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Zwei aktuelle Biographien von Wolfram Pyta und Peter Longerich

Wolfram Pyta: Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse, Siedler Verlag, München 2015, 884 Seiten, 39,99 Euro. Peter Longerich: Hitler. Biographie, Siedler Verlag, München 2015, 1.296 Seiten, 39,99 Euro.

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„Er ist wieder da“ – mehr als siebzig Jahre nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes haben nicht nur Filme über Adolf Hitler Hochkonjunktur. Die von dem Institut für Zeitgeschichte (IfZ) herausgegebene kritische Edition von Mein Kampf sorgte für großen medialen Wirbel, nachdem die Hitlerforschung zuvor neue Akzente gesetzt hatte. So räumte Thomas Weber mit der Mär auf, Hitler habe bereits in Wien und während des Ersten Weltkriegs antisemitische Einstellungen verinnerlicht und nach der Niederlage sofort beschlossen, „Politiker zu werden“, um seine Weltanschauung umzusetzen – wie er es in Mein Kampf verklärte. Nun haben zwei weitere Schwergewichte der deutschen Historikerzunft im Siedler Verlag ihre „Anmerkungen zu Hitler“ (Haffner) verfasst: der in London lehrende Peter Longerich auf 1.296 Seiten und der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta auf 848 Seiten. Beide sind bereits mit viel beachteten Biographien zu Himmler und Goebbels beziehungsweise Hindenburg hervorgetreten. Die von den Autoren gewählten Zugänge zu Hitler unterscheiden sich stark: Pyta benutzt unter anderem Konzepte und Theorien aus den Theaterwissenschaften und analysiert auf dieser Grundlage schwerpunktmäßig den Kulturmenschen Hitler bis zu dessen gescheitertem Putsch und der darauf folgenden Inhaftierung 1923 sowie seine Rolle als Feldherr im Zweiten Weltkrieg. Longerich hingegen legt eine eher klassische Biographie vor, die die Aspekte von Hitlers Aufstieg und seiner Herrschaft im Dritten Reich umfassend abhandelt. Pyta teilt seine sprachlich geschliffene ''tour de force'' dem Titel entsprechend in zwei Teile, in denen er jeweils untersucht, wie der „Künstler als Politiker und Feldherr“ – so der Titel – auftrat und führte. Der erste Teil widmet sich der Kulturwelt Hitlers, seiner Jugend und den prägenden Wiener Jahren – prägend nicht im Hinblick auf Antisemitismus oder Radikalität, sondern für sein Selbstverständnis als Künstler (S. 118) und die Ausbildung seiner Kulturtechniken als „politische Ermöglichungspraktiken“ (S. 13). Denn, so Pyta, „der Politiker Hitler ist ohne den Künstler Hitler nicht denkbar“ (S. 16). Folgerichtig beschreibt er Hitler als lernfähigen Politiker, der früh auf Authentizität und die Wirkungskraft seines gesprochenen Wortes setzte (S. 182). Durch den interdisziplinären Ansatz und vertiefte Kontextualisierung gelingt es dem Autor, die Chancen des Künstlers im Politikbetrieb der frühen 1920er-Jahre aufzuzeigen (S. 156) und zugleich Hitlers Aufstieg nachzuzeichnen, der nicht zuletzt auf der Wahrnehmung Hitlers als genialer Künstler in der Politik beruhe (S. 253).

 

Vom Genie- zum Mirakeldiskurs

Im Anschluss an die Darstellung der Eroberung der politischen Arena stellt Pyta Hitlers Schwierigkeiten mit den rational geschulten Militärs dar, bei denen seine Reden oftmals nicht den gewünschten Effekt erzielten (S. 210–213). Daher bedurfte es eines anderen Mechanismus. Die Anfangserfolge in den Polen- und Frankreichfeldzügen des Zweiten Weltkriegs hätten Chancen, aber auch Gefahren eröffnet: Den „Sichelschnitt“ im Westfeldzug ließ Hitler seinem Genie zuschreiben und als gegen alle militärische Regeln errungenen Vabanque-Sieg feiern. Der erfolgreiche „gezielte Regelbruch“ (S. 16) diente der Untermauerung seines Genieanspruches. Pyta analysiert dezidiert, wie Hitler die „Präsenzkultur“ der Rede und des Charismas durch den „sinnkulturellen“ Geniediskurs ersetzen konnte (S. 216–217): „Die militärische Karte stellte demnach kein Hindernis für Hitlers absoluten militärischen Führungsanspruch dar, sondern im Gegenteil das Einfallstor für eine künstlerisch abgeleitete visuelle Manipulation uneindeutiger Striche, Punkte, Pfeile und Kreise. (…) Die kartographische Darstellung des Krieges entfaltete eine suggestive Eindeutigkeit, indem sie den Raum imaginativ ordnete und damit der Visualisierungsanstrengung eines bildenden Künstlers unterwarf“ (S. 185).

Allerdings bargen die Erfolge der Panzerwaffe aus Hitlers Sicht die Gefahr, neue „Feldherrenstars“, man denke an Heinz Guderian, entstehen zu lassen. Eine solche Heroisierung habe Hitler daher nur auf Nebenkriegsschauplätzen zugelassen, etwa in Gestalt von Eduard Dietl im hohen Norden und Erwin Rommel in Afrika. Auf dem russischen Kriegsschauplatz versuchte Hitler, durch kartographische Inszenierungen den Raum zu beherrschen, anstatt durch die gewohnte Blitzkriegführung den Feind zu vernichten. Pyta leitet hieraus die im Winter 1941 beginnenden Haltebefehle und den sich verschärfenden Konflikt mit der Generalstabselite, allen voran mit Erich von Manstein, dem Genius des beweglichen Krieges und der elastischen Verteidigung, ab. Die Folge sei ein immer starrer werdendes Defensivdenken gewesen, in dem Hitler glaubte, durch seine architektonischen Fähigkeiten als größter Festungsbauer aller Zeiten reüssieren zu können. Damit ging nach Pyta die Einführung von „festen Plätzen“ einher, die fanatisch und unbeweglich – wie ein sinkendes Kampfschiff – bis zum Letzten verteidigt werden sollten und die Abwendung von der Panzerwaffe und dem Generalstab manifestierten (S. 416–417, 519).

Nur durch den Geniediskurs habe sich Hitler weiterhin den desaströsen Folgen des Kriegsverlaufs entziehen und einen zweiten Ludendorff oder Hindenburg neben sich verhindern können (S. 476). Zeitgleich wurde der Geniediskurs allmählich durch einen Mirakeldiskurs – Wunderwaffen und Hitlers unversehrtes Überstehen des Attentats am 20. Juli 1944 – mit dem historischen Vorbild Friedrichs des Großen ersetzt (S. 584). Pyta zeigt hier durchaus neue Facetten auf, etwa zur Rolle der kriegsgeschichtlichen Abteilung im Oberkommando der Wehrmacht (S. 313).

 

Weg zur „Machtergreifung“

Auch wenn der Autor den frühen Hitler weitreichend und geistreich durchleuchtet, so klafft aufgrund des selbst gesetzten Schwerpunkts eine Lücke in der Darstellung der 1920er- und 1930er-Jahre. Hier lohnt es sich, Peter Longerichs klassische und umfangreichere Biographie zur Hand zu nehmen. Als Grundlage fungieren auch hier die Forschungsergebnisse von Brigitte Hamann und Thomas Weber, jedoch geht Longerich im Gegensatz zu Pyta weiter und führt Hitler als einen „Niemand“ ein, der durch die Reichswehr ausgebildet und in die Politik gehievt wurde. Nach dem gescheiterten Putsch und abgesessener Haft habe sein Redetalent eine Schlüsselfunktion eingenommen, um den Führungsanspruch innerhalb der jungen Partei zu untermauern (S. 177). Durch die ausschließlich vor ihm wohlgesonnenen Anhängern gehaltenen Reden sei Hitler nun nicht mehr, wie bis 1923, als Bekehrer von Zweifelnden und Trommler einer bevorstehenden Revolution aufgetreten, sondern habe sich als Visionär mit oft vagen Konzepten und diffusen Prophezeiungen profilieren können. Antisemitismus, auch mit exterminatorischer Prägung, tauchte dabei schon 1926 in einer Rede vor dem Hamburger Nationalklub auf, wie Longerich mit einem neuen Quellenfund nachweisen kann (S. 180).

Nach Longerichs Auffassung zeigte der Weg zur „Machtergreifung“ Hitler als flexiblen Machtpolitiker par excellence. Seine Ernennung zum Reichskanzler sei dann letztlich nicht aufgrund seiner charismatischen Führungsstärke unvermeidbar gewesen, sondern weil die Wähler gegen das System votierten und keiner anderen Partei eine Besserung der sozioökonomischen Lage zutrauten (S. 1001). Hierzu passe auch, dass die Veranstaltungen Hitlers bei Weitem nicht überbesucht waren (S. 182) und sich bei Wahlkämpfen, in denen seine Person im Mittelpunkt stand, Misserfolge einstellten. Innerparteilich erreichte Hitler in dieser Zeit durch geschicktes Lavieren und direkte persönliche Führung, dass seine Gegner sich gegenseitig aufrieben und zu keinem Zeitpunkt ein Parteikontrollgremium im Stile eines Parteisekretariats oder Exekutivkomitees entstehen konnte – weshalb, wie Longerich dezidiert ausführt, alle wesentlichen Entscheidungen auf ihn selbst zurückzuführen seien (S. 133).

 

Eroberung, Unterwerfung, Eliminierung

Auch für die Zeit nach der „Machtergreifung“ müsse man konstatieren, dass der „Führer“ in dem stufenmäßig erfolgenden Prozess der Machtaneignung „entscheidend eingriff und den gesamten Vorgang in erheblichem Umfang kontrollierte und steuerte“ (S. 194). Er sei daher bei Weitem kein schwacher „strukturalistischer“ Diktator (S. 12), sondern auch in Krisenzeiten ein sich Handlungsoptionen offenhaltender, gewiefter Taktierer gewesen, der trotz einer gewissen Ambivalenz auch auf dem Weg in den europäischen Großkonflikt die Marschroute und dann im Krieg die Gewaltentgrenzungen vorgab (S. 679, 697, 771). Sowohl bei der Euthanasie als auch bei der Shoa konstatiert Longerich – als einer der profiliertesten Holocaustforscher – ebenfalls die „zentrale Verantwortung“ und direkte Entscheidung Hitlers auf jeder einzelnen Eskalationsstufe (S. 705, 813–814). Nur Hitler habe alle Fäden in der Hand gehalten, um die diversen Verwaltungsstellen im „Reich“ und in den besetzten Gebieten zur Kooperation mit der SS anzuhalten (S. 818), was sich auch in seiner zentralen Rolle bei den Plänen zur „Neuordnung“ Europas gezeigt habe (S. 875). Diese seien Hitlers verbrecherischer Logik der Eroberung, Unterwerfung und Eliminierung gefolgt. „Im Mittelpunkt des Dritten Reichs stand ein entschlossener Diktator“ (S. 997), resümiert Longerich somit scheinbar banal, wendet sich damit jedoch dezidiert gegen die Interpretationen Ian Kershaws und Hans Mommsens, die stets von einer „Entgegenarbeit“ durch willfährige Helfer und der Dominanzstruktur des Systems sprachen. Longerich skizziert einen proaktiv herrschenden Hitler, der direkt und persönlich in unzählige Politikbereiche intervenierte und den man daher als zentrale Entscheidungsstelle des ganzen NS-Systems ansehen müsse. Dies bedeutet im Gegenzug nicht, dass Longerich Hitler als Alleinschuldigen sieht und keine willfährigen Unterstützer wahrnimmt oder der damaligen deutschen Gesellschaft einen allgemeinen Persilschein ausstellt. Doch er zeigt auch an anderen Beispielen, dass das heutige Hitlerbild oft noch immer der NS-Propaganda entspringt. So habe keine absolute Übereinstimmung zwischen Führer und „seinem“ Volk bestanden, das angeblich blind und einmütig hinter ihm herlief. Die Begeisterung über außenpolitische Revisionen sei immer von Ängsten vor einem neuen Krieg begleitet gewesen, daher müsse man die Konsensfindung für einen Expansionskrieg – „das zentrale Ziel der Innenpolitik Hitlers seit 1933“ (S. 680) – als gescheitert ansehen. Longerich führt aus, in welcher Form während des Krieges die Unterstützung „ambivalent“ (S. 805) blieb und warnt erneut vor der langanhaltenden Wirkkraft nationalsozialistischer Propaganda bezüglich einer angeblichen Volksgemeinschaft.

 

Desillusionierte Heimatfront

Diese Entmystifizierung Hitlers überträgt Longerich auf den „Charismamythos“ – was wiederum eine Gegenposition zu Kershaw darstellt. Der Führermythos sei als eine im Vagen gehaltene Konstruktion und Legitimationsgrundlage zu begreifen, die allerdings mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht im gleichen Umfang korrespondierten (S. 541). Die Wirkungsmacht seines Charismas sei dann im Krieg nach Rückschlägen „zeitweise suspendiert“ worden, und Hitlers Verstummen während der Winterkrise 1941/42 habe die „‚charismatische‘ Grundlage seiner Herrschaft ernsthaft beschädigt“ (S. 885–886). Der zunehmend vernichtungswütige Bombenkrieg habe die Heimatfront desillusioniert und die Realität zu einer „Karikatur der nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘“ werden lassen (S. 938). Longerich erteilt auch, was die Zähigkeit des Regimes angeht, charismatischen oder strukturalistischen Erklärungsmustern eine Absage: „Hitler war nicht das Werkzeug von Strukturen und Umständen, die unaufhaltsam zu Selbstzerstörung und totaler Niederlage führen mussten, sondern das Aushalten und Weiterkämpfen bis zum Untergang waren ganz wesentlich das Ergebnis seines politischen Willens“ (S. 962).

 

Hitlers Mythos

Peter Longerichs nüchterne Darstellung folgt seiner Intention, Hitler nicht als charismatischen Volksverführer zu beschreiben. Das Charisma verschwindet stets hinter der politischen Gestaltungsmacht qua Amt, während mystifizierende Dämonisierungen oder Hitler-Kitsch gar nicht erst auftauchen. Vielmehr plädiert er dafür, Hitlers Durchsetzungsfähigkeit „nicht in überwältigender, charismatisch erwirkter Zustimmung zu suchen, sondern in seiner Fähigkeit, außerordentlich komplexe Situationen durch geschicktes, flexibles und (nach längerem Zögern dann doch) entschlossenes politisches Handeln neu zu ordnen […] mithilfe eines Herrschaftsinstrumentariums, das auf die Durchführung seiner Politik hin gestaltet und abgestimmt war“ (S. 549).

Diesem Argument, dass Hitler primär durch Rückgriff auf Macht- und Kontrollmittel der Diktatur an der Macht geblieben sei (S. 1008), stehen Pytas oben beschriebene Ausführungen gegenüber. Beide Autoren zeichnen nach, wie stark Hitler danach strebte, seinen Machtanspruch zu untermauern, und somit aus Furcht vor Kontrollverlust kontinuierlich seine exponierte Machtfülle rechtfertigte. Hier ergänzen sich beide Biographien: Während Longerich nachzeichnet, wie Hitler stets als Hauptakteur Entscheidungsfindungsprozesse, die ihm (auch) zugetragen wurden, abschloss und kontrollierte – und etwa bei dem Putschversuch der österreichischen Nationalsozialisten 1934 eine die Marschrichtung vorgebende Rolle spielte –, legt Pyta dar, wieso der das Schriftliche so verachtende Hitler ex post facto so schwierig zu fassen ist: Mündliche Befehle erschweren die Arbeit des Historikers erheblich, und die zahlreichen, von den Nationalsozialisten konstruierten Mythen halten sich hartnäckig.

So zeigt Longerich die Frühphase des Politikers Hitler, als dieser versuchte, die Kontrolle über sein gesprochenes Wort zu behalten und daher meist mit zwei Stenographen und sechs Würdenträgern auf die Rednerbühne ging, die zur Not den Inhalt seiner Ausführungen bezeugen sollten (S. 185). Hier beschreibt er auch, wie Hitlers Autorität gegenüber den skeptischen Militärs nach dem Frankreichfeldzug „unanfechtbar“ (S. 727) wurde, was zusammen mit seinem „Haltebefehl“ vor Moskau 1941/42 einen Mythos begründete, den Hitler geschickt nutzte, um sich danach auch bei Offensivoperationen in die Detailplanung einzumischen (S. 840). Während Longerich darlegt, wie Hitler versuchte, sich der „Sachlogik der Berufsmilitärs“ eines Bewegungskrieges mit seiner Stellungskrieg-Rhetorik, politisch-strategischen und weltanschaulichen Argumenten zu entziehen (S. 933–934, 945), findet Pyta durch seinen innovativen und interdisziplinären Ansatz neue Hebel, um zu erläutern, wie Hitler diesen Mythos stilisierte. Hitler konnte in den kommenden Jahren trotz der sich manifestierenden militärischen Niederlage nur durch diese Stilisierung (fast) unangefochten bleiben. Das starre Festhalten an Territorien, gegen jede militärische Logik, interpretiert Longerich als Folge der Unfähigkeit Hitlers, sich Niederlagen einzugestehen, sowie als Doppelstrategie zwischen einer politisch-strategischen (illusorischen) Option der Kriegsfortsetzung und einer inszenierten Götterdämmerung (S. 945, 984–986). Während Longerich ein Blitzkriegkonzept Hitlers zu erkennen glaubt (S. 791), verneint Pyta dessen Existenz, da der Mythos der Panzerwaffe Hitlers Geniediskurs im Wege gestanden habe.

 

Bahnbrechende Studie

Insgesamt bleiben beide Werke in gewisser Weise doch sehr deutsch: Die Einbettung in die internationale Geschichtsschreibung, etwa ein Vergleich mit der neuen Stalin-Biographie Stephen Kotkins, unterbleibt. Gerade bei Pytas Ansatz läge ein Vergleich mit Benito Mussolini als dem die Mimik und das Präsenzkulturelle ins Groteske ziehenden Redner und dem geschriebenen Wort anhaftenden Journalisten nahe. Longerich beschreibt zwar immer wieder die Beziehung zum Achsenpartner, liefert jedoch keinen Vergleich der beiden Diktatoren als Individuen oder Politiker. Angesichts Mussolinis „subalterner“ Position als schweigendes Opfer bei Hitlers Dauermonologen – von denen er wenig verstand und bei denen er zum Leidwesen der italienischen Militärs und Diplomaten immer wieder in die gleiche diskursive und situative Falle tappte – funktionierten Hitlers Techniken, wie Pyta sie skizziert, also auch bei ausländischen Politikern und Militärs. Ebenso wäre ein Seitenblick auf Franco und sein Feldherrentum während des Spanischen Bürgerkriegs lohnend gewesen.

Rätselhaft bleibt, wie ein Werk über den „Künstler als Politiker und Feldherr[n]“ komplett ohne Bild- oder Kartenmaterial erschienen ist, was die geschliffenen Formulierungen Pytas gewinnbringend hätte veranschaulichen können. Kartenmaterial wäre zudem in beiden Fällen hilfreich gewesen, da die Autoren keine ausgewiesenen Militärhistoriker sind und daher zuweilen kleinere Ungenauigkeiten vorkommen. So setzt Longerich den Kriegsbeginn mit dem Beschuss der Westerplatte fest, anstatt die neueste Forschung zur Bombardierung Wieluńs mit einzubeziehen. Standardwerke zum Ostkrieg, etwa von Christian Hartmann, sucht man vergebens. Pytas Abschnitt zu Hitlers Feldherrentum wirkt teilweise schwebend, da die ausgewählten Beispiele zur Untermauerung der Thesen nicht immer überzeugen. So kritisiert Pyta den Rückzug des „Instinktmilitärs“ Rommel nach El Alamein als „wilde Flucht“, wohingegen die militärhistorische Forschung ebendiesen als „one of the most brilliant retreats in the history of warfare“ beschrieben hat.

Dennoch schmälern diese Einwände nicht die Verdienste beider Autoren: Longerich hat einen Gegenentwurf zu Ian Kershaw präsentiert und gleichzeitig eine Geschichte des „Dritten Reichs“ und des Zweiten Weltkriegs aus der Sicht Hitlers vorgelegt, während Pyta mit seiner bahnbrechenden Studie, innovativen theoretischen Ansätzen sowie einer ausgeprägten Thesenfreudigkeit für viele – hoffentlich fruchtbare – Diskussionen sorgen wird. Longerich bewegt sich auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes und legt eine für ein breites Publikum sehr lesbare Biographie vor, die umfassender als Pytas bewusst einschränkende Darstellung bleibt.

Es wird sich zeigen, wie sich die beiden Werke in die Reihe der weiteren, bereits angekündigten Hitler-Biographien einfügen werden. Neben Volker Ullrichs zweitem Band werden sowohl Thomas Weber, dessen wegweisende Studie zu Hitlers „erstem Krieg“ vor einigen Jahren Aufsehen erregt hat, als auch der in Cambridge lehrende Brendan Simms neue Studien zu Hitler vorlegen. Dies zeigt nicht zuletzt, dass der Abgesang auf die Wirkmächtigkeit der „großen Männer“ und die anhaltende Pertinenz der biographischen Dimension in der Geschichtswissenschaft ein weiteres Mal zu früh angestimmt wurde.

Für die vollständige, um Anmerkungen erweiterte Fassung nutzen Sie bitte das PDF-Format.

Bastian Matteo Scianna, geboren 1987 in Worms, Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Militärgeschichte / Kulturgeschichte der Gewalt der Universität Potsdam.

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