Herr Di Fabio, im Lichte der Ausschreitungen in Köln in der Silvesternacht: Müssen wir uns um den Zustand unseres Rechtsstaates Sorgen machen?
Udo Di Fabio: Auch der Rechtsstaat kann überrascht werden – trotz aller polizeilichen Vorkehrungen. In Art und Umfang waren die Ausschreitungen vor dem Kölner Hauptbahnhof eine völlig neue Erfahrung. Wenn es in der Reaktion darauf offensichtlich Defizite gegeben hat, muss man nach Ursachen des Versagens fragen, aber nicht gleich den Rechtsstaat insgesamt zur Disposition stellen.
Wo würden Sie sich verorten, wenn es nach Köln um die Frage geht: konsequente Umsetzung der bestehenden Gesetze oder härtere Gesetze?
Udo Di Fabio: Die Tendenz, nach härteren Gesetzen zu rufen, ist ein politisches Ritual, das der Jurist zumindest differenziert betrachtet. Was wir häufig erleben, ist ein massives Vollzugsdefizit, was auch daraus resultiert, dass die Kapazitäten bei der inneren Sicherheit während der vergangenen zwei Jahrzehnte nicht gerade ausgebaut worden sind. Man könnte auch neue Gesetze gegen den Wohnungsdiebstahl erlassen, besser wäre die Steigerung der Aufklärungsquote. Ähnliche Vollzugsdefizite sehe ich auch in der Migrationspolitik. Allerdings gibt es hier auch gesetzlichen Anpassungsbedarf an eine in Art und im Umfang neuartige Herausforderung.
Der Polizeieinsatz in Köln wird heftig diskutiert – auch weil es Versuche gegeben haben soll, die Herkunft der Straftäter zu „vertuschen“.
Udo Di Fabio: Ob etwas in verwerflicher Weise „vertuscht“ wird oder ob dahinter womöglich eine respektable „pädagogische Intention“ steht, möchte ich in der Bewertung offenlassen. Es kann bisweilen eine vernünftige Erwägung der Verantwortlichen sein, Merkmale von Tatverdächtigen nicht in die Öffentlichkeit zu geben – etwa, um keine Ressentiments zu wecken.
Wo kommen diese selbst verordneten „Maulkörbe“ her?
Udo Di Fabio: Für das, was Sie „Maulkörbe“ nennen, haben die Amerikaner den Begriff der „Political Correctness“ geprägt. Ursprünglich handelt es sich um eine positiv besetzte Vokabel, die ausdrückt, dass die Eliten in den westlichen Ländern mäßigend und rationalisierend auf den zu Leidenschaften und Übertreibungen neigenden Meinungsbildungsprozess einwirken sollen. Darin liegt im Grunde ein klassisch aufklärerischer Gedanke, der im Ansatz nicht negativ zu bewerten ist. Aber behütende Bevormundung ist in einer freien Gesellschaft auch gefährlich, weil auf längere Sicht und zumal in Krisensituationen das Vertrauen in den Rechtsstaat untergraben wird. Deswegen würde ich jedem Verantwortlichen zu Transparenz und Offenheit in einer sachlichen Form raten. Wenn die Menschen den Eindruck gewinnen, sie würden systematisch nicht mehr wahrheitsgemäß informiert, ist es überfällig, den Mechanismus des „politisch Korrekten“ zurücknehmen, ohne gleich in einen hysterischen Tonfall einzustimmen. Manchmal gewinnt man den Eindruck, die Eliten richten sich in ihrer schöngemalten Welt ein und kapseln sich ab.
Wer ist mit dieser Elite gemeint?
Udo Di Fabio: Elite – das sind viele Menschen, das sind Multiplikatoren und diejenigen an Schaltstellen in Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft oder Medien. Es sind Menschen, die wissen, wie man formuliert. Elite ist hier nicht als Gruppe gemeint, die nur das eigene Wohl im Auge hat, sondern eine Gruppe kluger und informierter Menschen mit Führungsqualitäten. In einer Demokratie müssen Eliten die Gesellschaft erreichen, offen sein, die Diskussionen und Meinungen aufnehmen. Ist das noch der Fall, wenn man an manche Stadtteile und an die Weiten des Internets denkt? Wenn eine Zeitungsseite ihre Kommentarfunktion abschalten muss, weil zu viele strafbare und grenzwertige Inhalte hereinkommen, dann kann das auch ein Anzeichen für eine wachsende Kluft und von Ohnmacht sein.
Dennoch zeigt man jetzt auf die Polizei. Ist das die richtige Reaktion?
Udo Di Fabio: Aus der Entfernung einen Polizeieinsatz zu bewerten, maße ich mir nicht an. Das Ergebnis in Köln, aber auch in einigen anderen Städten, spricht jedenfalls nicht für einen gelungenen Einsatz. Insofern muss die Polizei mit Kritik leben, nicht nur in diesem spezifischen Fall. Es wäre ein schlechtes Zeichen für die Demokratie, wenn darüber nicht diskutiert würde. Dennoch habe ich manchmal den Eindruck, dass die Polizei zu oft am Pranger steht und die Polizistinnen und Polizisten als Prügelknaben für Zusammenhänge herhalten müssen, die sie nicht verantworten. Wenn die Polizei recht- und pflichtgemäß eine Demonstration schützt, deren Inhalte viele nicht teilen, dann gibt es keine Rechtfertigung dafür, gewalttätig zu sein und sich dann auch gegen die Polizei zu richten. Politische Gewalttäter sind Feinde der Demokratie.
Was bedeutet es für die Flüchtlingsdebatte, wenn sich bestätigen sollte, dass es sich bei den Verdächtigen um Asylbewerber handelt?
Udo Di Fabio: Unser Strafrecht schaut auf den Einzelnen und verurteilt nicht nach Gruppen. Bei der Zurechnung von Kriminalitätsneigung auf Gruppen ist deshalb besondere Vorsicht gefragt. Wenn ein Unternehmer Steuern hinterzieht, neigen auch manche dazu, so etwas als das typische Verhalten reicher Leute zu betrachten oder als Folge des Kapitalismus. Ungerechtfertigte Verallgemeinerungen kommen immer wieder vor. Allerdings wirft es Fragen auf, wenn Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, kurze Zeit später in dieser Weise straffällig werden und zeigen, wie wenig sie die Rechtsordnung und die Repräsentanten unseres Rechtsstaates respektieren. Niemand darf indes derartige kriminelle Handlungen und die Mehrheit der Migranten und Schutzsuchenden in einen Topf rühren. Es sollte allerdings kritisch beobachtet werden, ob und wann der Zuzug von Menschen aus anderen Kulturräumen an die Grenzen der Integrationsfähigkeit einer freien Gesellschaft stößt. Solche Probleme müssen nüchtern betrachtet und offen diskutiert werden, sonst droht die Entstehung subkultureller Milieus des Ressentiments oder gar des Hasses.
Wie hoch schätzen Sie die Integrationskraft unserer Gesellschaft ein?
Udo Di Fabio: Bereits vor zehn Jahren habe ich dargelegt, dass eine Gesellschaft, die altert, in der Kinder nicht Vorrang haben, sondern gegenüber materiellen Werten häufig genug zurückstehen, auf lange Sicht keine Anziehungskraft gerade für Einwanderer mit traditionellen Prägungen entwickeln kann. Eine Gesellschaft, die grüblerisch ist und zum Pessimismus neigt, wird auch keine gute Integrationsgesellschaft. Eine Gesellschaft, die Einwanderung nicht ablehnt, muss klare Regeln setzen und darf bei denen, die kommen, keine Illusionen wecken. Deutschland ist weltoffen, tolerant, verlangt Eigenverantwortung, Respekt vor dem Recht und dem Andersgläubigen, es ist auch eine Arbeitsund Leistungsgesellschaft. Wer Einwanderung will, muss die Regeln deutlich machen.
Wie steht es um die soziokulturellen Grundlagen?
Udo Di Fabio: Wenn man den Blick weitet, was man bei solchen Themen immer tun sollte, dann wird man feststellen, dass die weltweiten Entwicklungen auf eine Resistenz und Wiederkehr von kulturellen Dispositionen hindeuten: Beispielsweise das Erstarken eines nationalen Hinduismus in Indien hätte vor zwanzig Jahren kaum jemand für wahrscheinlich gehalten. Zur Zeit Kennedys wären der radikale Salafismus oder die Iranische Revolution als Hirngespinste abgetan worden.
Dennoch dürfen wir weiter darauf hoffen und müssen dafür arbeiten, dass es global zu einer Universalisierung westlicher Werte kommt. Aber worauf wir uns auch einrichten sollten, ist eine Welt, die wieder kriegerischer wird, in der staatliche Ordnungen, auf die wir dringend angewiesen sind, zerfallen und in der Autokratien selbst dort neu entstehen, wo jetzt noch Demokratien existieren.
Die Welt verändert sich dramatisch – nicht zuletzt entlang von kulturellen Grenzen. Das heißt zum einen, dass der Friede in Europa ein kostbares Gut ist, das verteidigt werden muss und in das wir mehr investieren sollten. Der Westen hat sich bislang zu stark darauf verlassen, dass Freiheit und Wohlstand automatisch anziehend und ansteckend wirken. Etwas naiv haben wir geglaubt: Wer in einer offenen Welt mit uns Handel treibt oder wer zu uns kommt, wird bald automatisch ein Teil dieser westlichen Kultur werden. Das ist eine schöne Erwartung, die noch dazu in sehr vielen Fällen funktioniert. Aber angesichts der globalen Tendenzen muss man damit rechnen, dass die Ausstrahlung des westlichen Lebensstils etwa auf Einwanderer nicht mehr so einfach funktioniert.
Gibt es konkrete Beobachtungen, die Ihre These von einer schwieriger werdenden Integration stützen?
Udo Di Fabio: Als Einwanderkind habe ich erfahren, wie wunderbar das Ruhrgebiet als „Melting Pot“ funktioniert hat. Gelungene Integrationsbiografien gibt es dort natürlich auch heute, andererseits ist nicht zu übersehen, dass sich manche Einwanderer – und zwar verstärkt – in Subkulturen abschließen. So zu tun, als würden sich die Menschen, die zu uns kommen, schon irgendwie anpassen, wenn wir ihnen ein paar gute Ratschläge mitgeben, halte ich zunehmend für naiv. Dazu gehört nicht zuletzt das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Wer aus patriarchalisch geprägten Kulturräumen kommt, wird das nicht ohne Weiteres ablegen oder sich sogar gegen die westliche Kultur der Geschlechterparität definieren.
Was fehlt zu einer „Einwanderungsordnung“, wie sie Ihnen vorschwebt?
Udo Di Fabio: Die Einwanderungsordnung beginnt an der Grenze, weil Demokratien entscheiden, wer zu ihnen kommt. Wenn ein Land in großem Umfang humanitäre Schutzverantwortung durch großzügige Einreiseerlaubnis und Aufnahme übernimmt, ist das nicht nur legitim, sondern verlangt Respekt. Dennoch darf es keine Kontrollverluste geben, denn es muss gewährleistet sein, dass im Rahmen der humanitären Verantwortung nur Schutzberechtigte aufgenommen werden. Ein echtes Einwanderungsland muss darüber hinaus nachdenken, wer von denen, die aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen wollen, aufgenommen werden. Es ist ja völlig legitim, in einem wirtschaftlich erfolgreichen Land sein Glück machen zu wollen. Nur gibt es darauf keinen Rechtsanspruch! Wer in den USA eine Green Card haben will, muss sich mindestens mit Geduld wappnen.
Was ist Ihr Bild vom „deutschen Volk“ und von der „deutschen Nationalkultur“?
Udo Di Fabio: Wenn Juristen vom „deutschen Volk“ sprechen, dann hat das nichts mit ethnischer Prägung zu tun, sondern ist zunächst eine rechtliche Feststellung. Wer eingebürgert ist, der wird kraft Statusverleihung, also mit der Staatsangehörigkeit, Teil des deutschen Volkes. Da gibt es selbstredend keine ethnischen oder religiösen Unterscheidungen. Wenn man soziologisch von einem Volk redet, dann sind auch historische, sprachliche und andere kulturelle Identitätsmerkmale gemeint, kollektive Prägungen. Verändert sich die Zusammensetzung der Staatsangehörigen, verändern sich die Menschen, so ändert sich auch die „nationale“ Identität. Vor einiger Zeit habe viele geglaubt, in einer offenen Welt und im vereinigten Europa würden solche nationalen Identitäten allmählich verblassen und verschwinden. Aber auch hier stoßen wir einerseits auf erstaunliche Resistenzen und mitunter gleichzeitig auf Phänomene des Zerfalls von Nationalkulturen. Wenn auf einem Staatsgebiet eine Fragmentierung kultureller Orientierungen einsetzt, wo die einen den abgelebten Nationalismus aufwecken wollen, andere den Staat als Institution ablehnen und wieder andere einen Gottesstaat errichten möchten, dann wird es gefährlich für den inneren Frieden. Insofern ist es legitim, nach einer republikanischen Identität und einer Nationalkultur zu fragen und diese zu fördern. Die deutsche Nationalkultur: Das sind die Sprache Goethes, die Philosophie Kants, der Geist von Leibniz und Einstein. Es ist der Glaube an das Recht und den sozialen Zusammenhalt, es ist das Vertrauen in die Kraft von Technik und Marktwirtschaft, es ist das schmerzvolle Erinnern an die Abgründe des Totalitären, an die furchtbaren Verbrechen aus Antisemitismus und Rassenwahn. Und aus diesem Erinnern heraus stehen die Deutschen zu ihrem europaund weltoffenen Grundgesetz, das grundrechtliche Entfaltungsfreiheiten in einer parlamentarischen Demokratie verfasst.
Kosmopolitischer als das Grundgesetz kann eine nationale Verfassung nicht sein: Die Absicht, dem Frieden in der Welt zu dienen, steht in der Präambel; die Menschenwürde in Artikel 1 ist ein universeller Wert. Wie kommt es dann, dass Sie in Ihrem Buch „kosmopolitisch libertäre Trends“ kritisieren?
Udo Di Fabio: Das Grundgesetz verfasst einen Staat, der im Innern frei und stabil als Teil eines sich vereinigenden Europas und offen für die internationale Zusammenarbeit dem Frieden der Welt dienen will. Die Deutschen wollen ihre Souveränität nicht mehr dazu nutzen, um egoistisch eine alte Machtstaatspolitik zu betreiben. Sie wollen im Konzert mit anderen, in kollektiven Sicherheitssystemen für den Frieden der Welt mit einstehen. Insoweit ist das Grundgesetz eine wunderschöne Konkretisierung dessen, was sich Kant im „Ewigen Frieden“ als Föderation von vernünftigen Staaten vorgestellt hat. Beides wird zusammengebracht: das Partikulare und das Universelle. Das Grundgesetz ist insofern kosmopolitisch, aber genauso sehr eine Verfassung der Deutschen für ein abgrenzbares Staatswesen.
Das erklärt noch nicht, warum Sie „kosmopolitisch libertäre Trends“ kritisieren.
Udo Di Fabio: Es gibt intellektuelle Auffassungen, die sich als Mainstreaming gezielt in Szene setzen und so tun, als wären sie identisch mit dem Wertesystem westlicher Gesellschaften. Solche modischen Trends bringen zu wenig Verständnis für tragende Institutionen wie funktionsfähige demokratische Rechtsstaaten oder eine Soziale Marktwirtschaft auf und stehen manchmal mit eigenen kulturellen Traditionen auf Kriegsfuß. Man muss aufpassen, dass bestimmte mögliche Weltdeutungen nicht mit ideologischen Scheuklappen zu einer normativen Erwartung gemacht werden. Dies gilt etwa für die wie ein Mantra wiederholte Auffassung vom Verschwinden der Nationalstaaten, die manche als eine historische Gesetzmäßigkeit betrachten. Sobald man anfängt, die normative Erwartung mit einem gewissen Druck durchzusetzen, darf es nicht wundern, wenn sich Gegenbewegungen bilden. Die bewirken dann manchmal das Gegenteil von dem, was zu wünschen wäre – nämlich, dass sich die Staaten weiter füreinander öffnen und sich dabei zivilisieren, so wie wir uns – im Sinne von Thomas Hobbes – vom rauen Urzustand zu Bürgern in einer Privatrechtsordnung entwickelt haben.
Inzwischen machen Sie eine „verdeckte Renationalisierung“ der Europäischen Union aus. Die ist Ihnen aber auch nicht recht, oder?
Udo Di Fabio: Natürlich will ich keine Wiederkehr der bornierten Nationalismen; kein vernünftiger Mensch kann das wollen. Ich mache mir Sorgen um das großartige europäische Projekt. Wir müssen es wieder gängig, funktionsfähig und überzeugend machen. Manche Sektoren wie die Einwanderungskontrolle sollten wieder entflochten und neu koordiniert werden. In solchen Bereichen muss deutlicher entschieden werden, welcher politischen Ebene mehr Handlungsfähigkeit verliehen oder auch zurückgegeben wird, damit schwebende Kompetenzlagen wie in der gemeinsamen Asylund Grenzpolitik nicht zur Rechtsblockade führen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Staaten zu erhöhen und solide finanzielle Grundlagen zu schaffen, ist eine dauernde Herausforderung. In Sicherheit klug zu investieren, wird zunehmend zu einer zentralen Koordinierungsaufgabe. Europa überzeugt durch Erfolg und nicht durch eifersüchtiges Hüten von Besitzständen der Zuständigkeit, das gilt nicht nur für die Staaten, sondern auch für europäische Organe.
Sie haben die Europäische Union als Elitenprojekt bezeichnet, sogar als eine „Dame ohne Unterleib“. Was könnte denn zum „Unterleibswachstum“ beitragen?
Udo Di Fabio: Europa ist ein Projekt der Eliten, und zwar das beste, was nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem alten zernarbten Kontinent entstand. Die wirtschaftliche Öffnung und Verflechtung, die politische Zusammenarbeit, der rechtliche Verbund, sie sind beeindruckend, und die Mehrheit der Europäer will hier nichts rückgängig machen. Doch politische Herrschaft hat mehr mit Leidenschaft, geschichtlichen Tiefenströmungen und kulturellen Prägungen, manchmal auch mit Irrationalitäten und Träumereien zu tun, als der bürokratische Alltag wahrhaben will. Die Unionsbürger sehen ihren politischen Primärraum immer noch in Nationalstaaten, manche, wie Katalanen oder Schotten, beanspruchen als eigene Nationalitäten Unabhängigkeit. Dort, in den Mitgliedstaaten, wird um Herz und Verstand gerungen, hier fallen die Würfel, und hier muss der Brückenschlag zur Europäischen Union gelingen. Wenn die Staaten auf wichtigen Feldern ihre Handlungsfähigkeit einbüßen, wenn die Bürger Populisten von rechts und links nachlaufen, wenn die europäische offene und Soziale Marktwirtschaft nicht mehr akzeptiert wird, verliert Europa seine Basis. In jedem Mitgliedstaat muss deshalb für eine erfolgreiche, die Bürgerinnen und Bürgern mit Erfolgen überzeugende Politik gekämpft werden, und zwar nicht gegen die europäischen Institutionen, sondern mit ihnen als eigener Beitrag zum Gelingen eines freien und sicheren Kontinents.
Udo Di Fabio, geboren 1954 in Walsum (heute zu Duisburg), von 1999 bis Dezember 2011 Richter des Bundesverfassungsgerichts.
Das Gespräch führte Bernd Löhmann am 12. Januar 2016.
Literaturhinweis
Udo Di Fabio: Schwankender Westen. Wie sich ein Gesellschaftsmodell neu erfinden muss, München 2015.