„Sie sind konventioneller Landwirt und setzen sich für Bienenschutz ein. Wie passt das zusammen?“ Mit dieser Frage wurde bei einer Veranstaltung, bei der ich neulich zu Gast war, ein junger Landwirt anmoderiert, der sich mit seinem Betrieb einer besonders nachhaltigen Wirtschaftsweise verpflichtet hatte. Diese Frage offenbart einen großen Teil der Missverständnisse, die die Debatte um unsere Landwirtschaft prägen. Denn es gibt eben nicht dieses Schwarz und Weiß. Es gibt nicht zwei Fronten aus konventionell oder biologisch wirtschaftenden Betrieben.
Um bei den Missverständnissen zu bleiben: Auch das Bild, das die meisten Menschen im Kopf haben, wenn das Wort Landwirtschaft fällt, beruht darauf. Der Deutungsrahmen, der Frame, wie man heute sagt, der in unserem Gehirn aktiviert wird, wenn wir das Wort Landwirtschaft hören, basiert in erster Linie auf Bilderbüchern und Werbung für Dosenmilch und Vollmilchschokolade. Auf einer künstlichen Werbewelt aus grünen Wiesen, musealen Bauernhöfen, auf denen eine Bäuerin mit der Milchkanne in der Hand über den Hof hüpft und der Bauer sein Gemüse im Flechtkorb in den Supermarkt trägt. In der allein der Gedanke an Pflanzenschutzmittel, an Dünger eine nahezu irrationale Abwehrhaltung erzeugt.
Meine These ist deshalb: Wenn wir eine Debatte darüber führen wollen, wie sich die Landwirtschaft künftig entwickeln soll, dann ist ein wichtiger erster Schritt, dass wir auch unser Bild von Landwirtschaft hinterfragen, es realistisch zeichnen und uns von den bequemen Deutungsrahmen lösen. Denn genau das würde dabei helfen, die Debatte sachlich und fachlich zu führen. Damit unser Gehirn eben nicht auf alles, was nicht in diesen gelernten Rahmen passt – wie der konventionelle Landwirt, der sich für Bienen einsetzt – mit Abwehr reagiert.
Denn wir stehen an einem Punkt, an dem wir Landwirtschaft aktiv gestalten können. Mit einer Landwirtschaft, die in Bewegung ist. Die sich vielen neuen Anforderungen stellen muss – und gleichzeitig mit technischen Entwicklungen, mit der Digitalisierung, neue Instrumente an die Hand bekommt. Mit einer Dynamik auch bei jungen Leuten, die sich für den Beruf interessieren. Deshalb ist es an der Zeit, den Kopf frei zu machen und Landwirtschaft zu betrachten, wie sie ist. Was sie bedeutet für uns, für unser Land. Und was wir bereit sind, dafür zu zahlen. Im Dialog mit den Beteiligten und auf Augenhöhe.
Nachhaltig und wirtschaftlich tragfähig
Bei dem, was Landwirtschaft leisten muss, ist vieles nicht verhandelbar. Denn es bleibt die Priorität, uns und eine stetig wachsende Weltbevölkerung zu ernähren und somit das Menschenrecht auf Nahrung weltweit zu verwirklichen. Gleichzeitig können wir nicht nur auf die heutige Situation schauen, die im Hinblick auf Freiheit von Hunger ohnehin unbefriedigend ist, sondern wir müssen auch die Ressourcen schützen und für diejenigen erhalten, die nach uns kommen. Auf den Erhalt der Ressourcen, den Nachhaltigkeitsgedanken, haben wir uns wiederholt in vielen Vereinbarungen national und international verständigt. Und genau diese Vereinbarungen sind es, die auch den Rahmen für die Landwirtschaft setzen.
Das hat – gerade im Moment – einen großen Anpassungsdruck für die Landwirtschaft zur Folge. Denn sie muss die Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung mit umsetzen, genauso wie sie die im Entwurf des Klimaschutzgesetzes festgelegten Treibhausgasminderungen von vierzehn Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten bezogen auf 2014 erreichen muss. Sie muss ihren Beitrag dazu leisten, Artenvielfalt zu erhalten, wie es in dem viel diskutierten Aktionsprogramm Insektenschutz der Bundesregierung vorgesehen ist. Kurz: Sie muss zwei Verantwortungen gleichzeitig schultern: Menschen ernähren und Ressourcen schützen. Und beides in einer Weise, die für die Landwirtschaft wirtschaftlich tragfähig ist.
Denn Landwirtschaft muss im internationalen Wettbewerb bestehen können, wenn wir die Arbeitsplätze, die hier bei uns an der Landwirtschaft hängen, halten wollen. Wenn wir weiter regionale Produkte wollen, Einfluss nehmen wollen auf die Art und Weise, wie unsere Lebensmittel hergestellt werden. Zum Teil wird es so sein, dass die Landwirtschaft, dass der einzelne Betrieb von den Veränderungen wirtschaftlich profitieren wird. Wo das nicht der Fall ist, weil die Umstellung von einem Betrieb nicht allein geschultert werden kann, wird es aber staatliche Hilfen geben müssen.
„Die gute fachliche Praxis“ ist nicht das einzige Argument
Dafür ist eines wichtig: dass Landwirtschaft die in Teilen noch vorhandene Ablehnung gegenüber Veränderungen aufgibt, die weiterhin allein aus der Perspektive dessen argumentiert, was in der Landwirtschaft als bewährte Produktionsmethode – die sogenannte „gute fachliche Praxis“ – empfohlen wird. Zum Beispiel bei der Düngeverordnung, die wir in Einklang mit Europäischem Recht bringen müssen. In diesem Punkt gibt es ein von der bedarfsgerechten Versorgung der Pflanze mit notwendigen Nährstoffen her gedachtes Ideal. Das konkurriert aber mancherorts mit den Standards, die in der Realität vorherrschen und für das Grundwasser schädlich sind. Der Reflex in Teilen der Landwirtschaft, denjenigen, die sich für weniger Düngung einsetzen, zu sagen, sie hätten keine Ahnung von guter fachlicher Praxis, ist deshalb ein Vorwurf, der ins Leere zielt. Unser Ziel ist es, einen Kompromiss zu finden zwischen den Interessen der Landwirtschaft und denen, die auf die Verbesserung des Grundwassers zielen. Damit beide Seiten langfristig etwas davon haben.
Wir benötigen Strategien, in denen nicht weniger, sondern nachhaltiger produziert wird. Viele Lösungen dafür liegen in der Landwirtschaft selbst. Sie ist in der jetzigen Phase geprägt von einem der dynamischsten Entwicklungsprozesse, die sie in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat. Diese Dynamik vollzieht sich aber eben nicht in Brüchen, nicht in einer revolutionär geprägten „Wende-Rhetorik“, sondern im Sinne einer permanenten und darum auch tragfähigen Entwicklung.
Das heißt: Wir müssen uns ehrlich machen. Landwirtschaft – gleich ob konventionell oder ökologisch – sieht nicht mehr aus wie in der Fernsehwerbung, weil künftig Drohnen über Maisfelder fliegen und Schlupfwespen abwerfen, damit sie Schädlinge bekämpfen. Der Traktor fährt autonom und wird über Geodaten gesteuert, um zentimetergenau zu arbeiten. So kann der Einsatz von Pflanzenschutz- oder Düngemitteln minimiert werden. Kühe tragen neben der Kuhglocke auch einen Sensor, der sie nicht nur orten kann, sondern auch früh anzeigt, wenn es einem Tier nicht gut geht. Das Prinzip muss lauten: Schlupfwespen statt Pflanzenschutzmittel. Präzisionslandwirtschaft statt Gießkanne. Für die Romantiker unter uns bleibt der Trost, dass in der Landwirtschaft Innovation manchmal heißt: zurück zu den Wurzeln. Etwa, wenn wir alte Sorten wiederentdecken, bei Äpfeln zum Beispiel, weil sie weniger Allergien verursachen, resistenter gegen Schädlinge und Krankheiten sind oder besser mit dem Klimawandel fertigwerden.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft verfügt deshalb über den viertgrößten Etat aller Bundesministerien für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung. 2019 stehen über 900 Millionen Euro zur Verfügung, 2020 ist es fast eine Milliarde Euro, um neue Lösungen zu finden und Innovationen schnell in die Praxis zu bringen. Wir fördern die Digitalisierung. Mit digitalen Testfeldern, den Experimentierfeldern, untersuchen wir in landwirtschaftlichen Betrieben, wie Digitalisierung zu mehr Tierwohl, mehr Biodiversität, zu Arbeitserleichterung und zu mehr Umweltschutz führen kann.
Wir investieren in die Forschung zur Züchtung neuer Pflanzenarten und -sorten, die sich besser an Klimaextreme anpassen und auch mit Wasser und Nährstoffen effizienter umgehen können. Ich persönlich setze mich für mehr Offenheit gegenüber neuen Technologien in der Züchtungsforschung ein, wie beispielsweise die Genschere CRISPR/Cas. Hier dürfen wir nicht von vornherein eine vielversprechende Methode verbannen, weil ihr ein falsches Etikett angeheftet worden ist. Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass der einzelne Landwirt Unterstützung erhält, um Ställe umzubauen, Blühstreifen anzulegen, Gülle schonender zu verwerten. Wir fördern den ökologischen Landbau und den Anbau von Eiweißpflanzen, die als Tierfutter und auch als Basis proteinreicher Humanernährung dienen können. Bis zum Jahr 2030 wollen wir zwanzig Prozent der Flächen in Deutschland ökologisch bewirtschaften. Wir unterstützen Landwirte, die umstellen wollen.
Wir brauchen also einen Mix aus Maßnahmen. Wir müssen über Vor- und Nachteile konventioneller wie ökologischer Landwirtschaft offen diskutieren, ohne Gedankenschere im Kopf. Auch der Ökolandbau ist nicht frei von Schwierigkeiten, weil er beispielsweise für die Herstellung von Lebensmitteln deutlich mehr Flächen verbraucht. Deshalb ist mein Ziel, beides zusammenzubringen, ökologische und konventionelle Landwirtschaft. Damit beide voneinander lernen. Wir sollten uns von alten Konzepten lösen und uns daran orientieren, was uns am besten dabei hilft, das Ziel zu erreichen.
Was wir noch brauchen, ist: An der einen oder anderen Stelle ein wenig Geduld. Denn wir haben Zielkonflikte, die wir lösen müssen, wenn wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten wollen. Wenn wir Pflanzenschutzmittel abschaffen, müssen wir das bis zu Ende denken. Wir müssen mitdenken, dass weniger Pflanzenschutz dazu führen wird, dass Böden wieder stärker bearbeitet werden. Was zu Bodenerosion führen kann. Oder beim Tierwohl: Mehr Tierwohl bedeutet, dass Tiere mehr im Freien gehalten werden sollen – was aber dazu führt, dass Emissionen freigesetzt werden, die im Stall gefiltert werden können. Zielkonflikte dieser Art gibt es an vielen Stellen. Für sie brauchen wir Lösungen.
Landwirtschaft sind wir alle
Und wir brauchen die Verbraucher: Denn Landwirtschaft, das sind wir alle. Wir alle haben die Wahl. Wer mehr Bio haben will, der muss auch bereit sein, mehr Bio zu kaufen. Derzeit kaufen jedoch 92 Prozent konventionell erzeugte Lebensmittel. Wir müssen auch bereit sein, mehr für ein nachhaltigeres landwirtschaftliches Produkt oder für mehr Tierwohl zu zahlen.
Achtzig Prozent der Lebensmittel werden über die großen Einzelhandelsketten abgesetzt, die mit Lockangeboten die Preise für die Bäuerinnen und Bauern immer weiter drücken. Die Verbraucherinnen und Verbraucher nehmen diesbezüglich ihre Verantwortung nicht wahr. Irgendwo zwischen Regal und Kassenband bleibt die Bereitschaft für das „Mehr“-Wollen von der Landwirtschaft auf der Strecke. Auch wir müssen uns also ehrlich machen und raus aus der Komfortzone.
Genau deshalb brauchen wir den neuen, den offenen Blick auf die Landwirtschaft und das Verhältnis unserer Gesellschaft zu ihr. Wir müssen in der Lage sein, zu reden, abzuwägen, über Ursache und Wirkung zu sprechen. Ohne Schwarz-Weiß-Denken. Und wir als Verbraucherinnen und Verbraucher müssen unseren Worten Taten folgen lassen – unsere Verantwortung wahrnehmen!
Julia Klöckner, geboren 1972 in Bad Kreuznach, seit 2011 Landesvorsitzende der CDU Rheinland-Pfalz, 2011 bis 2018 Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz, seit März 2018 Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft.