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Hans Maier zum 90. Geburtstag

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Intellektuell beispielhaft, fachlich kompetent, beruflich bewährt, politisch gestaltungskräftig – aber von Politik als Droge und Karrierevehikel gänzlich unabhängig: Das Ansehen der Politik und ihres Personals bewegte sich nicht in üblichen Tiefen, gälten diese Qualitäten unverbrüchlich bei der Rekrutierung unseres politischen Führungspersonals. Für Hans Maier, der nun auf neunzig Lebensjahre zurückblicken kann, galten sie stets, als Person ohnehin und nicht zuletzt – ganz gleich, welche Ämter er bekleidete – im politischen wie im katholischen Milieu. Im Privaten beispielhaft zu sein, entbehrt zwar nicht der Herausforderungen, die sich jedoch unermesslich steigern, sobald das Private ins öffentliche Leben hineinwächst, weil es die Verantwortung für den Nächsten und das Gemeinwohl erkennt. Wie sagte doch Dante? „Wer sich nämlich nicht darum sorgt, zum öffentlichen Wohl einen Beitrag zu leisten, obwohl er mit den Lehren, die dieses Wohl betreffen, vertraut ist, der zweifle nicht daran, daß er seine Pflicht versäumt.“ Diese Mahnung lässt sich als Weisung für Hans Maiers Lebensweg begreifen. Denn das öffentliche Wohl ist Gegenstand der Politikwissenschaft in ihrem klassischen Verständnis durch die Zeit. Für den Politiker ist es Ziel konkreten Handelns, notfalls gegen die Übermacht gesellschaftlicher Stimmungen oder parteipolitischer Verengungen. Für den Christen ist es eine Aufforderung, ihm mit seinen Grundwerten zu dienen.

So scheint der Weg in politische Verantwortung geradezu vorgezeichnet. Gleichwohl ist er es nicht. Zum einen lässt sich eine glanzvolle wissenschaftliche Karriere nicht so einfach mit einer üblichen politischen verbinden. Zum anderen suchen Parteien gewöhnlich nicht gerade vor ihren Toren nach Profilierten, es sei denn, sie fühlen sich in Not. So wurde Hans Maier in bewegten Zeiten gerufen, als Hochschul- und Bildungspolitik an der Spitze der Tagesordnung und Studenten auf der Straße standen. Standen? Um Systemveränderung kämpften – nicht nur hochschulpolitisch! Als einer von wenigen hatte sich Maier dieser Bewegung schon in der Universität entgegengestellt, offen für den Diskurs, nicht offen für Zerstörerisches, sondern Pluralismus und Toleranz stets verteidigend. Er wurde zu einer Zeit, in der sich kaum jemand nach diesem dornenvollen Amt drängte, zunächst der jüngste, später der dienstälteste Kultusminister der Republik, höchsten Ansehens obendrein. Ideologischen Grabenkämpfen begegnete er ungetrübt mit Rationalität. Binnen Kurzem hat er vom Kindergarten bis zu den Hochschulen die bildungspolitische Landschaft neu vermessen, darüber hinaus das ganze kulturelle Feld mit Musik (selbst begnadeter Organist!), Theater, Kunst und Denkmalschutz sowie die Verbindung mit den Kirchen gepflegt. Sein Wort fand Gehör über parteiliche und regionale Grenzen hinaus.

 

Bindung an das Amtsethos

 

Warum? Weil er weder zu vereinnahmen noch zu instrumentalisieren war. Seine Selbstständigkeit im Urteil, seine Klarheit in Haltung und Verhalten und seine Bindung an das Amtsethos ließ er nie zweifelhaft werden. Auch die Ministerialen, das „Haus“, hatten zu lernen, dass der ursprüngliche Fremdling sich nicht beherrschen ließ. Natürlich war Parteibindung kein Fremdwort, und die Mechanismen des Politik- und Fraktionsbetriebs erschloss er sich, um handlungsfähig zu sein.

Doch war ihm Parteidisziplin im Zweifel nie oberster Maßstab. Intellektuell untermauerte Eigenständigkeit gilt im politischen Getriebe jedoch nicht unbedingt als Tugend, obgleich sie für dessen Reputation insgesamt eher nützlich erscheint. Hans Maier jedenfalls hat sie auch in tiefere Konflikte mit dem Bayernherrscher Franz Josef Strauß geführt, in denen er nicht nachgab: nicht im Kleinkrieg um Ressortverantwortlichkeit, nicht, als Strauß den Kabinettsmitgliedern nach einer ersten noch eine weitere eidesstattliche Erklärung über korrektes Verhalten in einem delikaten Fall abverlangte, durch die der Kultusminister die Würde des Amtes verletzt sah, und nicht, als Strauß ihm die Hälfte des Ministeriums wegnehmen und seine Zuständigkeit auf den Hochschulbereich beschränken wollte: Maier ließ sich darauf nicht ein und verzichtete ganz, was ihm nicht leichtgefallen ist, jedoch seiner Haltung entsprach. Die ließ er sich vom politischen Betrieb nicht abschleifen, auch wenn er an ihm Gefallen gefunden hatte.

 

Gründung von „Donum Vitae“ gegen Rom

 

Im christlichen, im katholischen Engagement, das Hans Maier, betrachtet man Vita und Werk, mindestens gleich wichtig ist wie das wissenschaftliche und politische, verhielt es sich nicht anders. Aus seiner Orientierung hat er nie ein Hehl gemacht, ohne sie je anderen aufzudrängen. Ein anderes als ein offenes Klima war ihm stets fremd. Dass Christen in der Politik nicht klüger sind als andere, dass es keine politischen Patentrezepte aus der Bibel gibt und sich Christen in unterschiedlichen Parteien zu Hause fühlen können – kaum jemand hat es früher und besser formuliert als Hans Maier; so auch, dass der Pluralismus den eigenen Positionen nicht nur Räume eröffnet, sondern im Kern auch verlangt, sie in den öffentlichen Diskurs einzubringen, statt sich wohlfeil spiritualistisch zurückzuziehen.

Wissen, analytische Fähigkeiten und Verantwortungsbewusstsein macht er ethischem Urteilen zur Voraussetzung, über das eng Konfessionelle übrigens hinaus: Katholiken und Protestanten sollten sich nicht nur in der eigenen, sondern auch in der jeweils anderen Kirche wiederfinden: „mit Gottes Hilfe“, gewiss aber auch mit dem Ziel gesteigerter Vernehmbarkeit in der Kakophonie der Meinungen. Speziell innerkatholisch sind dagegen über Jahrzehnte die Mahnungen Richtung Rom: zu einer funktionsgerechten Kurienreform, zu stärkerer Kollegialität und zum Vorrang verantworteter Freiheit. Wie in der Politik forderten auch hier Eigenständigkeiten Autoritäten heraus, wie die unversöhnlich endende nächtliche Auseinandersetzung in Paris mit Kardinal Joseph Ratzinger über die katholische Beteiligung an der Beratung in Schwangerschaftskonflikten zeigt. Jahre zuvor hatte Maier gemeinsam mit Ratzinger ein Buch über Demokratie in der Kirche veröffentlicht. Nun aber mündete der Konflikt in die Gründung von „Donum Vitae“ – gegen Rom.

Auch im Christlichen führt geteilte Gemeinsamkeit in grundsätzlicher Orientierung nicht zur Preisgabe von Haltung und Überzeugung, nur weil Autoritäten widersprechen.

 

Progressiver Bewahrer

 

Man kann sich natürlich fragen, ob eine knappe Laudatio sich ausgerechnet auf die hier genannten Bereiche konzentrieren soll. Sie soll es: nämlich von der Frage angeleitet, was von einer Persönlichkeit wie Hans Maier nicht in der Rückschau, sondern für Aktualität und Zukunft beispielgebend bleibt, nicht zuletzt im Blick auf die politische Repräsentation gerade in Zeiten sich verändernden, wenn nicht sogar schwindenden angemessenen Rollen- und Amtsverständnisses, auch in Zeiten immer oberflächlicherer Urteilsbildung. Immerhin lässt sich an Maier zeigen, dass die hier in den ersten Zeilen genannten Tugenden eine Chance haben. Voraussetzung: Man folgt ihnen auch, wie der Jubilar, der sich nie gescheut hat, Position zu beziehen. Zeitgeist und Opportunismus Opfer zu bringen, war ihm fremd; Argumente vorzulegen, Gründe und Gegengründe in Respekt vor der anderen Meinung abzuwägen, schien ihm unvermeidlich. Auf Stromlinie ist so jemand nicht zu bringen. Aber es nützt dem Amt und seinem Ethos ebenso wie der Gesprächsfähigkeit und der Vermittlungskompetenz seines Inhabers. Daraus wächst natürliche Autorität.

Hans Maier war, wie die wenigen Bemerkungen hier zeigen, auch kein Konservativer. Er selbst schreibt sich in seinen Erinnerungen zutreffend zu, nicht nur bewahrt, sondern auch erneuert und reformiert zu haben und für seine Einsichten nicht längere Zeit gebraucht zu haben als die „Progressiven“. Er fragt: „War bei mir nicht der Groschen manchmal – und gar nicht selten – viel rascher gefallen als bei Liberalen und Sozialisten? Waren diese nicht oft die langsamer lernenden Schüler – hielten sie nicht viel länger an überlieferten Vorstellungen fest als ich?“ Auch dafür spricht einiges. Wem zur rechten Zeit nichts einfällt, der wird dem Zeitgeist hinterherlaufen, statt Gestaltungskompetenz zu entfalten.

 

Heinrich Oberreuter, geboren 1942 in Breslau, 1980 bis 2010 Ordinarius für Politikwissenschaft an der Universität Passau, 1993 bis 2011 Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, seit 2012 Leitung der Redaktion des Staatslexikons der Görres-Gesellschaft.

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