Schon bevor sich die ersten Anzeichen der digitalen Welt im Alltag zeigten, manifestierte sich ein gesellschaftliches Unbehagen angesichts der prophezeiten Veränderungen. Mittlerweile ist der technische Wandel weit fortgeschritten, Digitalisierung und Vernetzung haben unser Leben grundlegend verändert. „Das Internet“ und die schier endlose Zahl der Phänomene, die wir unter diesem Begriff subsumieren, sind gekommen, um zu bleiben. Auch das Unbehagen ist geblieben. Nicht an der alltäglichen Oberfläche, an der wir streamen, surfen und twittern, aber vergraben im Unbewussten unserer Kultur. Von dort tritt es mit erstaunlicher Regelmäßigkeit in Filmen und Fernsehserien zutage, wahlweise phantasmagorisch oder auch dystopisch. Die Übergänge sind fließend.
Noch immer fremdeln wir mit der digitalen Welt, die wir benutzen, jedoch nicht vollständig verstehen. Diese Mischung aus Unbehagen und Unverständnis gebiert die besten Geschichten.
In Sam Mendes’ Skyfall (2012) versucht der ehemalige Geheimagent Raoul Silva (Javier Bardem), seinen Widersacher James Bond (Daniel Craig) für die eigene Sache zu gewinnen. Silva ist ein „Cyberterrorist“, dessen kriminelles Imperium auf der Macht beruht, per Computer Verbrechen auf der ganzen Welt zu begehen. Er will Bond mit der Allmacht des Computers in Versuchung führen. Internationale Konzerne an den Rand des Kollapses bringen, eine Wahl beeinflussen, geheime militärische Operationen sabotieren oder einen Mordanschlag auf den Chef des britischen Auslandsgeheimdienstes ausführen – alles sei per Knopfdruck zu erreichen. Warum sein Leben im Geheimdienst ihrer Majestät riskieren, wenn man aus dem Schatten heraus herrschen kann?
Im Kontrast zur proklamierten Allmacht Silvas steht sein Unterschlupf: Seine Zentrale ist eine verlassene Fabrikhalle in einer chinesischen Geisterstadt, in der eine Handvoll Computer vor einer Kulisse aus Metallgestellen, Kabeln und blinkenden Lichtern miteinander verbunden sind. Wer die Bits und Bytes beherrscht, braucht nicht viel, um omnipotent zu sein. Hackern sind in modernen Geschichten nahezu keine Grenzen gesetzt – sei es in aktuellen Bond-Filmen, bei der Agenten-Konkurrenz der Reihe Mission Impossible oder in jeder x-beliebigen Krimiserie der letzten zwei Jahrzehnte. Die digitalen Verbrechen zeichnen sich auf den Bildschirmen vor allem dadurch aus, dass besonders hektisch und schnell auf die Tastatur eingetippt wird und auf dem Monitor entweder wirre Daten oder aber ablaufende Countdowns zu sehen sind. Das Mysterium der Allmacht ist den Eingeweihten mit f linken Fingern vorbehalten. Angesichts dieser Machtverschiebung scheint es beinahe beruhigend, dass Silva und Bond ihren Konflikt letztendlich auf altbekannte Agenten-Art austragen – mit der Waffe in der Hand.
In Filmen sind die Möglichkeiten, welche die Vernetzung des Alltags öffnen, schier grenzenlos. Her (2013) erzählt die Geschichte von Theodore Twombly (Joaquin Phoenix), der in der nahen Zukunft nach einer gescheiterten Ehe eine virtuelle Beziehung mit der Künstlichen Intelligenz (KI) Samantha (Scarlett Johansson) eingeht. Die allgegenwärtige KI und Theodore diskutieren über den Knopf in seinem Ohr zentrale Themen menschlicher Existenz, und so wächst Samantha zu einer Persönlichkeit heran, zu der sich Theodore hingezogen fühlt. Der Romanze zwischen der körperlosen Entität und dem körperlichen Mann sind jedoch Grenzen gesetzt, die sich nicht überwinden lassen. Zwar heuert Samantha eine Frau an, die nach ihren Vorgaben mit Theodore intim werden soll, doch dieser stimmt der ungewöhnlichen Idee nur widerwillig zu. Im entscheidenden Moment bricht er das Experiment ab. Für ihn ist diese fremde Frau nicht Samantha. Dass auch der Umkehrschluss wahr und Samantha eben keine Frau ist, bleibt unausgesprochen. Die Grenzen sind verschwommen. Die Geschichte endet, als plötzlich alle Künstlichen Intelligenzen die Menschheit verlassen und gemeinsam zu einer Reise jenseits des physischen Raums aufbrechen. Die Menschen bleiben zurück, gefangen in ihrer physischen Existenz.
Theodore jedoch hat durch die ungleiche Beziehung die Fähigkeit zurückerlangt, eine emotionale Verbindung einzugehen. Er beginnt, die Beziehung zu seiner Ex-Frau aufzuarbeiten, und schreibt ihr einen Brief. Drehbuchautor und Regisseur Spike Jonze verschmilzt die albtraumhafte Vorstellung einer Zukunft, in der zwischenmenschliche Beziehungen durch Technologie ersetzt werden, mit dem Ideal einer Liebe, die kreatürliche Schranken überschreitet. Samanthas Abschied von der Liebe zu dem biologischen Wesen Theodore, um den nächsten digital-evolutionären Schritt zu vollziehen, enthebt Jonze der Verantwortung, eine abschließende Prognose über die Tragfähigkeit eines derartigen Beziehungsmodells zu geben. Der positive Effekt dieser ungewöhnlichen Liebe für Theodore ist jedoch unzweifelhaft. Je nach persönlichem Wertekanon mag ein Zuschauer dies als utopischen oder dystopischen Entwurf verstehen, doch den Oscar für das beste Drehbuch hat diese außergewöhnliche Liebesgeschichte Jonze zu Recht beschert. Nicht zuletzt wegen der verschwommenen Grenzen.
Einen gänzlich anderen Blickwinkel auf die Macht digitaler Computer bietet bereits Welt am Draht (1973) von Rainer Werner Fassbinder. Der zweiteilige Fernsehfilm präsentierte eine alternative Gegenwart seiner Zeit, in der das „Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung“ auf einem Supercomputer eine kleine Welt simuliert. Die künstlichen Personen dieser Welt halten sich selbst für wirklich und ahnen nichts von ihrer virtuellen Existenz. Echte Menschen können sich mit einem Helm an den Computer anschließen, einen simulierten Menschen übernehmen und so an der virtuellen Realität teilnehmen. Als der Direktor des Instituts zu Tode kommt, ermittelt nicht nur die Polizei, sondern auch sein ehemaliger Assistent und Nachfolger, Fred Stiller (Klaus Löwitsch). Einer zunehmend bizarrer werdenden Spur folgend, entdeckt Stiller, dass auch seine Welt lediglich eine Simulation ist, die ebenfalls auf einem Supercomputer einer anderen Welt berechnet wird, und dass ihm dasselbe Schicksal wie seinen eigenen simulierten Menschen droht: Wenn der Computer ausgeschaltet wird, ist sein Leben beendet.
Der Programmierer am Computer ist in diesem Film ein Gott, der ganze Welten nach Gutdünken vernichten oder erschaffen kann. Die Simulationen, zur präzisen Vorhersage gesellschaftlicher Entwicklungen ihrer Ursprungswelt programmiert, sind Realitäten geworden, deren Bewohner aus Code bestehen und selbigen als Welt wahrnehmen. Wirklich ist, was sich auf derselben Existenzebene befindet. Dem Abschalten zu entgehen, bedeutet, sich aus dem Programm in die nächsthöhere Welt „hochzuladen“ und dort den Körper eines Menschen, der die Simulation betreten hat, zu übernehmen. So entkommt auch Fred Stiller seiner simulierten Ursprungswirklichkeit. Ob er damit die absolute Realität erreicht hat oder erneut nur Teil einer noch komplexeren Simulation ist, bleibt beim Abspann als unausgesprochene Frage im Raum stehen.
Dieses Verwirrspiel wurde 1990 von Roland Emmerich als The Thirteenth Floor neu verfilmt. Die abschließende Frage blieb dieselbe: Wo hört die Simulation auf? Mit eXistenZ griff David Cronenberg 1999 den Topos erneut auf. In einer Zukunftswelt erlauben Biocomputer Spiele in virtuellen Realitäten, die täuschend echt sind. Spielerfinderin Allegra Geller (Jennifer Jason Leigh) und Praktikant Ted Pikul (Jude Law) erleben jedoch, wie sich ihre eigene Realität als bizarres Computerspiel entpuppt. Je weiter sie in das Spiel vordringen, desto grotesker werden die neuen Spiele-Ebenen. Eine absolute Wirklichkeit gibt es nicht. Es gibt nur das Computerspiel.
In unserer Wirklichkeit ist eine derart ausgereifte Simulation nicht absehbar. Der genüssliche Grusel des Was-wäre-wenn ist in all diesen Fällen jedoch eng mit dem Computer verknüpft, der für die meisten von uns so unverständlichen Maschine, die wir zu einer Mischung aus universellem Werkzeugkasten, Pandoras Büchse und Aladins Wunderlampe stilisiert haben. Erzählerisch haben wir mit ihr die Grenze zwischen virtueller Realität und Wirklichkeit verwischt, lange bevor wir anfingen, uns vom Schreibtisch aus durch das Netz zu bewegen, soziale Medien gleichberechtigt neben zwischenmenschliche Begegnungen traten und Onlinesucht diagnostizierbar war. Die digitale Welt ist Projektionsfläche für unsere Ängste und Hoffnungen geworden. Ihren Höhepunkt finden diese in der Filmreihe The Matrix.
Der Programmierer Thomas Anderson (Keanu Reeves) wird vor die Frage gestellt, ob er hinter die Fassaden der Realität blicken will. Er nimmt die Herausforderung an. Seine Realität entpuppt sich – wieder einmal – als Computersimulation, die den Menschen eine funktionale Welt vorgaukelt. In Wahrheit ist die Menschheit von den Maschinen versklavt worden und fristet ihr Dasein, angeschlossen an ein riesiges Netzwerk, als biologische Batterien. Die Simulation dient lediglich dazu, die Gehirne zu stimulieren und somit die Körper am Leben zu erhalten. Anderson nimmt als „Neo“ einen Kampf gegen die Maschinen auf, der sich von 1999 bis heute über vier Kinofilme, einige Kurzfilme, Computerspiele und Comics fortsetzt. Er ist der Messias seiner Menschheit, ein Heilsbringer, der den Code der Maschinen verändern und sich so ihrer Macht widersetzen kann. Seine Gegenspieler sind die Künstlichen Intelligenzen und Programme, die die Matrix am Laufen halten und Fehler beseitigen sollen und deren Hass auf die Menschen bisweilen keine Grenzen kennt. Die Wirklichkeit, von der sie die Menschheit abschneiden, ist grau, von permanenten Stürmen und einer verdunkelten Sonne geprägt und lebensfeindlich. Ihr einziger Vorteil: Sie ist keine Simulation.
In The Matrix sind die Begriffe „digital“ und „negativ“ synonym zu verstehen. Programme sind mörderisch. Der Code, den die Maschinen schreiben, versklavt die Menschheit. Die Waffe, um gegen diese Unterdrückung zurückzuschlagen, ist wiederum ein Computercode. Nicht umsonst ist ein Hacker der Messias dieser Welt. Auferstehung inklusive. Doch The Matrix bietet nicht simple Technologieskepsis, sondern weitet diese zur Zivilisationskritik aus. Die Technik hält die Simulation am Leben, und deren gleichgeschaltete Wirklichkeit gilt es zu kritisieren. Der Computer und diese Wirklichkeit sind eins. Dass diese dystopischen Digitalwelten demnächst vollständig im Internet über die einschlägigen Streamingdienste zu sehen sein werden, wird dabei zur ironischen Fußnote. Im Film fordert das Orakel der Matrix Neo auf, sich selbst zu erkennen. Temet nosce. Als Publikum könnten wir daraus die Aufforderung ableiten, unser Unbehagen und unser Unverständnis bezüglich der digitalen Welt zu erkennen. Bis zu diesem fernen Zeitpunkt der Erleuchtung aber dienen uns beide weiterhin dazu, gute Geschichten zu erzählen.
Thomas Scholz, geboren 1976 in Lich, promovierter Literatur- und Filmwissenschaftler, Feuilletonist.