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Interview: Berlin - Los Angeles - Tokio ...

Der Geschäftsführer von Native Instruments: Was den Boden für die creative industry bereitet

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Herr Haver, können Sie uns ohne englische Vokabeln erklären, was Ihr Unternehmen anbietet?

Daniel Haver: Jetzt haben Sie mich kalt erwischt. Aber ein paar eingedeutschte Vokabeln – wie Software und Hardware – werde ich hoffentlich gebrauchen dürfen.

Vereinfacht gesagt, sind wir primär ein Musikinstrumentenhersteller, unsere Kunden sind Musikproduzenten und DJs. Doch bauen wir unsere Instrumente nicht aus traditionellen Materialien wie Holz oder Metall zusammen, sondern verwandeln den Computer – mittels Software – in ein Musikinstrument oder ein DJ-Setup. Stellen Sie sich vielleicht einen DJ vor, der mit zwei Plattenspielern und einem Mischpult in der Mitte Musik macht – das emulieren wir und bieten das als Software an.

Jetzt hat man also diese Software, die sehr viel kann und toll klingt, aber die Maus reicht zur Steuerung nicht mehr aus. Deshalb sind wir mit der Zeit auch ein Hardware-Hersteller geworden, der Controller anbietet – also Geräte, die es erlauben, diese Programme umfassend zu bedienen.

 

Alles an Ihrem Unternehmen ist international und digital. Und doch heißt Ihre Firma „Native Instruments“, was zu Deutsch so etwas wie „einheimische“ oder „ursprüngliche Instrumente“ heißt! Ist das Ironie?

Daniel Haver: Das ist überhaupt nicht ironisch gemeint, sondern es erscheint uns als eine sehr gute Beschreibung dessen, was wir tun. Denn wir benutzen die Werkzeuge unserer Zeit, um Klänge und Musikinstrumente herzustellen. Im 21. Jahrhundert ist es normal, den Computer oder auch ein Mobiltelefon als Werkzeug zu begreifen. Für meinen Sohn, der auch gezwungenermaßen mit dem iPhone aufwächst, ist das etwas völlig Selbstverständliches und Ursprüngliches.

 

Kann man Sie denn „hören“, wenn man das Radio einschaltet?

Daniel Haver: Dafür, dass einzelne Sounds, also Klänge innerhalb einer Musikkomposition, von uns stammen, wenn Sie das Radio einschalten, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch. Ich bin bestimmt kein „name dropper“, aber um es anschaulich zu machen, nenne ich mal ein paar Namen: Sir Simon Rattle hat in der Philharmonie mit unseren elektronischen Klängen gespielt, die Alben von Coldplay bestehen ganz wesentlich aus Klängen von Native Instruments. Wenn Madonna auf die Bühne geht, dann hören Sie im Hintergrund Sounds von uns. Im ganzen Hip-Hop-, Elektronik- und Pop-Bereich sind wir dabei. Aus den modernen Musikstilen und Genres sind unsere Klänge eigentlich nicht wegzudenken.

 

Neben Berlin haben Sie Standorte in Los Angeles, Tokio, Shenzhen und London. Wie ordnet sich Berlin in diesen internationalen Kontext ein?

Daniel Haver: Wenn es um Musik, besonders um kontemporäre Musik, geht, gehört Berlin zu den Top-5-Metropolen der Welt. Berlin kommt direkt nach London und Los Angeles. Insofern hat Berlin für unsere Firma große Bedeutung, weil es wichtig ist, seinen Kunden nah zu sein und ständig mit ihnen interagieren zu können: Gefällt dir das? Brauchst du das? Was brauchst du noch?

Hinzu kommt, dass viele unserer Mitarbeiter aus dem Musikerpool Berlin stammen. Hier fällt es relativ leicht, Menschen zu finden, die mit uns arbeiten.

 

Inzwischen haben Sie insgesamt 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit – davon rund 350 in Berlin. Sie sind also längst kein Start-up-Unternehmen mehr, aber als Ihre Firma vor zwanzig Jahren gegründet wurde, gehörten Sie zu den ersten Start-ups im kreativen Bereich, für die Berlin heute gerühmt wird.

Daniel Haver: Jedenfalls gehörten wir im digitalen Musikbereich zu den ersten Start-ups, wobei es für uns damals einfach eine Firmengründung war – mit dem Plan, aus einer ganz kleinen eine große Firma zu machen.

Als wir 1996 anfingen, konnte von einer Start-up-Szene keine Rede sein. Aber Berlin hatte damals – sieben Jahre nach dem Mauerfall – etwas ganz Frisches, Unorthodoxes. Der „Osten“ galt als das wilde Feld des Experimentierens. Damals bin ich nach Berlin umgezogen. Da kamen die „Wessis“ – die berühmten Schwaben, aber auch Kölner wie ich. Zehn Jahre später folgten die Spanier, Skandinavier, Israelis und alle anderen, die in diesem kulturellen Zentrum Berlin, das nun auch Hauptstadt war, neue Zugänge und Chancen suchten: Kreativität, das deutsche Image des Ingenieurtums, aber auch die gute Ausstattung mit Förderprogrammen wirkten bei der Bildung dieser Start-up-Szene zusammen.

Wie das genau vor sich gegangen ist, kann ich aber schwer sagen, weil wir damals aus dem Start-up-Level heraus waren und der Blick bereits nach Los Angeles und Tokio ging. Aber mein Eindruck ist, dass in Berlin unglaublich viel passiert und sehr viele Leute hier ihre Idee ausprobieren wollen. Viele Statistiken belegen diese Dynamik: Berlin ist bei Unternehmensgründungen einer der Top-Standorte in Europa. Allerdings sind die Amerikaner noch mal ein ganzes Stück weiter.

 

Hätte Ihr Unternehmen an einem anderen Ort Erfolg haben können?

Daniel Haver: Native Instruments ist eine Urberliner, genauer eine Kreuzberger Gründung, und wir sind weiterhin sehr gern hier. Berlin ist schon genau der richtige Boden für die Firma gewesen. Aus gewissen Gründen konnten wir vielleicht nur hier so erfolgreich sein. Das hat viel mit der Techno-Bewegung zu Beginn der 1990er-Jahre zu tun – wobei ich das mit einer gewissen Vorsicht sage, weil wir für Musiker aller Genres da sind und da sein wollen. Dennoch liegen die Wurzeln von dem, was uns stark gemacht hat, in der Techno-Bewegung und in der elektronischen Musik. Da kommen mein Kompagnon Mate Galic und ich eigentlich her, und das hat uns beflügelt und getrieben. Dort waren auch die Leute, die als Erste begriffen haben, was wir machen – die ersten Kunden unserer Software. Das konnte man in diesem Umfang und in dieser Dynamik damals nur in Berlin finden.

 

Wenn Sie heute vergleichen: Was sind Stärken, was sind Schwächen des Standorts Berlin/Deutschland? Was wäre Ihr Rat in den politischen Raum hinein, um Innovation und Gründermut zu unterstützen?

Daniel Haver: Die Unterstützung der Politik und das, was es an „Förderlandschaft“ gibt, halte ich für sehr gut – mit der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau), in Berlin mit der IBB (Investitionsbank Berlin) und verschiedensten europäischen Programmen. Auch beim Thema Talente sehe ich keine Probleme: Es gibt ein gutes Bildungssystem, und wir haben viele junge, intelligente Menschen. Die Probleme für die Firmen beginnen dort, wo es nach dem Gründungslevel um Wachstumsfinanzierung geht. Da kommt man sofort in den Risikokapitalbereich, und jeder wird sehr schnell feststellen, dass es ganz primär angelsächsische Unternehmen sind, die dieses Geld zur Verfügung stellen und die dazu auch die Kompetenz, die Erfahrung mitbringen. Und da halte ich Europa – von England abgesehen – für ganz schwach. Das hat zur Folge, dass vielversprechende europäische Start-ups am Ende doch irgendwann von angelsächsischen Finanzgebern und Geldgebern besessen werden und sich die Facebooks und Googles dieser Welt alles kaufen können, was sie brauchen.

 

Ist Internationalität für Ihr Unternehmen überhaupt noch eine Herausforderung oder ein Problem?

Daniel Haver: Internationalität ist, wenn sie überhaupt ein Problem sein kann, das allerkleinste unserer Probleme. Internationalität ist vielmehr ein echter Wettbewerbsvorteil. Am Standort Berlin vereinen wir Menschen aus über dreißig Nationen und allen Weltteilen.

Um Internationalität brauchen wir uns nicht mehr zu bemühen. Das klappt problemlos, und wir schaffen es, die Menschen zu integrieren. Sobald in einer Besprechung nur einer des Deutschen nicht mächtig ist, sprechen wir Englisch. Das ist der gemeinsame Nenner, das klappt super und ist nicht das Thema.

Unser Thema, das wir gerade proaktiver angehen, ist „diversity“, also Diversität jenseits der Nationalitäten: Mehr Frauen, mehr ältere Menschen ins Unternehmen zu holen, auch mehr Diversität mit Sicht auf die kulturellen Hintergründe – das sind Ziele, die wir künftig noch höher priorisieren werden.

 

Sie schreiben auf Ihrer Homepage, Sie seien in den „globalen Metropolen zu Hause“. Wie schafft man es, Internationalität und Heimatgefühle miteinander zu verbinden?

Daniel Haver: Da haben wir den Luxus, dass wir um ein sehr emotionales Gut, die Musik, herum agieren – und die ist global. Ich kann genauso gut in Tokio wie in Los Angeles Fan elektronischer Musik sein, selbst Countrymusik wird über die Grenzen hinweg gehört und verstanden. Es gibt dieses verbindende Element, das für uns unbedingt dazugehört: Kürzlich haben wir eine sogenannte „Sample Library“ gemacht – also ein samplebasiertes Instrument, das indische Instrumente modelliert. Tatsächlich werden jetzt diese indischen Instrumente in der Filmmusik Hollywoods eingesetzt. Das ist inzwischen die Realität, das finden wir toll, und insofern begreifen wir uns als sehr global.

 

Nehmen Sie in den Büros in Kreuzberg oder am Sunset Boulevard noch wahr, was sich im Bergischen Land – wo Sie aufgewachsenen sind – ereignet?

Daniel Haver: Nimmt man das noch wahr? Ich persönlich bewege mich tatsächlich vorwiegend in den Metropolen. Was im Bergischen Land, in meiner ursprünglichen Heimat, passiert, weiß ich, ehrlich gesagt, kaum noch. Fast alle meine Freunde von dort sind mit nach Berlin gekommen.

 

Ich frage das natürlich vor einem bestimmten Hintergrund: So bewundernswert es ist, wie selbstverständlich Internationalität und die Globalisierung bei Ihnen gelebt werden, so wenig kann einem doch entgehen, dass es entgegengesetzte Tendenzen der Abschottung und Renationalisierung gibt – ganz gewiss nicht speziell im Bergischen Land. Was ich sagen will, ist: dass es vielleicht auch sehr darauf ankommt, diejenigen mitzunehmen, die sich nicht unbedingt in den kreativen Zentren bewegen.

Daniel Haver: Da stimme ich Ihnen zu! Die Frage „Wie bringen wir die Menschen zusammen?“ ist natürlich das spannendste Thema unserer Zeit. Die Metropolen haben den Vorteil, dass das Zusammenleben von verschiedenen Menschen tagtäglich erlebt und überwiegend sogar genossen oder zelebriert wird. Doch wenn man schon im Umland von Berlin unterwegs ist, kann man Gespräche darüber mit anhören, wie schrecklich es in Kreuzberg am Kottbusser Tor oder im Görlitzer Park zugeht. Und das Ganze wird letztendlich in eine pauschale Fremdenfeindlichkeit übertragen. Ich glaube, dass es sich gerade im „Osten“, wo diese Probleme ja größer zu sein scheinen, um eine Frage der Nichterfahrung handelt. Das Unbekannte ist suspekt, und was man nicht einschätzen kann, wird eher schlecht als gut wahrgenommen.

 

Glauben „Digital und Global Natives“ noch an die vorhandenen politischen Strukturen? Oder konkreter gefragt: Spielen Institutionen wie die Europäische Union, die Internationalität mit garantieren, für die „Global Player“ etwa aus dem Silicon Valley noch eine Rolle?

Daniel Haver: Eric Schmidt von Google hat uns hier vor einem guten halben Jahr besucht, und seine Rede war nicht an meine Kollegen und mich adressiert, sondern an die deutsche Politik in Berlin. Selbstverständlich schafft die Politik und schaffen die politischen Organisationen nach wie vor die Rahmenbedingungen für uns Unternehmer.

Diese Rolle muss weiterhin wahrgenommen werden. Und wenn wir in Europa gerade Probleme haben, dann deshalb, weil wir auf der europäischen Ebene nicht in genügendem Umfang zusammenarbeiten. Wir haben eine Wirtschaftsgemeinschaft, aber keine echte politische Gemeinschaft gebildet. Das bekommen wir jetzt bitter zu spüren. Dass die EU kein zentrales Marketing-Organ hat, dass es keinen EU-Sender gibt, sind Versäumnisse. Die EU steckt immer noch in den Kinderschuhen und riskiert gerade, aus diesen herauszufallen, statt sich die nächste Größe zuzulegen.


Daniel Haver, geboren 1967 in Köln, Geschäftsführer von Native Instruments, Weltmarktführer mit virtuellen Musikinstrumenten.

Das Gespräch führte Bernd Löhmann am 4. Mai 2016.

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