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Klimaschutz in den Kommunen

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Ein klimaneutrales Europa: Dieses Ziel hat die Kommission der Europäischen Union (EU) ausgegeben. Wie soll es bis 2050 erreicht werden? Viele Hoffnungen ruhen auf den Kommunen: Gebäudebestand, Verkehr, Strom und Wärme, alles kumuliert sich in den Metropolen der Welt. Das ist nicht neu: Viele Förderprogramme, Regulationen und Modellprojekte wurden bereits in der Vergangenheit aufgelegt, allerdings ohne durchschlagenden flächendeckenden Erfolg. Was sollten wir aus der Vergangenheit lernen, was dieses Mal anders und besser machen?

Der Schlüssel zur Lösung liegt in der Frage, wie Veränderungen in der Gesellschaft möglich sind. Auch dafür liefern Kommunen ein ideales Laboratorium, das uns zu lernen hilft, wie heute dringend benötigte gesellschaftliche Lösungen effizient umgesetzt werden können. Denn nirgendwo sonst kann man die heutige Netzwerkgesellschaft besser studieren als in Städten, die schon ohne Internet hochkomplexe und eng miteinander verwobene Netzwerke knüpfen. Wie also gelingen Steuerung und Umsetzung, zum Beispiel von Klimaschutz, in der modernen Netzwerkgesellschaft?

Vertreter der alten Schule würden sagen: Es müssen endlich couragierte Führungspersönlichkeiten den Mut auch zu unpopulären Entscheidungen haben. Nicht nur Oberbürgermeistern und Dezernenten entlockt diese Forderung bestenfalls ein müdes Lächeln. Die politische Praxis sieht völlig anders aus. Zum einen stellt es Wählerinnen und Wähler nicht mehr zufrieden, dass gewählte Politik wie selbstverständlich annimmt, das Kreuzchen in der Wahlkabine sei eine Zustimmung zu jedem Punkt des eigenen Wahlprogramms – und darüber hinaus zu allen anderen Dingen, die sich im Laufe einer Wahlperiode auftun. Diese Haltung führt in der Wählerschaft zu den Einstellungen im Sinne: „Das interessiert mich alles nicht, die da oben machen eh, was sie wollen“, aber auch zur Entstehung thematisch begrenzter und einzelne Spezialziele verfolgender Bürgerinitiativen, die der Komplexität anstehender Entscheidungen zumeist nicht gerecht werden. Zum anderen kann der unangenehme Effekt entstehen, dass die ungeheure mediale Vielfalt zu einer Meckerkultur und im Extremfall zu Shitstorms einlädt. Nicht zu vergessen für kommunale Entscheider sind die Unterschiede und Konflikte in der eigenen Partei, bei den Koalitionspartnern oder in den verschiedenen Ressorts der Verwaltung. Außerdem existiert neben den alten und etablierten Institutionen und Akteuren eine unübersichtliche Menge weiterer Gruppierungen, die teilweise über Nacht entstehen – und manchmal genauso schnell wieder verschwinden. Alle diese Akteure handeln untereinander auf vielerlei verschiedenen Kanälen, die niemand überblicken, geschweige denn kontrollieren kann.

 

Neue Formen der Führung

 

Die zentrale Führungsaufgabe für Politiker besteht heute darin, innerhalb dieser unübersichtlichen Netzwerkgesellschaft Prozesse zu orchestrieren, die möglichst viele oder alle relevanten Akteursgruppen und Personen einbinden, um gemeinsam Probleme zu identifizieren, Lösungen zu entwickeln und diese gemeinsam umzusetzen. Mit anderen Worten: Der politische Erfolg hängt von der Beherrschung der Instrumente Partizipation, Kommunikation und Kooperation ab. Oftmals führen zum Beispiel intransparente Hinterzimmerlösungen zum Scheitern, die im Wesentlichen parteipolitische Interessen bedienen, aber hauptsächlich aufgrund eigener Überzeugungen ohne Einbeziehung der Praxis und fachkompetenter Akteure zustande kommen oder die Sichtweisen der betroffenen Menschen nicht einbeziehen.

 

Relevante Themen für die Kommunen

 

An vielen Einzelthemen lässt sich beim Thema Klimaschutz in den Kommunen studieren und experimentieren, wie man trotz unüberwindlich erscheinender Hürden Dinge in die richtige Richtung bewegen kann. Relevante Themen sind zum Beispiel:

„Renovation Wave“, einer der Schwerpunkte der Europäischen Kommission bei ihrem European Green Deal: Wie gelingt die nachhaltige und energetische Sanierung der zahlreichen großen, älteren städtischen Wohnblocks, insbesondere, wenn sie im Besitz von Wohneigentumsgesellschaften sind und von Hausverwaltungen gemanagt werden? Hier gilt es, die Zustimmung der zahlreichen Eigentümer zu gewinnen, die Hausverwaltung zu einem konstruktiven Verhalten zu bewegen, die zahlreichen notwendigen Experten (Architekten, Energieberater, Handwerker, Fachingenieure, Finanzberater und Fördermittelgeber) unter ein Dach zu bringen und zumeist auch die Mitarbeit und Zustimmung der zuständigen städtischen und anderen Aufsichtsbehörden sicherzustellen.

Nachhaltige kommunale Mobilitätskonzepte mit entsprechenden Konflikten, nicht nur, sondern auch um Flächen: zum Beispiel Stärkung des Radverkehrs, Infrastrukturen für E-Mobilität, Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs bis hin zu mancherorts geforderten oder als Zielvorgabe beschlossenen autofreien (Innen-)Städten. Das ist nicht nur ein Reizthema für die breite Bevölkerung und entsprechend attraktiv für Medien aller Art, sondern benötigt die konstruktive Mitarbeit fast aller städtischen Akteure – vom Einzelhandel und Wirtschaftsvereinigungen über Umwelt- und zumeist Bürgerinitiativen bis hin zu Mobilitätsanbietern aller Art.

Kooperative regenerative Energieversorgung, zum Beispiel mit Blockheizkraftwerken, greift in die Autonomie von Immobilienbesitzern ein, die sich über gemeinsames Vorgehen einig sein müssen und auf dem Weg dorthin hochkomplexe und vielfältige juristische, technische oder praktische Fragen maßgeschneidert für die spezifische Situation vor Ort zu lösen haben. Bei jeder dieser Fragen widersprechen sich bedauerlicherweise in der Regel die Experten, infolgedessen sich Laien in einem Wirrwarr zurechtfinden müssen.

Klimaneutrale (Kommunal-)Verwaltungen – ein hehres Ziel, das jedoch sicher als Option auch für die vor Ort ansässigen Unternehmen und den Einzelhandel dient. Erreichbar ist es in allen Fällen ausschließlich über ein größeres Maßnahmenbündel, das von einer regenerativen Strom- und Wärmeversorgung über Gebäudeeffizienz und nachhaltige Mobilitätskonzepte bis hin zur Kompensation von nicht oder nur schlecht vermeidbaren Klimagasemissionen reicht. Hier ist mindestens innerhalb der Kommune ein ressortübergreifendes Handeln unter Einbeziehung interdisziplinärer Expertengremien erforderlich. Sobald auch Unternehmen und Handel mitmachen, empfiehlt sich ein gemeinsames Vorgehen mit der Kommune, um Synergien zu nutzen und Doppelarbeit zu vermeiden.

Kompensationsmaßnahmen durch Baumpflanzungen, bei uns vor Ort oder an anderen Orten in der Welt, jedoch auch durch nachhaltige Forstfonds oder andere Ausgleichsprojekte dürften mindestens auf absehbare Zeit unerlässlich sein, da nicht sofort sämtliche CO2-Emissionen vermieden werden können. Hier bedarf es sorgfältiger Analyse, welche Wirksamkeit die zahlreichen Angebote am Markt im Klimaschutz haben und wo für die gleichen Investitionssummen die größten ökologischen Wirkungen erreicht werden könnten.

Sobald auch die privaten Haushalte und Verbraucher in die Kompensation mit einbezogen werden, helfen nur breit angelegte, überzeugende und von möglichst vielen Akteuren und Persönlichkeiten getragene Kampagnen.

„Smart cities“, verstanden als Symbolbegriff einer konsequenten Digitalisierung der Städte, betrifft auch Klimaschutzmaßnahmen. Intelligente Netze mit entsprechenden Steuerungsmöglichkeiten, strategische Elektrifizierung oder digitale Verkehrssteuerung sind nur einige Beispiele, die das hohe Klimaschutzpotenzial verdeutlichen. Eine grundlegende Digitalisierung ist ohne die Zustimmung und Einbeziehung der breiten Bevölkerung und im Grunde fast aller Stakeholder undenkbar.

 

Partizipation, Kommunikation, Kooperation

 

Intuitiv dürfte bereits klar sein, dass bei derartigen Herausforderungen ein „Durchregieren“ von oben nicht funktioniert. Es gibt zu viele Akteure, zu viele Interessen, zu viele Optionen, zu viel Komplexität und zu viel betroffene Rechte, um die Probleme „einfach“ mit einem Gesetz oder einer Verordnung lösen zu können. Oft ist auch die Lösung vor Ort sehr spezifisch und muss maßgeschneidert sein. Mit einem Wort: Es sind viele Akteure und Institutionen notwendig, die gemeinsam an einem Strang ziehen und zusammenarbeiten, über gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und andere Grenzen hinweg. Wie aber soll die geforderte Partizipation, Kommunikation und Kooperation funktionieren? Viele Politiker glauben, dass sie das alles bereits umsetzen. Sie reden doch ständig mit den verschiedenen Akteuren in ihrer Stadt. Sie informieren die Öffentlichkeit regelmäßig und laden zu Bürgerversammlungen und -sprechstunden ein. Das aber ist ein Trugschluss. Es ist nichts anderes als das bereits geschilderte alte Denken, das den Lösungsfindungsprozess für eine kleine Elite an der Spitze nach dem Motto „divide et impera“ organisiert, aber die Akteure nicht mitnimmt. Diese Informationsmaßnahmen erklären den Betroffenen die Welt, statt ihre Alltagsund Praxiskompetenz zu nutzen und sie zu Mitdenkern und Mitgestaltern zu machen.

Entsprechend empfinden Stakeholder, Zivilgesellschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger die Maßnahmen als etwas von außen Aufgepfropftes, für das sie keine Verantwortung tragen. Der perfekte Freibrief für Meckerei bis hin zu aggressivem Widerstand.

Es ist im Grunde einfach: Es muss in der Kommune ein Ort der Kooperation für Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Bürgerschaft geschaffen werden, an dem gemeinsam Herausforderungen identifiziert, Lösungen erarbeitet und in kooperativer Arbeitsteilung umgesetzt werden. Ein entsprechender Arbeitsprozess schließt eine transparente Kommunikation und Andockoptionen für interessierte Außenstehende ein. Die Aufgabe des Initiators besteht darin, diese Kooperationsplattform bereitzustellen, offene Fragen als Herausforderungen zu formulieren (und keinesfalls die eigenen Ideen bereits verbindlich vorzugeben!), den erforderlichen fachlichen Input zu organisieren und den Prozess so zu moderieren, dass Ergebnisse entstehen und gemeinsam umgesetzt werden, ohne dass einzelne Interessengruppen besonderen Einfluss ausüben können. Derartige Projekte sind keine Informations- oder Diskussionsveranstaltungen; der Clou besteht darin, dass alle gemeinsam arbeiten und Lösungen entwickeln.

 

Gesamtgesellschaftliches Lernen

 

Mit anderen Worten: Die Politik organisiert gesamtgesellschaftliches Lernen für Akteure und Bürgerschaft der Kommune. Denn die Erarbeitung von Lösungen zwingt dazu, sich intensiv mit der Sache auseinanderzusetzen und zugleich die Verantwortung für das Ergebnis zu übernehmen – im Gegensatz zum bisher üblichen Verfahren, bei dem wenige in Politik und Verwaltung mit Experten Wissen aufbauen, dieses aus ihrer Sicht bewerten und das Ergebnis dem staunenden Publikum „erklären“.

Erfolgreiche Kooperations- und Beteiligungsprozesse kennt man unter verschiedenen Namen, hinter denen sich allerdings das gleiche Vorgehen verbirgt: Bürgerrat, Dialogplattform, Bürgerbeteiligung, Bürgerforum, Bürgergutachten oder Ähnliches sind Verfahren, die sich in der Regel nur in Kleinigkeiten unterscheiden, nicht jedoch im grundsätzlichen Vorgehen und in der zugrunde liegenden Denkweise.

Aber Vorsicht: Unter diesen Namen existieren sowohl gut gemachte, erfolgreiche Kooperationsprozesse als auch ihre bösen Fake-Geschwister, die Etikettenschwindel betreiben. Eine moderne Führungskraft verfügt über die Kompetenz, beides zu unterscheiden – auch, aber nicht nur für einen erfolgreichen kommunalen Klimaschutz.

 

Hans-Peter Meister, geboren 1959 in Bensheim, Geschäftsführer, Cadmus Deutschland, Gründer des Instituts für Organisationskommunikation (ifok GmbH), Bensheim.

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