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Interview: "Politik muss immer verlässlich sein"

Sven Schulze, Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt über die Perspektiven seines Landes

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Herr Minister Schulze, Sie sind der neue Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt. Wie sehen Sie Ihr Bundesland innerhalb Deutschlands aufgestellt?

Sven Schulze: Ich glaube, dass Sachsen-Anhalt in vielen Bereichen sehr gut aufgestellt ist. Hauptthemen sind Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Das, was wir in diesen Bereichen aufgebaut haben, kann sich sehen lassen. Zudem sind wir Vorreiter bei neuen Technologien, so zum Beispiel, wenn es um den Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft geht. Sachsen-Anhalt nimmt beim Ausbau Erneuerbarer Energien eine führende Rolle in Deutschland ein.

Wir haben in der Wirtschaft den Transformationsprozess gut vollzogen. In Sachsen-Anhalt gibt es viele gute Arbeitsplätze. In vielen Bereichen ist Sachsen-Anhalt besser als sein Ruf. Doch genau das ist ein Thema, an dem wir noch arbeiten müssen: Nicht jeder kennt Sachsen-Anhalt, nicht jeder verbindet Sachsen-Anhalt mit innovativen und positiven Entwicklungen. Das heißt, wir müssen eine bessere Vermarktung Sachsen-Anhalts vorantreiben.

 

Ihr Ressort umfasst neben Wirtschaft auch Tourismus, Landwirtschaft und Forsten. Wo sehen Sie für die Arbeit Ihres Ministeriums in Zukunft die Schwerpunkte?

Sven Schulze: Als Minister bin ich sowohl für den Wirtschafts- als auch für den Landwirtschafts- und Forstbereich sowie für den Tourismus zuständig. Sowohl die Landwirtschaft als auch der Tourismus sind bedeutende Themen in Sachsen-Anhalt. Der ländliche Raum spielt eine große Rolle, und der Tourismus, gerade der Inlandstourismus, hat in den letzten Jahren massiv zugelegt. Wir haben zahlreiche touristische und kulturelle Sehenswürdigkeiten zu bieten, sodass viele Menschen aus dem In- und Ausland zu uns kommen können. Wirtschaftlich sind wir für viele Unternehmen sehr attraktiv. Das zeigen die Wirtschaftsansiedlungen der letzten Jahre. Kleine und mittelständische Unternehmen, die sehr erfolgreich sind, wollen wir auch weiterhin unterstützen und die richtigen Rahmenbedingungen setzen.

 

Der Strukturwandel wird vor dem Hintergrund ambitionierter Klimaziele auch in Sachsen-Anhalt eine Rolle spielen. Wie stark ist Sachsen-Anhalt davon betroffen?

Sven Schulze: Der Strukturwandel ist für Sachsen-Anhalt ein großes Thema, aber man muss auf Ostdeutschland insgesamt schauen. Durch den Niedergang der ostdeutschen Industrie, die sehr umweltschädlich war, ist es in ganz Deutschland zu einer besseren Klimabilanz gekommen. In gewisser Weise haben wir als Ostdeutsche bereits einen Beitrag dazu geleistet, dass Deutschland bei seiner Klimabilanz heute relativ gut abschneidet. Wir werden auch jetzt wieder in Mitteldeutschland einen Beitrag leisten müssen, beispielsweise beim Kohleausstieg. Ich sage aber auch ganz klar, wir haben uns jetzt auf das Jahr 2038 geeinigt, daran muss man festhalten. Es gibt für uns in Sachsen-Anhalt derzeit keine Diskussion, dass wir einen schnelleren Kohleausstieg haben wollen.

 

Würde ein früherer Kohleausstieg zu Problemen führen?

Sven Schulze: Natürlich würde das zu Problemen führen! Man denkt, 2038 ist noch lange hin, aber es geht auch darum, dass bis zu diesem Zeitpunkt der Strukturwandel geschafft werden muss. Das geht nicht von heute auf morgen. Es geht beim Strukturwandel nicht darum, dass man mit den Mitteln, die aus Berlin kommen, Straßen oder eine neue Eisenbahnstrecke baut, sondern es geht im Wesentlichen darum, dass man eine nachhaltige Wirtschaft und Perspektiven entwickelt, damit die Menschen, die mit ihrer Arbeit von der Kohle abhängig sind, zukünftig neue Jobs angeboten bekommen. Auch die nächste Generation muss wieder eine Perspektive haben, sonst wird sie das Land verlassen. Wir brauchen nicht nur kluge Konzepte, sondern auch tragfähige Ideen, die nachhaltig sind. Das zu entwickeln und umzusetzen, bedarf einer gewissen Zeit. Das Wichtigste ist aber, Politik sollte immer verlässlich sein. Und wenn wir erst 2020 ein Ausstiegsdatum festgelegt haben, dann sollte man nicht jetzt schon wieder daran rütteln.

 

Deutschland feiert am 3. Oktober 2021 den 31. Jahrestag der Deutschen Einheit in Sachsen-Anhalt. Was sagen Sie zum Stand der Deutschen Einheit?

Sven Schulze: Man kann sehen, dass wir vieles geschafft haben, aber noch nicht fertig sind. Nach vierzig Jahren DDR gab es unglaublich viel aufzuholen. Das war nicht einfach. Die Menschen haben einen enormen Transformationsprozess hinter sich. Viele Menschen arbeiten heute nicht mehr in den Berufen, die sie einmal erlernt haben. Sie haben auch in ihrem persönlichen Leben einen großen Transformationsprozess mitmachen müssen. Wir können stolz darauf sein, was die Menschen geschaffen und geleistet haben. Wir haben uns in Sachsen-Anhalt und in Ostdeutschland etwas aufgebaut. Die Einheit Deutschlands war gerade für meine Generation ein Riesenglücksfall, weil sie bedeutet, dass wir unser Leben selbstständig in die Hand nehmen können, gerade meine Generation hat sehr davon profitiert.

 

Gibt es noch große Unterschiede zwischen Ost und West?

Sven Schulze: Ich bin kein Freund davon, Ost und West immer zu vergleichen, weil man dann auch Nord und Süd vergleichen könnte. Wir sind unterschiedlich, auch je nach dem, in welcher Region man lebt. Aus heutiger Sicht kann man sagen, dass die Einheit auch für Sachsen-Anhalt, dass der Weg, den wir gegangen sind nach 1989/90, ein erfolgreicher war. Dass an der einen oder anderen Stelle noch Nachholbedarf besteht, ist sicherlich richtig. Manchmal spricht man über die Löhne, die vielleicht noch unterschiedlich sind. Diese Unterschiede gibt es aber auch zwischen Nord- und Süddeutschland; der Ost-West-Vergleich ist deshalb zu pauschal. Mir fehlt manchmal, dass man auch im Westen Deutschlands sieht, welche Leistung die Menschen in Ostdeutschland vollbracht haben, das kommt gelegentlich ein Stück weit zu kurz.

 

Welche Botschaften sollen von den zentralen Einheitsfeierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Halle ausgehen?

Sven Schulze: Es ist uns wichtig, zu zeigen, was wir in Ostdeutschland erreicht haben. Ein Beispiel dafür ist die Region Halle, die zu DDR-Zeiten eine Chemieregion war, die unter Umweltgesichtspunkten zu den schlimmsten Regionen Ostdeutschlands zählte. In der DDR hat sich niemand darum gekümmert, ob die Menschen dort auch gern leben möchten.

Heute ist es so, dass man in dieser Region gern und gut leben kann. Halle ist eine Region und ein Beispiel dafür, wie sich der Umweltschutz in den letzten Jahrzehnten positiv entwickelt hat. Die Kernbotschaft für uns ist, das sage ich auch als Minister, der ebenfalls für Tourismus zuständig ist, dass wir möglichst viele Menschen, die nicht in Sachsen-Anhalt wohnen, für Sachsen-Anhalt interessieren möchten und dass wir ihnen auch zeigen wollen, was sich hier alles entwickelt hat.

 

In Ostdeutschland wurde viel in die Städtesanierung und Infrastruktur investiert. Sollten die Menschen dort mehr als dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung nicht viel selbstbewusster auftreten?

Sven Schulze: Definitiv! Das sagen mir auch Freunde. Ich habe jetzt viele Jahre im Europäischen Parlament als Abgeordneter gearbeitet und gerade in den letzten Jahren in Deutschland Urlaub gemacht, auch in Sachsen-Anhalt. Wenn man von Touristen ein Feedback bekommt, kann man stolz darauf sein, weil alle sagen, Sachsen-Anhalt ist eine tolle Region. Unsere Aufgabe wird es sein, diese Region noch bekannter zu machen und noch besser zu vermarkten. Dafür nutzen wir auch den Tag der Deutschen Einheit.

 

Mit Ministerpräsident Reiner Haseloff haben Sie gemeinsam die schwarz-rotgelben Koalitionsverhandlungen in Sachsen-Anhalt geleitet. Was ist Ihr Rat, um eine erfolgreiche Regierung zu bilden?

Sven Schulze: Das Wichtigste ist Vertrauen. Man muss sich gegenseitig vertrauen. Das fängt damit an, dass nicht alles, was man dort bespricht, sofort in den Medien landet. Das Zweite ist, dass man sich auf Augenhöhe begegnet, unabhängig vom Wahlergebnis. Natürlich hängen am Ende die Inhalte und die Aufgaben in einer Koalition sehr stark mit dem Wahlergebnis zusammen. Aber in den eigentlichen Verhandlungen sollte man sich mit gegenseitigem Respekt begegnen.

Wichtig ist auch, dass man ein konkretes Ziel vor Augen hat, was man erreichen will. Das haben wir in Sachsen-Anhalt mit der Deutschland-Koalition, die wir auf den Weg gebracht haben, von Anfang an gehabt. Und es ist natürlich auch von Vorteil, wenn die Chefunterhändler sich gut kennen und die Verantwortlichen für die jeweiligen Parteien menschlich gut miteinander klarkommen. Das sind alles Voraussetzungen gewesen, die wir in Sachsen-Anhalt hatten und die ebenfalls dafür gesorgt haben, dass wir dieses Ergebnis und diesen Koalitionsvertrag jetzt auf den Weg bringen konnten.

 

Der Trend zu Dreierkoalitionen ist in den Ländern schon länger zu beobachten. Als Ursachen dafür werden die Schwäche der Volksparteien und die Veränderungen des Parteiensystems genannt. Wie ist das aus Ihrer Sicht zu bewerten?

Sven Schulze: Das muss man sehr differenziert betrachten. Wenn man von der Schwäche der Volksparteien spricht, kann ich sagen, dass wir als CDU in Sachsen-Anhalt noch Volkspartei sind, da wir bei der letzten Landtagswahl 37,1 Prozent erreicht haben. Richtig ist, dass die anderen Partner, speziell die SPD, ein sehr schwaches Ergebnis erzielt haben. Das Wahlergebnis hätte für uns zu verschiedenen Regierungskoalitionen führen können, in denen die CDU immer die führende Kraft gewesen wäre. Wir waren also in einer sehr guten Ausgangsposition. Ich glaube, man kann nicht pauschal behaupten, die Volksparteien seien auf einem absteigenden Ast.

Wir haben in Sachsen-Anhalt gezeigt, dass wir auch in schwierigen Zeiten mit großen Herausforderungen einen Wahlkampf geführt haben, mit dem wir hervorragende Ergebnisse erzielen konnten.

 

Der politische Hauptgegner in Ostdeutschland ist die Af D. Wie soll man Ihres Erachtens mit ihr umgehen?

Sven Schulze: Die AfD ist in Sachsen-Anhalt, das zeigen die Ergebnisse der Landtagswahlen 2021, die zweitstärkste Kraft im Landtag. Dennoch haben wir es geschafft, bis auf einen Wahlkreis alle anderen Wahlkreise für die CDU zu gewinnen. Themen, auch die, die von der Af D aufgegriffen wurden, haben wir nicht ignoriert, sondern wir haben die Antworten der CDU Sachsen-Anhalt auf die Fragen, die die Bevölkerung gestellt hat, auch gegeben. Meines Erachtens ist es wichtig, dass man sich nicht vor unangenehmen Themen drückt, sondern dass man konkret versucht, Antworten zu geben.

Das Zweite ist, dass ich nur dazu raten kann, nicht zu versuchen, andere Parteien links oder rechts zu überholen. Wir sollten weder mit Blick auf die Grünen versuchen, noch grüner zu werden, noch hinsichtlich der AfD versuchen, diese irgendwie rechts zu überholen. Wichtig ist es, eigene Akzente zu setzen. Das ist uns als CDU in Sachsen-Anhalt gelungen.

 

Ist die AfD in den Wahlkreisen verankert?

Sven Schulze: Nein, eigentlich nicht. Die Menschen haben gesehen, dass es ein Unterschied ist, ob man immer nur polemisch agiert, ob man immer nur die Probleme anspricht oder ob man Lösungsansätze bietet. Das haben wir als CDU getan. Wir haben die Probleme angesprochen, aber auch unsere Lösungen präsentiert. Natürlich ist die AfD in Ostdeutschland ein größerer Gegner, einer größerer Wettbewerber, als es die Grünen oder die SPD sind. Aber ungeachtet dessen ist es wichtig, erst einmal die eigenen Themen zu platzieren, für die eigene Partei zu werben und sich nicht so viel mit dem politischen Wettbewerber zu beschäftigen, sondern auf das Eigene zu schauen.

 

Seit 1. November 2020 stellt Sachsen-Anhalt mit Ministerpräsident Reiner Haseloff für ein Jahr den Präsidenten des Bundesrates. Waren hiermit besondere Erwartungen verbunden?

Sven Schulze: Es ist immer, gerade für ein kleines Bundesland – und wir sind mit etwas mehr als zwei Millionen Einwohnern zumindest von der Bevölkerungszahl her eines der kleineren Bundesländer – schön, wenn man bundesweit Aufmerksamkeit erzielen kann. Reiner Haseloff gehört, das sagen selbst seine politischen Wettbewerber, deutschlandweit zu den angesehensten Vertretern der Politik. Mit Sicherheit auch deshalb, weil er jemand ist, der um die Themen nicht herumredet, sondern sie offen anspricht. Deshalb hat er auch dieses gute Landtagswahlergebnis erzielt. Deswegen war er auch jemand, der eben zur richtigen Zeit Bundesratspräsident war. Es wäre sicherlich schöner gewesen, wenn wir nicht unter Corona-Bedingungen den Bundesratsvorsitz gehabt hätten, weil wir dann noch mehr in Erscheinung hätten treten können. Dies gilt auch für das Fest zum Tag der Deutschen Einheit, das in einem größeren Umfang hätte stattfinden können.

Wir haben sowohl auf der politischen Ebene in Berlin als auch auf der gesellschaftlichen Ebene Akzente setzen können und haben Sachsen-Anhalt für den einen oder anderen bekannter gemacht.

 

Wie bewerten Sie das Ergebnis der Bundestagswahl?

Sven Schulze: Für die CDU im Osten Deutschlands ist das Ergebnis der Bundestagswahl eine Katastrophe. Daran gibt es nichts schönzureden. Diese Wahl muss jetzt schonungslos aufgearbeitet werden.

 

Welche zentralen Punkte gibt es aus Ihrer Sicht, die die neue Bundesregierung lösen muss?

Sven Schulze: Wenn ich mir als Wirtschaftsminister eines wünschen könnte, ist es, dass wir uns mit einem Thema beschäftigen, das uns sehr beschäftigt. Wir haben viele kleine mittelständische Unternehmen, die auch in Sachsen-Anhalt ihre Steuern zahlen, aber wir haben auch große Unternehmen, die aufgrund der Steuergesetzgebung nicht hier investieren, sondern an anderen Standorten. Darauf müssen wir vielleicht noch einmal schauen, dass am Ende auch da, wo die Steuern erwirtschaftet werden, diese auch ein Stück weit bezahlt werden.

 

Die Fragen stellte Ralf Thomas Baus am 21. und 27. September 2021.

Sven Schulze, geboren 1979 in Quedlinburg, 2014 bis 2021 Mitglied der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament, seit 2019 Vorsitzender des Bundesfachausschusses Europa der CDU Deutschlands, seit 2021 Landesvorsitzender der CDU Sachsen-Anhalt und Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt.

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