Asset-Herausgeber

Mit Kapitalismuskritik ins Weiße Haus?

Welche Rolle das Thema der Ungleichheit im US-Präsidentschaftswahlkampf spielt

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„Die Zeiten sind hart“, witzelte US--Präsident Barack Obama am 25. April 2015. „Ich hatte eine Freundin, die viele Millionen Dollar pro Jahr verdiente. Und nun lebt sie in einem Bus in Ohio.“ Gemeint war Hillary Clinton, die ungewöhnlich früh begann, ihre Präsidentschaftskandidatur mittels einer Tour-Busses auf dem „flachen Land“ zu betreiben.

Gleichzeitig spielte Obama auf Clintons Einkommens- und Vermögensverhältnisse an: Seit sie nicht mehr Außenministerin ist, hat sie laut Berechnung führender US-Medien wie New York Times und Washington Post etwa dreizehn Millionen US-Dollar pro Jahr verdient. Mindestens 55 Millionen US-Dollar soll ihr Privatvermögen umfassen. Der nach US-Recht gemeinschaftlich zu erklärende Familienverdienst mit ihrem Mann Bill Clinton für die Jahre zwischen 2001 und 2012 wird von unabhängigen Analytikern auf mindestens 136,5 Millionen US-Dollar geschätzt. Hillary Clinton ist als mögliche Präsidentin damit reicher als die meisten vorangegangenen Bewohner des Weißen Hauses. Trotzdem erhob sie das Thema der Ungleichheit mit Blick auf die Lage des US-Mittelstandes bereits am ersten Tag ihrer Kandidatur zum Kerngegenstand ihres Wahlkampfs – wohl wissend, dass sie im Präsidentschaftswahlkampf 2008/09 eben wegen dieses Mittelstands in der innerparteilichen Auseinandersetzung gegen Obama verlor.

 

Ein „gefährliches“ aber dieses Mal wohl unumgehbares Thema

Die Lehre: Es scheint sich mittlerweile auch bei den reichsten und am stärksten in das Establishment eingebundenen Demokraten wie Clinton die Überzeugung durchgesetzt zu haben, dass nur mit dem Thema Ungleichheit die Präsidentschaftswahl 2016 zu gewinnen ist. Das kommt einer kleinen Revolution gleich. Denn bislang war von den Prinzipien, die in der amerikanischen Verfassung verankert sind, Freiheit konkurrenzlos das Zentrum des amerikanischen Selbstverständnisses; während Brüderlichkeit traditionell kaum eine Rolle spielt, tritt nun offenbar das Gleichheitsthema erstmals gleichberechtigt hinzu.

Clinton schwenkt nicht nur aus Überzeugung auf das Thema Ungleichheit ein, das im Wahlkampf traditionell als „gefährlich“ gilt. Denn im Allgemeinen wollen Amerikaner positive Mythen des Landes hören statt Rhetoriken über Probleme oder gar Niedergang. Dazu kommt: Trotz aller wirtschaftlichen Abstiegssorgen sehen weiterhin mehr als achtzig Prozent der Amerikaner alles, was auch nur ansatzweise mit Umverteilung von Staats wegen zu tun hat, schnell als „sozialistisch“ und damit eindeutig negativ. Clinton wählt das Thema Ungleichheit nicht zuletzt aufgrund des Drucks „linker“ Mobilmachung innerhalb der Demokratischen Partei zum Generalthema. Unter anderem der „unabhängige Demokrat“ Bernie Sanders, Anhänger eines Wohlfahrtstaats nach skandinavischem Vorbild, ein Nicht-Parteizugehöriger, der trotzdem aufseiten der Demokraten kandidiert, sitzt ihr im Nacken. Am 30. April fragte er mit ungewöhnlich breitem Echo in der amerikanischen Öffentlichkeit: „Wie ist es möglich, dass das oberste ein Prozent in den USA heute fast genauso viel Vermögen besitzt wie die restlichen neunzig Prozent zusammen?“ Sanders sprach damit die mittlerweile gerade in der US-Mittelschicht weit verbreitete Empfindung an, dass nicht nur die Einkommen in den USA immer ungleicher werden, sondern auch die daraus resultierenden Vermögen sich immer ungleicher zueinander verhalten.

Sanders sah es als inakzeptabel an, „dass wir in diesem Land große Unternehmen haben, die Milliardenprofite machen, aber keinen einzigen Nickel an nationalen Steuern bezahlen, weil sie unter anderem ihr Geld auf den Cayman-Inseln, auf den Bermudas und in anderen Steueroasen horten.“ Damit spielte er auf global erfolgreiche Großkonzerne wie Google oder Yahoo an, die trotz Milliardengewinnen in den vergangenen Jahren in den USA tatsächlich kaum Steuern bezahlten.

Das Problem für Clinton und ihr sprichwörtlich „feines Näschen für Kommendes“ dabei ist: Sanders steht nicht mehr einfach für sich, wie in vergangenen Jahrzehnten. Und er wird auch nicht mehr nur als „Arbeitervertreter“ angesehen. Sanders steht heute – nicht zuletzt als Effekt der Obama-Jahre und im Gefolge der Frustration vieler, die all ihre Hoffnungen auf Veränderung in die Präsidentschaft Obamas gesetzt hatten – für eine scheinbar unabwendbar anschwellende Gleichheitsbewegung in der Demokratischen Partei.

 

Ungleichheit – nun auch bei den Republikanern ein Thema

Die Folge? Die „Demokraten“ küren ihre Spitzenkandidaten voraussichtlich im Frühjahr 2016. Bis dahin ist ein harter innerparteilicher Richtungsstreit zwischen „neuen Gleichheitsvertretern“ und Establishment (zu dem Clinton eigentlich gehört) zu erwarten, wobei „unabhängige Halb-Demokraten“ wie Sanders das Zünglein an der Waage sein könnten. Dies zumindest mit Blick darauf, wo der Ort der „Mitte“ durch die Gesamtpartei definiert wird.

Doch die Themenwahl Vermögen und Ungleichheit wird – für das US-Publikum gewiss noch überraschender – nun auch von den ersten kandidierenden Republikanern gespiegelt, die zugleich zu den aussichtsreichsten Bewerbern gehören dürften. Das ist eine Neuerung für eine Partei, bei der 2012 mit „Mitt“ Romney just ein kompromissloser Vertreter des „einen Prozents“ der reichsten Amerikaner die innerparteiliche Auswahl gewann. Nun scheint sich der Wind auch bei den Konservativen zu drehen – zumindest rhetorisch.

Ein Beispiel? Der Tea-Party-Favorit Rand Paul, ein in vielerlei Hinsicht paradoxer „Libertär-Konservativer“, der trotz seiner in vielen Punkten progressiven Haltung gute Chancen hat, das konservative Rennen parteiintern zu machen, erklärte bei der Eröffnung seines Wahlkampfs: „Wir wollen unser Land aus den Fängen der special interests zurückholen, die Washington als ihr persönliches Sparschwein benutzen. Unter den Augen beider Parteien scheinen die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher zu werden. Und niemand tut etwas.“

Das war wie bei Clinton ein nur allzu klarer Appell an die rasch wachsende Zahl der Ungleichheits-Unzufriedenen in den USA – und zwar nicht wie bei Clinton hauptsächlich mit der Zielgruppe der urbanen Küstenmittelklassen, sondern bei Paul amerikaweit, einschließlich der unteren Mittelklasse in der republikanisch dominierten Provinz, den sogenannten „heartlands“. Zumindest mit dem von ihnen geförderten Paul scheinen die Aktivisten der Tea Party also wenigstens eines erreicht zu haben: dass keiner der mehrheitlich von ihnen abhängigen republikanischen Kandidaten das Thema Ungleichheit im „Land der Freien“ und in der „Heimat der Tapferen“ (Land of the Free and Home of the Brave) im kommenden Jahr ignorieren oder gar aktiv unterlaufen können wird. All dies lässt sowohl aufseiten der Demokraten als auch der Republikaner einen populistischen Wahlkampf erwarten, der sich auf das Thema „Kampf gegen Ungleichheit“ fokussieren wird.

 

Die Fakten: „Niveau wie vor der großen Depression“

Doch was sind, ungeachtet dieser – durchaus interessengeleiteten – Rhetorik auf allen Seiten, die Fakten zum Stand der Ungleichheit in den USA? Sie sind tatsächlich beunruhigend.

Der World Wealth Report (WWR) 2014 der Beratungsfirmen Capgemini und RBC Wealth Management weist darauf hin, dass die Zahl der US-Superreichen trotz Immobilien, Spekulations- und Finanzkrise in den vergangenen Jahren kontinuierlich zwischen zehn Prozent und sechzehn Prozent pro Jahr gewachsen ist. Sie erreichte nach 3,7 Millionen im Jahr 2012 2013 den Rekordwert von 4,3 Millionen. Die Massierung der Vermögenswerte der Reichsten in den USA erreichte 2013 mit 14,9 Billionen US-Dollar ebenfalls einen Rekord. Zum Vergleich: Das gesamte weltweite Vermögen wird auf etwa sechzig Billionen US-Dollar geschätzt. Das heißt, dass die zwei Prozent Reichsten in den USA knapp ein Viertel der globalen Vermögenswerte ihr Eigen nennen. Etwa gleich viele Reiche (etwa 10.000 weniger) gibt es bei ähnlicher Vermögenskonzentration in der Asien-Pazifik-Region, die allerdings wesentlich mehr Einwohner hat. Deren Reichenzahl wuchs um 17,3 Prozent noch etwas schneller, während die von Europa laut WWR „nur“ um 12,5 Prozent wuchs.

Wichtiger: Das Zentrum für Armut und Ungleichheit der Stanford-Universität (Stanford Center on Poverty and Inequality) sieht die Ungleichheit in den USA auf „demselben extremen Niveau wie vor der Großen Depression“ (1929 bis 1941). Das Verhältnis zwischen dem Einkommen eines Arbeiters oder Angestellten und dem eines Firmenführers (CEO) lag 1965 bei 1 : 24, 2009 bei 1 : 185. Die Mittelklasse hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten massiv an Kaufkraft verloren. Zugleich sind die Kosten für Erziehung, Lebensunterhalt und Wohnen für die Mittelklasse um mindestens das Zehnfache gestiegen. Die Folgen für die auch aufgrund dieser Entwicklung relativ absteigenden Mittel- und Unterklassen:

750.000 Amerikaner sind jede Nacht ohne Unterkunft, darunter ein erheblicher Anteil, der vorher stabil zur Mittelklasse gehörte, etwa zehn Millionen Kinder haben keine Gesundheitsversicherung, und die US-Kinderarmut liegt laut Stanford-Universität bei 21 Prozent – in Deutschland bei unter acht Prozent. Das Fünftel der US-Reichsten lebt zunehmend in eigenen Wohnsiedlungen, und die klassenbedingte „Wohntrennung“ (residential segregation) nimmt laut Stanford rasch zu.

Aber das ist noch nicht alles. Laut OECD stehen die USA heute bei absolut (nicht: pro Kopf) größtem Reichtum in Sachen Ungleichheit an viertletzter Stelle aller 34 meistentwickelten Staaten der Erde – übertroffen nur von Chile, Mexiko und der Türkei.

Die Themenentwicklung des US-Präsidentschaftswahlkampfes 2015/16 ist aufseiten sowohl der Demokraten wie der Republikaner in diese Gesamtsituation eingebettet, die vielen Amerikanern zunehmend Sorgen bereitet. Die Wahlkampfmaschinen der Demokraten und der Republikaner reagieren gleichermaßen direkt wie indirekt auf die Lage. Das zeigt, dass infolge der Obama-Jahre (Januar 2009 bis Januar 2017) auch (und sogar) in den USA die globalen Kernfragen Vermögens- und Einkommensverteilung sowie wachsende Vermögens- und Einkommensungleichheit zum Breitenthema werden.

Das geschieht ungeachtet dessen, dass das Thema für fast ein Jahrhundert vom Mainstream der US-Kulturstimmung als „unamerikanisch“ verdrängt wurde. Wenn das Thema heute im Erfinderland des modernen Kapitalismus trotzdem an Bedeutung gewinnt – zumindest für die Dauer des Präsidentschaftswahlkampfs –, dann lautet die Frage, was der damit verbundene Trend bezogen auf konkrete politische Maßnahmen, Strategien und Absichten bedeutet. Steht Amerika vor einer Neubewertung der Vermögens- und Einkommensfrage im Zeichen des Kampfes gegen Ungleichheit? Steht es damit indirekt gar vor einer Neubewertung des Kapitalismus? Oder ist das Ganze weitgehend Rhetorik, die – wie meist Wahlkampfversprechen – nur kleinere Korrekturen und Anpassungen produzieren wird?

 

Neubewertung des Kapitalismus?

Die USA sind in vielerlei Hinsicht das meistglobalisierte Land der Erde, das sowohl unbewusst wie bewusst weiß, dass es sich globalen Trends nicht völlig entziehen kann – nicht einmal dem Trend zur Thematisierung von Ungleichheit. Trotzdem bleibt es charakteristisch für die USA, dass es im 20. Jahrhundert viele Anläufe zur Beseitigung der Armut gegeben hat, aber kaum bedeutendere Anstrengungen zur Eindämmung der Ungleichheit. Beides, Armut und Ungleichheit, bleiben für das „mittlere“ amerikanische Empfinden mehr oder weniger dasselbe – und genau das ist einer der maßgeblichen Unterschiede zu den europäischen Staaten, die Ungleichheit und Armut genau unterscheiden.

Die Folge: Zwar gab es in den USA unter anderem in den Jahren Lyndon B. Johnsons (1963 bis 1969) und seiner Idee einer „great society“ zahlreiche Programme mit Milliardenausgaben zur Beseitigung von Armut; aber Ungleichheit wurde dabei kaum je Grundsätzlich thematisiert, sondern meist sogar positiv als inhärenter, ja zentraler Bestandteil des „amerikanischen Traums“ angesehen. Aus dieser (traditionellen) Sicht ist Ungleichheit sowohl Voraussetzung als auch unvermeidliche Folge vertikaler Mobilität. Es muss Verlierer geben, oder es gibt keine Gewinner – so ein Teil der Kulturprägung des „amerikanischen Traums“ bis heute. Diese Empfindung sieht Armut als negativ an, nicht aber Ungleichheit.

 

Konzentration auf Einkommens-, nicht auf Vermögensungleichheit

Doch dabei ergeben sich mittlerweile auch für den amerikanischen Durchschnittsbürger viele Fragen. Darunter ist die Frage, ob Ungleichheit in den USA hauptsächlich durch Einkommensungleichheit bedingt ist, wie die meisten Analysen – typisch amerikanisch – glauben machen wollen. Zudem setzt sich allmählich auch in der angloamerikanischen Welt die Einsicht durch, dass die einfache Rechnung, Wirtschaftswachstum werde Ungleichheit von allein abmildern oder gar auf lange Frist entscheidend verringern, per se nicht den Fakten entspricht – und auch keine Universallösung sein kann, weil damit etwa die Umweltproblematik noch nicht angesprochen ist.

Trotzdem dürfte es für die USA weiterhin typisch bleiben, dass eine – bewusste und unbewusste – Konzentration auf Einkommensungleichheit mit Lösung Wirtschaftswachstum kulturell dominiert. Gemäß diesem Fokus auf Einkommen – statt auf Vermögen – gilt es, in erster Linie die Chancen in der Zukunft zu sehen (Einkommen), indem im Idealfall alle, einschließlich der Armen, mehr verdienen. Es geht in den USA aus der ganzen kulturellen Geisteshaltung heraus seit jeher weniger darum, bestehendes Erworbenes aus der Vergangenheit – also Vermögen – zu beschneiden. Letzteres würde Redistribution bedeuten – und käme, soweit über einen gewissen Punkt hinausgetrieben, für die meisten Amerikaner im Signum der Grundlegend individualistischen „Fairness“ des „amerikanischen Traums“ einem Unrecht nahe.

Eben daher bleibt in fast allen Ungleichheitsdiskussionen des beginnenden US-Wahlkampfs offen, ob es bei allfälliger Bearbeitung des Problems „Ungleichheit“ um eine Systemveränderung, also eine Redistributionsreform (einschließlich einer Steuer- und Ausgabenreform der öffentlichen Hand), geht, um mehr Programme zur Armutsbekämpfung oder einfach um den frommen Wunsch

„Bessere Chancen für alle!“, wie die Republikaner das Ungleichheitsproblem bislang meist vereinfachend interpretieren. Diese (programmatische) Unschärfe hat allerdings nicht nur auf einer Seite (der republikanischen), sondern durchaus auf beiden Seiten des parteipolitischen Spektrums Methode: Schließlich handelt es sich für alle Kandidaten darum, die Rhetorik des „amerikanischen Traums“ möglichst ungebrochen weiterzuführen. Ob man dabei mehr „links“ oder „rechts“ steht, ist fast unerheblich.

 

Obama: „Ungleichheit ist für die USA die zentrale Herausforderung unserer Zeit“

„Ungleichheit ist die zentrale Herausforderung unserer Zeit“ („Inequality is the defining challenge of our time“), erklärte US-Präsident Obama mehrfach, darunter programmatisch 2013 und 2014. Er zollte damit einem gesellschaftlichen Problem Tribut, das etwa zeitgleich durch das Buch des französischen Ökonomen Thomas Piketty Das Kapital im 21. Jahrhundert (2013, englisch 2014) neu herausgearbeitet und auf die globale Bühne gebracht wurde. Demnach bedroht die unkontrollierte Zunahme von weltweiter, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stetig wachsender Ungleichheit die demokratischen Ordnungen von Wirtschaft und Gesellschaft. Obama machte gar die Herstellung von mehr Gleichheit zur „Kernaufgabe der Nation“, so etwa in seiner Rede zur „Lage der Nation“ Ende Januar 2014. In Zeiten, in denen, wie Ende April bis Anfang Mai 2015, die Stadt Baltimore in Maryland von den Behörden zur „Aufstandszone“ erklärt, der Ausnahmezustand verhängt und die Nationalgarde mobilisiert wurde, um Unruhen unter den sozial benachteiligten Afroamerikanern zu bekämpfen, schienen diese Worte allerdings die eines Rufers in der Wüste zu bleiben.

Die Ereignisse in Baltimore geschahen, während die Reichsten, darunter etwa die US-Hedgefonds-Manager, ständig neue Rekorde bei ihren Privateinkünften feierten. Auf der Liste der bestverdienenden Fondsmanager für das Jahr 2012 wurde das Ein-Jahres-Privateinkommen von Appaloosa-Managementleiter David Tepper offiziell mit 2,2 Milliarden Dollar beziffert, das von Steven A. Cohen von SAC Capital Advisors mit 1,4 Milliarden Dollar, das von Ray Dalio von Bridgewater Associates mit 1,7 Milliarden Dollar, das von James Simons von Renaissance Technologies mit 1,1 Milliarden Dollar und das von Leon Cooperman von Omega Advisors mit 560 Millionen Dollar – Zahlen, die selbst aus der Sicht der amerikanischen Oberschicht obszön anmuten.

Obama wagte es in seiner bisherigen Amtszeit allerdings nicht, über – richtungsweisende – Worte hinaus wirklich neue, praktische Schritte zur Ungleichheitsfrage einzuleiten. Bei Obama blieb, wie heute von seiner eigenen Klientel, der liberalprogressiven Bevölkerungsschicht, empfunden wird, mehr oder weniger unklar, was die konkrete Perspektive der von ihm öffentlich thematisierten US-Ungleichheitsfrage ist: Stärkung der Mittelklasse, Redistribution von Vermögen, Einkommensgleichheit oder (ein weiteres Mal) Bekämpfung von Armut?

 

Obama: ein tragisches Erbe?

Obama blieb wohl eben mit Rücksicht auf die amerikanische Mentalität vage. Er tastete das Bestehende nicht an, sondern versuchte, eher das ohnehin nach vorn Treibende für sich zu nutzen. Dabei ging Obama den für ihn typischen Weg der „Mitte“. So war es nicht überraschend, dass der Präsident mit den meisten seiner Stellungnahmen zur „Einkommensungleichheit“, etwa in der Frage des Mindestlohns, teilweise erfolgreich war, hingegen die „Vermögensungleichheit“ wenig bis gar nicht in den Blick nahm.

Dafür gibt es allerdings auch gute Gründe. Man darf nicht vergessen, dass das Vermögen in westlichen Demokratien in der Regel bereits auf versteuertem Einkommen beruht – das nicht verprasst, sondern eben angelegt wurde. Daher muss es auch geschützt werden. Es ist alles andere als ein Verbrechen, es zu besitzen. Allerdings sind in Amerika die Verhältnisse in der Realität doch sehr anders als in Europa: Seit der Ära George W. Bush jr. (2001 bis 2009) werden Reiche und vor allem Superreiche weniger besteuert als in anderen Demokratien. Obwohl es in Kalifornien durchaus Besitzsteuern, etwa auf Immobilien, gibt, ist die Durchschnittsbesteuerung bei ungleich höherer Akkumulation in den USA weit niedriger als in Europa und die Progression tendenziell geringer. Obama hat hier praktisch nichts verändert, auch nicht, was eine stärkere Beteiligung der Superreichen am nationalen Haushalt anbelangt.

Bei allem Respekt vor der Neuthematisierung der Ungleichheitsfrage durch Obama ist daher wohl davon auszugehen, dass die Parteien der USA – Demokraten wie Republikaner – weit davon entfernt sind, Positionen einzunehmen, die europäischen Sichtweisen auch nur entfernt ähnlich sind. Das hat auch damit zu tun, dass Europa in Fragen der Besteuerung von Vermögen und Einkommen zuletzt falsche Signale ausgesendet hat – etwa mit der geplanten französischen „Reichensteuer“ von 75 Prozent durch Präsident François Hollande, der damit verbundenen Anti-Reichenkampagne und dem darauf folgenden Exodus von Prominenten und Künstlern.

Zusammenfassend und in der Vorausschau auf die kommenden Monate stellt sich die Frage, was die US-Präsidentschaftskandidaten konkret an Neuerungen vorhaben, wenn sie „Ungleichheit“ auf ihre Agenda setzen – und was in dieser Hinsicht von Obamas Erbe bleiben wird.

Die US-Medien jedenfalls sind sich eineinhalb Jahre vor den Wahlen in einem Punkt einig: Keine der Kandidatinnen und keiner der Kandidaten mit Aussicht auf das Amt wird größere Veränderungen in der Ungleichheitsfrage bewirken, weil dies der inneramerikanischen Mythologie vom „American Way of Life“ widerspräche und größere Umbrüche in der Vermögens, Einkommens- und Steuerfrage gegen den „amerikanischem Traum“ nicht durchzusetzen seien. Viele misstrauen denn auch der aktuellen Klassenrhetorik, die sowohl bei Demokraten als auch bei Republikanern den Wahlkampfauftakt dominiert – manche wegen ihrer Unschärfe; andere, weil die öffentliche Thematisierung der Ungleichheit zumindest für die heutige US-Generation immer noch vergleichsweise „neu“ ist; wieder andere – vor allem außerhalb der urbanen Zentren –, weil sie sie für prinzipiell „unamerikanisch“ halten.
 

Was bedeutet das?

„Amerikanisch“ war auf beiden Seiten des Parlamentsganges (both sides of the aisle) stets der Diskurs von Leistung, Arbeit, des Sich-nach-oben-Durchboxens – nicht aber, dass mehr Gleichheit staatlich hergestellt werden soll. Amerikaner waren im Prinzip davon überzeugt, dass Ungleichheit nur Ausdruck unterschiedlichen Willens ist – auch was die Höhe des Einkommens, die Akkumulation von Vermögen und die daraus resultierenden Wirkungen betrifft. Es ist unwahrscheinlich, dass sich diese tief verankerte Überzeugung rasch ändert.

So wird die aktuelle Ungleichheitsdebatte wohl mittelfristig wenig Einschneidendes bewirken. Der Effekt könnten trotzdem einige Steuererhöhungen für die Reichsten sein, zumindest als „Antrittsgeschenk“ einer neuen Präsidentschaft. Über einige eher symbolische Korrekturen dürften die Folgen vorerst wohl kaum hinausgehen.

 

Roland Benedikter, geboren 1965 in Bruneck (Südtirol), ist Research Scholar für multidisziplinäre Politikanalyse am Orfalea Zentrum für Globale und Internationale Studien der Universität von Kalifornien in Santa Barbara (USA).

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