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Deutschlands heimliche Trump-Sympathisanten

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Mit Skepsis blickt die politische Elite in Berlin auf die neue amerikanische Regierung unter Präsident Donald Trump. Die Bundeskanzlerin und ihre Minister, die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und führende Journalisten haben alle Mühe, ihre Irritation über den Stil d es politischen Neulings zu kaschieren und auf zweckoptimistischen Pragmatismus umzuschalten. Die Einigkeit der breiten politischen Mitte wird noch dadurch unterstrichen, dass nur politisch randständige Stimmen offen ihre Freude über Trumps Wahlsieg verkünden, etwa indem der AfD-Politiker Jörg Meuthen von einem „guten Signal für die Welt“ spricht oder die Linkspartei das Ende des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP feiert.

Umso überraschender ist es, wie viele Köpfe der politischen Mitte seit dem November 2016 in privaten Gesprächen erklären, warum sie sich über Trumps Erfolg freuen. Da ist der Büroleiter eines hochrangigen Sozialdemokraten, den der Widerstand des amerikanischen Volkes gegen mediale und parteipolitische Bevormundung begeistert und der nun auf eine Politik der Umverteilung von oben nach unten hofft. Oder der libertäre Investmentbanker, der eine andere Geldpolitik erwartet. Das CDU-Mitglied, das im Aufbegehren gegen Obamas Sozialdemokratisierung Amerikas den eigentlichen amerikanischen Traum bestätigt sieht. Oder die grüne Professorin, der die politische Korrektheit ihrer eigenen „MitstreiterInnen“ und deren Fixierung auf spalterische Identitäts- und Genderpolitik unheimlich geworden ist.

Diese deutschen Trump-Sympathisanten sind über sich selbst verwundert. Für sie alle steht außer Frage, dass Trump ein problematischer Charakter ist. Allein aus diesem Grund hätten sie ihn (wahrscheinlich) nicht gewählt und halten sich mit öffentlichem Ausdruck ihrer Freude über den Wahlausgang zurück. Und doch: Die Freude ist da, und sie speist sich aus vielfältigen, widersprüchlichen, diffusen Quellen.

Es lohnt sich, eine Typologie dieser heimlichen deutschen Trump-Sympathisanten zu versuchen. Sie kann dabei helfen, die Frage zu beantworten, die im Jahr der Bundestagswahl viele Strategen umtreibt: Was muss die Mitte von Trump und über sich selbst lernen, um den Vormarsch der Populisten aufzuhalten?

Die Amerikahasser

Der Antiamerikanismus in Deutschland hat tiefe Wurzeln. Es gibt einen bunten Strauß von Ressentiments gegen die kulturelle Übermacht Amerikas, seine Interventionskriege und inneren Widersprüche, gegen das Amerika, das als Speerspitze der Globalisierung stets das Neue schafft und Gewohntes infrage stellt.

Amerika ist den Deutschen Taktgeber und großer Bruder, und denjenigen, die an dieser Zumutung leiden, anstatt sie als herausforderndes Geschenk zu begreifen, kommt Trump gerade recht. Denn es fällt an diesem Präsidenten leichter, die dunkle Seite seines Landes aufzuzeigen als die helle. Rücksichtslosigkeit, Großmannssucht, Verachtung für den Geist, der Fetisch des finanziellen Erfolgs – all das waren Markenzeichen der Wahlkampfkampagne Trumps. Für Amerikas Gegner hat die Wahl Trumps die amerikanischen Werte von Freiheit, Gerechtigkeit und weltzugewandter Großzügigkeit als so hohl und heuchlerisch entlarvt, wie sie schon immer waren.

Trump spielt denjenigen in Deutschland in die Hände, die seit jeher für „Emanzipation“ und „Eigenständigkeit“ gegenüber den USA geworben haben. Präsident Trump macht vielen in der deutschen Mitte diese Idee der Abgrenzung plausibler als jeder seiner Vorgänger.

An dieser Stelle verbünden sich die Amerikahasser in gefährlicher Weise mit manch leidenschaftlichem Europäer. Wie schon nach dem Brexit war eine der ersten Reaktionen auf die Wahl Trumps: Nun ist die Zeit für eine vertiefte Integration der Europäischen Union (EU) gekommen! Gerade im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik kann dies jetzt gelingen, ermöglicht durch den Ausstieg des wichtigsten Bedenkenträgers Großbritannien und angetrieben durch Trumps verstörende Wahlkampfaussagen über die nur bedingte Gültigkeit der NATO-Beistandsgarantie.

Gegen eine Verbesserung der militärischen Fähigkeiten der EU ist nichts einzuwenden. Entscheidend ist aber, dass diese Stärkung der EU nicht als „Emanzipation“ von den USA und der NATO gestaltet wird. Solch eine „strategische Autonomie“, wie es im EU-Jargon heißt, ist ein sicherheitspolitischer Irrweg, der zudem noch zu einer Spaltung Europas führen könnte.

Ob sich die leidenschaftlichen Europäer von den Amerikahassern unterwandern oder gar kapern lassen, wird eine der folgenreichsten Fragen dieses Wahljahres sein.

Die Autoritätsbegeisterten

Populistisch-nationalkonservative Politiker wie Viktor Orbán in Ungarn oder Marine Le Pen in Frankreich haben die Wahl Trumps ausdrücklich begrüßt. Sie verstehen Trumps Erfolg als einen weiteren Wellenbrecher gegen den kosmopolitischen Liberalismus, den sie für dekadent und zerstörerisch halten.

Auch in Deutschland erfährt diese Sicht Zuspruch, nicht nur bei der AfD. Nicht wenige sorgen sich um den sozialen Zusammenhalt des Landes und glauben, dass dieser nur aus einer nationalen Identität und harter politischer Führung erwachsen könne. Der autoritäre Gestus Trumps gegenüber Minderheiten, politischen Gegnern und Institutionen demokratischer Ordnung wie der freien Presse entspricht diesem Führungsverständnis. Trumps Wahlkampf baute auf zwei nationalistische Abwehrreflexe: die Absage an multilaterale Freihandelsabkommen und den Kampf gegen illegale Einwanderung.

Die nationalistisch-autoritäre Sehnsucht, die angesichts der Herausforderungen der Globalisierung auch in Deutschland immer stärker wird, findet in Trump ihre schamlose Entsprechung – garniert mit dem abgestandenen Chauvinismus des weißen Mannes, der sich durch allerlei Entwicklungen im liberalen Westen brüskiert fühlen darf.

Aber die Frage wird bleiben, wie tief verankert der autoritäre Reflex in der deutschen Mitte ist. Haben Einwanderung, Terrorismus, handels- und finanzpolitische Verflechtung mit anderen Nationen ein solches Maß erreicht, dass ein signifikanter Teil der deutschen Wählerschaft das Vertrauen in die Gestaltungsund Steuerungskompetenz der demokratischen Elite verliert und den autoritären Rezepten populistischer Vereinfacher auf den Leim geht?

Die Sozialisten

Nicht nur in der Linkspartei gibt es Leute, die ein Ende des sogenannten Neoliberalismus herbeisehnen und auf Umverteilung und Merkantilismus setzen. Für sie war Bernie Sanders der herzerwärmende amerikanische Präsidentschaftskandidat, aber gegenüber Hillary Clinton mussten sie Trump bevorzugen: gegen Freihandel, gegen eine Reform der Rentenversicherung, für keynesianische Investitionen in die einheimische Infrastruktur.

Natürlich ist der New Yorker Immobilienmogul Trump ein unwahrscheinlicher Robin Hood, und seine Vorschläge zur Steuerreform erinnern mehr an Ronald Reagan als an Sarah Wagenknecht. Aber für die bürgerliche Mitte liegt gerade darin der Reiz: Trump ist kein linker Revoluzzer, sondern tief verbunden mit dem Establishment, das er zu „säubern“ („drain the swamp“) vorgibt. Zugleich aber vertritt er in der Arbeitsmarkt-, Steuer-, Einwanderungs- und Handelspolitik Positionen, die dem liberalen, globalisierungsfreundlichen Mainstream von Clinton bis Bush, Romney bis Obama entgegenstehen.

Die Amerikafans

Fast alle deutschen Transatlantiker, selbst konservative, standen während des Wahlkampfs auf Hillarys Seite. Clintons Erfahrung und ihre zuverlässige Orientierung am Status quo der amerikanischen Außenpolitik hätten das Geschäft der deutschamerikanischen Beziehungen vergleichsweise leicht gemacht. Trump hingegen steht für unbequeme Unberechenbarkeit. Dennoch empfinden manche Kenner und Bewunderer der amerikanischen Geschichte und Kultur eine heimliche Genugtuung über den Wahlausgang.

Diese Genugtuung speist sich aus einem teils historisch begründeten, teils mythisch überhöhten Verständnis von Amerika als exceptional nation, einer außergewöhnlichen Nation. Die älteste Demokratie der Welt unterscheidet sich darin von ihren europäischen Geschwistern, dass sie alle Erschütterungen überstanden, sich stets als stabil und zur Selbstkorrektur fähig erwiesen hat. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die nationale Identität Amerikas in einzigartiger Weise auf den liberalen Idealen der revolutionären Gründerväter fußt, nicht auf Blut und Boden. Ungeachtet der rechtsradikalen Randgruppen, die sich an Trump hängen, ist sein amerikanischer Nationalismus daher etwas anderes als der gallische Populismus Le Pens.

Vor diesem Hintergrund erblicken manche Amerikaliebhaber in Trump nicht das Schreckgespenst einer in die Tyrannei kippenden Volksherrschaft in Zeiten der Krise und Verunsicherung. Sie sehen in ihm den Ausdruck der immer wieder beschworenen amerikanischen Selbstheilungskräfte. Wie oft ist diesem Land der Abstieg und Untergang prognostiziert worden! Und doch hat es sich stets behauptet, seit mehr als 100 Jahren als führender Staat des Planeten.

Trotz dieser Aussichten und der zumindest makroökonomisch soliden Bilanz Obamas fühlten sich die amerikanischen Wähler jedoch von Unzufriedenheit und Zukunftsangst gequält. Es ist unerheblich, ob dies eine Folge postfaktischer fake news, bestürzender Erfahrungen missglückter Kriege und tief greifender Wirtschaftskrisen oder der individuellen Hilflosigkeit angesichts zunehmenden Globalisierungsdrucks war – mit Trump haben sie Mut zur radikalen Veränderung mit demokratischen Mitteln bewiesen. Das allein macht die Wahl Trumps für die Amerikafans schon zur Feier der Vitalität der amerikanischen Demokratie. Ein mehrheitsfähiger Teil des Volks hat sich dem vermeintlich weisen Rat der Eliten aus Politik, Medien, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur widersetzt, weil er sich von ihnen missachtet und – nicht zu Unrecht – gedemütigt fühlt.

In der Lesart der Amerikafans unterstreicht diese machtvolle Widerborstigkeit der einfachen Leute die Qualität der USA als last best hope der Menschheit. So wird Amerika zu einer Wildwestgesellschaft verklärt, die eher von Gary Cooper zusammengehalten wird als von verpflichtend-bürokratischen Gesundheitsversicherungen nach europäischem Vorbild. Dazu gehört auch, dass der Liberalismus auf seine klassischen Wurzeln zurückgestutzt werden muss und seine Exzesse – vor allem in der ausufernden Political Correctness – zu verdammen sind.

Auch die Amerikafans zweifeln, ob Trump geeignet ist, um das promised land seinen Idealen ähnlicher zu machen. Aber sie sind bereit, in Trumps Wahl die Chance dazu zu erkennen.

Was folgt?

Was folgt nun aus dieser groben Typologie? Zunächst einmal die Einsicht, dass sie sehr holzschnittartig ist. Natürlich ist nicht jeder Amerikafan oder jeder Sozialist ein Trump-Sympathisant; aber manche deutschen Trump-Sympathisanten sind eben solche aufgrund ihrer Amerikabegeisterung oder ihrer sozialistischen Gesinnung. Auch wird deutlich, dass sich die Typen durchaus überschneiden und dennoch gegenseitig verstärken, zum Beispiel zwischen „Amerikahassern“ und „Autoritätsbegeisterten“.

Andererseits widersprechen sich manche Typen. Vor allem zwischen „Amerikahassern“ und „Amerikafans“ unterscheiden sich die Beweggründe für ihre Trump-Sympathie. Dass sie trotzdem zum selben Ergebnis kommen, liegt daran, dass sie auf die politisch weitgehend konturlose – oder eben widersprüchliche – Folie des Neupolitikers Trump ihre eigenen Erwartungen und Interpretationen projizieren. So gesehen sind nicht nur viele seiner Wähler, sondern auch manche seiner deutschen Sympathisanten vom tatsächlichen Regierungshandeln Trumps akut enttäuschungsgefährdet.

Die wichtigste Gemeinsamkeit seiner heimlichen deutschen Sympathisanten hat aber gar nichts mit Trump zu tun, sondern mit seiner Gegnerin. Alle vier Typen einte ihre Abneigung gegen Hillary Clinton, auch wenn sie unterschiedlich motiviert war. Skandalumwitterte Marionette der Wall Street; Karrierefrau ohne Herzenswärme und Bezug zu den Bürgern; kalkulierendes Politgeschöpf ohne eigene Überzeugungen und Ideen, aber voller Gier nach Geld und Macht; moralisierende Kriegstreiberin; erfolglose Außenministerin – ruft man sich nur einige der wiederkehrenden Urteile der Wähler über Clinton in Erinnerung, ist es geradezu erstaunlich, dass sie immerhin eine Mehrheit im popular vote erringen konnte. Ähnlich wie Trumps Erfolg lässt sich das, paradoxerweise, am besten mit der Unbeliebtheit des Gegners erklären.

In dieser Beobachtung liegt aber ein Schlüssel zur Eingangsfrage, was die politische Mitte in Deutschland aus dem Phänomen ihrer Trump-Sympathisanten lernen kann. Bürgerrechte, Marktwirtschaft und Weltoffenheit sind auch in unserer Demokratie keine Selbstläufer, sondern brauchen aktives Engagement aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Sie erfordern eine klare Sprache, die auf diejenigen eingeht, die sich abgehängt und benachteiligt fühlen. Dafür benötigt das vital center (Arthur Schlesinger) aber auch Führungspersönlichkeiten, die geradlinig und glaubwürdig sind, kraftvoll und kampfeslustig.

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Patrick Keller, geboren 1978 in Bonn, Koordinator für Außen-und Sicherheitspolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung, Lehrbeauftragter für Internationale Sicherheitspolitik an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.

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