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Rüdiger Safranski erhält den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung 2014

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Wir sprechen englisch, aber denken deutsch, meint der britische Kulturhistoriker Peter Watson. Es waren deutsche Dichter und Denker, die die philosophischen und naturwissenschaftlichen Grundlagen für das moderne Verständnis der Welt gelegt haben. Aus dem Bodensatz des deutschen Idealismus ist aber auch die totalitäre Metaphysik des 20. Jahrhunderts erwachsen, die jegliche Trennung zwischen Denkbarem und Lebbarem ignoriert und ihre Wahrheit als die allein selig machende ausgibt.

Kaum jemand hat in diesem Sinne so eindringlich über Glanz und Elend klassisch-moderner Wahrheitsexpeditionen in deutscher Sprache geschrieben wie der 1945 in Rottweil geborene Rüdiger Safranski. Als Schriftsteller unter den Philosophen, als europäischer Diplomat der deutschen Kultur gehört er jener seltenen Spezies an, die Wissenschaft als Kunst betreibt und dabei Eleganz des Stils mit der Verständlichkeit des Ausdrucks versöhnen kann. Die kulturgeschichtliche Reihe deutscher Geistesgrößen hat Safranski, der bei Adorno in Frankfurt studiert, an der Freien Universität in Berlin promoviert und ein Jahrzehnt beim ZDF Das Philosophische Quartett mitmoderiert hat, Buch um Buch abgeschritten: über den „skeptischen Phantasten“ E.T.A. Hoffmann (1984), den „wilden“ Philosophen Schopenhauer (1987), den „Meister aus Deutschland“ Heidegger (1994), den Denkbilderstürmer Nietzsche (2000), den Erfinder des deutschen Idealismus Schiller (2004) bis zum Lebenskunstwerk Goethe (2013). Kein Zweifel, Rüdiger Safranski ist Deutschlands berühmtester Biograph. Davon zeugen Übersetzungen in mehr als zwanzig Sprachen und renommierte Auszeichnungen, 2014 der Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

Wozu Klassiker lesen

Wozu heute die Klassiker lesen? Safranski geht nicht als Forscher, sondern als Entdecker ans Werk. Schiller und Goethe, Schopenhauer und Nietzsche liest er als europäische Denkabenteurer, die den Mutbürger und die kulturelle Lebensform erfunden und den Zauber der Vorstellungskraft bis an ihre Grenzen ausgereizt haben. Erst ästhetische Erziehung und gesellige Bildung – so die an Goethe und Schiller geschulte Überzeugung – befähigen den Menschen zu einer verantwortungsvoll wahrgenommenen Freiheit. Von der Kunst lasse sich „die Erfahrung von offener Weite in enger Begrenzung“ lernen, kommentiert Safranski in seinem Traktat Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch? (2003). Mit dieser kulturellen Grundausstattung sind die Zumutungen einer „normativen Globalisierung“ zu meistern: der aggressive Traditionsverlust, die Entwurzelung der einstmals religiösen Wertediskussion, der „Nihilismus der Konsumkultur“, die Vermischung des Nahen und Fernen, die sich hinter der Umbiegung des kosmischen Weltbildes in ein globales verbirgt.

 

Das „Geschäft“ der Friedensstiftung

Aber nicht nur den steinigen Weg der Suche nach dem Wahren und Schönen zeichnet Safranski in seinen Denkerporträts nach. Er macht auch die Probe aufs Exempel und schickt die Philosophie in die Schule der politischen Anthropologie. Politik, so pointiert es Safranskis Essay Wieviel Wahrheit braucht der Mensch? (1990), ist „das Geschäft der Friedensstiftung im Felde der kombattanten Wahrheiten […], die keine übergreifende Wahrheit ins Feld führen kann, außer derjenigen, die sich auf die Gewährleistung menschenwürdiger Lebensbedingungen bezieht“. Insofern obliegt es dem demokratischen Staat, den Rahmen herzustellen, in dem ein freies Dichten und individuelles Denken möglich sind – und Spielregeln zu schaffen, die diese Vielfalt schützen.

Diese feine Unterscheidung zwischen kultureller und politischer Wahrheit kommt vor allem in Safrankis Goethe-Biographie zum Ausdruck. Sie ist nach Ansicht der Kritik derzeit die beste, neben der von Nicholas Boyle. Safranski würdigt Goethe nicht nur als Dichter mit großen Stärken und kleinen Schwächen („mit dem Humor hapert es“). Er führt den politischen Akteur Goethe auf die Bühne, den Regisseur eines Super-Ministeriums am Weimarer Hofe (Bergbau, Straßen, Finanzen), einen Lehrmeister der politischen Ethik. In der Biographie Goethes werden Grundfragen der skeptischen Moderne aufgeworfen: was gutes Regierungshandeln ausmacht, wie sich der Glaube zur Erfahrung verhält, dass das Böse zum Menschen gehört und nicht zu einer Religion, was die Moderne aus der europäischen Tradition braucht.

Im März 1770 ist der junge Goethe als Jurastudent nach Straßburg gekommen und macht es Petrarca nach, der 1336 auf den Mont Ventoux stieg, um als wahrscheinlich erster Mensch den Blick von oben auf mehrere europäische Länder zu werfen. Goethe erstieg den „höchsten Gipfel“ in Straßburg, das dortige Münster. Und entdeckte dort angesichts des Erhabenen der Baukunst seine eigene genialische Größe. Von diesem „Babelgedanken“ hat der Autor des „Tasso“ und des „Faust“ im Wissen um die weltkluge Dämpfung der Kunstautonomie Abstand genommen. Aber er hat immer die Einsicht behalten, dass, so klein man vom Menschen denken mag, man „doch Großes mit ihm anstellen kann“.

Kongenialen Kommentaren wie diesem verdankt Safranskis Biographik ihren Zuschnitt. Er ist ein meisterhafter europäischer Erzähler deutscher Biographien, der die Größe des Gedankens stets an der Wirklichkeit des politischen Handelns misst. Man muss mehr denken, als „man glaubt leben zu können“, schlussfolgert Safranski mit Spinoza, aber kann nur alles denken, wenn man nicht alles tun darf. Diese freiwillige ethische Selbstbeschränkung des Denkens ist das Vermächtnis deutscher Denker und Dichter, das Rüdiger Safranski an das 21. Jahrhundert übermittelt.


Michael Braun, geboren 1964 in Simmerath, Leiter des Referats Literatur der Konrad-Adenauer-Stiftung Sankt Augustin und außerplanmäßiger Professor für Neuere deutsche Literatur und ihre Didaktik an der Universität zu Köln.

 

Auswahlbibliographie Rüdiger Safranski

E. T. A. Hoffmann. Das Leben eines skeptischen Phantasten, Carl Hanser Verlag, München/Wien 1984, 544 Seiten, 24,90 Euro.

Wieviel Wahrheit braucht der Mensch? Über das Denkbare und das Lebbare, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1990, 224 Seiten, 8,95 Euro.

Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Carl Hanser Verlag, München/Wien 1994, 544 Seiten, 29,90 Euro.

Das Böse oder Das Drama der Freiheit, Carl Hanser Verlag, München/Wien 1997, 336 Seiten, 23,50 Euro.

Friedrich Nietzsche. Biographie seines Denkens, Carl Hanser Verlag, München/Wien 2000, 400 Seiten.

Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch? Carl Hanser Verlag, München/Wien 2003, 120 Seiten, 14,90 Euro.

Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus, Carl Hanser Verlag, München/Wien 2004, 25,90 Euro.

Schiller als Philosoph – eine Anthologie, wjs-Verlag, Berlin, 264 Seiten, 22,00 Euro.

Romantik. Eine deutsche Affäre, Carl Hanser Verlag, München/Wien 2007, 416 Seiten, 27,90 Euro.

Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft, Carl Hanser Verlag, München/Wien 2009, 344 Seiten, 21,50 Euro.

Schopenhauer und Die wilden Jahre der Philosophie. Eine Biographie, 3. Auflage, Carl Hanser Verlag, München/Wien 2010, 560 Seiten, 24,90 Euro.

Goethe. Kunstwerk des Lebens. Biografie, Carl Hanser Verlag, München/Wien 2013, 752 Seiten, 27,90 Euro.

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