Asset-Herausgeber

Wegbereiter für ein neues Industriezeitalter

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Das Rennen um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie auf der Erde wird auch im Weltall entschieden. Globale Konnektivität, globale Ortung und Navigation, immer genauere und vielfältige Beobachtung der Umwelt sind die Schlüssel dafür. Teile des Operating System der IoT-Wirtschaft (IoT: Internet of Things, „Internet der Dinge“) verlagern sich zunehmend ins All. Damit verändert sich die Bedeutung der Raumfahrt grundlegend.

NewSpace, die Kommerzialisierung der Raumfahrt und ihre Verzahnung mit der klassischen Industrie, bietet eine große Chance für Deutschland. Es geht dabei keineswegs um spleenige Milliardäre und die Kolonisierung des Mars, sondern um essenzielle Dienste für die Erde. Raumfahrt ist kein Selbstzweck. Wer im All nicht vorne mit dabei ist, wird auf der Erde kein Technologieführer sein. 2021 verzeichnete die globale Space Economy einen Umsatz von circa 420 Milliarden Euro. Davon bestehen drei Viertel aus datengetriebenen Downstream-Anwendungen.1 Raumfahrt ist Data Business.

In fast allen Industriezweigen trägt NewSpace wesentlich zum Aufbau der Infrastruktur für Konnektivität, Daten und Künstlicher Intelligenz (KI) bei. Gerade für die deutsche Industrie werden von Satelliten generierte und übermittelte Daten unverzichtbar, für autonomes Fahren ebenso wie für Smart Farming oder Anwendungen innerhalb von Industrie 4.0. NewSpace ist von zentraler Bedeutung für die digitale Transformation der deutschen Industrie, die Resilienz ihrer Zulieferketten, die Sicherung ihrer Nachhaltigkeitsergebnisse sowie letztlich ihrer Unabhängigkeit. NewSpace ist daher ein Schlüssel für das Industrieland der Zukunft.

 

Klimaschutz, Digitalisierung und Sicherheit

NewSpace trägt dazu bei, das Leben auf der Erde nachhaltiger, digitaler und innovativer zu gestalten sowie die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Sie leistet wichtige Beiträge für den globalen Umwelt- und Klimaschutz.2 Satelliten liefern kontinuierlich und über territoriale Grenzen hinweg präzise Daten und Informationen über die Atmosphäre, die Luft-  und Wasserqualität oder den Zustand von Böden und Pflanzen. Diese Daten tragen erheblich zum besseren Verständnis des Klimawandels und anderer Umweltphänomene bei, unterstützen wirksame Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz und ermöglichen die Landwirtschaft der Zukunft. Laserkommunikation, Cloud Computing und KI helfen, Daten und Informationen schneller und effektiver für individuelle Anwendungen und neue Geschäftsmodelle zu nutzen.3

Bereits heute sind Raumfahrt und ein souveräner Zugang ins All elementar für die außen- und sicherheitspolitische Urteils- und Handlungsfähigkeit von Regierungen. Auslandseinsätze der Bundeswehr sind ohne die Unterstützung durch Weltraumsysteme nicht mehr denkbar. Der Weltraum wurde von der NATO neben Land, See, Luft und Cyber als gleichbedeutende fünfte militärische Dimension definiert.4 Die Nutzung von Satelliten und die von ihnen generierten Daten und Dienste sind für die militärische Aufklärung, Kommunikation und Operationsführung unentbehrlich. Die ukrainische Informationsüberlegenheit gegenüber dem russischen Aggressor beruht maßgeblich auf westlichen Spionage- und Erdbeobachtungssatelliten. Für Kommunikation und Vernetzung ist das kommerzielle Starlink-Satellitensystem von Elon Musk für die Ukraine mittlerweile unverzichtbar.5

Anfang der 2000er-Jahre haben die USA in der Raumfahrt einen Systemwechsel mit weitreichenden Folgen vollzogen. Statt Raketen für Missionen in den niedrigen Erdorbit (Low Earth Orbit, LEO) staatlich zu entwickeln, zu bauen und zu betreiben, hat die US-Regierung entschieden, künftig Transportdienstleistungen bei privaten Unternehmen einzukaufen. Unternehmen wie SpaceX und Blue Origin wurden in diesem Kontext gegründet. Die NASA und US-Behörden fungieren seitdem primär als Kunden. Die Folge ist ein Wettbewerb privater Anbieter, der Innovationen und sinkende Kosten befördert. Bestes Beispiel ist die Wiederverwendbarkeit von Trägerraketen, die zu signifikanten Kostensenkungen beim Transport ins All geführt hat, gemessen am Preis pro Kilogramm Nutzlast.

Dank Innovationen und Miniaturisierung werden Satelliten immer kleiner und leistungsfähiger, sodass sich auf Anwenderseite neue Möglichkeiten bieten. Laut Schätzungen sollen bis 2030 global 16.000 Satelliten gestartet werden, davon neunzig Prozent Klein- und Kleinstsatelliten mit einem Gewicht von weniger als 500 Kilogramm. Der Markt für weltraumgestützte Anwendungen wird dadurch schätzungsweise um 7,4 Prozent jährlich auf über 1,2 Billionen Euro im Jahr 2040 anwachsen.6

Deutschland verfügt über ein enormes Potenzial, um innovative Weltraumlösungen zu entwickeln und damit sein industrielles Wachstum zu stärken, seine kritische Infrastruktur zu modernisieren, seine wirtschaftliche Resilienz zu verbessern und die Energiewende zu beschleunigen. So ging aus einer 2019 gestarteten BDI-Initiative für eine deutsche Startplattform das Industriekonsortium German-Offshore Spaceport Alliance (GOSA) hervor, das im April 2024 eine erste Rakete im Rahmen einer Demo-Mission von einer schwimmenden Plattform in der Nordsee aus starten will.7

 

Deutschlands doppelte Achillesferse

Dank innovativer Unternehmen, mutiger Gründer und privater Investitionen ist in Deutschland in den vergangenen Jahren ein in Europa führendes Ökosystem entstanden. Die USA und auch China investieren allerdings ein Vielfaches. Während Deutschland 2022 sein öffentliches Raumfahrtbudget auf 0,06 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gesenkt hat, haben China und die USA ihre öffentlichen Ausgaben für Raumfahrt auf 0,07 Prozent beziehungsweise 0,24 Prozent ihres BIP erhöht. Der Abstand zwischen Deutschland und Europa auf der einen und den USA, China und zunehmend auch Indien auf der anderen Seite vergrößert sich daher kontinuierlich. Deutschland sollte demzufolge Fehler der Vergangenheit bei anderen Zukunftstechnologien, etwa bei der Chip-Produktion, nicht wiederholen. Die Konsequenzen und Kosten belasten uns bis heute. Es droht im Weltraum eine erneute Abhängigkeit von ausländischen Staaten und Tech-Unternehmen.

Die geringen staatlichen Investitionen in Deutschland sind eine doppelte Achillesferse: Zum einen nutzen staatliche Stellen zu wenig innovative Lösungen für hoheitliche Aufgaben. Zum anderen halten sich private Investoren zurück, weil sie an den Ambitionen der Politik zweifeln. Hinzu kommen einige Hürden, die den Einsatz weltraumgestützter Anwendungen hemmen, wie mangelndes Bewusstsein über die Potenziale des Weltraums, fehlende Fachkräfte und mangelnde Verfügbarkeit von branchenspezifischen Lösungen.8

Noch gravierender ist, dass Europa nach dem notwendigen Ende der Zusammenarbeit mit Russland und aufgrund aktuell fehlender eigener Trägerraketen vorübergehend seinen Zugang ins All verloren hat. Sollten Satelliten gestört, gehackt oder abgeschossen werden, kann Europa bis auf Weiteres keinen Ersatz mit eigenen Trägerraketen starten.

 

Größere Ambitionen sind notwendig

Erstens muss der souveräne Zugang zum Weltall gestärkt werden: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begann im Weltraum mit einem Cyberangriff auf einen von der Ukraine genutzten Satellitenbetreiber. Bei einem Angriff auf unsere kritische Infrastruktur im All könnten wir momentan nicht reagieren. Beim Zugang ins All ist wie in vielen anderen Bereichen auch mehr Resilienz notwendig. Dank privater Investitionen, kommerzieller Raketenhersteller und einer Initiative für eine Startplattform in der Nordsee kann Deutschland seinen europäischen Partnern als führende Nation künftig eine defensive Responsive Space-Fähigkeit für kurzfristige und flexible Starts zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung sollte diese Chance jetzt – nach Vorbild des Raketenschirms Arrow 3 – für Europa ergreifen.

Zweitens ist die Verabschiedung einer staatlichen Nutzerstrategie unabdingbar: NewSpace ist ein Querschnittsthema und eine große Chance sowohl für den privaten als auch den öffentlichen Sektor. Bund, Länder und Kommunen nutzen die Möglichkeiten von NewSpace-Diensten bisher zu wenig, sei es im Katastrophenschutz, bei der Behördenkommunikation, der Nutzung des Sicherheitssignals von Galileo, der Überwachung von Schiffs- und Luftverkehr, dem Aufbau von Smart Cities, der Waldbranderkennung aus dem All oder im Umweltschutz. Um das Potenzial von NewSpace-Anwendungen auszuschöpfen, sollte unter Federführung der Bundesregierung eine gesamtstaatliche Nutzungsstrategie formuliert werden.

Drittens gilt es, ambitionierter zu werden: Europa war der Kontinent der Entdecker und sollte es wieder werden. Das amerikanische Apollo-Programm hat maßgeblich zur Entstehung des Silicon Valley und der technologischen Vorreiterrolle der USA beigetragen. Der Anspruch Europas sollte deshalb sein, dass europäische Astronauten mit europäischen Raumschiffen ins All fliegen. Nicht aus Prestige, sondern um Innovationen in der Breite zu fördern, um strategisch relevant zu bleiben und, nicht zuletzt, um junge Menschen für neue Technologien zu begeistern. Mit einem europäischen Wettbewerb nach US-Vorbild und der ESA als Ankerkunden könnte privates Kapital für ein europäisches Raumschiff mobilisiert werden. Als europäische Führungsnation in der astronautischen Raumfahrt kommt es dabei besonders auf Deutschland an.

Viertens müssen unsere Investitionen signifikant erhöht werden: Staatliche Mittel sollten effektiver eingesetzt und gleichzeitig die Investitionen erhöht werden. Notwendig ist deshalb ein Systemwechsel nach amerikanischem Vorbild, bei dem der Staat primär als Kunde auftritt. Aufträge sind die effizienteste und ordnungspolitisch beste Form der Unterstützung des NewSpace-Ökosystems. Sie mobilisieren zudem weiteres privates Kapital. Obendrein profitiert der Staat als Kunde von innovativen Produkten und Serviceleistungen. Beim Space Summit der ESA im November 2023 in Sevilla wurden erste Weichen für einen Systemwechsel gestellt. Die finanzielle Ausstattung des Nationalen Programms für Weltraum und Innovation trägt der rasant gestiegenen strategischen und gesamtwirtschaftlichen Bedeutung von NewSpace nicht Rechnung. Die für 2024 geplante Budgetkürzung von 371 auf 313 Millionen wäre ein falsches Signal. Die Zeitenwende gilt auch für NewSpace. Deutschland sollte deshalb national mindestens genauso viel investieren wie sein Partner Frankreich – was aktuell bereits dem zweieinhalbfachen Budget entspräche.9

NewSpace steht für Mut, Aufbruch und Begeisterung. Deutschland braucht mehr davon. Denn NewSpace ist der Wegbereiter für ein neues Industriezeitalter.


Matthias Wachter, geboren 1980 in Kronach, Geschäftsführer der deutschen NewSpace Initiative und Leiter der Abteilung Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt, Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

 

1 Manfred Hader: „Weltraumbeflügeltes Deutschland“, in: Roland Berger, 18.10.2023, www.rolandberger.com/de/Insights/Publications/Weltraumbefl%C3%BCgeltes-Deutschland.html [letzter Zugriff: 30.10.2023].
2 Natalie Marchant: „Fourth Industrial Revolution. 5 ways space tech can help protect the planet“, World Economic Forum, 23.03.2021, www.weforum.org/agenda/2021/03/space-technology-tackle-climate-change/ [letzter Zugriff: 30.10.2023].
3 Katherine Schauer, „Laser Communications: Empowering More Data Than Ever Before“, NASA, 12.05.2023, www.nasa.gov/feature/goddard/2021/laser-communications-empowering-moredata-than-ever-before [letzter Zugriff: 30.10.2023].
4 North Atlantic Treaty Organization: „NATO’s approach to space“, aktualisiert am 23.05.2023, www.nato.int/cps/en/natohq/topics_175419.htm [letzter Zugriff: 30.10.2023].
5 Fred Schwaller: „Starlink is crucial to Ukraine – here’s why“, Deutsche Welle, 14.10.2022, www.dw.com/en/starlink-is-crucial-to-ukrainian-defense-heres-how-it-works/a-63443808 [letzter Zugriff: 30.10.2023].
6 Manfred Hader, a. a. O., siehe En. 1.
7 Ute Spangenberger: „Ein Weltraumbahnhof in der Nordsee“, tagesschau, 18.10.2023, www.tagesschau.de/wissen/technologie/weltraumbahnhof-nordsee-102.html [letzter Zugriff: 30.10.2023].
8 Manfred Hader, a. a. O., siehe En. 1.
9 Manfred Hader, a. a. O., siehe En. 1.

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