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Wie die Soziale Marktwirtschaft Vermögen und Freiheit sichert

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Die Soziale Marktwirtschaft kann auf eine erfolgreiche Geschichte zurückblicken, weil sie ein zentrales Versprechen einlöste: „Wohlstand für alle“. In den 1950er-Jahren war dieser Erfolg derart überraschend und überwältigend, dass die Zeitgenossen von einem „Wunder“ sprachen. Das Wirtschaftswunder wurde mit seiner frühen Vollbeschäftigung, seinen wachsenden Löhnen und Konsummöglichkeiten zum Gründungsmythos der Bundesrepublik. Im kollektiven Bewusstsein der Deutschen verdanken sie dieses Wunder ihrer eigenen harten Arbeit und einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, als deren Vater Ludwig Erhard in hohem Ansehen steht. Aus der Trümmergesellschaft war sehr schnell eine Leistungs- und Konsumgesellschaft geworden. Die Zustimmung zur Sozialen Marktwirtschaft hängt auch in Zukunft davon ab, dass es der Politik gelingt, dieses Versprechen von Wohlstand für alle einzulösen. Die Bürger erwarten, dass sie zu fairen Löhnen Beschäftigung finden, dass sie sozial gegen die Härten des Lebens wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit abgesichert sind, dass die Währung stabil ist und sie Vermögen bilden können. Das Erfolgsgeheimnis der Sozialen Marktwirtschaft liegt darin, dass ihre Gründer von Anfang an einen vermittelnden Kurs zwischen ökonomischen und sozialen Interessen beschritten haben. In den folgenden Jahrzehnten neigte sich die Balance manchmal zur rechten oder linken Seite, aber sie ist nie verloren gegangen.

 

Markt ex machina?

„(…) die rein liberale Marktwirtschaft und die Wirtschaftslenkung sind innerlich verbraucht, und es kann sich für uns nur darum handeln, eine neue dritte Form zu entwickeln (…)“, schrieb Alfred Müller-Armack, der die Grundsatzabteilung im Wirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard leitete. Er war es, der diesem dritten Weg den Namen „Soziale Marktwirtschaft“ gab. Mitbegründer wie Wilhelm Röpke hatten aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre gelernt, dass der Markt eben kein autarkes, sich selbst genügendes System ist, das, wie von unsichtbarer Hand geleitet, stets nur Wohlstand und Glück produziert. Der Markt, den man sich selbst überlässt, neigt zur Monopolbildung, er beschränkt die Konsumentensouveränität und leidet unter Marktversagen, das etwa darin besteht, dass Arbeiter um die Teilhabe an den Früchten ihrer Arbeit gebracht werden oder dass die Erhaltung der Umwelt zu wenig beachtet wird.

Die unbestreitbar wohlstandsfördernden Effekte des Marktes können also nur dann gesichert werden, wenn das Marktgeschehen reguliert wird und den Vorgaben der politischen Ordnung folgt. Für Müller-Armack ist der Markt ein Instrument, das zur Preisbildung und damit optimalen Bedarfsdeckung eingesetzt werden soll. In welchem Rahmen das geschieht, gibt aber die Politik vor. Wenn der freie Wohnungsmarkt für Geringverdiener nicht ausreichend Wohnraum anbietet, weil sich die Vermietung an diese Gruppe für Vermieter nicht lohnt, kann der Staat in den Markt eingreifen und etwa Wohngeld zahlen. Oder er fördert die Vermögensbildung von Familien durch eine Eigenheimzulage. In den 1960er-Jahren investierten die Kommunen massiv in den sozialen Wohnbau, um die Wohnungsnot zu lindern. All das verträgt sich grundsätzlich mit den Ordnungsprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft. Wichtig dabei ist aber, die Balance zu halten.

 

Freiheit und Eigentum

Müller-Armack war nur allzu bewusst, dass die Politik zu den marktradikalen Liberalen genauso auf Distanz gehen muss wie zu Anhängern einer sozialistischen Wirtschaftslenkung. Die Misswirtschaft in den Zentralverwaltungsökonomien des Sozialismus bot dabei ein abschreckendes Beispiel. Keinesfalls darf die Sozialbindung des Eigentums, die im Grundgesetz verankert ist, den Staat ermächtigen, unbeschränkt in Freiheit und Eigentum der Bürger einzugreifen. Die Sozialbindung rechtfertigt nicht die Enteignung der Unternehmer. Den Gründungsvätern der Sozialen Marktwirtschaft war klar: Sie mussten die wachsende Sozialindustrie im Zaum halten, die mehr Umverteilung forderte und dies stets mit sozialer Gerechtigkeit begründete. Sie mussten aber ebenso die Industrielobby reglementieren, die ihre Marktmacht mit dem Recht auf Freiheit legitimierte. Ludwig Erhard selbst vertraute auf die Stärke seiner Ordnungspolitik. Die Marktwirtschaft ist nicht nur den Planwirtschaften überlegen, weil sie mehr Wohlstand produziert. Das ihr zugrunde liegende Wettbewerbsprinzip sichert die Freiheit. Konkurrenz ist Gewaltenteilung, und Erhard musste das Wettbewerbsprinzip bezeichnenderweise gegen die Kartellinteressen der Industrie durchsetzen. Erhard registrierte mit Unbehagen, dass in den prosperierenden 1960er-Jahren der Ruf nach mehr Sozialstaat nicht leiser, sondern lauter wurde. Er war dagegen, dass die Wirtschaft überreglementiert und durch zu viele Abgaben erstickt wird, weil sie dann ihre Kernfunktion nicht mehr erfüllen kann: die Erarbeitung von Wohlstand und Vermögen in Freiheit.

 

Träge Pendelausschläge

Spätestens seit dem Beginn der sozialliberalen Koalition in den 1970er-Jahren deutete sich an, dass es zum Konstruktionsprinzip der Sozialen Marktwirtschaft gehört, das Pendel zwischen mehr Markt und mehr Sozialstaat periodisch hin- und herschwanken zu lassen. Dem Wohlstand am förderlichsten ist eine positive Ergänzung beider Elemente. Das gelingt naturgemäß nur selten. Immer wieder erweist es sich dabei als besonderes Problem, wenn der Staat temporär notwendige Eingriffe nicht oder zu spät zurücknimmt und Lobbyinteressen zu lange gewähren lässt. Beim sozialen Wohnbau war das etwa der Fall. Statt die Programme zurückzufahren, uferte die Förderung in den 1980er-Jahren aus. Zur Freude der Bauunternehmer konnten sie ausgerechnet im sozialen Wohnbau am besten verdienen. Es dauerte lange, bis die Programme beendet wurden. Ein ähnliches Muster zeigte sich bei der Sonderabschreibung Ost zur Förderung des Wohnungsbaus in Ostdeutschland nach der Wende 1990. Um schnell privates Kapital zur Sanierung der maroden Wohnsubstanz zu mobilisieren, gewährte der Staat eine Abschreibung von fünfzig Prozent der Baukosten. Hunderttausende Steuersparer investierten und lösten den gewünschten Bauboom aus. Dabei wurde hingenommen, dass die Bauwirtschaft einen Teil der Förderung einstrich, indem sie schlicht die Preise erhöhte. Das politische Ziel, im Osten Arbeit und modernen Wohnraum zu schaffen, war wichtiger, und es funktionierte auch. Falsch war, die Sonderabschreibungen nicht bald wieder zurückzufahren. In vielen Städten, wie etwa in Leipzig, entstanden Überkapazitäten, viel (Steuer-)Geld floss in überteuerte und unrentable Projekte. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist die Soziale Marktwirtschaft reinen Markt- oder Plansystemen überlegen: Der „reine“ Markt wäre mit dem plötzlichen Aufbau ganz Ostdeutschlands nach der Wende überfordert gewesen. Der Staat musste sich also lenkend einmischen. Er hat es damit übertrieben und den idealen Ausstieg aus der Sonderförderung versäumt. Aber das Ergebnis kann sich nach 25 Jahren Aufbau Ost im Ganzen doch sehen lassen.

 

Startschuss: das 312-Mark-Gesetz

Gemischt fällt die Bilanz bei der Vermögensbildung aus. Den Gründungsvätern der Sozialen Marktwirtschaft war sie äußerst wichtig. Angesichts der sozialistischen Systemkonkurrenz konnte dem „Klassenkampf“ am besten mit dem Aufbau einer breiten, gut verdienenden und vermögenden Mittelschicht begegnet werden. Sie ist die beste Grundlage für eine demokratische und marktwirtschaftliche Ordnung. In den 1970er-Jahren scheiterte Joschka Fischers radikale „Stamokap“-Aktion (beim Kampf gegen den „staatsmonopolistischen Kapitalismus“) in den Opel-Werken an den Arbeitern, die nicht einsehen wollten, warum sie gegen Spanienurlaub und Reihenhäuschen rebellieren sollten. Deutschland entwickelte sich in dieser Zeit zu einem Hochlohnland und stieß an die Spitze der internationalen Lohnpyramide vor.

Schon Anfang der 1950er-Jahre legte die Bundesrepublik mit dem Lastenausgleich einen Grundstein für die Entwicklung der Mittelstandsgesellschaft. Diejenigen, denen erhebliches Vermögen verblieben war, mussten an jene, die vertrieben oder ausgebombt worden waren, eine Ausgleichsabgabe zahlen. Auch die Währungsreform benachteiligte die Geldbesitzer und verteilte so Vermögen um. Zentral für die anhaltende allgemeine Wohlstandsentwicklung war aber das Wirtschaftswunder, zu dem die enge Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften bei der Lohnpolitik und in den paritätisch besetzten Sozialversicherungen wesentlich beitrugen.

In die Frühzeit der Bundesrepublik fallen auch die Versuche, gemeinsam mit den Gewerkschaften eine Vermögensbildung für die gesamte Gesellschaft umzusetzen. Das 312-Mark-Gesetz begünstigte ab 1961 als erste staatliche Unterstützung von Privatvermögen in Arbeitnehmerhand durch Steuerbefreiung die vermögenswirksame Anlage eines Teils des Arbeitslohns. Die Riester- und die Rürup-Rente knüpften später an diesen Erfahrungen an. Sehr erfolgreich wurde auch das Bausparen, das ebenfalls dem Ziel diente, breiten Schichten den Erwerb eines Eigenheims zu ermöglichen. Trotzdem haben die vielen Steuervorteile für Häuslebauer die Deutschen nicht zu einem Volk der Eigenheimbesitzer machen können. Der Anteil der selbst bewohnten Eigentumswohnungen beträgt nur 43 Prozent; in Spanien etwa liegt die Wohneigentumsquote bei achtzig Prozent. Es gab auch Versuche, einen dem Sozialismus überlegenen Volkskapitalismus zu schaffen. Bei der Reprivatisierung von großen Unternehmen wie dem Volkswagenwerk 1961 oder von Preussag und VEBA wurden den Belegschaften der Unternehmen Vorzugsrechte eingeräumt. Auch das wiederholte sich später mit der Telekom-Aktie. Dennoch ist es nicht gelungen, aus den Deutschen ein Volk von Aktionären zu machen. Lediglich 13,6 Prozent der Bevölkerung besitzen Aktien. Das liegt an der das Risiko scheuenden Mentalität der Deutschen.

 

Tiefe Eingriffe in Eigentumsrechte, Machtzuwachs des Managements

Die Gewerkschaften setzten in den späten 1970er-Jahren die Mitbestimmung in den großen Aktiengesellschaften durch. Ihre Vertreter sitzen im Aufsichtsrat und entscheiden über die Gehälter des Managements ebenso mit wie über die Ausrichtung der Unternehmenspolitik. Verglichen etwa mit angelsächsischen Verhältnissen, erlaubt die deutsche Mitbestimmung einen tiefen Eingriff in die Eigentumsrechte der Unternehmenseigner. Nimmt man die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft zum Maßstab, hat sie der deutschen Industrie nicht geschadet. Viel bedeutsamer, aber weniger beachtet ist die Verschiebung der Verfügungsmacht über das Unternehmensvermögen vom Eigentümer auf das Top-Management. Die Vorstände sind zu den eigentlichen Herren der Konzerne geworden. Sie besitzen die Kontrolle über die Produktionsmittel. Die Aktionäre haben ihre Macht weitgehend an Investmenttrusts und Banken abgegeben und von ihrer, einst von Karl Marx beklagten, Herrschaft über die Produktionsverhältnisse ist nur das Recht auf Dividenden geblieben.

Dieser Machtzuwachs des Managements und der Finanzmärkte ist von den Gründungsvätern der Sozialen Marktwirtschaft nicht vorhergesehen worden und man hat darauf bislang noch keine Antwort gefunden. Finanzinvestoren üben nicht nur eine segensreiche, weil disziplinierende Wirkung aus, sondern sie entscheiden nach Rendite- und Effizienzkriterien, die nicht deckungsgleich sind mit den Interessen der deutschen Volkswirtschaft oder den Bedürfnissen eines demokratisch legitimierten Gemeinwesens. Während der Euro-Krise konnte man gelegentlich den Eindruck gewinnen, dass dem Diktat der Finanzmärkte nur schwer etwas entgegengesetzt werden kann. Seither schlägt Familienunternehmen eine große Sympathie entgegen. Allein circa 1.500 Weltmarktführer gibt es unter ihnen. Sie machen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft aus.

 

Lastenträger ohne Profit

Auch Steueroasen spielten am Anfang der Sozialen Marktwirtschaft keine Rolle – anders als heute, da Konzerne und Superreiche mittlerweile dort einen großen Teil ihres Vermögens verstecken und sich so der Besteuerung entziehen. Die vorenthaltenen Summen sind gigantisch und erzeugen das Gefühl der Ungerechtigkeit. Obwohl OECD und EU-Kommission inzwischen aktiv geworden sind, zieht sich die Austrocknung der Steueroasen hin.

Seit 1960 hat sich das Bruttoinlandsprodukt verfünffacht. Das Nettogeldvermögen beträgt heute gemäß Global Wealth Report 3.600 Milliarden Euro, das Immobilienvermögen 4.300 Milliarden Euro. Weltweit befand sich Deutschland in 2013 mit diesen Werten auf Platz 16. Das kann sich sehen lassen, zeigt aber auch Potenzial nach oben. Eine Studie der Europäischen Zentralbank (EZB) konstatierte, dass die Deutschen in Europa, gemessen an ihrer Wirtschaftskraft, vergleichsweise arm sind. Das hat unterschiedliche Gründe. Einer ist das risikoscheue Anlageverhalten. Am aktuellen Aufschwung des DAX, der die unternehmerische Kraft der deutschen Konzerne widerspiegelt, hat der Großteil der Deutschen keinen Anteil. Ebenso wenig am Höhenflug der Immobilienpreise, der durch die Niedrigzinspolitik der EZB befeuert wird. Ihr Geld liegt auf Sparkonten und Lebensversicherungen, die kaum verzinst werden. Das ist schade, denn die Deutschen tragen in der Euro-Rettungspolitik zwar die größte Last, profitieren aber kaum von ihren Vorteilen. Eine offene Diskussion ist überfällig, was bei der Vermögensbildung falsch läuft und was wir besser machen können. Die Soziale Marktwirtschaft hält dafür die steuernden Instrumente bereit.

 

Max A. Höfer, geboren 1959 in Stuttgart, Wirtschaftswissenschaftler, Historiker und Politologe, Gründer der Agentur höfermedia in Berlin.

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