgaben, Steuereinnahmen und Einnahmen der Sozialversicherungen. Die Schere zwischen oberen und unteren Einkommen beginnt sich wieder zu schließen. Hinzu kommt, dass die Tariflöhne in den letzten drei Jahren kräftig wuchsen. Da die Preise inzwischen kaum noch steigen, gab es bei den Reallöhnen seit 2012 ein Plus von 3,1 Prozent – den höchsten Zuwachs seit 1995. Die Beschäftigten haben heutzutage 5,7 Prozent mehr in der Tasche als noch 2008, unabhängig von der Branche.

Die Union möchte das hohe Beschäftigungsniveau halten und in den nächsten Jahren weiter ausbauen. Das erklärte Ziel lautet Vollbeschäftigung. Denn Arbeit schafft Zugang zu Einkommen und ermöglicht gesellschaftliche, politische und soziale Teilhabe. Dabei ist Wohlstand mehr als nur die Anzahl der Euro-Scheine im Portemonnaie. Das macht eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie der Arbeiterwohlfahrt und des Frankfurter Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik deutlich. Danach fühlen sich über fünfzig Prozent der arbeitslosen SGB-II-Bezieher nicht zur Gesellschaft zugehörig. Ganz anders sieht die Situation hingegen für Menschen mit niedrigem Einkommen aus, die keine Leistung in Anspruch nehmen. Sie sind aktiv in die Gesellschaft integriert und involviert.

Würde die weit verbreitete Behauptung, die Kluft zwischen Arm und Reich nähme weiter zu, zutreffen, dann müsste das außerdem mithilfe des sogenannten Gini-Koeffizienten, der die Ungleichverteilung der Einkommen in einem Land darstellt, messbar sein: Je näher der Wert bei eins liegt, desto ungleicher ist die Einkommensverteilung. Je näher sich der Wert null nähert, desto gleicher ist die Einkommensverteilung. Für Deutschland galt 2010 ein Gini-Koeffizient von 0,29; im Durchschnitt haben die OECD-Länder einen Schnitt von rund 0,31. Das Bundesfinanzministerium stellt daher fest, dass das Steuer- und Tarifsystem in Deutschland eine Korrektur der Marktergebnisse hin zu einer gleichmäßigeren Verteilung überdurchschnittlich effektiv vornimmt.

 

Weltweit wächst die Mittelschicht

Die Zahl der sehr Armen in der Welt geht zurück. Noch 1981 hatte die Hälfte der Weltbevölkerung weniger als 1,25 Dollar pro Tag zur Verfügung und lebte damit in extremer Armut; heute sind es „nur“ noch rund zwanzig Prozent (Weltbank) und das, obwohl die Weltbevölkerung in diesem Zeitraum um circa sechzig Prozent gewachsen ist. In den letzten fünfzehn Jahren stiegen immer mehr Menschen in eine globale Mittelschicht auf, vor allem in Indien und China. Diese ist – an westlichen Maßstäben gemessen – zwar nicht zwingend wohlhabend, konnte sich aber aus den Zwängen der Armut befreien und wird von derzeit fast zwei Milliarden auf rund fünf Milliarden Menschen bis 2030 anwachsen, so die OECD.

Auch in Deutschland fühlt sich die Mehrheit der Bevölkerung der Mitte zugehörig. Rund die Hälfte der deutschen Bevölkerung zählt zur Einkommensmitte – diese besitzt fast 42 Prozent des Nettovermögens. Selbst für Menschen mit niedrigem Einkommen sieht die Lage hierzulande nicht so düster aus, wie oft vermutet wird. Würde ein Sechstel der Einkommensarmen ihr Vermögen auflösen, könnte deren Armutslücke damit für mindestens zehn Jahre wieder geschlossen werden (IW Köln). Wenn der Paritätische Wohlfahrtsverband einen historischen Armutshöchststand vermutet, wird außer Acht gelassen, dass sich die Armutsgefährdungsquote in den vergangenen Jahren relativ robust entwickelt hat und sich um die fünfzehn Prozent bewegt (Statistisches Bundesamt).

Untere Einkommen profitieren also genauso vom wirtschaftlichen Wachstum wie die mittleren Einkommensschichten. Eine Destabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung aufgrund von steigender Vermögens- und Einkommensungleichheit ist volkswirtschaftlich nicht festzustellen. Wer fordert, die Reichen mit stärkeren Steuern zu belasten, sollte bedenken, dass in Deutschland schon derjenige als reich gilt, der 260.000 Euro besitzt, so Berechnungen des IW Köln. Höhere Steuern würden demnach auch viele Menschen der Mittelschicht hart treffen. Dabei steckt der Großteil des Vermögens der reichsten Deutschen in den eigenen vier Wänden, in Betriebsvermögen sowie im Erbe. Rund 15,7 Prozent aller Vermögen dieser Gruppe gehen beispielsweise auf Vererbungen zurück, wie eine Studie der Notenbank feststellt.

 

Deutschland ist reich an Möglichkeiten

Angesichts dieser Faktenlage ist es verwunderlich, dass der Versuch unternommen wird, den Zulauf zu fremdenfeindlichen Bewegungen wie Pegida und Co. pauschal mit einem „ausbeuterischen und ungerechten“ System und dem „Versagen der Politik“ zu begründen (Aktivistenbündnis Karlsruhe, Huffington Post, 2015). Zweifelsohne, die Sorgen und Ängste der Bürger gilt es ernst zu nehmen. Doch sind die Gründe unzufriedener Wut- und verunsicherter Angstbürger nicht allein in der Politik zu suchen, sondern in einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren.

Deutschland ist reich an Möglichkeiten und Chancen; das gilt für alle Bürger – unabhängig von sozialem Status und Alter. Aufgabe der Politik ist es, den Menschen Chancen zu eröffnen und den Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen sie in Freiheit ihr Leben gestalten können. Der Staat stellt sicher, dass fairer Wettbewerb Arbeitsplätze schafft, Leistung belohnt und Schwache schützt. Als Richtschnur des politischen Handelns orientiert sich die CDU/ CSU an der Wirtschafts- und Sozialordnung der Sozialen Marktwirtschaft. Sie ist die Ordnung, die unser Land stark gemacht hat, weil sie den Menschen in den Mittelpunkt der Entscheidungen stellt. Seit Anfang 2015 gilt nun beispielsweise der flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro. Im Sinne der sozialen Gerechtigkeit wird sich die unionsgeführte Bundesregierung auch weiterhin für mehr Chancen auf ein Erwerbsleben sowie auf eine gerechte Entlohnung für geleistete Arbeit einsetzen.

 

Bildung ist der beste Schutz vor Armut

Auch hier gilt es der Wahrheit ins Auge zu schauen: Noch immer gibt es Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, hauptsächlich Arbeitslose, Alleinerziehende sowie Menschen mit niedrigem Bildungsniveau. Statt das Problem der wachsenden Ungleichheit auf andere abzuwälzen, gilt es, in der Gruppe der Armutsgefährdeten nach Lösungen zu suchen. Denn höhere Steuern für Reiche werden langfristig nicht für mehr soziale Gerechtigkeit in der Bevölkerung sorgen, sondern lediglich die hitzige Debatte um mehr Gerechtigkeit kurzfristig zum Schweigen bringen.

So brauchen wir mehr Modelle zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. An einer guten Kinderbetreuung, flexibleren Arbeitsmodellen, und einem vereinfachten Bildungszugang führt kein Weg vorbei. Schließlich ist Bildung der Schlüssel zum Erfolg und die Voraussetzung für eine hohe Innovationsfähigkeit – gerade für den energierohstoffarmen Industriestandort Deutschland und gerade angesichts des demografischen Wandels. Jeder muss Zugang zum Bildungssystem haben und das in jeder Lebensphase – angefangen bei der frühkindlichen Bildung, über Fortund Weiterbildungsangebote für Quereinsteiger oder Migranten bis hin zum lebenslangen Lernen, hauptsächlich für ältere Arbeitnehmer.

Deutschland geht bereits als gutes Beispiel voran: Allein in diesem Jahr investiert die unionsgeführte Bundesregierung rund 15,3 Milliarden Euro in Bildung und Forschung – so viel wie nie zuvor. Die soziale Mobilität funktioniert. Fast zwanzig Prozent der Kinder aus Nicht-Akademiker-Haushalten haben einen Universitätsabschluss oder gehen zur Hochschule. Das ist ein Viertel mehr als noch in den 1990er-Jahren. Das heißt: Gute Bildung statt zusätzlicher Sozialleistungen und Umverteilung ist die Antwort auf die Frage nach mehr Chancengerechtigkeit, der Schlüssel für hohe Beschäftigungsquoten und der beste Schutz vor Armut.

 

„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist nahezu Realität

Ein nachhaltiger Abbau von Armut wird nur erreicht, wenn die betroffenen Personen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Hier ist ein flexibler und durchlässiger Arbeitsmarkt entscheidend. Bewährte Instrumente wie Zeitarbeit oder Werkverträge dienen als notwendige Brücke in den Arbeitsmarkt und sind sozusagen der Einstieg in den Aufstieg. Unternehmen erhalten dadurch Flexibilität, um Auftragsspitzen zu bewältigen. Durch atypische Beschäftigungsformen gelingt beispielsweise rund 78 Prozent der Langzeitarbeitslosen eine Reintegration in die Arbeitswelt. Die Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist hier im Land weitgehend Realität, auch hinsichtlich der Geschlechter. Die durchschnittliche Lohnlücke von Männern und Frauen beträgt nur vordergründig 22 Prozent. Dieser Lohnunterschied ist das Resultat einer Betrachtung, die nur die Lohnsummen insgesamt, noch nicht bereinigt um die Differenzierung nach Berufsgruppen oder Erwerbsbiografien, berücksichtigt. Bezieht man diese Faktoren in die Untersuchung ein, besteht nur noch eine Lohnlücke von sieben Prozent, die sogar auf 1,9 Prozent schrumpft, wenn Erwerbsunterbrechungen mit bedacht werden.

 

Globalisierung schafft Wohlstand

Die Globalisierung ist eines der effektivsten Instrumente im Ringen um mehr Wohlstand und Wachstum. Sie ermöglicht einen intensiven wirtschaftlichen und politischen Austausch, von dem neben den Industrieländern gerade die Entwicklungs- und Schwellenländer profitieren können. Länder wie Chile, Brasilien, China oder Indien machen vor, welche positive Wachstumswirkung mit der Globalisierung für ein Land einhergehen kann. Die Öffnung der Märkte ist daher nicht die Ursache für Wachstumskrisen und Ungleichheit in der Welt. Wenn Staaten nicht mit dem Wohlstand der Industrieländer mithalten konnten oder sogar mit einem zunehmenden Armutsanstieg konfrontiert waren, sind die Gründe dafür weitaus komplexer und vielschichtiger: Dabei handelt es sich etwa um Korruption, Bürgerkrieg, Mangel an Wettbewerbsfähigkeit oder fehlende Infrastruktur.

Das IW Köln stellt fest, dass Länder, die ihre Märkte zwischen 1990 und 2006 verstärkt geöffnet haben, in den darauffolgenden Jahren eine Wohlstandssteigerung von rund fünfzig Prozent erzielen konnten. Länder, die sich der Globalisierung hingegen verschlossen haben, konnten ihren Wohlstand im selben Zeitraum lediglich um zwanzig Prozent erhöhen. Eine Abschottungspolitik, wie von Kuba oder Nordkorea betrieben, hat langfristig keine Erfolgsaussichten; sie eröffnet weder gesamtwirtschaftlich noch für die Lebensqualität der einzelnen Menschen positive Perspektiven. Freihandelsabkommen wie das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) oder das geplante europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) werden in diesem Zusammenhang immer wichtiger, da die deutsche Wirtschaft und ihre Arbeitsplätze in hohem Maße vom internationalen Handel profitieren.

 

Chancengleichheit ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel

Dramatische Schilderungen helfen genauso wenig, die noch bestehenden Vermögens- und Einkommensunterschiede in den Griff zu bekommen, wie das Wegducken vor der Verantwortung. Der nüchterne und sachliche Blick auf die Realität lässt erkennen: Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit sind in Deutschland nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Eine gefühlte Ungerechtigkeit hat nichts mit der tatsächlichen Situation der Vermögens- und Einkommensverteilung zu tun. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich nicht weiter. Armut ist in Deutschland kein Massenphänomen. Die Werkzeuge, mit denen der Staat umverteilt und sozialen Ausgleich herstellt, erfüllen ihre Aufgabe.

Anders sieht die Situation in anderen Teilen der Welt aus, wo eine eklatante Ungleichheit die Wirtschaftsentwicklung, den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft und so letztlich die Demokratie gefährdet. Ein vermeintlich gerechteres Steuersystem, das die Reichen stärker belastet, ist nicht zielführend. Vielmehr muss sich Leistung lohnen. Im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft müssen daher denjenigen, die eine Steigerung ihres Vermögens und ihres Einkommens mit großem Einsatz anstreben, Chancen zur Realisierung eröffnet werden – unabhängig von ihrer Herkunft und ihren bisherigen Vermögensverhältnissen. Die erste Voraussetzung hierfür ist eine gut ausgebaute Bildungsinfrastruktur. Die unionsgeführte Bundesregierung setzt sich kontinuierlich für Chancengleichheit und soziale Mobilität ein und wird dies auch in Zukunft tun. Die Verantwortung, nachhaltig soziale Gerechtigkeit zu schaffen, liegt jedoch nicht nur bei der Politik. Denn die eigentlichen Motoren hierfür sind die Kraft der Freiheit, mehr Verantwortung des Einzelnen für sein Schicksal und mehr Freiraum für Eigeninitiative. Bekanntlich ist ja jeder seines Glückes Schmied.

 

Joachim Pfeiffer, geboren 1967 in Mutlangen, wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

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