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Konsequenzen aus dem Priestermangel in der katholischen Kirche

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Geht alles weiter wie bisher, wird die katholische Kirche in den deutschen Bistümern einen Notstand in der Seelsorge erleben. Der Grund liegt in dem sich dramatisch verschärfenden Priestermangel. Die Strukturreformen in den Bistümern – Gemeindefusionen, Pfarreiauflösungen, Schaffung pastoraler Großräume – sind unterlegt von diesem Grundproblem.


1962 wurden in Deutschland 557 junge Männer zu Priestern geweiht. 38 Jahre später, zur Jahrtausendwende, waren es 154, wiederum zehn Jahre später wurde die Grenze von 100 unterschritten. Im vergangenen Jahr erhielten 74 Männer die Priesterweihe, im laufenden Jahr werden es wohl nur 61 sein. Den 74 Neupriestern standen im vergangenen Jahr 529 ausscheidende Priester – Todesfälle, endgültiger Ruhestand und Amtsverzicht – gegenüber. Das heißt, ein neuer Priester folgt auf sieben ausscheidende.


Nach einer Erhebung der Deutschen Bischofskonferenz über hauptamtliches Seelsorgepersonal ist die Zahl der Priester in den vergangenen siebzehn Jahren um 22 Prozent auf 12.070 gesunken. In der Pfarrseelsorge, dem Herzstück des kirchlichen Lebens, sind es sogar minus 30 Prozent (von 9.677 auf 6.740). Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl der Pfarrer, die eine Pfarrei leiten, mehr als halbiert (-51,4 Prozent). Inzwischen leiten über 80 Prozent aller Pfarrer mehr als eine Pfarrei. Die Seelsorgeeinheiten für die „leitenden Pfarrer“ sind so große Gebilde geworden, dass an eine klassische Seelsorge mit persönlicher Bekanntschaft nicht mehr zu denken ist. Die Aussicht, einen Großraum mit mehr als 50.000 katholischen Menschen verwalten und versorgen zu müssen, macht den Beruf des Pfarrers nicht attraktiver und erweist sich als Überforderung. Nach Schätzungen haben weltweit etwa 70.000 Priester in den vergangenen Jahrzehnten ihr Amt aufgegeben.



Interesse am Dienst als Kleriker wäre vorhanden


Deutschland steht mit diesem Problem nicht isoliert: Das Statistische Jahrbuch der katholischen Kirche zeigt den größten Priestermangel, gemessen an der Zahl der Katholiken pro Priester, in Südamerika, wo auf einen Priester 7.200 Katholiken kommen. In Europa sind es zurzeit 1.600. Allerdings sind die kirchlichen Verhältnisse bei uns anders und über lange Jahrhunderte hin „inkulturiert“. Hier lebt die Vorstellung von der Pfarrei mit dem Pfarrer, der für die Seelsorge, die Gottesdienste und die religiöse Bildung zuständig ist, weiter. Doch die Realität ist längst eine andere: Die Priester in der Pfarrseelsorge sind in ein Team von hauptamtlichem, zum Teil ebenso gut ausgebildetem Personal eingebunden. Leider ist von dieser für die Aufrechterhaltung gemeindlichen Lebens unverzichtbaren Personengruppe selten die Rede.


Rückläufige Entwicklungen gibt es nicht bei allen Klerikern in Deutschland: Die Zahl der Diakone hat sich im gleichen Zeitraum seit 2000 um 44 Prozent, von 2.302 auf 4.557 erhöht. Offenbar besteht ein Interesse an einem liturgischen, seelsorglichen und sozialen Dienst für die und in der Kirche. Zudem stehen in den Gemeinden fast 8.000 Pastoral- und Gemeindereferenten und -assistenten im Dienst. Die geringe Attraktivität dieser Seelsorgeberufe führt allerdings zu einem empfindlichen Ausdünnen der theologischen Diplom- und Masterstudiengänge. Darunter gibt es einen erheblichen Anteil an Frauen, die leider nach wie vor zu keiner der Weihestufen zugelassen werden, obwohl das Gesicht der kirchlichen Basis längst vorwiegend weiblich ist. Zwei Drittel dieser hauptamtlichen Mitarbeiter sind Frauen.


Mit fast 1.000 Priestern aus der „Weltkirche“ – vor allem aus Polen und Indien – wird der Priestermangel gemildert. Doch dieser Dienst stößt an Grenzen: Nicht zuletzt sind die Heimatländer zurückhaltend geworden, beispielsweise in Polen, wo die Zahl der Weihen inzwischen auch rückläufig ist. Gelegentlich hat man sich die Entwicklung in Deutschland mit dem Hinweis schöngerechnet, dass die Zahl der Priester je Katholik zwar gesunken sei, aber je Gottesdienstteilnehmer gebe es mehr Priester als zuvor. Das hält keiner genaueren Betrachtung stand, denn die Zahl der Gottesdienstteilnehmer sagt nur etwas über den allsonntäglichen Kirchenbesuch aus, der aber selbst unter eng der Kirche Verbundenen – leider – keineswegs mehr selbstverständlich ist. Die zu betreuenden Gemeinden sind sehr viel größer.



Ämter gehören auf den Prüfstand


Als eine der Hauptursachen für die desolate Situation wird angeführt, „dass es leider einen ganz breiten Rückgang des Glaubens in Deutschland gibt. Und dass es logischerweise dann am Ende auch weniger Priester geben wird.“ Das ist zwar nicht falsch, greift aber zu kurz. Das Beispiel der Diakone zeigt, dass die Bereitschaft zu einem Dienst als Kleriker vorhanden ist. Dass es inzwischen eine ganze Bewegung von Frauen gibt, die für die Zulassung zum Diakonat kämpfen, sei zudem angemerkt. Eine Reihe weiterer Faktoren für den Priestermangel wäre zu nennen – darunter zunächst die Verpflichtung zum ehelosen Leben, der Zölibat. Hinzu kommen die Überforderung, die Unsicherheit des Priesterbildes in der kirchlichen Öffentlichkeit, die Vereinsamung vieler Priester und anderes mehr.


Die sogenannten Laien sind tief beunruhigt über die Entwicklung des Priesternachwuchses. Auch die notwendige Stärkung der Gläubigen in Selbstorganisation und -verwaltung wird die Priester nicht überflüssig machen. Es ist vor allem die Feier der Eucharistie, die in der Wertehierarchie des kirchlichen Lebens oben steht. Schon heute gibt es die sonderbare Situation, dass in evangelischen Gemeinden monatlich das Abendmahl gefeiert wird, während katholische „Wort-Gottes-Feiern“ das Fehlen eines Zelebranten für die Eucharistie kaschieren. Eine größere Kompetenz bei der Sakramentenspendung, in der Predigt und der Katechese, in der Gottesdienstleitung und in der öffentlichen Darstellung kirchlichen Lebens für nicht geweihte Männer und Frauen ist notwendig. Die gesamte Struktur der Ämter und „Beauftragungen“ gehört auf den Prüfstand.


Wie sehr sich die Verhältnisse verändern, zeigt ein Beispiel: Nach katholischem Kirchenrecht ist die Leitung der Gemeinden Priestern vorbehalten. Den Personalmangel versucht man zu umgehen, indem „leitende Pfarrer“ mit großen Seelsorgeteams eine Vielzahl ehemaliger Pfarreien leiten. In Trier kommt es zur nie da gewesenen Situation, dass aus 884 teils uralten Pfarreien künftig 33 „neuen Typs“ werden. Dass es anders geht, zeigen Modelle wie in Rottenburg-Stuttgart. Dort hat man Vorbehalte gegen die Fusionierungswellen und überträgt die Gemeindeleitung unter Ausnutzung eines Canons des Kirchenrechts (CIC, can. 517, 2) nicht geweihten pastoralen Mitarbeitern. Am Oberrhein hat der Bischof inzwischen vier weiblichen Pastoralreferenten die Leitung einer Gemeinde übertragen.



Mehr Kompetenzen in den Gemeinden


Trotz aller neuen Verortungen des Glaubenslebens wird die Territorialgemeinde, in der man sich kennenlernt, begegnet und hilft, weiterhin eine entscheidende Rolle spielen. Da aber die voll versorgte Gemeinde aus vielen Gründen keine Zukunft hat, wird die Aktivierung der Gläubigen zu einer Überlebensfrage. Dass dies auch die Reaktivierung einer größeren Finanzkompetenz der Pfarreien, die bis zum staatlichen Einzug der Kirchenbeiträge 1950 selbstverständlich war, zur Konsequenz haben muss, sei nur am Rande bemerkt. Neue Formen von Subsidiarität und Unabhängigkeit von den in den letzten Jahrzehnten aufgeblähten zentralisierenden Generalvikariaten der Bistümer werden an Relevanz gewinnen. Der überschaubaren Gemeinde aus selbst- und letztverantwortlichen Gläubigen, ob territorial, personal oder funktional zusammengesetzt, gehört die Zukunft.


Kirchliches Leben erschöpft sich nicht in der gottesdienstlichen und sakramentalen Versorgung. Vor Ort werden geistlich-spirituelle Ansprechpartner nötig sein, die in die Lücke der verlorenen Nähe zum Pfarrer treten. Das können Haupt- oder Ehrenamtliche, Theologen oder Laien, Frauen oder Männer sein. Sie brauchen das Vertrauen und die Kompetenz, in besonderen Lebenslagen mit Rat und Beistand aus dem Glauben beistehen zu können. Solche Prozesse entziehen sich weitgehend der Regelbarkeit pastoraler Pläne, wie sie allenthalben wohlmeinend, aber zu oft auch nicht mehr als das, formuliert werden. Die Priester werden in diesen Konzepten ihren Platz suchen und finden müssen, soll nicht vor allem die Hetze von einem Gottesdienst zum nächsten ihren Alltag bestimmen. Wie steht das allgemeine Priestertum aller Gläubigen, das das Konzil so deutlich herausgestellt und alle Päpste seitdem unterstrichen haben, zum geweihten Priester?


Die Befähigung der Laien ergibt sich nach den Aussagen des Konzils nicht erst aufgrund einer Beauftragung, sondern schon aus der Teilhabe am mystischen Leib Christi. „Pflicht und Recht zum Apostolat haben die Laien kraft ihrer Vereinigung mit Christus dem Haupt“ (Das Apostolat der Laien, AA 3). Durch Taufe und Firmung werden sie – nach 1 Petr 2 – zum „heiligen Volk“ einer allgemeinen „königlichen Priesterschaft“. Das gilt für Frauen wie Männer, für Verheiratete wie Singles. Papst Franziskus führt in „Evangelii Gaudium“ diesen Gedanken aus: „Man darf nicht vergessen, dass wir uns, wenn wir von priesterlicher Vollmacht reden, ‚auf der Ebene der Funktion und nicht auf der Ebene der Würde und der Heiligkeit‘ befinden. Das Amtspriestertum ist eines der Mittel, das Jesus zum Dienst an seinem Volk einsetzt, doch die große Würde kommt von der Taufe, die allen zugänglich ist. Die Gleichgestaltung des Priesters mit Christus, dem Haupt – das heißt als Hauptquelle der Gnade – schließt nicht eine Erhebung ein, die ihn an die Spitze alles Übrigen setzt. In der Kirche begründen die Funktionen ‚keine Überlegenheit der einen über die anderen‘. Tatsächlich ist eine Frau, Maria, bedeutender als die Bischöfe“ (Evangelii Gaudium, Nr. 104).



Falsche Fixierungen beim Priesterberuf


Das Bild des Priesters, das früher eindeutig in der Hierarchie der Kirche festgeschrieben schien, hat sich in der Theologie des Konzils und unter den neuen Bedingungen modernen Lebens verändert. Noch haben auch die Gläubigen den alten, in der reformatorischen Theologie entfalteten Gedanken des allgemeinen Priestertums unzureichend verinnerlicht. Dabei sind die ehrenamtlichen und hauptamtlichen kirchlichen Dienste Teilhabe am Wirken der Kirche. „Gemeinsam Kirche sein“ ist das Abschlussdokument des Dialogprozesses der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral in Deutschland von 2015 folgerichtig überschrieben.


Die wenigen Kandidaten für das Priesteramt entstammen zudem kaum noch der klassischen katholischen Familie. Sie kommen über einen anderen Beruf zur Weihe – manchmal über kirchenferne Elternhäuser, oft aus spirituellen Erlebnissen heraus. Die Zeiten, in denen es selbstverständlich gewesen sein mag, dass einer der Söhne aus der Familie katholischer Priester wurde, sind längst vorbei. Heute ist die Entscheidung zum Priestertum keine selbstverständliche Option junger Schulabsolventen mehr.


Gleichzeitig werden die Anforderungen für junge Männer, die sich für den Weg zu diesem Beruf entscheiden, unangemessen überhöht. Die viel zu frühe Fixierung auf die Berufung zum Priester muss einen jungen Menschen in der schwierigen Studien- und Berufswahl überfordern. Statt den Beruf als einen besonderen Dienst in der Kirche zu „normalisieren“, wird eine vollkommene Lebenswende erwartet, die außerhalb der Klöster und Orden historisch nicht zu belegen ist. Dass es sich um einen schönen, erfüllenden Beruf handelt, wird mit – noch dazu höchst fragwürdigen – theologischen Vorstellungen von einer priesterlichen Existenz „in persona Christi“, was sich allein auf die Feier der Eucharistie beziehen kann, verkleistert. Es muss eine kirchliche Umgebung geschaffen werden, in der es Freude macht, den Beruf des Priesters anzustreben. Die Kraft des Gebetes sei nicht als Letztes erwähnt. Das Gebet um Priester ist wichtig, aber es ist nur glaubwürdig, wenn es durch kirchliches Handeln unterstrichen wird.


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Thomas Sternberg, geboren 1952 in Grevenbrück, seit 2015 Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Altstipendiat und Vorstandsmitglied der Konrad-Adenauer-Stiftung, 2005 bis 2017 Mitglied der CDU-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen.

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