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Eine Analyse der Bundestagswahl

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Als gegen 19.00 Uhr die Zahl „42“ bei der Hochrechnung auf den Bildschirmen glänzte und die absolute Mehrheit für die Union greifbar nahe schien, mag sich mancher informierte Beobachter an das Kultbuch und den Kultfilm Per Anhalter durch die Galaxis erinnert haben. Dort wird ein Supercomputer mit dem passenden Namen Deep Thought beauftragt, die Antwort auf alle Fragen des Lebens, des Universums und so fort zu geben. Nach Millionen Jahren angestrengten Rechnens präsentiert der Rechner dem jubelnden und staunenden Publikum die unumstößliche Antwort, und die lautet: „42“. Das Ergebnis ist Ratlosigkeit.

Nicht zuletzt, weil am Ende die 42 nicht stehen geblieben ist und der schöne Traum von der knappen absoluten Mehrheit ein Traum geblieben ist, hat sich die Ratlosigkeit nach dem ersten Verklingen der unmittelbaren Euphorie auch im realen Leben bei den erschöpften Wahlkämpfern eingestellt. Hat sich die Union „zu Tode gesiegt“, wie Martina Fietz in ihrer Focus-Kolumne nach der Wahl gefragt hat?

Zunächst darf man trotz der schwierigen Lage, in der nun die Koalitionsoptionen sondiert werden, nicht unterschätzen, welch heilenden Balsam dieser Sieg für die zwischenzeitlich recht waidwunde Seele der Partei bereitgehalten hat. All das Hadern mit den Rufen, die im Nachhinein betrachtet von Unken kamen und die der CDU ein Ende ihres Daseins als Volkspartei prophezeit haben, ist mit diesem Abend vorbei. Wer es schafft, so deutlich über vierzig Prozent der Wähler zu binden, der hat auf die Frage nach der Zukunft der Volkspartei CDU eine unmissverständliche Antwort gegeben. Ebenso ist die Klage über die Partei, die wegen ihrer vermeintlichen Wandelhaftigkeit oder durch einen angeblichen Linksruck Wähler verprelle, verklungen. Vor allem aber die skeptischen Mahner, die der Bundeskanzlerin und Parteivorsitzenden absprachen, die Partei und ihren programmatischen Kern wirklich zu verkörpern, schweigen angesichts des überragenden Erfolges der Partei und sehen sich eindrucksvoll widerlegt.

„Die Merkel-Republik“, titelte Spiegel­Online, ein nicht gerade unter Konservativismus-Verdacht stehendes Medium, noch am Wahlabend anerkennend. Die Welt schreibt über „Merkels Triumph“. „Der Erfolg trägt den Namen Merkel“, konstatiert der Kölner Stadtanzeiger. Tatsächlich stand bei keiner anderen Partei der Kandidat oder die Kandidatin bei der Wahlentscheidung vor den Sachfragen. Während für rund 54 Prozent der SPD-Wähler inhaltliche Fragen im Vordergrund standen und nur 21 Prozent den Kandidaten benannten, sagten bei den CDU-Anhängern rund 38 Prozent, dass die Kandidatin den Ausschlag gegeben habe, während 36 Prozent die Sachfragen betonten. Die Zustimmung für Angela Merkel lag fast durchgehend bei um die sechzig Prozent. Auch in historischer Dimension spielt sie, was ihre Beliebtheit anbetrifft, im Vergleich zu ihren Amtsvorgängern inzwischen in ihrer ganz eigenen Liga.

Interessanterweise hat die Kanzlerin selbst in Sachen „Klartext“ und Klarheit des politischen Kurses ein Feld, in dem Peer Steinbrück immer wieder versucht hat, sie in Bedrängnis zu bringen, ja mit seinen „Kreisverkehrsmetaphern“ lächerlich zu machen, den Kanzler-Kandidaten deutlich hinter sich gelassen. Noch im August sagten überragende 49 Prozent, die CDU-Vorsitzende habe den „klareren politischen Kurs“ als der SPD-Kandidat, dem lediglich 26 Prozent das größere Maß an Klarheit zubilligten.

Hatte Peer Steinbrück kurz nach seiner Ausrufung zum Kanzlerkandidaten noch vergleichsweise gute Bewertungen erhalten, so blieb während der ganzen Kampagne der große Abstand zwischen Kanzlerin und Herausforderer konstant. Dabei muss es die SPD ganz besonders schmerzen, dass selbst in dem einzigen Feld, wo im direkten Vergleich dem Kanzlerkandidaten mehr Kompetenz zugerechnet wurde als der Amtsinhaberin, der Abstand zwischen den beiden relativ gering war: 34 Prozent waren der Auffassung, dass Peer Steinbrück für soziale Gerechtigkeit stehe, und 26 Prozent rechneten der Kanzlerin diesen Wert zu. In den Monaten vor der Wahl lag Angela Merkel in Umfragen bei diesem Wert sogar kurzzeitig vor ihrem Herausforderer. Diese Tatsache ist aus zwei Gründen sehr bemerkenswert: Erstens ist die „Soziale Gerechtigkeit“ das klassische Imagethema der Sozialdemokraten, das ihnen in der Bevölkerung klar zugerechnet wird – trotz aller Irritation in ihrer Anhängerschaft über die Agenda-Politik. Zweitens hat die SPD in den Monaten vor der Wahl einen „Gerechtigkeitswahlkampf“ ausgerufen. Steinbrücks Schattenminister Matthias Machnig jubelte angesichts dieser „neuen“ Wahlkampfausrichtung: „Unser Markenkern war angekratzt, aber jetzt sind wir endlich wieder da.“ Die Sozialdemokratie müsse endlich die Mitte-Fixierung beenden, die Republik sei reif für eine neue, linke Wirtschaftspolitik.

Der SPD-Stratege Machnig hat sich mehr als deutlich verschätzt. Denn genau hier liegt neben der außergewöhnlichen Beliebtheit der Bundeskanzlerin einer der inhaltlichen Gründe für den überragenden Wahlsieg der Union. Man mag vielleicht nicht der etwas simplen Einschätzung des ARD-Moderators Jörg Schönenborn folgen, der den Wahlkampf schon im Januar auf die einfache Formel „Soziale Gerechtigkeit oder Wirtschaftswachstum“ reduziert hat, aber zweifelsohne hat die positive wirtschaftliche Grundstimmung eine wichtige Rolle gespielt – gerade auch im Vergleich zur Situation 2009. Damals befürchteten noch 64 Prozent einen baldigen Abschwung. Heute sind es gerade einmal 26 Prozent. Nur knapp zehn Prozent fürchten um ihren Arbeitsplatz.

Die große Bedeutung dieser positiven Werte für den Wahlausgang wird dann deutlich, wenn man sie in Beziehung zu den Parteikompetenzen der Union setzt. Ob es die Euro- oder Schuldenkrise ist, die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen oder die Fähigkeit, die Wirtschaft in Deutschland voranzubringen, fast überall erzielt die CDU/CSU nicht nur gute Werte, sondern kann auch im Vergleich zur Wahl 2009 deutliche Zugewinne erzielen. In keinem Feld mit Ausnahme der „Sozialen Gerechtigkeit“ liegt die SPD vor der Union, und auch hier hat sie sogar im Vergleich zur vorherigen Wahl vier Punkte eingebüßt. Wenn es überhaupt so etwas wie einen sichtbaren Gerechtigkeitswahlkampf der SPD gegeben hat, dessen Konturen man allenfalls unscharf erkennen konnte, dann ist er klar gescheitert.

 

Nicht nur Merkels Triumph

Gerade bei der Zukunftskompetenz, die Edmund Stoiber einmal so schön als „Kompetenz-Kompetenz“ betitelt hat, wird deutlich, dass die Schwäche der SPD nicht nur die Schwäche des Kandidaten ist. Während die SPD hier lediglich zwanzig Prozent verzeichnet, kann die Union ihr Ergebnis von 2009 um zehn Prozentpunkte auf 39 Prozent steigern. Die beachtlichen Zugewinne bei den direkt gewonnenen Wahlkreisen, die in vielen Ländern – gerade auch in den neuen Ländern – fast durchgehende „schwarze Flächen“ gebildet haben, unterstreichen den Eindruck, dass die Stärke der Union nicht nur die Stärke Angela Merkels war. Die Wähler haben auch der Partei ein hohes Maß an Vertrauen ausgesprochen. Insofern ist der Satz des Welt-Herausgebers und Altgrünen Thomas Schmid „Angela Merkel hat ohne ihre Partei gewonnen“ schlicht falsch.

In die gleiche Richtung deutet ein anderer Befund: Dass die Wählerinnen und Wähler erneut ihre Wahlentscheidung spät getroffen und rund 32 Prozent erst in den letzten Tagen vor der Wahl entschieden haben, wo sie ihr Kreuz machen, ist keine überraschende Erscheinung. Aber spannend ist die Tatsache, dass die Wählerschaft der Union bei dieser Wahl zu den besonders Frühentschiedenen gehörte. Auch das ist nicht gerade ein Ausweis des Misstrauens gegenüber der Partei.

Es sei dahingestellt, ob es tatsächlich die Taktik der CDU war, es 2013 erneut mit der sogenannten asymmetrischen Demobilisierung zu versuchen, denn angesichts des Ergebnisses ist die Frage nun vergleichsweise irrelevant geworden. Hinter diesem schillernden politikwissenschaftlichen Kunstbegriff verbirgt sich ja bekanntlich die Strategie, im Wahlkampf alle Stellungnahmen zu kontroversen Themen zu vermeiden, die die Anhänger des anderen politischen Lagers dazu anregen könnten, zur Wahl zu gehen, und zugleich die Hoffnung zu hegen, dass die eigenen Anhänger in geringerem Ausmaß zu Hause bleiben. Tatsache ist aber – und das macht die Frage unwichtig –, dass die CDU in ungewöhnlich starkem Maße Nichtwählerinnen und Nichtwähler mobilisieren konnte. Deutlich mehr als 1,1 Millionen Wählerinnen und Wähler, die zuvor nicht an die Urnen gegangen waren, entschieden sich diesmal für die Union – vermutlich nicht zuletzt wegen der guten Regierungsbilanz, die man der CDU, nicht aber der FDP angerechnet hat. Da Bundestagswahlen in der Vergangenheit nicht selten durch die Wechselwähler entschieden worden sind, ist diese Mobilisierung umso erstaunlicher.

 

FDP: Sich selbst klein gewählt

Eine massive Wechselwahl hat es freilich schon gegeben – nur ganz anders als gewohnt. Der mit Abstand größte Wechsel von Stimmen hat sich zwischen der Union und der FDP vollzogen. Über 2,1 Millionen Wählerinnen und Wähler der FDP haben sich entschlossen, diesmal die Union zu wählen, man muss wohl sagen, „wieder die Union zu wählen“. Denn man muss kein politikwissenschaftliches Studium absolviert haben, um die Vermutung zu hegen, dass das Gros jener Wählerinnen und Wähler, die 2009 von der CDU zur FDP gewechselt waren, weil sie die Fortsetzung der Großen Koalition verhindern wollten, nun wieder zur CDU zurückgekehrt sind. Der unsinnige Vorwurf an die CDU, sie habe die FDP „hängen lassen“, geht nicht nur wegen der vielen lokalen Abmachungen von FDP und CDU völlig fehl. Viele FDP-Granden sprechen längst nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand von „hausgemachten Ursachen“ und handfester eigener Schuld. Man habe sich mit dem politischen Erscheinungsbild der Partei gegen das Selbstbewusstsein der stolzen FDP versündigt, sagt Wolfgang Kubicki. „Wer sich kleiner macht, als er ist, muss sich nicht wundern, dass er klein gewählt wird.“

Dabei kann neben einer verfehlten und flehentlichen „Bettelkampagne“ (Lasse Becker) der Liberalen möglicherweise ein weiterer ungewöhnlicher Aspekt die negative Dynamik gegen die FDP noch weiter verstärkt haben. Welche direkte Wirkung im Einzelnen der Ausgang der bayerischen Landtagswahl auf die Bundestagswahl wirklich hatte, ist schwer zu belegen. Der Blick auf vergangene Wahlen legt aber nahe, dass das überaus schlechte Abschneiden der FDP bei der Bayernwahl den einen oder anderen Wähler auf der Bundesebene davon abgehalten hat, die FDP zu wählen, aus der Angst heraus, seine Stimme zu „verschenken“. Das kann zumindest teilweise erklären, warum die Sehnsucht der FDP nach „Zweitstimmen“ nicht erfüllt worden ist. Die Wahlforschung kann jedenfalls klar nachweisen, dass es bei Wahlsystemen mit Prozenthürden solche Effekte gibt. Die spannende Tatsache, dass über dreißig Prozent der Wählerinnen und Wähler in Bayern ihre Stimme per Briefwahl abgegeben haben und Briefwähler überdurchschnittlich oft für die CDU entscheiden, wird jedenfalls dem CDU-Ergebnis nicht geschadet haben. Denn es ist davon auszugehen, dass die bayerischen Briefwähler für beide Wahlen abgestimmt haben.

Was die Zukunft der Liberalen betrifft, so sollte man sich zum jetzigen Zeitpunkt jeder Weissagung enthalten. Allerdings wird neben der Frage der programmatischen Ausrichtung der massive „Brain-drain“, den die Partei erleiden wird, weil sich zum Beispiel fähige Fraktionsmitarbeiter der FDP anderweitig beruflich orientieren müssen, die Partei vor große Herausforderungen stellen.

 

Ein zweiter Kloß

Der zweite Kloß, der vielen Unionsanhängern nach dem „wahlsonntäglichen“ Festessen schwer verdaulich im Magen liegt, ist neben dem Wegbrechen ihres traditionellen Koalitionspartners, mit dem die Union in bald 65 Jahren Bundesrepublik das Land geprägt haben, das unerwartet starke Abschneiden der AfD. Dabei ist es ein schwacher Trost, dass die Union relativ wenig zum Erstarken der Partei beigetragen hat. Lediglich 290.000 Wählerinnen und Wähler sind von der Union zur AfD gewechselt. Sehr viel deutlicher mobilisiert hat die AfD bei den Wählerinnen und Wählern der FDP (430.000 Stimmen). Auch die Linke musste gegenüber der AfD deutlich „Federn lassen“ (340.000 Stimmen). Fast genauso stark wie die FDP haben aber – zusammengerechnet – die sonstigen Parteien an die AfD abgegeben.

Die AfD kann sich noch so sehr darum bemühen, ihre inhaltlichen Punkte in den Vordergrund zu stellen. Das ändert nichts daran, dass nur vierzehn Prozent die Partei wegen ihrer Inhalte, 67 Prozent aber wegen der Unzufriedenheit mit anderen Parteien gewählt haben. Das ist ungewöhnlich: In der Regel sind Bundestagswahlen keine Protestwahlen. In Deutschland werden Wahlen so deutlich wie in nur wenigen anderen Ländern priorisiert. Bei der Bundestagswahl, die klar als entscheidende Wahl eingestuft wird, gab es bislang kaum einen Hang zu „Experimenten“. Es werden vor allem die großen Parteien oder aber die „Lager“ gewählt. Das hat der „Einthemen-Partei“ AfD zwar offenbar nicht geschadet, wohl aber – neben ihrem schlechten Erscheinungsbild in den vergangenen Wochen – der „Keinthemen-Partei“ „Piraten“. Da in dieser Wahlprioritätenliste die Europawahlen – zu Unrecht – an letzter Stelle kommen und hier sehr wohl die Tendenz besteht, von dem sonst üblichen Wahlverhalten abzuweichen, darf man die Ankündigung von AfD-Parteichef Bernd Lucke, man konzentriere sich nun auf die Europawahl, nicht ohne Weiteres abtun.

Neben dem unerwartet guten Abschneiden der AfD gehört zu den außergewöhnlichen Überraschungen, die diese Wahl für die Wahlforscher bereitgehalten hat, auch die erstaunliche Beobachtung, dass erstmals auf der Bundes- oder Landesebene ein signifikanter Wählerstrom von den Grünen zur Union geflossen ist. Bislang war nicht selten der Wähleraustausch zwischen Union und Linkspartei größer als derjenige zwischen Union und Grünen. Immerhin 420.000 ehemalige Wähler der Grünen haben sich diesmal für die Union entschieden. Die These, dass dabei die grünen Steuererhöhungspläne eine Rolle gespielt haben, mag man kaum von der Hand weisen.

 

Rot-grüner Kannibalismus

Die Grünen werden ihn zwar nicht gerne als geliebten Kronzeugen betrachten, aber „Altmeister“ Joschka Fischer hat es in der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt gebracht: Anstatt sich auf die Realitäten einer brummenden Wirtschaft einzustellen, habe man fast ausschließlich auf das Gerechtigkeitsthema gesetzt und damit völlig die Mehrheitsstimmung verfehlt. Mit der Linksverschiebung und der Preisgabe der Mitte habe man sich bei Grünen und SPD gegenseitig kannibalisiert.

In Sachen „Linksverschiebung“ baumelt ein Damoklesschwert indes bedrohlicher denn je über den Köpfen der Union. Wie auch immer die Regierungsbildung ausgehen mag, Gregor Gysi ist bereits am Tag nach der Wahl mit einem Satz zitiert worden, dessen Wahrheitsgehalt vielleicht noch nicht sofort, zumindest aber langfristig nicht in Frage gestellt werden kann: „Die SPD hat sich mit ihrer Ausschließeritis selbst geschadet“, es werde diese „ab morgen nicht mehr geben“ (Tagesspiegel, 23. September 2013). Das linke Spektrum wird sich zum Ziel setzen, Rot-Rot-Grün langfristig zu enttabuisieren. Für eine mögliche Große Koalition bleibt diese Perspektive ein mehr oder weniger scharf geschaltetes „Drohpotenzial“.

Diese Konstellation wird vielleicht keine Bedrohung, wohl aber wegen der immer noch deutlichen kommunistischen Strömungen in der Linkspartei eine Herausforderung für das demokratische Parteiensystem sein. Im Kontrast dazu steht aber für die deutsche Parteiendemokratie eine erfreuliche Nachricht, die ebenfalls nicht verschwiegen werden sollte: Vielleicht darf man aus einer Schwalbe noch keinen Sommer machen, aber nachdem die gemeinsamen Ergebnisse der beiden Volksparteien seit den 1970er-Jahren entweder gesunken waren oder stagniert hatten, sind sie bei dieser Wahl wieder deutlich angestiegen. Dass die zweite Volkspartei dabei mit nur geringen Gewinnen immer noch das zweitschlechteste Ergebnis seit 1949 erzielt hat, ist kein Grund zur Häme, ändert aber auch nichts daran, dass die Untergangspropheten, die den Volksparteien den nahenden Tod vorausgesagt haben, ein weiteres Mal deutlich geirrt haben. Widerlegt ist zumindest vorerst auch die leidige Großstadtdebatte. Mit Ausnahme von Duisburg konnte die Union auch in den Großstädten überdurchschnittlich deutlich zulegen.

Schon allein deshalb fällt es überaus schwer, in den Chor jener einzufallen, die angesichts der nicht ganz einfachen Koalitionsoptionen den Sieg der Union als Pyrrhussieg schmälern wollen. Im Film Per Anhalter durch die Galaxis rät der Supercomputer Deep Thought den ratlosen Menschen, mit seiner Hilfe einen noch größeren Computer zu bauen, dem man dann noch einmal ein paar Millionen Jahre Zeit geben könne, um wiederum zu erklären, was eigentlich konkret die Frage sei, die der Antwort „42“ zugrunde liege. Die Fragen, die sich der Union nach diesem Wahlsieg für die Zukunft stellen, lassen jedenfalls einen solchen Aufschub nicht zu. Denn zweifellos muss die Union erkennen, dass aus diesem überaus großen Vertrauensbeweis für die Partei, die Mariam Lau die „letzte Volkspartei“ genannt hat, große nationale und internationale Verantwortung angesichts einer schwierigen weltpolitischen Lage erwächst. Eine handlungs- und leistungsfähige deutsche Regierung ist längst nicht mehr nur für unser Land selbst und für Europa von großer Bedeutung, wie das weltweite Interesse an der deutschen Wahl gezeigt hat.

Zu dieser Verantwortung gehört auch mittel- und langfristig, eine Antwort auf die Frage nach künftigen Koalitionsoptionen zu finden. Ebenso gehört dazu, wenngleich sich das im Augenblick des Sieges nicht sofort aufdrängt, an der kontinuierlichen Erneuerung der Partei weiterzuarbeiten. Wenn aber der Abend des 22. September eines überdeutlich gezeigt hat, dann, dass es sich lohnt, diese Verantwortung wahrzunehmen – für Deutschland und für die Union.


Michael Borchard, geboren 1967 in München, Leiter der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.