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Interview: Keine schnellen "Exit-Strategien"

Der Präsident der Bundesärztekammer zum Hippokratischen Eid und zum Verlauf der Debatte um die Sterbehilfe

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Fragen der Sterbehilfe werden derzeit in Politik und Gesellschaft intensiv diskutiert. Sind Sie mit dem Debattenverlauf bisher zufrieden?

Frank Ulrich Montgomery: Es geht nicht darum, ob ich damit zufrieden bin oder nicht. Ich finde es allerdings schon erstaunlich, dass die Frage, ob wir kommerzielle Sterbehilfe verbieten wollen, am Ende in eine Grundsatzdebatte über die Frage führt, ob wir den ärztlich assistierten Suizid einführen sollten. Der stand ja primär gar nicht im Fokus, und im Grunde meinen wir damit die Frage, ob wir den Paragrafen 266 Strafgesetzbuch (StGB), Tötung auf Verlangen, am Ende auflösen. Man muss doch klar sehen, dass die Bevölkerung, wenn sie den ärztlich assistierten Suizid diskutiert, nicht will, dass ein Arzt dem Patienten ein tödliches Präparat auf den Nachttisch stellt und den Raum verlässt. Bleibt der Arzt bei seinem Patienten, ist schnell die Grenze zur aktiven Sterbehilfe überschritten. Beides wäre mit dem Selbstverständnis meiner Tätigkeit als Arzt überhaupt nicht zu vertreten. Allen muss klar sein: Wir sind von einer Debatte über das Verbot von kommerziell agierenden Sterbehilfevereinen über die Frage ärztlicher Assistenz beim Suizid letztlich zu der Frage nach einer Tötung auf Verlangen gekommen und diskutieren nun ähnliche Lösungen, wie sie in Holland und Belgien praktiziert werden.

Das ist der Debattenverlauf. Aber es sind dabei auch ganz unterschiedliche Akteure beteiligt, und in der Demokratie ist es völlig normal und legitim, dass auch diejenigen laut diskutieren, die sich am Ende nicht durchsetzen werden. Deswegen bin ich relativ hoffnungsfroh, dass es am Ende ausschließlich eine Regelung im gesetzlichen Rahmen zu den kommerziellen Organisationen geben wird und der Gesetzgeber so klug sein wird, sich von strafrechtlichen Überlegungen in allen Themen fernzuhalten.

 

Ist es nicht erstaunlich, dass Sterben und Tod immer wieder Thema der Politik werden?

Frank Ulrich Montgomery: Seit 3.000 Jahren! Mein Altgriechisch reicht nicht mehr aus, um das Original von Hippokrates zu lesen. Aber es steht im hippokratischen Eid der Satz: „Nie werde ich einem Kranken ein tödliches Gift verabreichen oder ihn dazu beraten.“ Also, die Thematik ist so alt, wie es Interaktionen von Patienten und Ärzten gibt.

 

Sollten Sterben und Tod im Detail gesetzlich geregelt werden? Wäre das sinnvoll? Was darf Politik regeln und was sollte sie tunlichst unterlassen?

Frank Ulrich Montgomery: Von meinem demokratischen Selbstverständnis her darf Politik alles regeln, wenn sie dafür die Legitimation hat. Aber sie sollte sich in diesem Fall wirklich von tiefen Eingriffen fernhalten. Ich würde Ihnen gerne die Dimension des Problems darstellen. In Deutschland sterben jedes Jahr 870.000 Menschen eines natürlichen oder unnatürlichen Todes. Es ist vielleicht eine einstellige oder niedrig zweistellige Anzahl von Menschen, bei denen es einen Krankheitsverlauf gibt, bei dem sich die Frage nach Sterbehilfe überhaupt stellt. Es gibt Menschen, die sind des Lebens überdrüssig und lebensmüde; sie fahren dann in die Schweiz und wollen dort sterben. So nahm sich etwa Fritz Raddatz am 26. Februar 2015, einen Tag vor dem Erscheinen seines letzten Buches, im ‚Sterbehaus‘ von Dignitas das Leben und wählte den in der Schweiz legalen begleiteten Suizid. Raddatz ist für mich ein klassisches Beispiel: Der Mann war meines Wissens nicht krank, er hatte einfach vielleicht auch aufgrund einer gewissen narzisstischen Grundhaltung mit seinem Leben abgeschlossen. Über einen solchen Typus reden wir in der aktuellen Debatte nicht, und darüber reden wir auch nicht im Bundestag. Sondern wir diskutieren über eine geringe Anzahl von Menschen, bei denen auch wir Ärzte vor immens großem Leid stehen. In solchen Fällen wissen wir heute: Mit einer gut durchgeführten palliativen Sedierung könnte man auch diesen Menschen einen sanften Übergang in einen natürlichen Tod ermöglichen. Man muss nicht diese schnellen ‚Exit-Strategien‘ wählen mit all den Risiken, die damit verbunden sind.

 

Es wird von der palliativmedizinischen Seite betont, dass es immer ein Hilfsangebot gebe und dass man nie Patienten allein ließe. Sind Sie auch der Meinung, dass Medizin immer ein Angebot an Sterbende machen kann, um zu helfen, oder sehen Sie da Grenzen?

Frank Ulrich Montgomery: Eines lernt man in der Medizin, nämlich nie ‚Nie‘ zu sagen. Auch wir stehen manchmal vor Fällen, gerade wenn die Interaktion von Körper und Geist sich kurz vor dem Ende des Lebens intensiviert, die man sich mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht erklären kann. Aber es gibt immer ein Hilfsangebot, zumindest da, wo es gute Palliativmedizin gibt. Allerdings haben wir in Deutschland durchaus noch Nachholbedarf. Es geht hier übrigens nicht nur um ein medizinisches Angebot, sondern auch um Seelsorge. In guten palliativmedizinischen Einrichtungen und Hospizen habe ich zum Beispiel erlebt, dass dort durch eine ganz enge Zusammenarbeit von zum Teil extrem technisch orientierten Ärzten mit psychologisch und theologisch geschulten Menschen bis hin zu Seelsorgern unterschiedlicher Religionen gelingt, bei der man gemeinsam versucht, für diese schwierige letzte Phase eines Lebens einen psychologisch und medizinisch guten Weg zu finden. Für die ganz wenigen, bei denen es dann eine palliative Sedierung geben muss, die ganz nah an eine riskante Grenze heranreicht, für diese wenigen Patienten brauchen wir keine strafrechtliche Gesetzgebung des Deutschen Bundestages. Wir sollten das wie bislang auch im Diskurs zwischen Ärzten und Patienten regeln. Ich glaube auch, dass das Problem viel kleiner ist, als es von vielen dargestellt wird.

 

Viele Menschen wissen überhaupt nicht, was Palliativmedizin ist. Was muss man tun, damit die Situation in Deutschland besser wird?

Frank Ulrich Montgomery: Wir alle müssen erstens den Willen der Patienten deutlich mehr respektieren. Der Wille des Patienten ist durch Patientenverfügungs- und Betreuungsänderungsgesetze heute mehr in den Vordergrund gerückt. Wenn ein Patient hoffnungslos ist und daher den Willen hat, keine weitere intensive, invasive Therapie zu erhalten, dann ist es unsere Aufgabe, ihn über seine Rechte aufzuklären und seinen Willen zu beachten. Wenn das geschehen ist, müssen ihm supportive, unterstützende Angebote gemacht werden. Das sind Hilfsangebote für das, was er an Schmerzen, an Ekel, an Unappetitlichem, an Versagensängsten, an psychischen Problemen hat. Oft wird nur der Schmerz thematisiert, obwohl dieser gar nicht das zentrale Problem ist. Wir müssen mit ihm auch über seinen Lebensüberdruss reden, der ja nachvollziehbar ist. Wenn wir das machen, und das ist der Sinn von Palliativmedizin und Hospizarbeit, dann findet ein Zielwandel statt, nicht mehr die Krankheit um jeden Preis besiegen zu wollen, sondern die Krankheit anzunehmen, die Unausweichlichkeit des nahenden Endes zu akzeptieren und es so zu gestalten, dass der Patient möglichst wenig darunter leidet. An diesem Punkt hadern viele Menschen mit dem medizinischen Auftrag. In einer bestimmten Phase des Lebensüberdrusses sagen die Leute einfach: Gut, Schluss, Ende! Ein vorzeitiges Lebensende, etwa durch Suizidbeihilfe, ist aber etwas, bei dem wir Ärzte nicht zur Verfügung stehen.

 

Ärzte dürfen nach dem Strafrecht, aber nicht nach dem ärztlichen Standesrecht, auch Beihilfe zum Suizid leisten. Die Musterberufsordnung und die Berufsordnungen einiger Landesärztekammern lassen eine ärztliche Suizidbeihilfe nicht zu.

Frank Ulrich Montgomery: Dies gilt bundesweit für alle Länder einheitlich! Alles andere ist ja eine Fehlinterpretation. Das kann man ganz klar sagen, wir haben zwei Passus in der Berufsordnung, die das Thema ansprechen. Der erste ist die Generalpflichtenklausel in der Präambel, Paragraf 1 Absatz 2 der Berufsordnung. Danach gilt in allen siebzehn Landesärztekammern der Grundsatz, dass es Aufgabe von Ärzten ist, Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten. Einige Landesärztekammern haben nun verlauten lassen: Wenn wir jetzt in Paragraf 16 Absatz 2 den Suizid noch ausdrücklich erwähnen, schaffen wir einen Sondertatbestand. Kritiker der Position der Ärzteschaft, wie Peter Hintze, nutzen natürlich den ersten Eindruck eines Flickenteppichs. Es wird ihnen aber nicht entgangen sein: Es sind sämtliche Präsidenten der Ärztekammern am 11. Dezember 2014 in einer gemeinsamen Pressekonferenz aufgetreten, um noch einmal zu betonen, dass die Generalpflichtenklausel in allen Berufsordnungen gleichermaßen gilt.

 

Ist das ärztliche Standesrecht an dieser Stelle strenger gefasst als das Strafrecht? Sollten die Regelungen nicht anpasst werden?

Frank Ulrich Montgomery: Das trifft nicht zu, was zum Beispiel anhand des Standesrechts der Anwälte zum Werbeverhalten oder auch bei uns Ärzten zu erkennen ist. Das Standesrecht beinhaltet sehr vieles, das weit über das normale Recht, auch das Strafrecht, hinausgeht. Zum Beispiel stehen im Standesrecht Regeln zur Reparationsmedizin, die über strafrechtliche Möglichkeiten hinausgehen, aber auch Vorschriften über das Werbeverhalten von Ärzten oder die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen werden festgehalten, und die Angelegenheit ist somit etwas völlig Normales.

 

Eine Gruppe von Abgeordneten im Bundestag will die ärztliche Suizidbeihilfe explizit im Bürgerlichen Gesetzbuch regeln. Auch in einem Gesetzentwurf, der von Professor Gian Domenico Borasio, einem Palliativmediziner, gemeinsam mit Juristen und Ethikern erarbeitet wurde, wird dies vorgeschlagen. Würde eine solche explizite Regelung nicht mehr Klarheit schaffen?

Frank Ulrich Montgomery: Wir haben doch größte Klarheit. Da herrscht Unklarheit in den Köpfen einiger Gegner. Es gibt eine ganz klare juristische Position. Es gibt auch praktisch keine Verfahren in diesem ganzen Kontext. Ich verstehe überhaupt nicht, wo die juristische Unklarheit sein sollte. Wenn ich den Gesetzesentwurf von Herrn Borasio sehe oder den Punkt 3 des Papiers von Herrn Hintze und Herrn Lauterbach, dann wird dort ganz klar gefordert, dass die Suizidbeihilfe im Rahmen ärztlicher, qualitätsgesicherter, auf dem Stande der modernen Wissenschaft sich abspielender Verfahren stattfinden soll. Das ist nichts weniger als die Hinwendung zur Euthanasie oder zur Tötung auf Verlangen. Wenn Sie sich den Borasio-Entwurf anschauen, so handelt es sich doch um ein kafkaeskes Verfahren, wo Sie mit mehreren Ärzten über mehrere Wochen immer wieder die Glaubhaftigkeit des Todeswunsches und die Dynamik der Krankheit bestimmen müssen, um nach einem schwer nachvollziehbaren, bürokratischen Verfahren dann die Genehmigung dafür zu erhalten, dass der Arzt Ihnen ein Rezept gibt und den Raum verlässt. Unter ethischen Aspekten halte ich das eher für eine Quälerei der Menschen als für ein sinnvolles Verfahren.

 

Obwohl dort Regeln, also – wenn Sie so wollen – Sorgfältigkeitskriterien, wie etwa in den Niederlanden, vorgeschlagen werden?

Frank Ulrich Montgomery: Ja, die dann aber auf jeden Fall, und damit stützen Sie ja mein Argument, in der Euthanasie enden. In den Niederlanden hat man genau unter den Aspekten eines ähnlichen Gesetzentwurfes am Ende die Euthanasie für derzeit über 4.500 Menschen im Jahr ermöglicht. Interessant ist, dass auch die Niederländer im letzten Schritt dann inkonsequent sind: Nachdem sie die Kriterien festgesetzt haben, sind sie den gleichen Schritt gegangen, den wir beim Schwangerschaftsabbruch gemacht haben, indem sie nach wie vor die Euthanasie eigentlich für rechtswidrig erklären, aber nicht für strafbar, sofern diese Kriterien eingehalten worden sind. Das sind dann ja juristische Hilfsgriffe. Man soll doch ehrlich sein und die Kinder beim Namen nennen.

 

Umfragen zeigen immer wieder, dass eine Mehrheit nicht nur die Suizidbeihilfe, sondern auch Tötung auf Verlangen befürwortet. Ärzte gelten als Fachleute, um das vorzeitige Ausscheiden aus dem Leben „professionell“ durchzuführen?

Frank Ulrich Montgomery: Wir wissen, dass siebzig Prozent der Menschen, und zwar in der Regel die, die von der Problematik noch nie näher betroffen waren, nicht den ärztlich assistierten Suizid, sondern die Tötung auf Verlangen durch einen Arzt wünschen. Interessant ist: Dazu gibt es Untersuchungen aus Holland, da ist die Zahl ganz ähnlich, dass von diesen siebzig Prozent weniger als zehn Prozent dieses Recht für sich selbst in Anspruch nehmen würden. Es ist also ein liberales Freiheitsrecht, was wir hier in der Gesellschaft haben wollen, ob wir es dann wirklich selber machen wollen, das ist eine ganz andere Frage. Ich glaube, dass dieser Wunsch sich vor allem dadurch entwickelt, dass wir viel zu wenig über den Tod, die völlig natürliche Vollendung des Lebens reden. Auch sind die Möglichkeiten der Palliativmedizin, von Hospizen und Sterben zu Hause mit ambulanter palliativmedizinischer Versorgung den Menschen viel zu wenig nahegebracht worden. Diese ganzen Themen sind tabuisiert. Deswegen möchten viele für sich einen schnellen Ausweg nehmen und denken nicht über die Alternativen nach. Ich kann das verstehen, die Menschen wollen natürlich – wenn sie zu diesem Entschluss gekommen sind – einen möglichst sauberen, klinisch qualitätsgesicherten, völlig schmerzfreien und in schöner Umgebung stattfindenden, schnellen Tötungsakt haben. Das kann ich nachvollziehen. Für uns als Ärzte hätte das im Umkehrschluss, unserer Berufsordnung folgend, die uns ja Qualitätskriterien der Berufsausübung auferlegt, die Konsequenz, dass wir nicht nur Weiterbildungen zu diesem Thema anbieten müssten, wir müssten Richtlinien erstellen, wie das denn zu machen sei und mit welchen Medikamenten. Das wäre ähnlich horrormäßig, wie die Richtlinien der Amerikaner bei der Vergabe der Tötungsspritze bei Hinrichtungen. Wir müssten uns dann außerdem über die Qualitätssicherung dieser Verfahren unterhalten und – horribile dictu – ich müsste mich dann damit auseinandersetzen, welche Gebührenordnung dafür anzulegen ist! Das alles ist den Menschen nicht klar. Aber das sind die logischen Konsequenzen, wenn sie es zu einer normalen ärztlichen Tätigkeit erheben, Patienten vom Diesseits ins Jenseits zu befördern.

 

Wenn ein Arzt sich in einer individuellen Notsituation nach reiflicher Überlegung dafür entscheidet, einem Patienten beim Suizid zu helfen, würde es die Bundesärztekammer wahrscheinlich akzeptieren?

Frank Ulrich Montgomery: Als Bundesärztekammer sind wir ja nur ein Richtliniengeber. Wir hätten keinerlei Kompetenz, mit dem individuellen Arzt über diesen Fall überhaupt zu reden. Das wäre eine Sache der Landesärztekammern. Wenn bei mir in Hamburg, in der Hamburger Landesärztekammer, ein Arzt sagen würde: Ich stelle dem Patienten jetzt das tödliche Mittel hin oder aber ich bringe ihn um, und damit ein Zielwandel in dem Therapiekonzept zwischen Patient und Arzt stattfände und das würde der Ärztekammer bekannt, würde sie gegen diesen Arzt ein Berufsrechtsverfahren einleiten. Das Entscheidende ist, solange der Arzt belegen kann, dass sein Ziel bei der Behandlung immer nur die Vermeidung von Schmerzen, die Vermeidung von Übelkeit ist, um das Leben, zu dem das Sterben als natürlicher Teil gehört, erträglicher zu machen – solange das klar ist, dass das sein Ziel ist, wird er vor keinem Berufsgericht der Bundesrepublik irgendein Problem bekommen. Erst in der Sekunde, in der der Arzt selber sein Handeln mit einer Tötungsabsicht definiert, bekommt er ein berufsrechtliches Problem. Interessanterweise hat es in der Bundesrepublik nahezu kein Verfahren gegeben, es fand nur ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht statt, hier in Berlin, gegen Uwe-Christian Arnold. Da ging es um die Frage, ihm prospektiv überhaupt diese Handlungen verbieten zu wollen. Das Verwaltungsgericht hat gesagt, man kann nicht auf der Ebene des Berufsgerichtes prospektive Taten pauschal verurteilen, und hat deswegen dieses Verfahren gestoppt. Aber ein berufsrechtliches, retrospektives Verfahren ist mir aus vierzig Jahren nicht bekannt.

 

Uwe-Christian Arnold ist ein Beispiel dafür, Julius Hackethal ebenso.

Frank Ulrich Montgomery: Das ist vor vierzig Jahren passiert. Das ging damals bis zur Androhung des Entzugs der Approbation. Da sieht man auch, wie konsequent das von den Ärztekammern verfolgt wird, wenn es nachvollziehbar ist. Uwe-Christian Arnold hat sich bisher immer den Verfahren entzogen, weil wir die Patienten nicht kennen. Er sagt, dass er ganz viel macht, ich glaube ihm das auch, aber wir wissen nicht, bei wem, und wir müssten den individuellen Fall nachweisen.

 

Wie würde sich denn das Arzt-Patienten-Verhältnis ändern, wenn die ärztliche Suizidbeihilfe möglich wäre? Würde es sich vielleicht nicht sogar verbessern, wenn Patienten wüssten, dass sie von ihrem Arzt, dem sie vertrauen, bis zum Ende begleitet werden?

Frank Ulrich Montgomery: Aber bis zum Ende sollen sie ja begleitet werden. Ich finde tatsächlich, dass es die Aufgabe eines in diesem Bereich betreuenden Arztes ist – denn er genießt ja das besondere Vertrauensverhältnis zum Patienten –, zu versichern, dass er seinen Patienten bis zum Ende begleiten wird. Aber das Ende heißt nicht, irgendwann die Giftspritze zu verabreichen, praktisch als ‚letzte Hilfe‘ im Kontrast zur ‚Ersten Hilfe‘. Das Ende heißt in dem Fall, dass man gemeinsam diesen letzten Weg in Würde und unter Vermeidung aller Schmerzen und begleitet von einer modernen und guten Palliativmedizin weitergeht. Ich sehe überhaupt keinen Anlass dafür, dass ein Arzt nicht seinen Patienten sein Leben in Würde und Anstand zu Ende leben lassen sollte.


Frank Ulrich Montgomery, geboren 1952 in Hamburg, seit 2011 Präsident der Bundesärztekammer, Ehrenvorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund.

Das Gespräch führten Norbert Arnold und Bernd Löhmann am 11. März 2015.

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