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Französische Parteien und der Front National

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Fast las es sich wie das Unheil verkündende Buch Unterwerfung des viel kritisierten Autors Michel Houellebecq. Tatsächlich handelte es sich aber um die Zahlen einer Umfrage, die ein anerkanntes französisches Meinungsforschungsinstituts im April 2016 ermittelt hatte. Nach diesen Ergebnissen würde die Vorsitzende des Front National Marine Le Pen als Siegerin aus dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen hervorgehen, im zweiten Wahlgang würde sie sogar den amtierenden Staatspräsidenten François Hollande schlagen. Wenig Zeit bleibt, um diesem wenig beruhigendem Szenario zu entgehen. Die elfte Wahl zum Staatspräsidenten der Französischen Republik wird am 23. April 2017 stattfinden. Die Stichwahl – wie sie bisher bei allen Präsidentschaftswahlen der Fünften Republik notwendig war – ist auf den 7. Mai 2017 terminiert.

Der Front National geht somit zurzeit mit guten Aussichten ins Rennen. Die anderen Parteien scheinen sich damit abgefunden zu haben. Für sie scheint es nur noch darum zu gehen, in die Stichwahl zu kommen. Die Selbstsicherheit, mit der die rechtspopulistische Partei heute bei regionalen und nationalen Wahlen auftritt, entspricht der Ratlosigkeit der übrigen französischen Parteien gegenüber einem europaweit ansteigenden Populismus.

 

Die „Ni-Ni“-Strategie

Dabei sehen viele Beobachter die „republikanische Front“ (Front républicain), die den Front National politisch einhegen sollte, als beendet an. Sie beinhaltete die gegenseitige Unterstützung von Parteien aus dem linken und bürgerlich-konservativen Parteienspektrum bei Gegenkandidaturen von rechts. Es galt, einer „antirepublikanischen“ Partei wie dem Front National den Weg zu höchsten Institutionen der Republik zu versperren. Dies geschah unter anderem bei der Präsidentschaftswahl 2002, als sich der bürgerlich-konservative Kandidat Jacques Chirac im zweiten Wahlgang mit Unterstützung der Sozialistischen Partei deutlich von Jean-Marie Le Pen absetzen konnte.

2012 rief Nicolas Sarkozy von der Partei Les Républicains seine Wähler zu einem „Weder-noch“, der sogenannten „Ni-ni“-Strategie auf, was einer Enthaltung im zweiten Wahlgang gleichkam, sollte es auf eine Stichwahl zwischen Kandidaten der sozialistischen Partei und dem Front National hinauslaufen. Inzwischen ist diese Ansage aufgrund von parteiinternen Streitigkeiten jedoch aufgeweicht und es wird auf die Wahlfreiheit eines jeden Wählers verwiesen.

Wie die Républicains und die Sozialisten auf den beängstigenden Rechtsruck der französischen Wählerschaft reagieren werden, bleibt insgesamt unklar. Seit 2012 ist der Front National mit zwei Sitzen in der französischen Nationalversammlung vertreten. 2014 errang er bei den Europawahlen einen Erdrutschsieg und zog als Frankreichs stärkste Partei ins Europäische Parlament ein. Bei den Regionalwahlen 2015, die vielen als Testlauf für das Wahljahr 2017 galten, konnte der Front National erst im zweiten Wahlgang ausgebremst werden.

Im Vorfeld der Regionalwahlen warnte Premierminister Manuel Valls vor einem „Bürgerkrieg“, sollte sich die rechtspopulistische Partei durchsetzen. Die Order aus Paris an die sozialistischen Kandidaten lautete erneut: Rückzug aus den Stichwahlen, sollte ein bürgerlicher Kandidat mehr Chancen gegenüber dem Bewerber des Front National haben. Diese Vorgabe wurde vor Ort allerdings nicht überall befolgt. Nach dem Wahldebakel versprach der Premierminister, dass die Politiker den Franzosen künftig „noch mehr zuhören“ werden. Auch der Parteivorsitzende der Républicains Nicolas Sarkozy bezeichnete die Regionalwahlen 2015 als „Warnung“ und kündigte „starke Antworten“ an. Die aktuellen Umfrageergebnisse lassen bezweifeln, dass die Strategien der beiden großen französischen Parteien inzwischen Früchte tragen.

 

Aktuelle Definition des Laizismus

Notwendig wäre es, eine wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung über die Gründe zu führen, aus denen der Front National mehr und mehr Wähler für sich gewinnen kann. Die Partei ist in ihren Aussagen über Identität und Immigration deutlich rechts des bürgerlich-konservativen Lagers anzusiedeln, vertritt wirtschafts- und europapolitisch aber ähnliche Positionen wie die Linksfront (Front de gauche) unter Jean-Luc Mélenchon. Ihre Wählerschaft lässt sich nur schwerlich durch das linke oder bürgerlich-konservative Lager zurückgewinnen.

Sowohl die Parti socialiste als auch die Républicains scheinen angesichts der Wahlerfolge des Front National im klassischen Lagerkampf erstarrt, der sie blind für die Dringlichkeit einer wirklichen Auseinandersetzung mit dem Front National zu machen scheint. Es wäre nun jedoch an erster Stelle wichtig, die französische Identitätsdebatte, die nicht erst seit den Anschlägen stark an eine Islamdebatte geknüpft ist, ein für alle Mal gemeinsam abzuschließen und dem französischen Laizismus eine aktuelle und verbindliche Definition zu geben. Nur so könnte dem Front National das Wasser abgegraben werden, denn eine erneute Omnipräsenz dieser Themen im Wahlkampf – wie im Wahljahr 2012 – würde nur der rechtsextremen Partei in die Hände spielen. Die Wahlprogramme sollten sich auf die wirtschafts- und europapolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre konzentrieren und den Frexit-Visionen des Front National entgegenwirken. Das vorläufige Wahlprogramm der Républicains für das Wahljahr 2017 mit dem deutlichen Bekenntnis zu einer reformierten Europäischen Union und einer Stärkung der deutsch-französischen Beziehungen ist in dieser Hinsicht eine passende Antwort.


Nele Katharina Wissmann, geboren 1985 in Bielefeld, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Auslandsbüros Frankreich der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

Weiterführende Literatur

Schock und Gelassenheit nach dem Brexit-Votum. Weltweite Reaktionen, Länderberichte der Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin, Juli 2016.

 

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