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Über tatsächliche und angemaßte Autorität

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„Autorität“ ist ein schwieriger Begriff. Er wird oft missverstanden, wirkt altmodisch, wenn nicht gar aus der Zeit gefallen, und ist doch unersetzlich. Aber was ist „Autorität?“

Der Begriff leitet sich aus dem lateinischen „auctoritas“ ab, das für eine charismatische Macht stand. Der Schlüsselsatz zu seinem Verständnis findet sich im Tatenbericht des ersten römischen Kaisers Augustus, der im Jahr 27 v. Chr. seine vorher gewaltsam erworbenen Machtbefugnisse feierlich an die (allerdings zuvor politisch gleichgeschalteten) legitimen Verfassungsorgane zurückgab und seitdem formal als Privatmann lebte, faktisch jedoch auch weiterhin unangefochten über das Reich herrschte. Er schrieb: „Seit jener Zeit [nämlich der Rückgabe der Ämter, Anmerkung des Autors] überragte ich alle an auctoritas, an Amtsgewalt, aber besaß nicht mehr als alle anderen, die ich im Amt zu Kollegen hatte.“ „Auctoritas“ steht für eine informelle, auf Ansehen, Würde und Respekt gegründete Machtposition und ist damit zu trennen von „Potestas“, der formellen Amtsgewalt. Diese Bedeutung bildet auch heute noch den Kern des Begriffs „Autorität“. Der Pädagoge Winfried Böhm drückt es so aus: „Autorität ist streng zu unterscheiden von Macht und Gewalt. Während diese die faktische Möglichkeit bezeichnen, anderen zu befehlen und sie zu einem bestimmten Handeln und Verhalten zu zwingen, setzt jene grundsätzlich die freie Zustimmung dessen voraus, über den Autorität ausgeübt wird […]. Autorität meint also die anerkannte Fähigkeit einer Person, einer Gesellschaft oder Einrichtung, auf andere einzuwirken, um sie einem bestimmten Ziel näherzubringen.“

 

Vermischung von Begriffen

 

Allerdings wird im Alltagsverständnis die logische Trennung zwischen Autorität und einer auf Zwang gegründeten Machtausübung nicht immer vollständig vollzogen. Die klare Unterscheidung zwischen „authority“ und „authoritarianism“, wie sie im Englischen üblich ist, hat sich im Deutschen nicht gänzlich durchgesetzt. Eine Schlüsselrolle spielt hier wahrscheinlich die berühmte Studie The Authoritarian Personality von Theodor W. Adorno aus dem Jahr 1950, die den Begriff des Autoritären prominent in der intellektuellen Debatte platzierte. Dieses Stichwort wurde in den folgenden Jahrzehnten in verschiedener Form aufgegriffen – etwa in der Debatte um „antiautoritäre Erziehung“ – und dabei oft mit der Forderung verbunden, traditionelle Autoritäten infrage zu stellen. Die dadurch entstehende Vermischung der Begriffe klingt im heutigen Verständnis des Begriffes „Autorität“ nach.

Als das Institut für Demoskopie Allensbach im Jahr 2011 im Auftrag der Herbert-Quandt-Stiftung eine Repräsentativumfrage über die Einstellung der Bevölkerung zur Autorität durchführte, wurde dies deutlich erkennbar. Es zeigte sich, dass die beiden Bedeutungsdimensionen in den Vorstellungen der Befragten durcheinandergingen. Es dominierten jedoch die positiven Aspekte: So wurden die Befragten gebeten, anzugeben, ob sie bestimmte nacheinander vorgelesene Begriffe mit dem Stichwort „Autorität“ in Verbindung brächten. 79 Prozent antworteten daraufhin, man könne ihrer Ansicht nach den Begriff „Macht“ mit „Autorität“ in Verbindung bringen. 78 Prozent sagten das Gleiche vom Stichwort „Respekt“. Es folgten in der Häufigkeit der Nennungen die Punkte „Ansehen“ (67 Prozent), „Charisma, Ausstrahlung“ (62 Prozent) und „Kompetenz“ (61 Prozent). Stichworte, die ein Verständnis des Begriffs „Autorität“ im Sinne von „autoritär“ nahelegten – wie „Willkür“ und „Gewalt“ – wurden dagegen deutlich seltener genannt.

Nahezu Einigkeit herrschte in der Bevölkerung, dass die Gesellschaft Autoritätspersonen braucht. Bei einer entsprechenden Frage gaben damals 79 Prozent diese Antwort. Nur neun Prozent widersprachen. Dabei gaben, anders, als man im Vorfeld vielleicht hätte vermuten können, jüngere Befragte im Alter unter dreißig Jahren keine grundlegend anderen Antworten als die Angehörigen der anderen Altersgruppen. Deutlich wurde in der Umfrage auch, dass Autorität zwar überwiegend als Persönlichkeitseigenschaft angesehen wird, aber bis zu einem gewissen Grad auch an Ämter und Positionen gebunden ist. Autorität ist daher nicht mit bloßer Gefolgschaft aufgrund von Vertrauen zu verwechseln, wenn auch beides miteinander verbunden ist. Zur Bereitschaft, die Autorität einer Person anzuerkennen, gehört der Respekt vor ihrer gesellschaftlichen Position.

In der Demokratie spielt Autorität eine zentrale Rolle, denn sie ist eng verbunden mit dem Ansehen demokratisch legitimierter Institutionen. Gruppen, die die Demokratie bekämpfen, versuchen darum, die Autorität ihrer Institutionen zu schwächen. Das klassische Vorgehen besteht darin, „das Volk“ gegen die Institutionen in Stellung zu bringen. Ob bei der demonstrativen Verachtung des „Establishments“ durch die 68er-Bewegung vor einem halben Jahrhundert oder aktuell beim Versuch der „Letzten Generation“, demokratisch gewählte Parlamente und Regierungen mithilfe eines „Gesellschaftsrates“ zu entmachten, ob bei den Angriffen Donald Trumps auf die angeblich korrupte politische Elite in Washington oder denen der AfD auf das, wie sie es nicht zufällig nennt, „System“ – immer geht es letztlich um die Aushöhlung der Autorität der repräsentativen Demokratie und ihrer demokratisch verfassten Institutionen.

Vor diesem Hintergrund ist die Tatsache von Bedeutung, dass das Ansehen der wichtigsten staatlichen Institutionen in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten nicht etwa, wie oft behauptet wird, gesunken, sondern umgekehrt gestiegen ist. Dies zeigen die Antworten auf die vom Institut für Demoskopie Allensbach im Dezember 2022 gestellte Frage, zu welchen staatlichen oder gesellschaftlichen Institutionen und Einrichtungen man Vertrauen habe. Die Befragten erhielten eine Liste mit vierzehn Punkten zur Auswahl und wurden gebeten, zu jeder Institution auf der Liste anzugeben, ob sie ihr gegenüber sehr viel, ziemlich viel, wenig oder überhaupt kein Vertrauen haben. In Grafik 1 sind die Anteile derjenigen zusammengefasst, die sagten, sie hätten zu der betreffenden Institution sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen. An erster Stelle in der Rangliste, genannt von 83 Prozent, standen die Wissenschaftler. Es folgten knapp dahinter Krankenhäuser, mittlere und kleinere Unternehmen, die Polizei und, mit etwas Abstand, die Schulen. Mit deutlichem Abstand, genannt jeweils von etwa der Hälfte der Bevölkerung, rangierten die wichtigsten Institutionen des Staates im Mittelfeld: die Landesregierungen, der Bundestag und die Bundesregierung. Dagegen sagte nur knapp jeder vierte Befragte, er habe sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen in die Parteien.

Allensbacher Archiv, Gestaltung: Stanhema
Angaben in Prozent Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage Nr. 12064 (Dezember 2022)

Zu einigen der auf der Liste vorgelegten Institutionen liegen Trendergebnisse aus früheren Jahren vor: Das Vertrauen der Bürger in den Bundestag, die Bundesregierung, die Parteien und große Wirtschaftsunternehmen wurde bereits wiederholt in der Vergangenheit mit der gleichen Frageformulierung ermittelt. Die Trendentwicklung zeigt, dass das Vertrauen in diese vier Institutionen alles in allem zugenommen hat (Grafik 2). Das gilt auch für die Bundesregierung, die derzeit für ihr Krisenmanagement vielfach kritisiert wird. Zwar ist der Anteil derjenigen, die sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen in die Bundesregierung haben, kleiner als die Zahl derer, die vor zwei Jahren Vertrauen in die damalige Regierung äußerten; dennoch war das Vertrauen in die Bundesregierung Ende des vergangenen Jahres noch immer deutlich größer als vor einem oder zwei Jahrzehnten. Man erkennt, dass die derzeitige in vielerlei Hinsicht krisenhafte Lage zwar durchaus eine Herausforderung für das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern bedeutet. Doch von einer tiefen Vertrauens- und damit auch Autoritätskrise kann zumindest Ende des Jahres 2022 keine Rede sein.

Allensbacher Archiv, Gestaltung: Stanhema
Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen, zuletzt Nr. 12064 (Dezember 2022)

Wie beschrieben, funktioniert Autorität, weil Menschen anderen Menschen aus Respekt vor der Person und ihrer gesellschaftlichen Stellung freiwillig folgen. Das unterscheidet echte Autorität von den Versuchen, die Gesellschaft durch Einschüchterung und medialen Druck zur Gefolgschaft zu zwingen. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte „gendergerechte Sprache“, die seit einiger Zeit an vielen Universitäten, öffentlichen Institutionen und auch in einigen Medien verwendet wird.

Allensbacher Archiv, Gestaltung: Stanhema
Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage Nr. 1203 (Juni 2021)

Ähnlich eindeutig fielen die Antworten zu anderen Aspekten der Political Correctness aus. Es zeigte sich, dass, wer im persönlichen Umfeld „Zigeunerschnitzel“ bestellt, von „Indianerhäuptlingen“ spricht und es sich erspart, im privaten Gespräch „Gendersternchen“ mitzusprechen, kaum jemals auf den Unmut seiner Mitmenschen stoßen wird. Warum aber haben viele Menschen dennoch den Eindruck, dass man sich Ärger einhandelt, wenn man dies tut? Dies ist nur erklärbar, wenn man die Rolle der Massenmedien in diesem Prozess mitberücksichtigt. Ohne sie könnte ein solcher öffentlicher Druck gegen die Einstellungen der Mehrheit nicht aufgebaut werden. Es spricht einiges dafür, dass sich die intellektuellen Diskussionen um derartige Themen – einschließlich der Diskussionen in vielen Massenmedien – weitgehend von der Lebenswirklichkeit der Bürger entkoppelt haben.

Dies aber birgt für die Gesellschaft Konfliktpotenzial. Für die beteiligten Medien ist es problematisch, weil Zuspruch und Glaubwürdigkeit in Gefahr sind, denn tatsächlich verfügen sie bei der Bevölkerung nicht über die Autorität, die sie bräuchten, um ihre Vorstellungen von „korrektem“ Verhalten und „korrekter“ Sprache durchzusetzen. Die Bereitschaft der Bürger, sich sprachlich gängeln zu lassen, ist nicht grenzenlos. Es mag ein gewisses Maß an Selbsttäuschung dahinterstecken; dennoch ist es bemerkenswert, dass in der Umfrage vom Juni 2021 55 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten: „Ich weigere mich mit Absicht, meine Ausdrucksweise anzupassen und mich politisch korrekt auszudrücken, weil es mich nervt, wenn andere versuchen, mir ihre Sprachregelungen aufzudrängen.“ Nur neunzehn Prozent stimmten der Aussage ausdrücklich nicht zu. Das unterscheidet echte von angemaßter Autorität: Wer versucht, Regeln zu setzen, denen sich die Mehrheit zu folgen weigert, ist am Ende machtlos.

 

Thomas Petersen, geboren 1968 in Hamburg, Kommunikationswissenschaftler und Meinungsforscher, Projektleiter beim Institut für Demoskopie Allensbach (IfD).

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