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Höhere Preise - höhere Löhne

von Elke Hannack

Die Inflation aus Sicht der Gewerkschaften

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Die Inflation beherrscht die Schlagzeilen: Laut Umfragen bereitet die Preisentwicklung den Menschen in Deutschland mehr Sorgen als alles andere. Bereits ab Mitte 2021 stieg die Inflationsrate – zunächst getrieben vom Basiseffekt der ausgelaufenen Mehrwertsteuersenkung. Hinzu kamen weitere Corona-bedingte Sondereffekte wie Lieferengpässe bei Vorprodukten – ein Problem, das angesichts der Lockdowns in China bis heute anhält. Zusätzlich stiegen bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine die Energiepreise. Seit Kriegsbeginn sind sie in die Höhe geschossen. Energieprodukte waren laut Statistischem Bundesamt im April 35,3 Prozent teurer als noch vor einem Jahr. Beschleunigt hat sich zudem der Anstieg der Nahrungsmittelpreise: Legten sie im März gegenüber dem Vorjahresmonat um 6,2 Prozent zu, waren es im April 8,5 Prozent. Auch das ist auf den Krieg zurückzuführen, da die Ukraine einen großen Teil der globalen Getreideproduktion zur Verfügung stellt. Hinzu kommen Probleme mit Düngemitteln und Spekulationen an den Rohstoffmärkten.

Im Durchschnitt – berechnet für alle Haushalte – schmälern die hohen Energiepreise laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Nettoeinkommen mittelfristig um 3,4 Prozent. Allerdings hängt die tatsächliche Belastung stark vom Einkommen ab: „Bei den einkommensschwächsten zehn Prozent der Haushalte machen die Energiepreissteigerungen sogar 6,7 Prozent des Nettoeinkommens aus […]. Demgegenüber müssen die reichsten zehn Prozent der Haushalte gemessen an ihrem Einkommen durchschnittlich nur zwei Prozent mehr für Energie ausgeben […].“1

Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) weist in seinem Inflationsmonitor ebenfalls darauf hin, dass Haushalte mit geringeren und mittleren Einkommen und mit Kindern, die einen vergleichsweise hohen Anteil ihres Einkommens für Energie und Lebensmittel ausgeben, besonders unter den Preissteigerungen leiden. Das IMK hat für verschiedene Beispielhaushalte berechnet, wie die jeweilige „individuelle“ Inflationsrate im Vergleich zur gesamtwirtschaftlichen Inflation von 7,4 Prozent im April 2022 ausfällt: Die höchste Teuerungsrate im April 2022 verzeichneten mit acht Prozent Familien mit geringem Einkommen (2.000 bis 2.600 Euro). Die niedrigste Teuerungsrate hatte ein Ein-Personen-Haushalt mit einem Nettoeinkommen von mehr als 5.000 Euro (6,2 Prozent).2

 

„Lohn-Preis-Spirale“ ist Panikmache

 

Diese Realeinkommensverluste sind für die Beschäftigten – aber auch für Rentner sowie für Transferempfänger – nicht hinzunehmen; für viele Menschen sind sie schlicht nicht tragbar. Die Gefahr ist groß, dass Armut zunimmt. Insbesondere Energiearmut könnte sich weiter ausbreiten, auch wenn sie bereits heute bittere Realität ist: Im Jahr 2020, also vor den aktuellen Energiepreissteigerungen, wurden 4,2 Millionen Mal Stromsperren angedroht, weil Haushalte in Zahlungsverzug gerieten. In 230.000 Fällen wurde die Stromversorgung tatsächlich eingestellt. Sperrungen bei der Gasversorgung gab es in 24.000 Fällen.

Natürlich müssen Preissteigerungen mittelfristig in die tariflichen Lohnsteigerungen einfließen. Anhaltende Reallohnverluste wären aus Gewerkschaftssicht nicht hinnehmbar. Ein Inflationsausgleich, eine Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an den Produktivitätsgewinnen und eine gerechtere Verteilung bleiben grundsätzlich die Hauptziele der gewerkschaftlichen Tarifpolitik. Die Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften schauen sich dabei die jeweilige Situation der Branche, für die sie verhandeln, genau an. Das gilt auch in der Krise, in der selbstverständlich auch die Beschäftigungssicherung eine Rolle spielen kann.

Die Warnungen vor einer mutmaßlichen „Lohn-Preis-Spirale“, bei der höhere Löhne angeblich zu noch höheren Preisen führen würden, sind Panikmache. Zum einen sollte, wenn überhaupt, der Begriff „Preis-Lohn-Spirale“ gewählt werden – schließlich stehen die hohen Preise am Anfang und machen höhere Löhne notwendig. Zum anderen ist noch lange keine „Spirale“ in Sicht: Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass die Inflation von Lohnkosten getrieben wird. Die meisten Unternehmen können sowieso problemlos angemessene Lohnsteigerungen zahlen, ohne erneut die Preise zu erhöhen. Das zeigen Nachrichten über Rekordgewinne und hohe Dividendenzahlungen. Außerdem machen die Löhne nur einen – in manchen Branchen durchaus geringen – Teil der Gesamtkosten aus.

Statt zu versuchen, die Schuld an der Inflation den Beschäftigten in die Schuhe zu schieben, sollte lieber in den Blick genommen werden, inwieweit Unternehmen die unübersichtliche Situation für unbegründete Preissteigerungen ausnutzen, um Extragewinne zu erzielen. In anderen Ländern wurde längst erkannt, wie die Unternehmensgewinne die Inflation treiben. Hierzulande wird über die Möglichkeit einer „Gewinn-Preis-Spirale“ meist nicht einmal nachgedacht. Studien für die USA zeigen: Die Inflation von Mitte 2020 bis Ende 2021 ging zu 54 Prozent auf gestiegene Konzerngewinne zurück, nur zu acht Prozent auf Lohnkosten; der Rest war auf andere Kosten zurückzuführen.3 Laut der Süddeutschen Zeitung haben auch in Deutschland allein die vierzig Aktiengesellschaften, die im Deutschen Aktienindex (DAX) notiert sind, ihre Gewinne 2021 auf 170 Milliarden Euro verdoppelt. Sie schütten an ihre Aktionäre in diesem Jahr eine Rekorddividende von rund 70 Milliarden Euro aus, fast fünfzig Prozent mehr als 2021.4

 

Bundesregierung muss stärker gegensteuern

 

Ordentliche Lohnsteigerungen sichern die Kaufkraft, sind wirtschaftspolitisch vernünftig und keine Gefahr für die Preisstabilität. Klar ist aber auch: Der Kampf gegen die Auswirkungen der Inflation kann nicht allein der Tarifpolitik aufgebürdet werden. Die Politik muss mehr unternehmen, um die durch Sonderfaktoren getriebene Inflation zu bremsen.

Einiges hat die Bundesregierung auf den Weg gebracht, was zu begrüßen ist. Allerdings muss nachgelegt werden: Die Energiesteuerreduzierung auf Kraftstoff ist nicht verteilungsgerecht. Diejenigen, die große Autos besitzen, profitieren stärker als diejenigen, die kleine und verbrauchsarme Fahrzeuge fahren. Ein wirkliches Mobilitätsgeld, das abhängig von der gefahrenen Strecke, jedoch unabhängig vom Einkommen und Verkehrsmittel ausgezahlt wird, wäre zielgenauer.

Bei der sogenannten 300-Euro-Energiepreispauschale gehen rund dreißig Prozent der Bevölkerung leer aus – vor allem Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende. Das muss korrigiert werden. Auch die beschlossene Anhebung des Grundfreibetrags auf 10.347 Euro reicht nicht aus; der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert bereits seit Langem die Anhebung auf 12.800 Euro. Hartz-IV-Regelsätze sind grundlegend neu zu ermitteln beziehungsweise anzuheben, sodass sie wirksam vor Armut schützen und regelmäßig angepasst werden.

Außerdem fordert der DGB die Absenkung der Stromsteuer auf ihr gesetzliches Mindestmaß, eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer für Energie sowie einen Gaspreisdeckel für Haushalte, also einen subventionierten Grundverbrauch.

Insbesondere fiskalpolitische Maßnahmen, die den Verbraucherpreisindex direkt bremsen, erfüllen dabei einen zusätzlichen Zweck: Sie nehmen den Druck von der Europäischen Zentralbank. Schließlich werden die Stimmen lauter, die angesichts der hohen Inflation eine straffere Geldpolitik fordern. Doch die Europäische Zentralbank ist weder schuld an der momentan hohen Inflation – die auf Sondereffekte nach Corona, auf Lieferengpässe und die hohen Energiepreise zurückzuführen ist und nicht auf die Geldpolitik –, noch kann sie die Inflation wirklich treffsicher und ohne Nebenwirkungen bekämpfen. Verfrühte und zu starke Reaktionen der Geldpolitik können die wirtschaftlichen Probleme zusätzlich verschärfen und wären nicht im Sinne der Beschäftigten.


Elke Hannack, geboren 1961 in Gladbeck, Stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).

 

1 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): Hohe Energiepreise: Arme Haushalte trotz Entlastungspaketen am stärksten belastet. Pressemitteilung, 26.04.2022, www.diw.de/de/diw_01.c.840066.de/hohe_energiepreise__arme_haushalte_trotz_entlastungspaketen_am_staerksten_ belastet.html#:~:text=Das%20ist%20das%20Ergebnis%20umfassender,Nettoeinkommens%20 mehr%20f%C3%BCr%20Energie%20ausgeben [letzter Zugriff: 23.05.2022].

2 Sebastian Dullien / Silke Tober: „Preisschocks bei Energie und Nahrungsmitteln dominieren auch im April 2022“, IMK Inflationsmonitor, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, IMK Policy Brief, Nr. 123, Mai 2022, www.imk-boeckler.de/de/faustdetail.htm?produkt=HBS 008322 [letzter Zugriff: 23.05.2022].

3 Josh Bivens: Corporate profits have contributed disproportionately to inflation. How should policymakers respond?, Working Economic Blog, Economic Policy Institute, 21.04.2022, www.epi.org/blog/corporate-profits-have-contributed-disproportionately-to-inflation-how-should-policymakers-respond/ [letzter Zugriff: 23.05.2022].

4 Harald Freiberger: „Die Unternehmen sollten dem Staat etwas zurückgeben“, in: Süddeutsche Zeitung, 06.05.2022, www.sueddeutsche.de/wirtschaft/dividendenvermoegengerechtigkeit1.5578995 [letzter Zugriff: 23.05.2022].

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