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Interview: "Nicht aus Jux und Tollerei"

Alois Gerig, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Ernährung und Landwirtschaft, über die Bauernproteste und die Zukunft der Landwirtschaft

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Herr Abgeordneter Gerig, Sie sind von Beruf Landwirt, haben aber noch nie einen Trecker zur Anreise nach Berlin benutzt. Wie weit geht Ihr Verständnis für die Kolleginnen und Kollegen, die bereits mehrmals mit Traktoren die Hauptstadt lahmgelegt haben?

 

Alois Gerig: Hätte ich es zeitlich einrichten können, wäre ich vielleicht auch mit dem Trecker nach Berlin gefahren. Die Bauern haben ihre teuren Maschinen nicht aus Jux und Tollerei in die Hauptstadt chauffiert, sondern aus angestautem Frust. Nicht allein, dass zwei trockene Jahre hinter ihnen liegen – mit teils großen Ertragseinbußen. Vor allem geht es um fehlende Wertschätzung, weil wir in Politik und Gesellschaft viel zu wenig über die Leistungen der Bäuerinnen und Bauern sprechen – dass sie beispielsweise die weltweit besten Lebensmittel produzieren und darüber hinaus noch die Kulturlandschaft pflegen. Weil die Regale bei uns wie selbstverständlich gut gefüllt und Lebensmittel günstig sind, fokussiert sich die Debatte darauf, was Landwirte im Klima- und Umweltschutz alles nicht tun. Dabei sind die Vorwürfe häufig wenig differenziert.

 

Der Stein des Anstoßes für die Demonstrationen war das Agrarpaket der Bundesregierung …

 

Alois Gerig: Das Agrarpaket war nicht schuldlos daran, dass die Proteste in Gang gekommen sind. Dabei haben die Landwirte den ersten Teil des Pakets, der die Umschichtung von EU-Fördermitteln vorsieht, gar nicht so negativ aufgenommen – schließlich kommt der Großteil der umgeschichteten Mittel weiterhin der Landwirtschaft zugute. Auch der zweite Teil sorgt für keine großen Kontroversen: Das Tierwohl-Label gibt Verbrauchern die Chance, bewusster zu konsumieren – indem sie sich informieren können, wo und zu welchen Bedingungen ein Tier gehalten worden ist. Landwirte können so Fleisch aus besserer Tierhaltung zu höheren Preisen vermarkten.

Das Aktionsprogramm „Insektenschutz“ ist der dritte und eigentlich umstrittene Teil. Dabei handelt es sich um eine Absichtserklärung der Bundesregierung, und es bleibt abzuwarten, welche Schwerpunkte das Parlament setzt. Befeuert durch die Volksbegehren in Bayern und Baden-Württemberg, entstand leider der falsche Eindruck, dass die Landwirtschaft allein für den Rückgang des Insektenbestands verantwortlich sei. Doch sind die Gründe dafür vielfältig. Die beiden zurückliegenden Trockenjahre, der nach wie vor zu hohe Flächenverbrauch, die zunehmende Lichtverschmutzung und der Rückgang an Blühpflanzen in Privatgärten wirken sich negativ auf die Insektenpopulationen aus. Zweifellos trägt die Landwirtschaft eine Mitverantwortung. Richtig ist aber auch, dass die Landwirtschaft durch Kulturpflanzen und Blühstreifen auch Lebensräume für Insekten sichert. Ihr Schutz liegt im Interesse der Landwirtschaft, schließlich sind Insekten für die Bestäubung unverzichtbar – beispielsweise im Raps- oder Obstanbau.

 

Wieso verteidigen viele Bauern Glyphosat, wenn das doch eigentlich die Industrie selbst machen könnte?

 

Alois Gerig: Es mag sein, dass sich die Industrie bisweilen kommunikativ geschickter verhält als die Bauern. Aber der Industrie würde es noch weit mehr verübelt, da ihre Vertreter ohnehin als „böse Lobbyisten“ geschmäht werden. Auch wenn in Deutschland vergleichsweise geringe Mengen eingesetzt werden, will die Bundesregierung mit einer Minderungsstrategie die Anwendung von Glyphosat weiter einschränken und ab 2023 beenden. Dabei bietet die Anwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel durchaus ökologische Vorteile: Der Wirkstoff ermöglicht eine „nicht wendende Bodenbearbeitung“, das heißt, Landwirte verzichten auf den Pflug, das Bodenleben wird aktiviert und Erosion vermieden. Ohne Glyphosat wird wieder eine intensivere Bodenbearbeitung erforderlich. Dadurch steigt zum Beispiel der Kraftstoffverbrauch, was nicht im Sinne des Klimaschutzes ist.

 

In den USA gibt es Millionenklagen vor Gericht, in denen es darum geht, ob Glyphosat krebserregend ist.

 

Alois Gerig: Vor einigen Jahren sorgte die Internationale Agentur für Krebsforschung – eine Tochter der Weltgesundheitsorganisation – für Wirbel: Sie hatte behauptet, Glyphosat sei wahrscheinlich krebserregend. In der Aufregung ging leider unter, dass die Gefährdung sehr gering ist – das Risiko ist ähnlich einzustufen wie der Verzehr von rotem Fleisch oder die Ausübung des Friseurberufs. Das Bundesinstitut für Risikobewertung und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit haben übereinstimmend festgestellt, dass bei sachgemäßer Anwendung keine Gesundheitsrisiken von Glyphosat ausgehen.

 

Bei der Nitratbelastung des Grundwassers sieht sich die Bundesregierung aufgrund der Drohung horrender Strafzahlungen aus Brüssel zu neuen Auflagen gezwungen. Warum fehlt manchen Ihrer Berufskollegen dafür die Einsicht?

 

Alois Gerig: Tierhaltung sorgt für Wertschöpfung und sichert die Existenz vieler Betriebe. In der Vergangenheit haben manche Bundesländer allzu großzügig Baugenehmigungen für Ställe und Biogasanlagen erteilt. So fällt in einigen Regionen zu viel Gülle an, die eigentlich wertvoller Dünger ist. Für Frust unter den Berufskollegen sorgt, dass die Novellierung der Düngeverordnung 2017 erhebliche Auflagen mit sich brachte – zum Beispiel hinsichtlich Ausbringung, Sperrzeiten und Lagerung – und nun weitere Verschärfungen anstehen. Diese sind aber notwendig, um die drohenden Strafzahlungen an die EU abzuwenden und das Grundwasser besser vor Nitrat zu schützen. Da Wasser den Boden nur langsam durchdringt, werden beschlossene Maßnahmen erst nach Jahren wirksam. Die Grundwasserqualität in Deutschland ist nicht generell schlecht – es gibt aber nach wie vor sogenannte rote Gebiete, in denen die Nitratwerte zu hoch sind. Auch wenn die Verärgerung im Berufsstand groß ist, gilt es jetzt, nach vorn zu schauen und die Probleme anzupacken. Im Bundeshaushalt werden siebzig Millionen Euro bereitgestellt, um Landwirten zu helfen, die neuen Anforderungen zu erfüllen. Als gutes Beispiel kann Baden-Württemberg dienen: Dem damaligen Landwirtschaftsminister Gerhard Weiser ist es schon vor Jahrzehnten gelungen, eine grundwasserschonende Düngung zu fördern und die Nitratbelastung zurückzuführen.

 

Die Politik müsse den Umweltschützern ebenso helfen wie den Bauern. Ähnlich hat es kürzlich Markus Söder formuliert. Aber gerät sie nicht allzu oft zwischen die Stühle?

 

Alois Gerig: Gute Politik sorgt dafür, dass durch einen fairen Interessenausgleich nachhaltige Lösungen zustande kommen. Diesem Ziel sehen sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und die CDU/CSU verpflichtet. Der Agrargipfel bei Bundeskanzlerin Angela Merkel am 2. Dezember 2019 war ein guter Auftakt zum Dialog, der hoffentlich Landwirtschaft und Gesellschaft wieder näher zusammenbringt und zur Befriedung von Konflikten beiträgt. Auf diesem Weg müssen wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern reinen Wein einschenken: Hochwertige heimische Lebensmittel, mehr Tierwohl in den Ställen und eine vielfältige Kulturlandschaft gibt es nicht dauerhaft zum Schnäppchenpreis. Man muss auch bereit sein, die von der Landwirtschaft geforderten Leistungen an der Ladentheke zu vergüten. Jeder kann mit seinem Kaufverhalten dazu beitragen, dass die Lebensmittelproduktion zu höchsten Qualitätsstandards im Land bleibt.

 

Wie bewerten Sie den Vorwurf, dass sich die Politik aktuell einseitig von Klima- und Umweltschützern treiben lasse?

 

Alois Gerig: Den Vorwurf verstehe ich sehr gut. Als Agrarpolitiker und Landwirt habe ich auch das Gefühl, ständig in der Defensive zu sein. Ein Grund dafür ist, dass in unserer Gesellschaft angesichts voller Supermarktregale der Wert der Landwirtschaft zunehmend nicht mehr gesehen wird. Wenn es bei uns wegen Kälte und Nässe keine Erdbeeren gibt, kommen sie halt aus Spanien und der Verbraucher merkt fast nichts davon. Hinzu kommt, dass es Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sehr gut verstehen, die Landwirtschaft mit professionellen Kampagnen immer wieder an den Pranger zu stellen – sei es beim Thema Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz oder Tierwohl. Die Medien greifen die Kampagnen gern auf, schließlich sorgen lebensnahe und emotionale Themen wie Lebensmittel oder Tiere für Auflage und Einschaltquote. Leider verfestigt sich so ein Negativ-Image, das die Landwirtschaft nicht verdient hat.

Angesichts dieser Stimmungslage darf die Politik den Blick für die richtigen Prioritäten nicht verlieren: Wir müssen unsere bäuerlich geprägte Landwirtschaft erhalten, denn sie ist für die Produktion hochwertiger Lebensmittel und als wichtiger Wirtschaftsfaktor in ländlichen Räumen unverzichtbar. Auch die Branche selbst ist gefordert – sie muss die moderne Landwirtschaft besser erklären und offen für Veränderungen sein. Unsere Landwirte produzieren die besten Lebensmittel der Welt – gleichwohl können sie bei Klimaschutz, Biodiversität und Tierwohl sicher noch besser werden.

 

Andere haben angesichts von rund sechs Milliarden Euro EU-Subventionen jährlich den Eindruck, dass den Bauern übermäßig viel politische Unterstützung zuteil wird.

 

Alois Gerig: Das sehe ich nicht so. Die Direktzahlungen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU sind ein Ausgleich dafür, dass die europäischen Bauern in puncto Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz hohe Standards einhalten müssen – sie haben dadurch höhere Kosten als die Wettbewerber auf dem Weltmarkt. Zudem werden mit den Direktzahlungen Leistungen honoriert, die am Markt nicht vergütet werden. Zu diesen Leistungen gehört die Pflege der Kulturlandschaft, die ländliche Räume lebenswert macht und auch dem Tourismus zugutekommt.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass durch die Direktzahlungen nicht der Reichtum auf den Höfen ausbricht: Im Regelfall machen die Direktzahlungen rund die Hälfte des Unternehmensgewinns aus. Die Einkommen der Bäuerinnen und Bauern liegen im Durchschnitt weit unter dem gewerblichen Vergleichslohn. Höhere Preise durchzusetzen, ist kaum möglich, denn in der Produktionskette für Lebensmittel sind die kleinen und mittelständischen Betriebe in einer deutlich schwächeren Marktposition als die Lebensmittelindustrie und der Lebensmitteleinzelhandel. Hofaufgaben sorgen für einen Strukturwandel, auch weil junge Menschen nicht bereit sind, unter den aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen den elterlichen Hof weiterzuführen.

Sehr befremdlich finde ich, dass NGOs und große Lebensmitteleinzelhändler durch erheblichen Landerwerb auch Anspruch auf Direktzahlungen haben. Sie erhalten also Geld, das eigentlich für Landwirte bestimmt ist.

 

Es hört sich an, als plädierten Sie für noch mehr Fördermittel?

 

Alois Gerig: Im Koalitionsvertrag wird das Ziel formuliert, die EU-Agrarförderung auf dem jetzigen Niveau fortzuführen. Das halte ich für richtig, denn die Betriebe sind auf die Einkommens- und Risikoabsicherung angewiesen. Diese ist erforderlich, weil Preisschwankungen auf den Märkten und Witterungsrisiken infolge des Klimawandels erheblich zunehmen. Bei der nun anstehenden Reform der EU-Agrarpolitik ist aus meiner Sicht wichtig, die Förderung stärker an Leistungen beim Umwelt- und Klimaschutz zu koppeln und kleinere Betriebe besser zu unterstützen.

 

Wie kommt es, dass die Bauernverbände die miese Stimmung nicht kanalisieren konnten?

 

Alois Gerig: Die Bauernverbände haben die Protestbewegung zuerst etwas skeptisch beäugt, dann aber schnell erkannt, dass man mitgehen muss. So wurde in vielen Kreisbauernverbänden zur Sternfahrt nach Berlin aufgerufen. Die Protestbewegung hat erreicht, dass in Politik und Gesellschaft mit neuem Schwung über landwirtschaftliche Themen diskutiert wird. Sie gab einen wichtigen Anstoß, um die Leistungen der Bauern wieder in den Vordergrund zu rücken. Mich hat sehr beeindruckt, wie überwiegend junge Bäuerinnen und Bauern die Proteste organisiert haben. Ich hoffe, dass radikale Kräfte nicht die Oberhand gewinnen und die Dialogfähigkeit nach innen und außen erhalten bleibt.

 

Ein Journalist der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ will bei der Protestkundgebung in Berlin bemerkt haben, „wie fremd, ja fast schon verfeindet Politik und Landwirtschaft mittlerweile sind“.

 

Alois Gerig: In meiner Wahrnehmung ist die Protestkundgebung fair und friedlich verlaufen – daran können sich andere Demonstrationen in Berlin ein Beispiel nehmen. Im Übrigen sehe ich nicht, dass Politik und landwirtschaftlicher Berufsstand verfeindet sind. Die Proteste bringen vielmehr zum Ausdruck, dass den Landwirten der Kragen geplatzt ist: Die Politik sorgt für immer mehr Auflagen. NGOs, Grüne und Medien stellen Bauern als Umweltsünder und Tierquäler an den Pranger. Und der Lebensmitteleinzelhandel drückt die Preise und verramscht hochwertige Produkte. Im angesprochenen Dialogprozess geht es nicht nur um tragfähige Lösungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft, sondern auch um mehr Respekt. Die Politik steht vor der schwierigen Aufgabe, notwendige Veränderungen durchzusetzen, Bäuerinnen und Bauern bei Veränderungen zu unterstützen und sie auch ein Stück weit in Schutz zu nehmen.

 

„Wir Christdemokraten stehen an der Seite der Landwirte!“, hat Julia Klöckner den protestierenden Bauern zugerufen. Worauf gründet diese Nähe und was macht sie parteipolitisch sinnvoll, wenn die politischen Mehrheiten aktuell eher bei Großstädtern und ihrer Sicht auf Klima. und Umweltschutz zu liegen scheinen?

 

Alois Gerig: Als christliche Partei verbindet uns traditionell und ideell sehr viel mit der Landwirtschaft. Es geht nicht nur um „unser tägliches Brot“; Bäuerinnen und Bauern bewahren die Schöpfung. Auch der christliche Glaube, der in vielen Bauernfamilien gelebt wird, sorgt dafür, dass sich Landwirtschaft und Christdemokraten nahestehen. Unser Einsatz für eine leistungsfähige und nachhaltige Landwirtschaft hat nicht nur zum Ziel, bäuerlichen Familienbetrieben und ländlichen Räumen eine Zukunftsperspektive zu geben. Es ist ethisch geboten, dass Deutschland mit seinen hervorragenden naturräumlichen Gegebenheiten Landwirtschaft betreibt und so einen Beitrag zur Welternährung leistet.

Aus meiner Sicht wäre es ein Irrweg, politische Mehrheiten ausschließlich in Großstädten zu suchen. Als Volkspartei der Mitte müssen wir ein glaubwürdiges Angebot für die Menschen in Stadt und Land machen. Keinesfalls dürfen wir die Spaltung vertiefen. Diese ist beispielsweise daran ablesbar, dass in ländlichen Regionen die Versorgung mit Mobilfunk und schnellem Internet deutlich schlechter ist. Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse muss ein Markenzeichen unserer Politik sein und bleiben. Ich bin überzeugt, wir können Win-win-Situationen für Stadt und Land schaffen. Wenn die Menschen gut und gern auf dem Land leben können, wird der angespannte Wohnungsmarkt in den Großstädten entlastet.

 

Was macht Landwirte aktuell in Abgrenzung von anderen Parteien zur Stammklientel der Union?

 

Alois Gerig: Spätestens nach den diffamierenden „Bauernregeln“ der damaligen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks ist die SPD für die Landwirte ein rotes Tuch. Die FDP versucht, sich als Interessenvertreter der Landwirte aufzuspielen, und ist dabei wenig glaubwürdig: Ginge es nach der FDP, müssten die Beiträge zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung erheblich steigen. Bei der AfD sehe ich kein klares Konzept – vielmehr versuchen die Rechtspopulisten, mit diffuser Stimmungsmache aus der aktuellen Unzufriedenheit Honig zu saugen.

Die Grünen haben ebenso wie die NGOs keine Scheu, Kampagnen auf dem Rücken der Landwirte auszutragen. Kritisch sehe ich zudem, dass die grüne Großstadtpartei die Landwirtschaft in eine gute ökologische und eine böse konventionelle einteilt. Der Öko-Landbau hat zweifellos seine Berechtigung – er bietet vielen Betrieben eine Existenzgrundlage und wird zu Recht gefördert. Inzwischen werden aber mehr Bio-Milch und Bio-Äpfel produziert, als auf dem Markt nachgefragt werden. Hinzu kommt, dass der Bio-Landbau aufgrund seiner geringeren Produktivität keine Hilfe ist, den weltweit steigenden Bedarf nach Lebensmitteln zu decken.

Vor diesem Hintergrund bin ich überzeugt, dass es für eine nachhaltige, wettbewerbsfähige und gesellschaftlich akzeptierte Landwirtschaft in Deutschland entscheidend auf die Union ankommt. Ich bin zuversichtlich, dass wir dafür die Zustimmung der Landwirte erhalten können. CDU und CSU stehen für Werte, die Landwirte teilen – insbesondere Nachhaltigkeit, Eigentumsgarantie und unternehmerische Freiheit. Unsere praktische Politik muss dem aber auch gerecht werden! Dafür brauchen wir keine neuen Verbote, sondern tragfähige Lösungen – insbesondere beim Tierwohl, bei Insektenschutz, Düngung und der Reform der EU-Agrarpolitik. Die Umsetzung der EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken müssen wir nutzen, um die Marktstellung der Landwirtschaft gegenüber dem Handel zu stärken. Darüber hinaus gilt es, Chancen beherzt zu ergreifen – beispielsweise bei der Digitalisierung, den neuen Züchtungstechnologien sowie der Vermarktung regionaler Lebensmittel.

 

Alois Gerig, geboren 1956 in Höpfingen, Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft.

 

 

 

Das Gespräch führte Bernd Löhmann am 18. Dezember 2019.

Herr Abgeordneter Gerig, Sie sind von Beruf Landwirt, haben aber noch nie einen Trecker zur Anreise nach Berlin benutzt. Wie weit geht Ihr Verständnis für die Kolleginnen und Kollegen, die bereits mehrmals mit Traktoren die Hauptstadt lahmgelegt haben?

 

Alois Gerig: Hätte ich es zeitlich einrichten können, wäre ich vielleicht auch mit dem Trecker nach Berlin gefahren. Die Bauern haben ihre teuren Maschinen nicht aus Jux und Tollerei in die Hauptstadt chauffiert, sondern aus angestautem Frust. Nicht allein, dass zwei trockene Jahre hinter ihnen liegen – mit teils großen Ertragseinbußen. Vor allem geht es um fehlende Wertschätzung, weil wir in Politik und Gesellschaft viel zu wenig über die Leistungen der Bäuerinnen und Bauern sprechen – dass sie beispielsweise die weltweit besten Lebensmittel produzieren und darüber hinaus noch die Kulturlandschaft pflegen. Weil die Regale bei uns wie selbstverständlich gut gefüllt und Lebensmittel günstig sind, fokussiert sich die Debatte darauf, was Landwirte im Klima- und Umweltschutz alles nicht tun. Dabei sind die Vorwürfe häufig wenig differenziert.

 

Der Stein des Anstoßes für die Demonstrationen war das Agrarpaket der Bundesregierung …

 

Alois Gerig: Das Agrarpaket war nicht schuldlos daran, dass die Proteste in Gang gekommen sind. Dabei haben die Landwirte den ersten Teil des Pakets, der die Umschichtung von EU-Fördermitteln vorsieht, gar nicht so negativ aufgenommen – schließlich kommt der Großteil der umgeschichteten Mittel weiterhin der Landwirtschaft zugute. Auch der zweite Teil sorgt für keine großen Kontroversen: Das Tierwohl-Label gibt Verbrauchern die Chance, bewusster zu konsumieren – indem sie sich informieren können, wo und zu welchen Bedingungen ein Tier gehalten worden ist. Landwirte können so Fleisch aus besserer Tierhaltung zu höheren Preisen vermarkten.

 

Das Aktionsprogramm „Insektenschutz“ ist der dritte und eigentlich umstrittene Teil. Dabei handelt es sich um eine Absichtserklärung der Bundesregierung, und es bleibt abzuwarten, welche Schwerpunkte das Parlament setzt. Befeuert durch die Volksbegehren in Bayern und Baden-Württemberg, entstand leider der falsche Eindruck, dass die Landwirtschaft allein für den Rückgang des Insektenbestands verantwortlich sei. Doch sind die Gründe dafür vielfältig. Die beiden zurückliegenden Trockenjahre, der nach wie vor zu hohe Flächenverbrauch, die zunehmende Lichtverschmutzung und der Rückgang an Blühpflanzen in Privatgärten wirken sich negativ auf die Insektenpopulationen aus. Zweifellos trägt die Landwirtschaft eine Mitverantwortung. Richtig ist aber auch, dass die Landwirtschaft durch Kulturpflanzen und Blühstreifen auch Lebensräume für Insekten sichert. Ihr Schutz liegt im Interesse der Landwirtschaft, schließlich sind Insekten für die Bestäubung unverzichtbar – beispielsweise im Raps- oder Obstanbau.

 

Wieso verteidigen viele Bauern Glyphosat, wenn das doch eigentlich die Industrie selbst machen könnte?

 

Alois Gerig: Es mag sein, dass sich die Industrie bisweilen kommunikativ geschickter verhält als die Bauern. Aber der Industrie würde es noch weit mehr verübelt, da ihre Vertreter ohnehin als „böse Lobbyisten“ geschmäht werden. Auch wenn in Deutschland vergleichsweise geringe Mengen eingesetzt werden, will die Bundesregierung mit einer Minderungsstrategie die Anwendung von Glyphosat weiter einschränken und ab 2023 beenden. Dabei bietet die Anwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel durchaus ökologische Vorteile: Der Wirkstoff ermöglicht eine „nicht wendende Bodenbearbeitung“, das heißt, Landwirte verzichten auf den Pflug, das Bodenleben wird aktiviert und Erosion vermieden. Ohne Glyphosat wird wieder eine intensivere Bodenbearbeitung erforderlich. Dadurch steigt zum Beispiel der Kraftstoffverbrauch, was nicht im Sinne des Klimaschutzes ist.

 

In den USA gibt es Millionenklagen vor Gericht, in denen es darum geht, ob Glyphosat krebserregend ist.

 

Alois Gerig: Vor einigen Jahren sorgte die Internationale Agentur für Krebsforschung – eine Tochter der Weltgesundheitsorganisation – für Wirbel: Sie hatte behauptet, Glyphosat sei wahrscheinlich krebserregend. In der Aufregung ging leider unter, dass die Gefährdung sehr gering ist – das Risiko ist ähnlich einzustufen wie der Verzehr von rotem Fleisch oder die Ausübung des Friseurberufs. Das Bundesinstitut für Risikobewertung und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit haben übereinstimmend festgestellt, dass bei sachgemäßer Anwendung keine Gesundheitsrisiken von Glyphosat ausgehen.

 

Bei der Nitratbelastung des Grundwassers sieht sich die Bundesregierung aufgrund der Drohung horrender Strafzahlungen aus Brüssel zu neuen Auflagen gezwungen. Warum fehlt manchen Ihrer Berufskollegen dafür die Einsicht?

 

Alois Gerig: Tierhaltung sorgt für Wertschöpfung und sichert die Existenz vieler Betriebe. In der Vergangenheit haben manche Bundesländer allzu großzügig Baugenehmigungen für Ställe und Biogasanlagen erteilt. So fällt in einigen Regionen zu viel Gülle an, die eigentlich wertvoller Dünger ist. Für Frust unter den Berufskollegen sorgt, dass die Novellierung der Düngeverordnung 2017 erhebliche Auflagen mit sich brachte – zum Beispiel hinsichtlich Ausbringung, Sperrzeiten und Lagerung – und nun weitere Verschärfungen anstehen. Diese sind aber notwendig, um die drohenden Strafzahlungen an die EU abzuwenden und das Grundwasser besser vor Nitrat zu schützen. Da Wasser den Boden nur langsam durchdringt, werden beschlossene Maßnahmen erst nach Jahren wirksam. Die Grundwasserqualität in Deutschland ist nicht generell schlecht – es gibt aber nach wie vor sogenannte rote Gebiete, in denen die Nitratwerte zu hoch sind. Auch wenn die Verärgerung im Berufsstand groß ist, gilt es jetzt, nach vorn zu schauen und die Probleme anzupacken. Im Bundeshaushalt werden siebzig Millionen Euro bereitgestellt, um Landwirten zu helfen, die neuen Anforderungen zu erfüllen. Als gutes Beispiel kann Baden-Württemberg dienen: Dem damaligen Landwirtschaftsminister Gerhard Weiser ist es schon vor Jahrzehnten gelungen, eine grundwasserschonende Düngung zu fördern und die Nitratbelastung zurückzuführen.

 

Die Politik müsse den Umweltschützern ebenso helfen wie den Bauern. Ähnlich hat es kürzlich Markus Söder formuliert. Aber gerät sie nicht allzu oft zwischen die Stühle?

 

Alois Gerig: Gute Politik sorgt dafür, dass durch einen fairen Interessenausgleich nachhaltige Lösungen zustande kommen. Diesem Ziel sehen sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und die CDU/CSU verpflichtet. Der Agrargipfel bei Bundeskanzlerin Angela Merkel am 2. Dezember 2019 war ein guter Auftakt zum Dialog, der hoffentlich Landwirtschaft und Gesellschaft wieder näher zusammenbringt und zur Befriedung von Konflikten beiträgt. Auf diesem Weg müssen wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern reinen Wein einschenken: Hochwertige heimische Lebensmittel, mehr Tierwohl in den Ställen und eine vielfältige Kulturlandschaft gibt es nicht dauerhaft zum Schnäppchenpreis. Man muss auch bereit sein, die von der Landwirtschaft geforderten Leistungen an der Ladentheke zu vergüten. Jeder kann mit seinem Kaufverhalten dazu beitragen, dass die Lebensmittelproduktion zu höchsten Qualitätsstandards im Land bleibt.

 

Wie bewerten Sie den Vorwurf, dass sich die Politik aktuell einseitig von Klima- und Umweltschützern treiben lasse?

 

Alois Gerig: Den Vorwurf verstehe ich sehr gut. Als Agrarpolitiker und Landwirt habe ich auch das Gefühl, ständig in der Defensive zu sein. Ein Grund dafür ist, dass in unserer Gesellschaft angesichts voller Supermarktregale der Wert der Landwirtschaft zunehmend nicht mehr gesehen wird. Wenn es bei uns wegen Kälte und Nässe keine Erdbeeren gibt, kommen sie halt aus Spanien und der Verbraucher merkt fast nichts davon. Hinzu kommt, dass es Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sehr gut verstehen, die Landwirtschaft mit professionellen Kampagnen immer wieder an den Pranger zu stellen – sei es beim Thema Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz oder Tierwohl. Die Medien greifen die Kampagnen gern auf, schließlich sorgen lebensnahe und emotionale Themen wie Lebensmittel oder Tiere für Auflage und Einschaltquote. Leider verfestigt sich so ein Negativ-Image, das die Landwirtschaft nicht verdient hat.

 

Angesichts dieser Stimmungslage darf die Politik den Blick für die richtigen Prioritäten nicht verlieren: Wir müssen unsere bäuerlich geprägte Landwirtschaft erhalten, denn sie ist für die Produktion hochwertiger Lebensmittel und als wichtiger Wirtschaftsfaktor in ländlichen Räumen unverzichtbar. Auch die Branche selbst ist gefordert – sie muss die moderne Landwirtschaft besser erklären und offen für Veränderungen sein. Unsere Landwirte produzieren die besten Lebensmittel der Welt – gleichwohl können sie bei Klimaschutz, Biodiversität und Tierwohl sicher noch besser werden.

 

Andere haben angesichts von rund sechs Milliarden Euro EU-Subventionen jährlich den Eindruck, dass den Bauern übermäßig viel politische Unterstützung zuteil wird.

 

Alois Gerig: Das sehe ich nicht so. Die Direktzahlungen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU sind ein Ausgleich dafür, dass die europäischen Bauern in puncto Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz hohe Standards einhalten müssen – sie haben dadurch höhere Kosten als die Wettbewerber auf dem Weltmarkt. Zudem werden mit den Direktzahlungen Leistungen honoriert, die am Markt nicht vergütet werden. Zu diesen Leistungen gehört die Pflege der Kulturlandschaft, die ländliche Räume lebenswert macht und auch dem Tourismus zugutekommt.

 

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass durch die Direktzahlungen nicht der Reichtum auf den Höfen ausbricht: Im Regelfall machen die Direktzahlungen rund die Hälfte des Unternehmensgewinns aus. Die Einkommen der Bäuerinnen und Bauern liegen im Durchschnitt weit unter dem gewerblichen Vergleichslohn. Höhere Preise durchzusetzen, ist kaum möglich, denn in der Produktionskette für Lebensmittel sind die kleinen und mittelständischen Betriebe in einer deutlich schwächeren Marktposition als die Lebensmittelindustrie und der Lebensmitteleinzelhandel. Hofaufgaben sorgen für einen Strukturwandel, auch weil junge Menschen nicht bereit sind, unter den aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen den elterlichen Hof weiterzuführen.

 

Sehr befremdlich finde ich, dass NGOs und große Lebensmitteleinzelhändler durch erheblichen Landerwerb auch Anspruch auf Direktzahlungen haben. Sie erhalten also Geld, das eigentlich für Landwirte bestimmt ist.

 

Es hört sich an, als plädierten Sie für noch mehr Fördermittel?

 

Alois Gerig: Im Koalitionsvertrag wird das Ziel formuliert, die EU-Agrarförderung auf dem jetzigen Niveau fortzuführen. Das halte ich für richtig, denn die Betriebe sind auf die Einkommens- und Risikoabsicherung angewiesen. Diese ist erforderlich, weil Preisschwankungen auf den Märkten und Witterungsrisiken infolge des Klimawandels erheblich zunehmen. Bei der nun anstehenden Reform der EU-Agrarpolitik ist aus meiner Sicht wichtig, die Förderung stärker an Leistungen beim Umwelt- und Klimaschutz zu koppeln und kleinere Betriebe besser zu unterstützen.

 

Wie kommt es, dass die Bauernverbände die miese Stimmung nicht kanalisieren konnten?

 

Alois Gerig: Die Bauernverbände haben die Protestbewegung zuerst etwas skeptisch beäugt, dann aber schnell erkannt, dass man mitgehen muss. So wurde in vielen Kreisbauernverbänden zur Sternfahrt nach Berlin aufgerufen. Die Protestbewegung hat erreicht, dass in Politik und Gesellschaft mit neuem Schwung über landwirtschaftliche Themen diskutiert wird. Sie gab einen wichtigen Anstoß, um die Leistungen der Bauern wieder in den Vordergrund zu rücken. Mich hat sehr beeindruckt, wie überwiegend junge Bäuerinnen und Bauern die Proteste organisiert haben. Ich hoffe, dass radikale Kräfte nicht die Oberhand gewinnen und die Dialogfähigkeit nach innen und außen erhalten bleibt.

 

Ein Journalist der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ will bei der Protestkundgebung in Berlin bemerkt haben, „wie fremd, ja fast schon verfeindet Politik und Landwirtschaft mittlerweile sind“.

 

Alois Gerig: In meiner Wahrnehmung ist die Protestkundgebung fair und friedlich verlaufen – daran können sich andere Demonstrationen in Berlin ein Beispiel nehmen. Im Übrigen sehe ich nicht, dass Politik und landwirtschaftlicher Berufsstand verfeindet sind. Die Proteste bringen vielmehr zum Ausdruck, dass den Landwirten der Kragen geplatzt ist: Die Politik sorgt für immer mehr Auflagen. NGOs, Grüne und Medien stellen Bauern als Umweltsünder und Tierquäler an den Pranger. Und der Lebensmitteleinzelhandel drückt die Preise und verramscht hochwertige Produkte. Im angesprochenen Dialogprozess geht es nicht nur um tragfähige Lösungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft, sondern auch um mehr Respekt. Die Politik steht vor der schwierigen Aufgabe, notwendige Veränderungen durchzusetzen, Bäuerinnen und Bauern bei Veränderungen zu unterstützen und sie auch ein Stück weit in Schutz zu nehmen.

 

„Wir Christdemokraten stehen an der Seite der Landwirte!“, hat Julia Klöckner den protestierenden Bauern zugerufen. Worauf gründet diese Nähe und was macht sie parteipolitisch sinnvoll, wenn die politischen Mehrheiten aktuell eher bei Großstädtern und ihrer Sicht auf Klima. und Umweltschutz zu liegen scheinen?

 

Alois Gerig: Als christliche Partei verbindet uns traditionell und ideell sehr viel mit der Landwirtschaft. Es geht nicht nur um „unser tägliches Brot“; Bäuerinnen und Bauern bewahren die Schöpfung. Auch der christliche Glaube, der in vielen Bauernfamilien gelebt wird, sorgt dafür, dass sich Landwirtschaft und Christdemokraten nahestehen. Unser Einsatz für eine leistungsfähige und nachhaltige Landwirtschaft hat nicht nur zum Ziel, bäuerlichen Familienbetrieben und ländlichen Räumen eine Zukunftsperspektive zu geben. Es ist ethisch geboten, dass Deutschland mit seinen hervorragenden naturräumlichen Gegebenheiten Landwirtschaft betreibt und so einen Beitrag zur Welternährung leistet.

 

Aus meiner Sicht wäre es ein Irrweg, politische Mehrheiten ausschließlich in Großstädten zu suchen. Als Volkspartei der Mitte müssen wir ein glaubwürdiges Angebot für die Menschen in Stadt und Land machen. Keinesfalls dürfen wir die Spaltung vertiefen. Diese ist beispielsweise daran ablesbar, dass in ländlichen Regionen die Versorgung mit Mobilfunk und schnellem Internet deutlich schlechter ist. Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse muss ein Markenzeichen unserer Politik sein und bleiben. Ich bin überzeugt, wir können Win-win-Situationen für Stadt und Land schaffen. Wenn die Menschen gut und gern auf dem Land leben können, wird der angespannte Wohnungsmarkt in den Großstädten entlastet.

 

Was macht Landwirte aktuell in Abgrenzung von anderen Parteien zur Stammklientel der Union?

 

Alois Gerig: Spätestens nach den diffamierenden „Bauernregeln“ der damaligen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks ist die SPD für die Landwirte ein rotes Tuch. Die FDP versucht, sich als Interessenvertreter der Landwirte aufzuspielen, und ist dabei wenig glaubwürdig: Ginge es nach der FDP, müssten die Beiträge zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung erheblich steigen. Bei der AfD sehe ich kein klares Konzept – vielmehr versuchen die Rechtspopulisten, mit diffuser Stimmungsmache aus der aktuellen Unzufriedenheit Honig zu saugen.

 

Die Grünen haben ebenso wie die NGOs keine Scheu, Kampagnen auf dem Rücken der Landwirte auszutragen. Kritisch sehe ich zudem, dass die grüne Großstadtpartei die Landwirtschaft in eine gute ökologische und eine böse konventionelle einteilt. Der Öko-Landbau hat zweifellos seine Berechtigung – er bietet vielen Betrieben eine Existenzgrundlage und wird zu Recht gefördert. Inzwischen werden aber mehr Bio-Milch und Bio-Äpfel produziert, als auf dem Markt nachgefragt werden. Hinzu kommt, dass der Bio-Landbau aufgrund seiner geringeren Produktivität keine Hilfe ist, den weltweit steigenden Bedarf nach Lebensmitteln zu decken.

 

Vor diesem Hintergrund bin ich überzeugt, dass es für eine nachhaltige, wettbewerbsfähige und gesellschaftlich akzeptierte Landwirtschaft in Deutschland entscheidend auf die Union ankommt. Ich bin zuversichtlich, dass wir dafür die Zustimmung der Landwirte erhalten können. CDU und CSU stehen für Werte, die Landwirte teilen – insbesondere Nachhaltigkeit, Eigentumsgarantie und unternehmerische Freiheit. Unsere praktische Politik muss dem aber auch gerecht werden! Dafür brauchen wir keine neuen Verbote, sondern tragfähige Lösungen – insbesondere beim Tierwohl, bei Insektenschutz, Düngung und der Reform der EU-Agrarpolitik. Die Umsetzung der EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken müssen wir nutzen, um die Marktstellung der Landwirtschaft gegenüber dem Handel zu stärken. Darüber hinaus gilt es, Chancen beherzt zu ergreifen – beispielsweise bei der Digitalisierung, den neuen Züchtungstechnologien sowie der Vermarktung regionaler Lebensmittel.

 

Alois Gerig, geboren 1956 in Höpfingen, Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft.

 

Das Gespräch führte Bernd Löhmann am 18. Dezember 2019.

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