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Über das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Medien

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Das Vertrauen in die Wissenschaft ist in den letzten Monaten – so die aktuelle Sonderausgabe des Wissenschaftsbarometers – spürbar gewachsen.1 Dies ist trotz aller Krisennachrichten ein gutes Signal. Doch die Corona-Pandemie hat auch ein neues Licht auf das Verhältnis von Wissenschaft und Politik sowie Wissenschaft und Medien geworfen, das auch der Wissenschaftskommunikation in diesem Beziehungsgefüge eine neue Bedeutung zukommen lässt.2

Eine gesicherte Evidenzbasis und wissenschaftliche Fakten in die Politikgestaltung einzubeziehen, ist eine schwierige und herausfordernde Aufgabe. Der Rekurs auf Wissenschaft in der Politikgestaltung ist generell schwierig, weil wissenschaftliche Fakten, genauer die Konsequenzen, die man aus ihnen ziehen müsste, in einem Spannungsverhältnis zu politischen Zielen, Normen und Wertvorstellungen stehen und nicht selten sogar mit ihnen in Konflikt treten. Eine Extremform ist der in der Coronakrise – meines Erachtens fälschlicherweise – entstandene Eindruck, die Virologie würde der Politik nun Vorgaben machen und ein politisches Handeln erzwingen, das keine Alternativen kenne.

Der Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) Ottmar Georg Edenhofer hat sich 2015 mit seinem Kollegen Martin Kowarsch in einem interessanten Beitrag mit dieser Problemlage befasst.3 Demnach sind drei Modelle des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik zu unterscheiden: das dezisionistische Modell, das technokratische Modell und das demokratisch-pragmatische Modell.

 

Getrennt oder verbunden?

 

Dem sogenannten dezisionistischen Modell nach Max Weber zufolge würde die Politik ohne konkrete objektive Begründung, also den Rekurs auf wissenschaftliche Expertise, politische Ziele bestimmen. Der Wissenschaft käme dann die Aufgabe zu, nach Maßgabe der Zweckrationalität herauszufinden, wie solche politischen Ziele effektiv und effizient umgesetzt werden können. Beide Bereiche wären also streng voneinander getrennt. Ganz anders das technokratische Modell, dem zufolge sowohl die Ziele als auch die Mittel, diese zu erreichen, von Experten bestimmt werden, was letztlich auf eine Herrschaft der Experten hinauslaufen würde. Doch weder die konsequente Trennung (dezisionistisches Modell) noch die strukturelle Verbindung (technokratisches Modell) beider Bereiche ist erfolgreich, denn beide Bereiche sind miteinander verschränkt. Es lässt sich nicht zwischen Zielen und Werten auf der einen Seite und werturteilsfreien Mitteln zur Erreichung dieser Ziele auf der anderen Seite trennen. Selbst wenn ein Lockdown eine rational begründete politische Maßnahme ist, so müssen doch die Interessen der Schülerinnen und Schüler, deren Schulen geschlossen sind, mit den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die womöglich ihren Arbeitsplatz verlieren, sorgfältig abgewogen werden. Die Frage, ob man zunächst Schulen oder doch lieber erst die Betriebe wieder öffnen will, ist nicht nur eine Frage der politischen Wertvorstellungen, sondern auch eine der Fakten über die Ansteckungsgefahr, die von jüngeren Menschen ausgeht, der tatsächlichen Möglichkeiten der Einhaltung von Hygieneregeln oder der Nachvollziehbarkeit von Infektionsketten. All dies gilt es abzuwägen. In diversen und pluralen Gesellschaften gehört darüber hinaus eine gewisse Handlungsfreiheit jenseits von strenger Faktenorientierung ein Stück weit zum gesellschaftlichen Miteinander.

Es bleibt das pragmatisch-aufgeklärte Modell, das Edenhofer und Kowarsch entwickeln: Es löst das Problem der politischen Willensbildung auf der Basis wissenschaftlicher Fakten durch einen Prozess des permanenten Auslotens und Aufzeigens alternativer Handlungsmöglichkeiten. Der Wissenschaft käme diesem Modell zufolge die Aufgabe zu, der Politik in einem ständigen Iterationsprozess der Neubewertung von Implikationen politischer Handlungspfade im Licht neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse Alternativen aufzuzeigen.4 Die Entscheidung darüber, welche Pfade einzuschlagen seien, obläge dann der Politik. Die Wissenschaft wäre demnach so etwas wie ein Kartograf und „Wanderführer“, die Politik wäre der Steuermann oder Wanderer, der diese Karten mit alternativen Handlungspfaden nutzt, etwa beim Ausloten von Kompromissen oder beim Organisieren von Mehrheiten. Umgekehrt könnten auch Impulse für die Erschließung von Neuland aus der Politik in die Wissenschaft eingegeben werden. Das Entwerfen von Assessments alternativer Politikpfade wiederum wäre eine originäre Aufgabe der Wissenschaft, vielleicht sogar eine, die in Zukunft neben Publikationsleistungen und Erfolgen in der Forschung auch als wissenschaftliche Leistung anerkannt und honoriert werden könnte.

Wenn sich ein solch aufgeklärtes Modell des wissenschaftlich-politischen Diskurses als erfolgreich erweisen soll, dann kommt nicht zuletzt den Medien als Vermittler eine besondere Rolle zu.

In den vergangenen Jahren ist vielfach unter dem Schlagwort der „Mediatisierung der Wissenschaftskommunikation“ von einer Annäherung der innerwissenschaftlichen Kommunikation an die nach außen gerichtete Öffentlichkeitsarbeit oder Marketingkommunikation gesprochen worden. Der innerwissenschaftliche, auf Wahrheitsfindung ausgerichtete Diskurs wird immer mehr überlagert von den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie und des Wettbewerbs um Fördergelder. Dies zeigt sich beispielsweise in der Tendenz, die Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse einem Storyboard zu unterwerfen, gelegentlich zuzuspitzen oder vorschnelle Schlüsse hinsichtlich der Nutzbarmachung oder Anwendung von Erkenntnissen zu ziehen oder gar zu übertreiben beziehungsweise zu sensationalisieren. Oftmals bleiben wissenschaftliche Gründlichkeit und Redlichkeit auf der Strecke, wenn unliebsame Versuchsergebnisse geglättet oder so eingehegt werden, dass sie dem gewünschten Ergebnis entsprechen. „Publish or perish“ lautet eine bekannte Devise, die innerhalb der Wissenschaft über Wohl und Wehe einer Karriere bestimmen kann. Sie gewinnt unter diesen Bedingungen sowohl im innerwissenschaftlichen Diskurs als auch für die Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse an eine breitere Öffentlichkeit eine neue, kritische Dimension.

Auffallend ist auch, dass es populistische Gruppen oftmals leichter als redlich arbeitende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Vielleicht liegt das an den Besonderheiten der Online-Kommunikation in den sozialen Medien. Anonymität, das Sammeln von Likes, der Wettbewerb um Aufmerksamkeit, von Algorithmen produzierte Inhalte oder auch Bots, die in Kommunikationsprozesse eingreifen – all dies verändert den Austausch von Informationen und die Qualität von Debatten, die im virtuellen Raum geführt werden. Sensationen zählen dort mehr als Sachlichkeit, der Kampf um Aufmerksamkeit verdrängt die Qualität der Beiträge, und oftmals ist ein reines Kontaktinteresse wichtiger als der Austausch über Inhalte. Psychologische Studien belegen zudem, dass sich bestimmte Effekte, die insbesondere in Stammtischsituationen zu beobachten sind, im virtuellen Raum verstärken: Filterblasen, Gruppenzugehörigkeitseffekte, Parteilichkeit und leichter zu bespielende Informationskanäle führen dazu, dass es randständige Gruppen mit kruden Thesen leichter haben, überproportional viel Gehör und Aufmerksamkeit zu finden.5

 

Spielregeln des Politikjournalismus

 

In einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung habe ich versucht, aufzuzeigen, was passiert, wenn – wie gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie zu beobachten ist – Wissenschaftskommunikation auf die Spielregeln trifft, die im Politikjournalismus angewendet werden.6 Während in der Politikberichterstattung jeder Position auch eine Gegenposition, zum Beispiel die einer Oppositionspartei, entgegenstellt wird, geschieht dies nun auch bei der Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Der These von Forscher A wird die Gegenthese von Forscher B entgegenstellt. Was dabei jedoch zu kurz kommt, ist das differenzierte Abwägen und Bewerten sowie das langsame diskursive Aushandeln solcher Thesen, das für die Wissenschaft typisch ist. In der Wissenschaft kann man nicht einfach abstimmen und damit einen solchen Diskurs abkürzen. Der Diskurs geht immer weiter und führt auch dazu, dass Forscher A heute etwas anderes sagt, als er gestern noch vertreten hat. In der Wissenschaft gehört das Revidieren von Positionen im Licht neuer Erkenntnisse zur wissenschaftlichen Arbeitsweise ganz selbstverständlich dazu und ist alles andere als ein Makel, der in der Politik nur dann toleriert wird, wenn die Mehrheit weiterhin gesichert ist.

Einen möglichen Ausweg sehe ich in einer weiteren Stärkung und Verbreiterung der Wissenschaftskommunikation, in der es immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gelingt, ihre Perspektiven und Positionen wahrnehmbar, transparent und verständlich zu kommunizieren.

Wenn wissenschaftliche Fakten für die Politikgestaltung und damit die Weiterentwicklung von Grundregeln unseres Zusammenlebens und die diesen zugrunde liegenden Wertvorstellungen ein wichtiger Bezugspunkt sein sollen, dann bedarf es einer Stärkung und Verbreiterung der Wissenschaftskommunikation, nicht nur in den etablierten Medien, sondern auch im Internet. Hinzukommen muss gerade im Umgang mit sozialen Medien die Kompetenz, sich aus verschiedenen Informationsquellen die relevanten und glaubwürdigsten herauszusuchen. Online-Medien bieten die Chance und die Herausforderung, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch persönlich in die Debatte einbringen und selbst kommunizieren. Beeindruckt hat mich beispielsweise, wie es dem Virologen Christian Drosten gelungen ist, sich gegen Vorwürfe der Bild-Zeitung zu verteidigen, er habe in einer seiner Studien statistisch nicht sauber gearbeitet. Drosten hat sich mit seinem eigenen Blog einen Namen gemacht und ist ein gefragter Ansprechpartner für Politik und Medien. Er betreibt einen eigenen Twitter-Account, über den er die Vorwürfe der Bild-Zeitung zurückgewiesen hat. Nachdem ihm auch Wissenschaftler, die ihn im innerwissenschaftlichen Diskurs kritisiert hatten, zur Seite gesprungen waren, war schnell klar, dass an den Vorwürfen nichts dran war. Das Beispiel zeigt, wie hilfreich es sein kann, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst zu Akteuren der Wissenschaftskommunikation werden, sich über eigene Blogs oder einen Kanal in den sozialen Medien ein eigenes Kommunikationsinstrument aufbauen. Das kann zu Authentizität und Glaubwürdigkeit beitragen und vor ungerechtfertigten Vorwürfen schützen.

Wenn es in einer aufgeklärten, pluralen und demokratischen Gesellschaft gelingen soll, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in einen erfolgreichen wechselseitigen Dialog miteinander zu bringen, in dem man sich über gemeinsame Ziele, alternative Handlungspfade und unterschiedliche Maßnahmen, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen, verständigen kann, dann kommt der Wissenschaftskommunikation eine herausragende Bedeutung zu. Um das für unser Zusammenleben so wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu stärken, müssen wir deshalb die Wissenschaftskommunikation stärken. Vielleicht kann die neue Ausschreibung der VolkswagenStiftung „Wissenschaftskommunikation hoch drei“, deren Ziel es ist, die Akteure aus den Bereichen Wissenschaft, Medien und Kommunikation in einen fruchtbaren Austausch zu bringen, hierzu einen Beitrag leisten.

 

Georg Schütte, geboren 1962 im Rheine, Staatssekretär a. D., seit 2020 Generalsekretär der VolkswagenStiftung, Hannover.

 

1 Vgl. „Wie sehr vertrauen Sie Wissenschaft und Forschung?“, www.wissenschaft-im-dialog.de/ fileadmin/user_upload/Projekte/Wissenschaftsbarometer/Dokumente_20/Einzelgrafiken/2020_ Wiba_Corona_Social5_skaliert.png [letzter Zugriff: 29.07.2020].

2 Der Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Vortrags, den der Autor im Rahmen der OnlineVeranstaltung „ZWM@Home – State of the Art 2020: Wissenstransfer als Aufgabe von Hochschulen und Forschungseinrichtungen“ am 23.06.2020 gehalten hat.

3 Ottmar Georg Edenhofer / Martin Kowarsch (2015): „Ausbruch aus dem stahlharten Gehäuse der Hörigkeit: ein neues Modell der wissenschaftlichen Politikberatung“, in: Peter Weingart / Gert G. Wagner (Hrsg.): Wissenschaftliche Politikberatung im Praxistest, Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2015, S. 83–106.

4 Edenhofer/Kowarsch 2015, S. 98.

5 Wiedergegeben nach Carsten Könnecker: „Was die Forschung zwitschern könnte“, in: Der Tagesspiegel, 17.03.2019, S. 5.

6 Georg Schütte: „Systemrelevanz oder Systembruch“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.05.2020.

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