Bilder können töten. Das zeigen nicht erst die furchtbaren Morde an den Redaktionsmitgliedern des Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris und die Anschläge in Kopenhagen. Der lange Schatten des Karikaturenstreits liegt seit 2006 über Europa und der ganzen Welt. Mohammed-Karikaturen einer dänischen Zeitung gingen um die Welt und lösten Reaktionen aus, die nicht nur das Leben ihrer Macher, sondern auch das gänzlich unbeteiligter Menschen in Gefahr brachten. In einer Zeit, in der kein Bild verborgen bleibt, ist die digitale Welt zu einem Austragungsort von Bilderkriegen geworden, die in der analogen Welt zu Mord und Totschlag führen. Nonnen eines Ordens in Afrika mussten ebenso sterben wie Menschen, die von Ferne wie Dänen aussahen. Filmemacher, Künstler und Karikaturisten fürchten bereits seit der brutalen Ermordung Theo van Goghs im November 2004 um ihr Leben. Auch die Karikaturisten aus der französischen Hauptstadt wurden seit 2006 bedroht, es gab einen Brandanschlag und in der Folge für die Blattmacher knapp kalkulierte Sicherheitsmaßnahmen. Das Redaktionsschild verschwand von der Hauswand, Polizisten bewachten den Eingang. Leben konnten diese Maßnahmen nicht retten. Erst seitdem Karikaturen über den Islam, insbesondere sarkastische Zeichnungen des Propheten Mohammed, auch in der westlichen Welt zum Lebensrisiko werden, diskutieren wir wieder über verletzte Gefühle und mögliche Tabus, über strafrechtliche Schutzgüter und über einen schonenden Umgang mit religiösen Empfindlichkeiten.
Lange schienen Kunst- und Meinungsfreiheit einfach zu haben zu sein. Das Grundrecht, das neben der Religionsfreiheit im Fokus der ganzen umkämpften Geschichte moderner westlicher Verfassungen stand, war zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Nur da und dort gab es lokale Revolten kirchlicher Gruppen gegen geschmacklose Theaterstücke oder provokante Titelseiten einschlägiger Satiremagazine. Ein paar einstweilige Verfügungen hier und dort, ein kurzes Aufbrausen von Bischöfen oder Politikern – bisweilen so erwartbar, dass die Provokateure enttäuscht waren, wenn die Empörung ausblieb. Oft genug aber war das kluge Beschweigen eine gute Idee, um den gezielten Tabubruch ins Leere laufen zu lassen. Eine gesamtgesellschaftliche Erschütterung haben diese Debatten in der jüngsten Geschichte der Bundesrepublik nicht ausgelöst. Das Wort „Blasphemie“ war über Jahrzehnte aus dem öffentlichen Wortschatz verschwunden. Es wurde erst in der jüngsten Vergangenheit wieder zu einer theologischen Vokabel.
Jetzt ist der Blasphemie-Vorwurf sogar hochgradig politisiert. Auch in Deutschland wird heftig gestritten – über die Grenzen der Kunst- und der Meinungsfreiheit und über die Reichweite der negativen Religionsfreiheit, über Abschaffung oder Verschärfung von Gesetzen, über die Frage, wie Menschen unterschiedlicher Religionen in einer Welt, in der Bildmedien mächtige Instanzen geworden sind, friedlich miteinander leben können. In dieser Debatte gehen Angst vor Terror, die Entdeckung der bleibend starken Kraft von Religionen inmitten der Moderne und das Bestreben, Freiheitsrechte zu verteidigen, eine undurchsichtige Melange ein. Deshalb lohnen sich ein paar Klarstellungen.
Bilderverbote im Islam
Im Islam gibt es, wie auch im Christentum, eine lange und konfliktbehaftete Geschichte seines Bilderverbotes. Welche theologische Position zum Bild insgesamt, aber besonders zu künstlerischen oder pädagogischen Bildern im Islam eingenommen wird, hängt nicht nur vom Koran, dem Offenbarungsbuch der Muslime, ab, sondern auch von unterschiedlichen Hadithen der Sunniten und Schiiten, also der Prophetentradition der Worte und Taten, die Mohammed zugeschrieben werden. Bilder als Medien der kultischen Verehrung lehnen die meisten Gelehrten seit frühester Zeit ab. Wer jedoch durch vorwiegend islamisch geprägte Länder reist, merkt schnell, dass daraus kein generelles Bilderverbot folgt, sondern ein pragmatischer Umgang mit Bildermedien. Von der mittelalterlichen Miniaturmalerei über Werbeplakate bis zu Trashfilmen: Das Auge wird mit bunten Bildern geradezu bombardiert. Die große Kunst der islamischen Welt kann auch in europäischen Museen bewundert werden. Die größtmögliche Brutalität der IS-Kämpfer beim Bildersturm auf dieses kulturelle Erbe ist eine Reaktion auf die ikonische Lust dieser bedeutenden Kulturleistungen. In der Volkskunst wurden auch Erzählbilder über das Leben des Propheten seit dem 18. Jahrhundert beliebt. Er wurde als Konterfei abgebildet oder durch den Schriftzug seines Namens, durch seinen Stammbaum, die Abbildung seines Fußstapfens oder seines Grabes symbolisiert. Experten sprechen von einer „abwesenden Anwesenheit“ des Göttlichen, wie sie auch in der christlichen Kunst bekannt ist.
Auch Karikaturen, die prominente Geistliche oder gar die religiöse Praxis selbst aufs Korn nehmen, gibt es in der islamischen Welt. Oder sollte man sagen: Es gab sie? Die ersten heftigen Auseinandersetzungen über die Darstellung Mohammeds gab es im 20. Jahrhundert über seine Darstellung auf der Kinoleinwand. Es kam zu Massentumulten vor Kinos, die durch radikale Prediger angestachelt waren. Schon dieser Protest war mehr von dem antiwestlichen Kampf gegen Hollywood als von theologischen Bilderfragen getragen.
Der Karikaturenstreit, wie er seit 2006 um die zwölf Mohammed-Karikaturen in der ganzen Welt tobt, hat mit einer strengen Auslegung des Bilderverbotes nichts zu tun.[1] Der Zorn vieler Muslime richtet sich vielmehr auf den beleidigenden Charakter der Karikaturen, nicht auf ihre Bildhaftigkeit. Außerdem kommen die Karikaturen nicht aus der Gemeinschaft der Muslime selbst und werden deshalb als Angriff auf den Islam insgesamt verstanden. Deshalb hat sich auch die theologische Auseinandersetzung über die Bilder innerhalb der islamischen Theologien verschärft. Geistliche der wahhabitischen Glaubensrichtung lehnen jede Art von Bildern ab, auch Kunstwerke und Fotografien. Der bildhafte Märtyrerkult und die bildliche Darstellung von bestialischen Tötungen zeigen, dass der Ikonoklasmus der radikalen Gruppen, besonders der IS-Kämpfer, theologisch nicht stimmig ist. Wenn es der eigenen Kriegsführung nützt, werden auch Bilderverbote ausgesetzt. Die Auseinandersetzungen um das Bilderverbot sind längst zu einem Symbolkonflikt geworden, in dem diffuse Botschaften von Kränkung und Wut, aber auch von Kulturkampf gegen die vermeintliche Bilderdominanz des Westens Ausdruck finden.
Gleichzeitig kommt in diesem Konflikt aber auch das Unverständnis über den Grad der Säkularisierung in der westlichen Welt zum Ausdruck, die keine religiösen Tabus mehr zu kennen scheint. Dieser Konflikt hat nicht nur eine gewalttätige Seite, der sich in Tumulten oder gar Terrorakten Ausdruck verschafft. Er führt auch zu inneren Zerreißproben bei religiösen Muslimen, die als Zuwanderer plötzlich mit einer Form öffentlicher Religionskritik konfrontiert werden, die sich in der christlich geprägten westlichen Welt über Jahrhunderte entwickelt hat. Diese Entwicklung ist nicht nur das Resultat aufgeklärter Kritik und Freiheitsliebe von Christen, sondern auch von Abnutzungserscheinungen und Sprachnot, da es immer schwerer fällt, individuelle Grenzen aus Gründen des Glaubens zu kommunizieren und das Verhältnis von Aufklärung und Religion in der Entwicklung des Westens zu beschreiben. Nicht jeder, der darauf verzichtet hat, nach den Anschlägen von Paris mit einem „Je-suis-Charlie“-Sticker durch die Straßen zu laufen, um sich der großen „Gemeinschaft der Abständigen“ anzuschließen, hat deshalb Sympathien für Gewalt und Terror. Manch einer, auch in den Kirchen, fragt sich vielmehr, wie der Kampf für Meinungs- und Kunstfreiheit sich mit einem schonenden Umgang mit den religiösen Bekenntnissen und Befindlichkeiten verträgt. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass Religionsfreiheit nur noch als Kampf gegen Religion verstanden werden könnte. Ein religionsfeindliches Klima entsteht da, wo Religion nur als freiheitsverachtende Ausdrucksgestalt innerhalb der Gesellschaft wahrgenommen wird. Diese Perspektive hat das Satiremagazin aus Paris im Geiste des kämpferischen Laizismus konsequent eingenommen. Wer die Opfer betrauert, muss deshalb nicht ihre Werke verteidigen.
„Gott ist kein Grundrechtsträger“ – rechtliche Perspektiven
Der Staat des Grundgesetzes schützt die Freiheit aller Religionen in gleicher Weise und fördert sie paritätisch. Er hat, anders als in Frankreich, den Laizismus nicht als Zivilreligion eingeführt, sondern unterstellt, dass die religiösen Überzeugungen der Bürger im Allgemeinen gut für das Gemeinwesen sind. Zugleich wehrt er sich gegen Verfassungsfeinde, selbstverständlich auch dann, wenn diese von religiösen Motiven getrieben sind. Auch im Strafrecht gibt es Bestimmungen, die Religionskonflikte einhegen. Manche sind verfassungsrechtlich geboten. Das Verfassungsrecht versteht Grundrechte zugleich als Schutzpflichten des Staates. Der Staat muss sich schützend vor die Rechtsgüter der Religionsfreiheit, der persönlichen Ehre oder körperlichen Unversehrtheit stellen. Jeder hat das Recht, seine Religion oder Weltanschauung ohne Angst um Leib und Leben oder Stigmatisierung zu leben. Um diesen Schutz zu gewähren, kennt das Strafrecht Beleidigungsdelikte und Straftaten gegen die körperliche Integrität. Weit greift zudem der Tatbestand der Volksverhetzung. Mit Bestrafung hat zu rechnen, wer zu Hass und Gewalt gegen eine religiöse Gruppe aufruft, deren Angehörige böswillig beschimpft, verächtlich macht und so den öffentlichen Frieden gefährdet.
Im internationalen Vergleich geht diese Kriminalisierung in Deutschland recht weit. Im Hintergrund stehen die Schrecken des Nationalsozialismus. Wer welche Zumutungen zu ertragen hat, ist in einer freiheitlichen Gesellschaft allerdings nicht immer leicht zu beantworten. Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit prägen den modernen Verfassungsstaat. Wer einen Glauben ablehnt, kann sich auf die negative Religionsfreiheit berufen. Kein Religionsanhänger kann verlangen, dass sich seine gesamte Umwelt seinen religiösen Vorstellungen unterwerfen muss. Die Glaubensfreiheit schützt weder vor der Begegnung mit anderen Religionen noch vor Kritik an der eigenen Lebensform, weder von innen, etwa durch Theologen, noch von außen. Der säkulare Staat kennt deshalb auch kein klassisches Blasphemieverbot.
Gotteslästerung kann geschmacklos und verletzend sein, aus rechtlicher Sicht ist sie erst einmal Grundrechtsausübung. Schwer vorstellbar, dass ein säkulares Gericht über diese theologische Kategorie entscheidet, die zwischen den Religionen so umstritten ist – und mit der auch im Christentum viel Schindluder getrieben wurde. Umstritten ist deshalb auch der Paragraph 166 Strafgesetzbuch. Ihm zufolge macht sich strafbar, wer öffentlich den Inhalt eines religiösen Bekenntnisses in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Meist wird diese Norm als „Blasphemieparagraf“ verhandelt. Schutzgut ist aber nicht die Ehre Gottes, sondern, ähnlich wie bei der Volksverhetzung, der öffentliche Friede. Schützt der Staat mit dieser Norm im eigenen Interesse die Religion und ihre
„ethosfördernden Wirkungen“, wie es im Juristendeutsch heißt? Dazu genügen letztlich die Instrumente der positivstaatlichen Religionspflege. Die Strafgerichte sehen im Paragrafen die innere Integration, also den Schutz des Klimas der wechselseitigen Achtung gestärkt. Daraus folgten mittelbar auch Rücksichten auf religiöse Gefühle. Doch ist der Verweis auf „religiöse Gefühle“ eine heikle Sache. Denn was den einen schon kränkt, lässt den anderen nur eine Augenbraue heben. Manchmal sind die Frömmeren sogar die Toleranteren, weil sie noch einen Sinn dafür haben, dass man zwar Menschen, nicht aber Gott beleidigen kann. Verletzte Gefühle haben immer recht. Sie brauchen keine Argumente, sie brauchen nur Erregungspegel.
Was passiert in einer Gesellschaft, in der sich ihre Mitglieder die Verletzung der Gefühle vorwerfen? In den Konflikten um die Karikaturen geht es nicht um individuelle Empfindungen, sondern um Gruppengefühle. Timothy Garton Ash spricht in diesem Zusammenhang von der Gefahr einer „Retribalisierung“ der modernen Gesellschaften. Die Kollektivierung von Gefühlszuständen führt zu einer seltsamen Wiederkehr von vormodernen Ehrdiskursen. Kollektive Gefühle lassen sich umstandslos politisieren.[2] Das hat auch die Pegida-Bewegung gezeigt. Das Verfassungsgericht hat in einer jüngeren Entscheidung zur Volksverhetzung einen anderen Akzent gesetzt. „Öffentlicher Friede“ meine Friedfertigkeit. Es geht um den Schutz des gewaltfreien Miteinanders im Vorfeld konkreter Gefährdungen. Für einen strafrechtlichen Schutz vor „subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen“ sei hingegen kein Raum. Greift der Paragraf auch, wenn Anhänger der beschimpften Religion selber den Frieden gefährden? Dann wäre der Staat erpressbar. Man stelle sich vor, Religionsangehörige hätten es in der Hand, mittels Steigerung der Empörung bis hin zur Gewaltbereitschaft ihre Kritiker der strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen. Rechtsstaatlich steht beim „Blasphemieparagrafen“, der keiner ist, ein Symbol im Vordergrund. Das ist aber kein Argument für seine Abschaffung. Man sollte Symbole niemals unterschätzen.
In Deutschland gehört zu dieser Symbolik eine Kultur freiwilliger Selbstverpflichtung, etwa durch Pressekodizes oder Selbstbeschränkungen der Werbeindustrie. Für den schonenden Umgang der Religionen miteinander und im Gegenüber zu kritischen, ja bisweilen verächtlichen Ausdrucksformen der Religionskritik, aber auch der Künste, gilt in Deutschland der Rat, dass man nicht alles machen muss, was man machen darf. Das ist kein Zeichen von Feigheit, sondern von Respekt. Wem nichts heilig ist außer seiner eigenen Freiheit, gehört nämlich nicht zwangsläufig zur Speerspitze der Aufklärung. Jede Religion braucht aber bisweilen die kritische Begleitung von innen und außen. Das ist ein anspruchsvolles Konzept von Freiheit, das als Bildungsprozess der ganzen Gesellschaft aufgegeben bleibt und auch von Muslimen verlangt werden darf.
Petra Bahr, geboren 1966 in Lüdenscheid, leitet die Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.
[1] Silvia Naef, Bilder und Bilderverbot im Islam, München 2007.
[2] Petra Bahr: „Ethik der Kultur“, in: Wolfgang Huber et al. (Hrsg.), Handbuch der evangelischen Ethik, München 2015, S. 401–450, S. 432 ff.