In der Klimaschutzdebatte kommt dem Thema Mobilität eine entscheidende Rolle zu. Der Verkehrssektor ist aufgrund rasant wachsender Mobilitätsbedürfnisse ein wesentlicher Grund, warum Deutschland seine Klimaschutzziele zurzeit nicht erreicht. Trotz erheblicher Fortschritte bei der Effizienz der Antriebe sind die Emissionen im Verkehrsbereich in den letzten Jahren gestiegen.
Aus dieser Tatsache ergibt sich ein erheblicher Handlungsdruck für die Politik: Es gilt, einerseits den ehrgeizigen Klima und Abgaszielen gerecht zu werden und negativen Effekten des Verkehrs wie Stau, Gesundheitsschäden und Flächennutzung entgegenzuwirken und andererseits eine saubere und störungsarme Mobilität zu ermöglichen. Unbestritten sind die innerstädtischen Verkehre und ebenso unsere Autobahnen, Schienen und Wasserwege größtenteils an ihre Kapazitätsgrenzen geraten. Gleichzeitig stellt uns der demografische Wandel insbesondere in den ländlichen Räumen vor neue Herausforderungen in Bezug auf Mobilität und gute Erreichbarkeit. Mobilität ist für Deutschland seit jeher Fundament und Antrieb für Wachstum, Wohlstand und Arbeit. Das muss auch künftig so bleiben. Die individuelle Mobilität ist ein hohes Gut. Sie gilt es hinsichtlich der Erfordernisse des Klimaschutzes für die Zukunft im Blick zu behalten!
Die wesentliche Herausforderung besteht darin, die Mobilität der Zukunft nicht zur sozialen Frage werden zu lassen. Gleichzeitig muss der Verkehrs und Mobilitätssektor durch politische Weichenstellungen und Anreize so ausgerichtet werden, dass er verkehrsträgerübergreifend die Emissionen deutlich reduziert und damit einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Das gelingt am besten, wenn wir uns für eine innovative, technologieoffene und marktwirtschaftliche Herangehensweise entscheiden.
Staatlicher Dirigismus ist meiner Ansicht nach der falsche Weg. Auch der Versuch, die Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen oder Verkehrsteilnehmer mittels Verboten zu bevormunden, würde in die Irre führen. Es würde auch zu kurz greifen, die Mobilität von morgen nur mit schadstoffärmeren Autos gleichzusetzen: Die Mobilität der Zukunft ist viel mehr – sie ist digital vernetzt, intermodal und klimafreundlich. Ein Mix von leistungsfähigen Mobilitätsangeboten, innovativer Forschung und einer intelligenten Infrastruktur ist daher notwendig.
Elektromobilität und Umweltbelastung
Technologieoffenheit und Innovation sind zwei entscheidende Prinzipien, auf denen eine moderne Verkehrs und Mobilitätspolitik aufsetzen muss. Das heißt auch, dass sich der Staat nicht in der Frage nach der Zieltechnologie ein mischen sollte. Er soll keine Vorgaben machen, ob künftig mit erneuerbaren oder synthetischen Kraftstoffen, batterie- oder leitungselektrisch oder mit Wasserstoff gefahren wird. Selbst die Nutzung fossiler Ausgangsstoffe er scheint mir mit neueren Verfahren zur Emissionsvermeidung weiterhin möglich zu sein.
Bei der Elektromobilität gibt es trotz mancher Klagen erkennbare Fortschritte. Die Zahl der Fahrzeuge steigt seit Jahren stetig und dynamisch an. Die Versorgung mit Ladestellen entwickelt sich ebenfalls positiv. Natürlich stehen wir im Bereich der Elektromobilität weiter vor erheblichen Herausforderungen: Diese Antriebsart wird nur dann Akzeptanz finden, wenn An schaffungskosten sinken und Reichweiten der Fahrzeuge steigen. Wichtig erscheint mir deshalb, die Markteintrittshilfen fortzuführen, sie auf die verkehrs und umweltpolitischen Ziele abzustimmen und darauf zu achten, dass sie zeitlich begrenzt bleiben sowie Technologieoffenheit nicht verhindern.
Die Umweltbelastung hängt bei der Elektromobilität wesentlich von der Art der Stromerzeugung und der Produktion der Batterien ab. Die Gesamtenergiebilanz elektrisch angetriebener Fahrzeuge muss erheblich verbessert werden. Aus meiner Sicht sind eine Batteriezellenfertigung in Deutschland sowie eine bessere Energie und CO2-Bilanz bei der Akkuherstellung unverzichtbar. Für die möglichen Batteriezellfertigungsstandorte sind Gigawattfabriken als Teil einer deutschen E-Mobilitäts-Strategie notwendig. Es geht auch darum, den rechtlichen Rahmen über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) so zu setzen, dass der Elektromobilitätsstandort Deutschland wettbewerbsfähig bleibt.
Ein entscheidender Faktor ist eine flächendeckende Infrastruktur für das Aufladen von E-Fahrzeugen. Zu diesem Zweck muss die Ladeinfrastruktur zügig ausgebaut werden. Hierzu gehört auch ein erweitertes Angebot von Schnellladesäulen an den für Fernstrecken relevanten Autobahnen und Bundesstraßen.
Technologiemix und Energiespeicherung
Die rasant wachsende Zahl von Elektrorollern, E-Bikes und E-Tretrollern verdeutlicht, dass die Elektromobilität auch jenseits von Autos und leichten Nutzfahrzeugen Spuren hinterlässt. Mittlerweile fahren etwa vier Millionen elektrisch unterstützter Fahrräder auf Deutschlands Straßen. E-Tretroller drängen auf den Markt. Der Trend beim individualisierten Kurzstreckenverkehr geht zu Elektrokleinstfahrzeugen. Ihre Vorteile liegen in der einfachen Handhabung, erleichterten Lademöglichkeiten, einer erweiterten Reichweite sowie der Möglichkeit, das Fahrzeug neben dem Elektroantrieb auch mit eigener Kraft fortzubewegen. Zusätzlich sinken die Preise dieser Produkte. Diese Fahrzeuge sind für die Mobilität in ländlichen Räumen und in Städten interessant, da sie ein Ersatz für den Pkw im Kurzstreckenbereich sein können. Sie erleichtern einen Zustieg zu weiteren Verkehrsmitteln wie Bus und Bahn und verbessern die vernetzte Nutzung unterschiedlicher Mobilitätstechnologien.
Wir sollten uns jedoch nicht allein auf die Elektromobilität konzentrieren. Um die Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erreichen, brauchen wir einen Technologiemix. Entscheidend ist, welche Technologie zu welchem Zeitpunkt und für welchen Einsatzbereich die sinnvollste, wirtschaftlichste und nachhaltigste ist.
Ziel muss es sein, das hohe CO2-Minderungspotenzial bei den vorhandenen Antriebstechnologien zu nutzen. Das ist wichtig, weil in absehbarer Zeit ein signifikanter Anteil an Pkws und der wesentliche Anteil an Schwerlastfahrzeugen einen reinen Verbrennungsmotor oder einen Hybridantrieb haben werden. Bei der Technologieförderung sollten wir neben Biokraftstoffen auch Wasserstoff sowie Autogas (LPG), Flüssigerdgas (LNG), Erdgas (CNG) und synthetische Kraftstoffe, die CO2-arm hergestellt werden und weitgehend partikel- und stickoxidfrei verbrennen, berücksichtigen. Ins besondere die Technologieführerschaft im Bereich der hochintegrierten Antriebselektronik oder der Brennstoffzelle sollten wir in Deutschland aus bauen. Innovative Kraftstoffe und Antriebstechnologien bieten zudem Potenziale, auch die Mobilität mit Flugzeug, Schiff und Bus deutlich klimaverträglicher zu gestalten.
Ebenso notwendig sind deutliche Fortschritte im Bereich der synthetischen Kraftstoffe, der nicht nur einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten, sondern auch äußerst lukrativ sein kann. Um die Kraftstoffe klimaneutral zu erzeugen, werden große Mengen Strom aus erneuerbaren Quellen nötig sein. Die energieintensive Erzeugung synthetischer Kraftstoffe könnte in sonnenreichen Ländern in mit regenerativer Energie laufenden Anlagen betrieben werden. Der transportfähige Kraftstoff wird dann exportiert. Dies könnten im besten Sinne Impulsprogramme der Entwicklungshilfe sein. Da rüber hinaus eröffnen sich technologisch auch Perspektiven, mit weit weniger zusätzlichem Energieaufwand Wasserstoff nahezu emissionsfrei aus Erdgas zu gewinnen.
Power-to-Gas („Elektrische Energie zu Gas“, kurz: P2G) gilt als viel versprechender Ansatz zur Energiespeicherung. Diese Technologie bietet den großen Vorteil, dass sie die Kopplung verschiedener Sektoren ermöglicht, also Ökostrom in Bereichen wie dem Verkehr oder der Heizung von Gebäuden verfügbar macht, in denen der CO2-Ausstoß bislang kaum gesunken ist. Im Emsland wurde 2013 die bislang weltweit größte P2-GAnlage errichtet. Dies verdeutlicht, dass der Ansatz noch nicht wirtschaftlich betrieben werden kann, obwohl noch viel zu oft Stromüberschüsse zu Negativpreisen an der Strombörse gehandelt und später wieder teuer zurückgekauft werden müssen. Aus meiner Sicht brauchen wir einen echten Markthochlauf für P2G-Anlagen. Es gilt, schnellstmöglich die Kapazitäten für eine Massenfertigung zu schaffen.
Automatisierung und Digitalisierung
Bereits heute kommunizieren Verkehrsteilnehmer, Fahrzeuge sowie die sie umgebende Infrastruktur digital. Dies bietet große Chancen und liefert die Basis für innovative Verkehrsinfrastrukturen sowie intelligente Verkehrsflüsse. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass durch die verbesserte „Verkehrsverflüssigung“ bis zu zwei Prozent der Emissionen im Verkehrsbereich Deutschlands – also mindestens 3,5 Millionen Tonnen CO2 – pro Jahr eingespart werden können.
Anonymisierte Bewegungsdaten können in Kombination mit Navigations- und Verkehrsdaten Staubildungen und Verkehre, etwa zur Parkplatz suche, vermeiden und damit für einen verbesserten und sichereren Verkehrsfluss sorgen. Aktuelle Verkehrslagen werden in Echtzeit erfasst, und Vorhersagen über künftige Verkehrsflüsse können gebildet werden, sei es anhand von Algorithmen oder anonymisierter Nutzerdaten. Sogenannte Datenmanagementsysteme bilden die Grundlage für die Routen und Reiseplanung, die Bereitstellung von Verkehrsmitteln sowie die Auslastung von Fahrzeugen. Die notwendigen technischen Voraussetzungen dafür bilden Breitband Datennetze, ein flächendeckend lückenloses Netz von mindestens 4G-Konnektivität sowie leistungsfähige Soft und Hardwarelösungen.
Ein wichtiges Thema ist das automatisierte und autonome Fahren. Mit Assistenzsystemen ausgestattete Fahrzeuge sind schon heute technisch zu realisieren, die sie begleitende technische Entwicklung schreitet rasant voran. Künftig können wir dank automatisierter Fahrzeuge bis ins hohe Alter an jedem Ort mobil bleiben. Sie bieten außerdem die technischen Möglichkeiten, durch perfekte Anpassung an die verkehrsbedingten Gegebenheiten umwelt- und klimaschonender unterwegs zu sein. Es ist der Anspruch des Landes Niedersachsen, als starker Industrie und Automobilstandort Vorreiter und Innovationsführer in der Technologie des automatisierten und vernetzten Fahrens zu sein.
Intelligente Ampeln, lautlose Elektroantriebe
Wir wissen, wie komplex und aufwendig das Testen und die Freigabe der kommenden Fahrzeuggenerationen sein werden. Mit dem „Testfeld Niedersachsen für automatisierte und vernetzte Mobilität“ wollen wir die Wirtschaft und Wissenschaft bei diesem schwierigen Unterfangen unterstützen und den fachlichen Austausch fördern. Das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt leistet mit seinen Forschungen einen wichtigen Beitrag zur Automatisierung und Digitalisierung der Mobilität. Die dort aufgebauten Testumgebungen bieten der Forschung und auch der Industrie weitreichende Möglichkeiten, neue Technologien zu erproben und zur Marktreife zu entwickeln.
Tatsächlich bietet die Digitalisierung ungeahnte Chancen für sichere und klimaschonende Mobilität insgesamt: autonom fahrende Taxis mit sicherer Fußgänger und Radfahrererkennung, Busse, die stets pünktlich sind, intelligente Ampeln und lautlose Elektroantriebe. Ältere und leistungseingeschränkte Menschen können besser eingebunden werden, und jeder Einzelne kann seine Fahrzeit produktiv oder zur Erholung nutzen. Personen und Gütertransport können effektiver, rationeller und umweltschonender organisiert werden.
Auch der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) der Zukunft ist sauber, flexibel und digital vernetzt. Dazu bedarf es neben der flächendeckenden Implementierung standardisierter digitaler Lösungen zur Buchung unterschiedlicher Angebote auch Investitionen aller politischen Ebenen in einen Kapazitäts- und Angebotsausbau.
Busantriebe auf Gas oder Wasserstoffbasis sowie Elektrobusse werden den ÖPNV sowie den Fernbusverkehr künftig nachhaltiger gestalten. Auch nicht elektrifizierte Strecken des Schienenpersonennahverkehrs müssen verstärkt technologieoffen umgestellt werden. So verkehren beispielsweise seit September 2018 zwischen Cuxhaven und Buxtehude im Elbe-Weser-Netz die beiden weltweit ersten mit Wasserstoff betankten Triebfahrzeuge. Die Züge wurden in Salzgitter gefertigt und werden von emissionsfreien Brennstoffzellen angetrieben.
Innovations- und Ordnungspolitik
Schlussendlich hat die Politik im Wesentlichen zwei wirksame Hebel zur Verfügung, um den Klimaschutz konsequent voranzubringen und dabei zugleich die richtigen Weichen für die Zukunft der Mobilität zu stellen: Es geht erstens um eine Innovationspolitik, die Impulse über Fördermittel und andere finanzielle Anreize setzt. Das erfordert eine prioritäre Unterstützung von Forschung und Entwicklung im Bereich der mobilitätsbezogenen Zukunftstechnologien. Und es schließt eine steuerliche Forschungsförderung, die auch im Bereich Mobilität Anreize schafft, mit ein. Diese mutige Innovationspolitik ruft zum produktiven Wettbewerb um Mobilitätskonzepte auf, durch den dann auch Experimentierräume für neue Mobilität eröffnet werden.
Es geht zweitens um einen ordnungspolitischen Ansatz über gesetzliche Vorgaben und staatliche Investitionen: Dazu zählen ein entschiedener Ausbau von Infrastruktur für neue Mobilitätstechnologien. Es wird notwendig sein, den begrenzten öffentlichen Verkehrsraum in unseren Städten neu aufzuteilen. Um innovative Fahrdienste in Verbindung mit einer Klimakomponente auf unsere Straßen zu bringen, muss der gesetzliche Rahmen an gepasst werden. Zudem bedarf es steigender Investitionen in den digitalen Infrastrukturausbau in Deutschland, um die Chancen der Digitalisierung nachhaltig nutzen zu können.
Ich bin sicher, dass wir mit den hier skizzierten Maßnahmen Wohl stand, Mobilität und Klimaschutz in Einklang bringen können. Dann wird es uns auch gelingen, das hohe Niveau individueller Mobilität für die Zukunft zu erhalten und gleichzeitig die ehrgeizigen Klimaschutzziele einzuhalten.
Bernd Althusmann, geboren 1966 in Oldenburg, 2010 bis 2013 Kultusminister des Landes Niedersachsen, seit November 2016 Landesvorsitzender der CDU Niedersachsen, seit November 2017 Niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung und stellvertretender Ministerpräsident.