Politisches Handeln ist in pluralen Gesellschaften auf Entscheidungen und Mechanismen ausgerichtet, die allgemein verbindlich sind und das Zusammenleben von Menschen regeln. Politik muss sich immer wieder die Frage stellen: Was ist gut für das Gemeinwesen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Was sichert Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand? Was ist gut für die Mitte? Und natürlich: Was ist die Mitte?
Mit der Mitte wird oft allein der Mittelstand assoziiert. Aber die Mitte ist mehr als das. Die Mitte, das ist ein Großteil der Angestellten in den verschiedensten Bereichen unserer Wirtschaft. Nicht nur ist sie im öffentlichen Dienst, in den Städten und Gemeinden von der Kita über die Pflegeeinrichtungen bis hin zur Polizei vertreten, die Mitte wird auch durch die vielen Selbstständigen, die für sich selbst und andere Beschäftigung schaffen, repräsentiert. Die Mitte, das ist der Mittelstand mit seinen zahlreichen innovativen kleinen und mittleren Unternehmen. Für die Mitte stehen jene, die mit wirtschaftlichen Anstrengungen zum gesamtgesellschaftlichen Erfolg beitragen und für die sich Arbeit und Leistung auch lohnen müssen.
Die Mitte darf aber nicht nur wirtschaftlich verstanden werden. Die Mitte, das sind auch all die Bürgerinnen und Bürger, die von der Familie her denken. Das sind die Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und zum Zusammenhalt und zur Stärke der Gesellschaft beitragen. Die Mitte, das sind die Leistungsträger – wirtschaftlich und sozial. Die Mitte, das ist das Herz der Gesellschaft.
Allen grundlegenden steuerpolitischen Überlegungen oder Reformansätzen ist gemein, dass ihre Ausrichtung immer die Pluralität der Interessen innerhalb der Demokratie zu berücksichtigen hat. Steuerpolitik ist immer auch konkrete Gesellschaftspolitik.
Das bedeutet, die richtige Balance zu finden, eine Mitte zwischen den Zielvorstellungen der Allgemeinheit der Steuerpflichtigen und den fiskalischen Interessen des Staates, aber auch den Partikularinteressen einzelner Bürgerinnen und Bürger oder bestimmter Wirtschaftszweige, zwischen Belasteten und Entlasteten. Die Steuerpolitik der Bundesregierung ist eine Steuerpolitik für die Mitte, indem sie einen politischen Konsens sucht, der auf das Gemeinwohl aller Bürgerinnen und Bürger zielt und die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft sichert.
Die Ausrichtung der Steuerpolitik ist ein maßgeblicher Faktor für wirtschaftliche Entwicklung, aber auch ein Indikator für die Funktionsfähigkeit der Demokratie. Nicht nur das Verständnis der Steuern als wichtiges Finanzierungsinstrument, sondern auch ihre gestaltende Funktion als Lenkungs- und Anreizinstrument bieten Anlass zu kontroversem Meinungsaustausch. Dreh- und Angelpunkt steuerpolitischer Diskussionen ist immer wieder die Steuergerechtigkeit. Die Idee der steuerlichen Gerechtigkeit findet Ausdruck im Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, zugleich aber auch in der Verständlichkeit und Handhabbarkeit der Besteuerung und ihres Vollzuges.
Progressiver Steuertarif und gerechte Lastenverteilung
Steuerpolitik für die Mitte bedeutet eine gerechte Verteilung der Lasten, bei der starke Schultern mehr tragen als schwache. Dies wird in unserem Steuerrecht durch den progressiven Steuertarif sichergestellt. Steuerpolitik für die Mitte heißt auch, der kalten Progression wirksam entgegenzutreten. Leistung und Einsatzbereitschaft sollen sich lohnen. Der Tarifverlauf darf auf Dauer nicht dazu führen, dass den Preisanstieg ausgleichende Lohnsteigerungen kaum bei den Menschen ankommen. Darunter leiden insbesondere die unteren und mittleren Einkommen. Diesen Effekt gilt es zu beobachten und regelmäßig durch Steuerentlastungen und Tarifanpassungen abzufangen. Dem trägt der regelmäßige Progressionsbericht Rechnung, der eine zielgenaue Anpassung ermöglicht.
Mittelstandsfreundliche Rahmenbedingungen
Für eine umsichtige Steuerpolitik ist die Stabilität der Rahmenbedingungen von großer Bedeutung. Wenn die guten Rahmenbedingungen für Innovationen und Investitionen der Unternehmen in Deutschland erhalten bleiben sollen, dann ist Planungssicherheit im Regelungssystem nötig. Verlässliche steuerrechtliche Regelungen sollen insbesondere für Unternehmen eine belastbare Grundlage für eine solide Steuer- und Finanzplanung bilden. Deshalb wurde gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode klargestellt, dass auf Steuererhöhungen verzichtet wird. Damit werden Investitions- und Leistungsanreize für Unternehmen bewahrt.
Gleichzeitig werden dort, wo mit konsequenter Konsolidierungspolitik finanzielle Spielräume erarbeitet wurden, zielgerichtete Entlastungsschritte umgesetzt. So wurden zum Beispiel Erleichterungen beim Investitionsabzugsbetrag und bei der Verlustverrechnung geschaffen, von denen die mittelständischen Unternehmen besonders profitieren. Die kleinen und mittleren Unternehmen prägen die deutsche Wirtschaft. Sie bilden die Grundlage für Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung. Der Mittelstand ist auch heute der wichtigste Motor für die Entstehung und Bewahrung von Arbeitsplätzen. Daher ist Steuerpolitik für die Mitte auch Politik für den Mittelstand.
Familienbesteuerung
Weil Mitte nicht nur wirtschaftlich zu verstehen ist, bedeutet Steuerpolitik für die Mitte auch Familienförderung. Kinder und Familie sind Grundlage für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft und der Wirtschaft. Diese Zukunftsfähigkeit müssen wir erhalten. Das Steuerrecht leistet durch eine familiengerechte Ausgestaltung hierzu einen wichtigen Beitrag. Unter anderem wurden in dieser Legislaturperiode der Grundfreibetrag, der Kinderfreibetrag, das Kindergeld und der Kinderzuschlag für Geringverdiener angehoben. Auch der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wurde erhöht und nach der Anzahl der Kinder gestaffelt. Zusammen mit der Tarifanpassung zum Abbau der kalten Progression werden die Bürgerinnen und Bürger so um 5,4 Milliarden Euro jährlich entlastet. Arbeitsanreize und Kaufkraft werden gestärkt.
Diese Steuerpolitik für Familien versteht sich als eine Politik, die gelebte familiäre Werte würdigt und Menschen unterstützt, die Verantwortung füreinander übernehmen.
Modernisierung des Besteuerungsverfahrens
Die zunehmende Digitalisierung prägt unser Leben mehr und mehr. Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens greift diese Tatsache auf und schafft den nötigen rechtlichen Rahmen für ein Gesamtpaket aus technischen, organisatorischen und rechtlichen Modernisierungsmaßnahmen. So sollen bürokratische Hemmnisse gemindert, Ressourcen effektiv eingesetzt und eine bürgerfreundliche und wirtschaftliche Aufgabenerfüllung der Steuerverwaltung gewährleistet werden.
Die Steuererklärung wird erleichtert, Serviceangebote werden ausgeweitet. Der Einsatz von Risikomanagementsystemen im Besteuerungsverfahren wurde gesetzlich verankert. Ein moderner und zukunftsfester Steuervollzug sorgt dafür, dass die wichtige Funktion der Steuererhebung, für eine ausreichende finanzielle Ausstattung unseres Gemeinwesens zu sorgen, dauerhaft erfüllt werden kann.
Bekämpfung der Steuervermeidung und der Steuerflucht
Die internationalen Anstrengungen zur Eindämmung von Steuervermeidung und zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung sind ein bedeutender Baustein zur Schaffung und Erhaltung von Steuergerechtigkeit. Mit dem Abschluss des von Deutschland maßgeblich vorangetriebenen gemeinsamen Projekts der OECD und der G20 gegen Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung (Base Erosion and Profit Shifting, BEPS) im Oktober 2015 und der Vereinbarungen zum automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten nach dem gemeinsamen Meldestandard (Common Reporting Standard) konnten wesentliche Schritte zur Eindämmung von Steuervermeidung und zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung erzielt werden.
Nun liegt der Fokus auf deren Implementierung in möglichst vielen Staaten und Gebieten. Bereits 85 Staaten haben sich dem sogenannten Inclusive Framework angeschlossen und sich damit zur Umsetzung der BEPS-Empfehlungen verpflichtet. Ebenso haben sich inzwischen mehr als hundert Staaten und Gebiete zu dem entsprechenden Common Reporting Standard bekannt. Mit der Einführung des internationalen Informationsaustausches in Steuersachen hat auch die Diskussion um die Abschaffung der Abgeltungsteuer im politischen Diskurs an Fahrt gewonnen. Bevor jedoch über die Abschaffung nachgedacht werden sollte, ist zunächst die praktische Grundlage für eine weitere Sicherstellung einer gleichmäßigen Besteuerung zu schaffen. Hierzu gehört auch der automatische Informationsaustausch. Manches spricht ebenso für die Beibehaltung der Abgeltungsteuer: Sie wirkt für den Bürger und die Steuerverwaltung vereinfachend und bürokratieentlastend.
Steuerpolitik in ausgeglichenen Haushalten
Das Erreichen schuldenfreier öffentlicher Haushalte ist eine außergewöhnliche Leistung, die die Zukunftsfähigkeit Deutschlands stärkt. Schon aufgrund der demografischen Herausforderungen, die vor uns liegen, müssen wir jetzt an schuldenfreien Haushalten festhalten und darüber die Staatsverschuldungsquote weiter konsequent zurückführen. Die Bürger in Deutschland haben zugleich hohe Ansprüche an staatliche Leistungen, was sich auch im Umfang der Staatsausgaben widerspiegelt. Mittelfristig sollten diese dennoch nicht stärker wachsen als die allgemeine Wirtschaftskraft. Die Prognosen der unabhängigen Steuerschätzer gehen für die kommenden Jahre zwar davon aus, dass das Steueraufkommen stärker zunimmt als die allgemeine Wirtschaftskraft. Die sich hieraus in den nächsten Jahren möglicherweise ergebenden Spielräume sollten aber für weitere Entlastungen vor allem der mittleren Einkommen bei der Lohn- und Einkommensteuer genutzt werden. Es gilt nun, die Leistungsträger zu entlasten, die Ingenieure, Handwerksmeister, Lehrer und Polizisten aus der Mitte unserer Gesellschaft. Das stellt auch die richtigen Weichen für ein gutes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum.
Angesichts des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels wird man die Frage nach Reichweite und Effizienz der steuerpolitischen Ausrichtung immer wieder von Neuem aufwerfen müssen. Das Steuersystem muss sich fortentwickeln, ohne dabei seinen Anspruch an Stringenz, Stabilität und Verlässlichkeit zu verlieren. Die stabilitätsorientierte Finanz- und Steuerpolitik der Bundesregierung hat in den letzten Jahren das Zukunftsvertrauen von Bürgern und Unternehmen gestärkt. Der positive Wachstums- und Beschäftigungstrend mit einer robusten Binnennachfrage ist nicht zuletzt das Ergebnis verlässlicher Reformpolitik und finanzpolitischer Solidität. Auch in Zukunft gilt es, günstige Rahmenbedingungen zu sichern, bei denen es sich lohnt, kreativ und innovativ zu sein.
Nur aus der Mitte kann Deutschland erfolgreich gestaltet werden. Eine verlässliche, leistungsgerechte und wachstumsorientierte Steuerpolitik leistet hierzu einen wichtigen Beitrag – für die Mitte.
Michael Meister, geboren 1961 in Lorsch, Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen.