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Meilenstein oder Papier des Misstrauens?

Zum neuen Integrationsgesetz

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Vor der Sommerpause ist das Integrationsgesetz vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden. Nachdem letzte Unstimmigkeiten auf der Kabinettsklausur in Meseberg ausgeräumt worden waren, hatte Angela Merkel es als einen Meilenstein bezeichnet. Wohlfahrtsverbände sprachen hingegen von einem Papier des Misstrauens gegenüber Flüchtlingen. Sie beziehen sich damit vor allem auf die im Gesetzentwurf enthaltenen Sanktionen, die Flüchtlingen drohen, wenn Integrationsangebote nicht wahrgenommen werden. Richtig ist: Das Integrationsgesetz regelt nicht grundsätzlich die Integration von Zuwanderern in Deutschland, sondern die der Flüchtlinge. Es ist damit nach den beiden Asylpaketen der dritte und folgerichtige Schritt zur Bewältigung der Flüchtlingskrise und ihrer Auswirkungen innerhalb Deutschlands.

Flüchtlingsschutz ist ein Instrument des Menschenrechtsschutzes und kein Zuwanderungskanal. Wenn wir realistisch sind, müssen wir jedoch erkennen, dass ein Teil der Flüchtlinge für sehr lange, vielleicht für immer in Deutschland bleiben wird, dass die Kinder hier sozialisiert und erwachsen werden. Anerkannte Flüchtlinge sind de facto ein Teil der deutschen Gesellschaft. Während die klare Trennung von Asyl und Migration im Aufenthaltsrecht richtig und notwendig ist, muss die Integrationserwartung für alle gelten, die über längere Zeit und möglicherweise dauerhaft in diesem Land leben werden.

 

Alles andere als Gängelei

Als Artikelgesetz sieht das Integrationsgesetz Änderungen im Sozialgesetzbuch ebenso wie im Asylbewerberleistungsgesetz, im Aufenthaltsgesetz und im Asylgesetz vor. Die wichtigsten Neuerungen bestehen erstens in der Förderung von Ausbildung und Arbeit der Flüchtlinge, insbesondere durch 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber und Zugang zu den verschiedenen Instrumenten der Ausbildungsförderung. Zweitens in der Wohnsitzauflage, mit der die Bundesländer Sozialleistungen für anerkannte Flüchtlinge davon abhängig machen können, dass diese sich in bestimmten Gegenden ansiedeln. So sollen soziale Schieflagen, regionale Arbeitslosigkeit und Integrationsprobleme vermieden werden. Drittens in der Intensivierung von Orientierungsangeboten, um die deutsche Rechtsordnung und gesellschaftliche Werte noch intensiver und an mehr Zielgruppen zu vermitteln. Und viertens schließlich in der Verpflichtung der Asylbewerber und anerkannten Flüchtlinge, sich an Integrationsangeboten zu beteiligen. Auch dass die dauerhafte Niederlassungserlaubnis nun von Integrationsleistungen abhängig gemacht wird, gehört in diesen Bereich der Anforderungen.

Denn bisher erhielten anerkannte Flüchtlinge – anders als Arbeitsmigranten – nach drei Jahren ohne weitere Voraussetzungen ein unbefristetes Bleiberecht, wenn die Situation im Herkunftsland unverändert bedrohlich war. Mit der neuen Regelung müssen dafür – nun nach fünf Jahren wie bei anderen Zuwanderergruppen auch – ein eigener Beitrag zum Lebensunterhalt, Sprachkenntnisse und Wohnraum nachgewiesen werden. Damit wird der Schutzanspruch nicht eingeschränkt, denn der Aufenthaltstitel kann auch bei mangelnder Integration – allerdings wieder befristet – erteilt werden. Im Gegensatz zu Arbeitsmigranten sind Flüchtlinge jedoch häufig durch traumatische Erlebnisse belastet. Das raubt Energie, die bei der Bewältigung des Alltags fehlt. Sie konnten sich auch nicht in Ruhe auf ihr neues Leben in Deutschland vorbereiten, haben also größere persönliche Hürden im Integrationsprozess zu überwinden als andere Migranten. Dieser besonderen Situation wird Sorge getragen, indem die Voraussetzungen für die Niederlassungserlaubnis insgesamt niedriger angesetzt sind.

Das oberste Ziel des Integrationsgesetzes lautet, dass die Integration derer, die bleiben werden, gelingen muss. Dafür werden Zugänge zu Arbeit und Ausbildung erleichtert und mit viel Geld gefördert; gleichzeitig wird auch von den Flüchtlingen erwartet, dass sie sich zur Integration verpflichten. Diese Botschaft zu senden und die Flüchtlinge gleichzeitig in vielfältiger Weise zu unterstützen, ist keine Gängelei, sondern die Voraussetzung für das Zusammenleben in einer freien und offenen Gesellschaft.

 

Erwartungen klar aussprechen

Doch säen die Sanktionen nicht Misstrauen? Demotiviert ihre Ankündigung nicht gerade die Willigen? Praktiker aus der Flüchtlingsarbeit berichten, dass die Flüchtlinge mehrheitlich so schnell wie möglich Deutsch lernen und eine Arbeit finden wollen. Sie wollen sich integrieren. Das ist eine gute Nachricht, von der viel zu selten öffentlich die Rede ist und deren Impuls für die deutsche Gesellschaft vielleicht noch gar nicht richtig erfasst wurde. Dennoch ist es nicht falsch, von Anfang an neben Rechten auch Pflichten einzufordern. Nur wenn Erwartungen klar ausgesprochen sind, ist der Weg zum Neubürger transparent. Das ist fair, denn darauf sind beide Seiten verpflichtet. Im besten Fall funktionieren die Integrationsinstrumente wie ein flexibler Baukasten. Flexibel mit Blick auf die unterschiedlichen Bleibeaussichten, auf den Bedarf des Einzelnen und seine Integrationschancen. Ohne optionale Teilnahmepflichten im Instrumentenkoffer würden auch die besten Förderangebote in manchen Fällen ins Leere laufen.

Wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei der ersten Lesung des Integrationsgesetzes sagte, beginnt die Bewältigung der enormen Integrationsaufgabe mit Einsichten über gelungene und misslungene Integration sowie mit der Entscheidung über den Weg, den die deutsche Gesellschaft gehen will. Zu diesen Einsichten gehört, dass jeder, der über längere Zeit in diesem Land lebt, sich sinnvoll einbringen soll; dass wir nicht bei bestimmten Gruppen auf Integration verzichten können und wollen, sei es, weil sie nach ein paar Jahren sowieso das Land wieder verlassen, sei es, weil sie aufgrund von Verfolgung ihre Heimat gegen ihren Willen verlassen mussten.

Das Integrationsgesetz ist ein Meilenstein, weil es Aufenthalts- und Sozialrecht logisch miteinander verknüpft. Es setzt so das gesellschaftliche Interesse daran, dass es Neuankömmlingen gelingt, in Deutschland ihren Platz zu finden und dazuzugehören, als oberste Priorität. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Zuvor richtete sich das System von Integrationsangeboten und -verpflichtungen vorrangig an reguläre Migranten. Während der letzten großen Flüchtlingswelle der 1990er-Jahre sollten Asylbewerber vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden, um in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und gesellschaftlichen Umbruchs in Ostdeutschland keine Konkurrenz zu deutschen Arbeitnehmern zu bilden. Schließlich sollte keine soziale Verwurzelung stattfinden, bevor nicht über den rechtmäßigen Aufenthalt entschieden worden war. Bis 2013 galt während des ersten Jahres ein Arbeitsverbot für Asylbewerber. Es wurde jüngst auf die ersten drei Monate verkürzt. Von den Integrationskursen waren Asylbewerber ausgeschlossen. Mit dem ersten Asylpaket im Oktober 2015 wurde die Teilnahme für diejenigen geöffnet, die gute Bleibeaussichten haben. Das Integrationsgesetz sieht nun sogar vor, dass sie zur Teilnahme verpflichtet werden können.

 

Pragmatischer Zugang

Dieser Paradigmenwechsel lässt sich mit drei Entwicklungen begründen. Erstens: Angebot und Nachfrage haben sich verändert. Heute suchen Unternehmen Fachkräfte und junge, lernwillige Menschen, die zu Fachkräften ausgebildet werden können. Die Konkurrenz zwischen Asylbewerbern und Einheimischen entsteht – anders als bei den Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien während der 1990er-Jahre – in relativ wenigen Bereichen mit niedrigen Qualifikationsanforderungen. Diese Argumentation allein reicht jedoch für einen policy shift hin zur Öffnung des Arbeitsmarktes nicht aus, soll doch die saubere Trennung von Flüchtlingsschutz und Fachkräftezuwanderung beibehalten werden.

Hinzu kommt also zweitens: Wissen um Integrationsprozesse. Die Erfahrungen zeigen, dass die Grundlagen für eine erfolgreiche Integration vom ersten Tag an gelegt werden. Die Dauer des Asylverfahrens ist also zumindest für die, die danach bleiben dürfen, wertvolle, aber für ihre Integration verlorene Zeit. Da es jedoch nicht Ziel sein kann, auch denen Integration zu versprechen und anzubieten, die sich unrechtmäßig im Land aufhalten, priorisieren die neuesten Regelungen Asylbewerber nach unterschiedlichen Bleibeaussichten und konzentrieren die zur Verfügung stehenden Ressourcen für Integration auf diejenigen Gruppen, die mit guter Voraussicht eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten werden; ein pragmatischer Zugang, der jedoch durchaus noch weiter ausdifferenziert werden könnte.

Auch für Personen mit geringer Bleibeaussicht gibt es mit dem neuen Gesetz nun Angebote, denn auch sie sollen sich während ihrer Zeit in Deutschland sinnvoll betätigen und sich im direkten Umfeld sprachlich und kulturell orientieren können.

Die dritte Entwicklung, die sich im Paradigmenwechsel erkennen lässt, ist: Flexibilität eines Einwanderungslandes. Auch wenn Asyl und Einwanderung „zwei Paar Schuhe“ sind, so zeigt sich auch beim Umgang mit Asylbewerbern eine Haltung, die Einwanderungsländer ausmacht: Sie definieren ihre nationalen Interessen und Vorstellungen von Zuwanderung und Integration, überprüfen regelmäßig die geltenden Regelungen für Ausländer mit Blick auf den sich wandelnden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedarf und richten schließlich ihre Zuwanderungs- und Integrationspolitiken erneut an diesem Bedarf aus. Man muss sich darauf einstellen, dass auch die jetzt neu geschaffenen Rahmenbedingungen für die Integration von Flüchtlingen unter anderen Voraussetzungen nicht mehr optimal sein werden und erneut angepasst werden müssen. Dies ist kein Ausbügeln von Fehlern der Vergangenheit, sondern eine Weiterentwicklung und Anpassung an sich ändernde Umstände.

Der Duden definiert einen Meilenstein als „entscheidendes Ereignis“. Das ist das Integrationsgesetz sicher, weil es die Grundannahmen für gelingende Integration bezüglich Sprache, Ausbildung, Arbeit, Sozialleistungen, ethischer Vorstellungen und Werte sowie Rechten und Pflichten so klar und systematisch wie nie zuvor in Maßnahmen umsetzt. Angesichts der epochalen, langfristigen Integrationsaufgabe, vor der wir stehen, dürfte das Gesetz jedoch auch nicht mehr und nicht weniger als eine Etappe sein.

 

Katharina Senge, geboren 1982 in Erfurt, Referentin bei der Integrationsbeauftragten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

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