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Gründungsort der Sozialen Marktwirtschaft

Von 1922 bis 1925 als Promotionsstudent und 1948/49 als Wirtschaftspolitiker lebte Erhard in Frankfurt. Beide Aufenthalte hatten weitreichende Folgen. Eine Ortsbegehung zu den Fundamenten unseres Gemeinwesens.

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Ludwig Erhard wechselte 1922 nach ersten Studiensemestern in Nürnberg und Erlangen nach Frankfurt, denn „das lag mal durchaus im Fahrplan der Diplom-Kaufleute“, wie er sich später erinnerte. Nach Vorlesungen in Betriebswirtschaft wurde er Student des angesehenen Franz Oppenheimer, Inhaber des Stiftungslehrstuhls für „Soziologie und Nationalökonomie“. In den damals üblichen Seminardiskussionen entstand ein Vertrauensverhältnis, sodass Erhard 1925 von Oppenheimer zum „Dr. rer. pol.“ promoviert wurde. Man kann dies als eine Zwischenstation zur Erlangung voller beruflicher Qualifikation ansehen, doch mit Oppenheimer trat dem Sohn eines Fürther Textilhändlers auch ein besonderes Verständnis gesellschaftlicher Zusammenhänge und Wirtschaftsformen entgegen, das ihn geprägt und seine spätere Politik beeinflusst hat.

Erhards spätere wirtschaftspolitische Zielvorstellungen korrespondieren mit vielen Prägungen der frühen Frankfurter Jahre: Wettbewerb, soziale Verantwortung und „Wohlstand für alle“, Kampf gegen Kartelle und Monopole, Abbau der Handelsschranken zwischen den Staaten, freier Geld- und Kapitalverkehr und die Idee eines geeinten Europa.

Die Universität Frankfurt wurde 1914 als Stiftungsuniversität gegründet. Vorausgegangen waren zahlreiche Stiftungen wohlhabender Frankfurter Bürger und Gesellschaften für medizinische, naturwissenschaftliche sowie geistes- und sogar sozialwissenschaftliche Einrichtungen, darunter die Senckenbergische Stiftung oder die Polytechnische Gesellschaft. Dadurch besaß die Universität schon von ihrer Gründung an eine besonders schöpferische Kraft. Noch heute stellen die Frankfurter Sozialwissenschaften einen der wichtigsten Standorte dieser Fakultät in Deutschland.

Seit 2008 ist die Goethe-Universität wieder Stiftungsuniversität, mit einer gewissen Autonomie und mit Zustiftungen privater Förderer. Sie nähert sich damit wieder dem Zustand, den Erhard in den Zwanzigerjahren erlebte. Das passt zu einer Stadt, die neben der Universität zahlreiche weitere Forschungseinrichtungen und kulturelle Schätze birgt, die sie Stiftern zu verdanken hat. Frankfurt ist die Stiftungshauptstadt Deutschlands, und Ludwig Erhard hat davon bereits zu seiner Studienzeit profitiert.

Taunusanlage: Aufbau der Finanzverwaltung

Zwanzig Jahre später geriet Erhard in den Blick der amerikanischen Besatzungskräfte in Bayern, die ihn, der Schriften zur dezentralisierten Wirtschaft im Nachkriegsdeutschland vorgelegt hatte, als parteilosen „linksdemokratischen“ Wirtschaftsminister in der bayerischen Landesregierung einsetzten. Mit der ersten Regierungsübernahme durch die CSU war die bayerische Politikkarriere Erhards jedoch beendet. Nach einem kurzen Intermezzo als Honorarprofessor in München bestellten ihn die Amerikaner Ende 1947 nach Bad Homburg als Leiter der dort eingerichteten „Sonderstelle für Geld und Kredit“ zur Vorbereitung einer Währungsreform. Am 1. März 1948 wurde in Frankfurt die Bank deutscher Länder gegründet, Vorläuferin der Deutschen Bundesbank, mit Sitz an der Taunusanlage. Auch hier wirkte Erhard mit. Die Bank vereinheitlichte die Geldpolitik der Zentralbanken der neu gegründeten Bundesländer und bereitete damit die wirtschaftliche Einheit der Westzonen vor. Heute beherbergt das Gebäude die hessische Hauptverwaltung der Bundesbank.

Im März 1948 bestellte der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets im Peter-Behrens-Bau der Farbwerke in Frankfurt-Höchst Ludwig Erhard zum Direktor der „Verwaltung für Wirtschaft“. Der Wirtschaftsrat tagte sonst im Gebäude der Frankfurter Börse; hier präsentierte Erhard im April 1948 seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Als Direktor in Höchst koordinierte er die Wirtschaftspolitik für die Westzonen Deutschlands und organisierte den Beginn des freien Wirtschaftsverkehrs. Und hier bereitete Erhard die Währungsreform vor, die am 20. Juni 1948 die Zwangs- und Mangelverwaltung beendete und auf marktwirtschaftlicher Grundlage sowie mit Unterstützung des Marshallplans das spätere „Wirtschaftswunder“ einleitete. Die Gewerbefreiheit wurde wieder eingeführt, der jahrelange Lohn- und Preisstopp wurde aufgehoben.

Die Währungsreform war übrigens die zweite, die Erhard in Frankfurt mitmachte – nach der Einführung von Rentenmark und Reichsmark in den 1920er-Jahren während seiner Studentenzeit in der Mainmetropole.

Zwar war das Verhältnis Erhards zu den wiedergegründeten Gewerkschaften zunächst gespannt. Doch gewann er ihr Vertrauen durch seine Politik für eine „soziale“ Marktwirtschaft, die für Ausgleich zwischen den Arbeits- und Tarifpartnern sorgt und extreme Auswüchse unternehmerischen Handelns unterbindet. Auch dafür wurden in Frankfurt die Grundlagen geschaffen.

Starthilfe für die Frankfurter Allgemeine Zeitung

Weniger bekannt ist, dass Ludwig Erhard auch bei der Gründung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) mitgewirkt hat. Weil in der deutschen Öffentlichkeit die Vorstellung von einer Zentralwirtschaft zur Überwindung der Kriegsfolgen dominierte, stand Erhard mit seinem Ziel einer marktwirtschaftlichen Überwindung von Knappheit und Unfreiheit ohne mediale Unterstützung da. Im Laufe des Jahres 1949 gewann er mit einem mittelständischen Finanzierungsmodell Förderer für die Gründung der FAZ, deren Wirtschaftsredaktion seinen marktwirtschaftlichen Kurs befürwortete. In den 1950er-Jahren stützte die Herausgeberzeitung ohne Chefredakteur auch Erhards Kurs zur Verhinderung von Kartellbildungen in der Wirtschaft.

Aus dem Höchster Industriestandort erwuchs nach dem Wiederaufstieg in den Wirtschaftswunderjahren Erhard’scher Prägung und folgenden Jahren der Umstrukturierung eine Fülle von zukunftsfähigen jungen Betrieben, dazu ein neuer urbaner Lebensraum direkt am Ufer des Mains.

Fast ein Dorf, misst Frankfurts Zentrum nicht einmal eineinhalb Kilometer von West nach Ost. Vom „Wissenschaftstempel“ Goethe-Universität im Nordwesten bis zum „Finanztempel“ EZB im Osten sind es gerade einmal drei Kilometer; damit ist Frankfurts Innenstadt nicht größer als der Berliner Tiergarten oder der New Yorker Central Park. Entsprechend gibt es in Frankfurt bis hinunter in seine vielen kleinen Viertel und Ortsteile durchaus Nachbarschaftshilfe, gilt jenseits von zentralen Verordnungen soziales Miteinander und bürgerschaftliches Engagement als Lebendigkeit und Zusammenhalt stiftende Selbstverständlichkeit.

Eine dauerhafte Prägung erfuhr die Stadt durch die Verbindung zu den Amerikanern. Sie haben Frankfurt 1945 befreit, sie haben auch die Soziale Marktwirtschaft ermöglicht und gefördert, indem sie Ludwig Erhard an die Spitze von Wirtschafts- und Finanzverwaltung beriefen und seine Sozialpolitik akzeptierten, und immer blieb und bleibt die Verbindung Frankfurt-USA eng und intensiv. Deutschlands Stärke ist seine Dezentralität oder besser: Multizentralität, erfahrbar besonders in Frankfurt. Sie schafft Räume und Klima für Ideen und kreative Lösungen. Darin ähneln sich Deutschland und die USA und Frankfurt als Stadt der Stiftungen ganz besonders.

Ludwig Erhard hat in Frankfurt weit mehr als "nur" sichtbare Spuren hinterlassen; die Spurensuche führt zu den Fundamenten unseres Gemeinwesens. Die Mainmetropole steht für die Soziale Marktwirtschaft Erhard’scher Prägung: eine Stadt von Handel, Gewerbe und Industrie, Finanzzentrum Deutschlands und mit der Europäischen Zentralbank international vernetzt, zudem mit einer Vielfalt von Menschen aus allen denkbaren Herkunftsländern, Deutschlands internationalste und europäischste Stadt. Zugleich eine Stadt der Subsidiarität, die ein Bürgertum hervorgebracht hat und anzieht, das sich seiner sozialen Verantwortung bewusst ist. Eine Stadt des immer wieder herausfordernden Diskurses, auch des Ausgleichs zwischen lange unversöhnlichen gesellschaftlichen Strömungen – eben durch die Verbindung erfolgreichen Wirtschaftens mit sozialer Verantwortung. Eine Stadt, in der Hochschulen und Institute der Künste und der Kultur mit privaten Mitteln entstehen und so im Wettbewerb mit staatlichen Einrichtungen die Wissensgesellschaft erst zum Leben erwecken.

Dieses Erbe zu erhalten und fortzuentwickeln – unter Bedingungen von Globalisierung, Digitalisierung, von zunehmender Vielfalt durch Zuwanderung, aber auch von Individualisierung bis hin zur Vereinzelung –, das ist die Kernaufgabe von Politik. Zukunft und Zusammenhalt, das sind die Begriffe, die das Vermächtnis Ludwig Erhards aus meiner aktuellen Frankfurter Perspektive vielleicht am besten auf den Punkt bringen.

Aus urheberrechtlichen Gründen ist der komplette Beitrag inklusive Bildmaterial ausschließlich in der Druckfassung unserer Sonderfassung enthalten.

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Bettina M. Wiesmann, geboren 1966 in Berlin, Studium der Internationalen Beziehungen, Master of Science sowie Master of Business Administration, seit 2009 Mitglied des Hessischen Landtags.

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