Asset-Herausgeber

Ob Stadt, ob Land... auf die Menschen kommt es an!

Für eine differenzierte Meinungsbildung

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Immer mehr Städter kennen das Landleben nicht aus eigener Erfahrung. Sie haben eine romantische Vorstellung davon. Aber sind das nur die Menschen, die in der Stadt leben?

Nicht jede oder jeder auf dem Land ist Landwirtin oder Landwirt und kennt die Routinen im Stall und auf dem Feld. Und ist es nicht so, dass wir alle die gleichen Medien nutzen, unabhängig vom Wohnort?

Wir können in Hochglanzmagazinen lesen, wie man aus Beton schöne Blumenkübel gießt. Wir schauen Fernsehserien, in denen Frauen vom Land mit einem Bus über kurvige Straßen fahren, um danach auf einem Hof die Vorspeise in der Orangerie einzunehmen. Schalten wir um, können wir einen Bauern dabei beobachten, wie er eine Frau sucht, die er lieben kann – und die ihn liebt. Leicht ist die Suche nicht, weil die Arbeit auf dem Hof hart und nie Feierabend ist. Obendrein ist der Bauer nicht besonders attraktiv und weltgewandt. Tags darauf schlagen wir dann die Zeitung auf und lesen in der Titelstory, wie gewinngierige Bauern ihre Tiere vernachlässigen. Nun sind wir nicht mehr amüsiert oder hingerissen, sondern nur noch entsetzt.

Medien skandalisieren die negativen Aspekte, um ihre Auflagen zu steigern. Menschen überhöhen die positiven Aspekte, um von einem besseren Leben zu träumen. Das mag bis zu einem bestimmten Punkt menschlich und legitim sein. Im Diskurs über gute Lebensbedingungen für die Menschen in unserem Land hilft uns das jedoch nicht weiter.

 

Dialog auf Augenhöhe

Überhaupt – es gibt nicht den ländlichen Raum. Inzwischen gibt es genug Stimmen, die sagen, dass die Grenzen nicht mehr zwischen Stadt und Land verlaufen, sondern zwischen Regionen in Deutschland. Wir LandFrauen leben vor, wie bereichernd es ist, voneinander zu lernen. Wir nehmen es mit der Abgrenzung zwischen Stadt und Land nicht so genau. Auch in Hamburg, Bremen und Berlin gibt es uns. Wir stehen für das, was eine gute Gemeinschaft ausmacht: 500.000 LandFrauen sind bundesweit organisiert, um gemeinsam zu handeln.

Die Stadt-Land-Beziehung wird heute neu belebt. Seit jeher führen LandFrauen einen regen Dialog mit Verbraucherinnen und Verbrauchern über Landwirtschaft und das Leben auf dem Land, und wir beobachten diese Entwicklungen sehr genau. Wir schätzen den Dialog auf Augenhöhe.

Zwischen Stadt und Land entstehen immer mehr direkte Lieferbeziehungen, die Menschen machen gern Urlaub auf unseren Höfen, genießen in unseren Restaurants Kaffee und Kuchen. Die Städter kaufen gern unsere Produkte, vorab vom Hof, online oder als Großabnehmer, weil sie und ihre Nachbarn, Freunde und Bekannten genau wissen wollen, wo ihre Eier, ihre Milch, das Obst und Gemüse herkommen. Das Interesse an unserer Arbeit nimmt zu. Wir geben unser Wissen weiter. Die Arbeit der vielen LandFrauen in der Ernährungsbildung an Schulen – darunter das Projekt SchmExperten – bestätigt übrigens, was uns Studien und Umfragen in Zahlen aufzeigen können: Oft weiß das Landkind über Ernährung und Landwirtschaft nicht besser Bescheid als das Kind in der Stadt.

Es ist längst bekannt: Auch auf den Dörfern ist es nicht mehr selbstverständlich, dass man sich auf der Straße grüßt, weil jeder jeden kennt. Aber eine starke Gemeinschaft findet sich mit Sicherheit in den Dörfern, wo es noch ein intaktes Vereinsleben gibt. LandFrauen zum Beispiel sind dafür bekannt, Herausforderungen praktisch zu meistern.

 

Förderung ohne „Projektitis“

Es läuft nicht rund in der Gemeinde? Dann entwickeln sie eine Lösung und helfen mit, das Problem zu beheben. Die Ideen reichen vom Bürgerbus, der Verkehrsverbindungen wieder neu aufleben lässt, der Gründung einer eigenen Kita bis hin zur Integration von Flüchtlingen. Kurze Wege, wenige Entscheidungsinstanzen tragen dazu bei, dass bürgerschaftliches Engagement eine große Reichweite entfalten kann. Dies ist immer dann nötig, wenn sich der Staat immer weiter aus seinen Aufgaben zurückzieht. Noch können die Lücken mit Kreativität und Engagement geschlossen werden. Das hat jedoch Grenzen.

Stadt und Land können voneinander lernen, genau wie Regionen von- einander lernen können. Es ist ermutigend, dass das immer mehr Kommunen begreifen und eine erfolgreiche interkommunale Zusammenarbeit umsetzen. Für die ländlichen Räume wird postuliert, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse gewährleistet werden muss. Inzwischen scheint es, dass der Weg dahin statt im einseitigen Rückbau der Infrastruktur eher in einem intelligenten Umbau liegt. Hierzu bedarf es eines entsprechenden Förderrahmens. Er sollte sich weniger an Verwaltungsstrukturen, sondern mehr an Regionen mit ihrem eigentlichen Förderbedarf orientieren. Förderung muss weg von der „Projektitis“ hin zu echter Wirksamkeit. Wenn das Ehrenamt eingebunden ist, brauchen wir weniger Bürokratie. Dies muss genauso für die Förderung der ländlichen Entwicklung gelten wie beispielsweise für den Städtebau.

Städter ziehen „auf’s Land“ und umgekehrt. Wer sich wo dauerhaft niederlässt, bleibt eine private Entscheidung. Die Menschen müssen dort, wo sie leben wollen, auch die richtigen Rahmenbedingungen finden, um sich eine Existenz aufbauen zu können. Besonders junge, gut ausgebildete Frauen in ländlichen Regionen brauchen verbesserte Arbeitsmöglichkeiten abseits von Minijobs und eine Infrastruktur, die zu ihren Lebensvorstellungen passt. Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die von jungen Frauen mehrheitlich gewünscht wird, gehören gute Betreuungsangebote und eine ausreichende Versorgung vor Ort. Nur dann können wir die strukturell bedingte Abwanderung verringern und die Vielfalt der Regionen in Deutschland erhalten.

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Brigitte Scherb, geboren 1954 in Dennhausen, seit 2007 Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbandes.

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