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Der Mars in Vision und Wirklichkeit

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Die Vision, den Mars als zweiten bewohnbaren Planeten zu erschließen, ist für viele Menschen faszinierend. Diese Neugier und der Drang, Unbekanntes zu erforschen und neue Wege zu beschreiten, ist tief im menschlichen Geist verankert. Und das ist auch gut so, denn ohne Neugier und Bestreben würden wir ewig auf der Stelle treten. Nur durch ihren immanenten Forschungsdrang ist die Menschheit heute in der Lage, Raumfahrt zu betreiben und die Welt außerhalb unseres Heimatplaneten zu erkunden.

Der Mars stellt dabei ein ganz besonders interessantes Ziel dar. Von allen Planeten, die wir kennen, ist der Mars der Erde am ähnlichsten – auch wenn die Venus aufgrund ihrer vergleichbaren Größe oft als unser Schwesterplanet bezeichnet wird. Obwohl der Mars nur halb so groß ist, sind die geologischen Prozesse, die einst auf ihm aktiv waren, die gleichen wie die auf der Erde: Vulkanismus, Tektonik, glaziale, fluviale und lakustrine Prozesse (durch Gletscher, Flüsse und Seen), äolische Prozesse (durch Wind), ja selbst Einschlagsprozesse durch Meteoriten betreffen beide planetaren Körper gleichermaßen. Diese geologische Ähnlichkeit, die eine vergleichende Planetologie von Mars und Erde ermöglicht, und der vorteilhafte Umstand, dass der Mars mit Raumsonden relativ leicht und schnell zu erreichen ist (man braucht nur etwa sieben Monate für eine Strecke), machten ihn in den letzten Jahrzehnten zu einem Topziel der Planetenforschung.

 

Fenster in die Vergangenheit

Durch die Erforschung des Mars können wir weit zurück in die Geschichte unseres Sonnensystems und damit auch in die Geschichte der Erde blicken, da die Oberfläche des Mars nicht der ständigen Erneuerung durch Plattentektonik unterliegt, wie es auf der Erde der Fall ist. Auch Abtragungsprozesse durch Erosion waren auf dem Mars deutlich weniger ausgeprägt und sind heute fast zum Erliegen gekommen. Auf dem Mars können wir weitläufige Oberflächen untersuchen, die über vier Milliarden Jahre alt sind. Die ältesten Gesteine auf der Erde sind zwar immerhin auch etwa 3,75 bis vier Milliarden Jahre alt, sie sind jedoch nur noch sehr vereinzelt zu finden und lassen somit deutlich weniger Rückschlüsse auf die Gegebenheiten in unserem Sonnensystem zur damaligen Zeit zu. Man kann also sagen: Der Rote Planet ist ein Fenster in die Vergangenheit.

Besonders spannend ist aber, dass der Mars vor etwa 3,7 Milliarden Jahren einen gravierenden Klimawandel erlebte, der aus einem Planeten mit Wasserkreislauf und neutralen Umweltbedingungen eine staubtrockene und eiskalte Wüste hat werden lassen. Kurz erklärt: Aufgrund seiner geringen Größe ist der Mars im Inneren relativ schnell abgekühlt. Das ließ sein Magnetfeld zum Erliegen kommen, was im Laufe der Zeit wiederum dazu geführt hat, dass die Atmosphäre des Mars sukzessive abgetragen wurde, da der Schutz des Magnetfelds vor der Erosion durch Sonnenwind fehlte und der Planet aufgrund seiner geringen Anziehungskraft (etwa ein Drittel der Erdgravitation) die Gasmoleküle der Atmosphäre ohnehin kaum selbst gravitativ halten konnte. Ohne Atmosphäre verschwindet das Wasser, und die Temperaturen sinken rapide. Nachschub an Atmosphärengasen, etwa durch vulkanische Ausgasung, waren ebenfalls nicht mehr vorhanden, da ein innerlich kühler Planet kaum noch nennenswerten Vulkanismus hervorbringen kann.

Besonders interessant am Zeitpunkt des Klimawandels auf dem Mars ist außerdem, dass genau zu dieser Zeit erstes mikrobielles Leben auf der Erde entstanden ist. Und hier kommt die wichtigste Frage ins Spiel: Gab es einst Leben auf dem Mars? Die Frage, ob es außerhalb der Erde noch Leben im Universum gibt, ist sicher eine der fundamentalsten Fragen, die sich die Menschheit stellt. Da ist es kaum verwunderlich, dass man heute, nachdem man herausgefunden hat, dass in der Frühzeit des Mars einst lebensfreundliche („habitable“) Umweltbedingungen herrschten, mit Rovern nach Spuren ehemaligen Lebens in Gesteinsproben ausgetrockneter Kraterseen sucht. Nirgendwo sonst im Sonnensystem lässt sich dieser Frage heute schon so direkt nachgehen wie auf dem Mars. In einem nächsten Schritt sollen Proben vom Mars zu Erde gebracht werden, da man mit hochspezialisierten Laboren auf der Erde weitaus genauere Analysen zum Alter der Proben und zum Vorhandensein organischer Substanzen vornehmen kann. Ein europäischer Rover soll Ende dieses Jahrzehnts aufbrechen, um Bodenproben aus bis zu zwei Meter Tiefe vor Ort auf Biosignaturen zu untersuchen. Dort ist der Erhalt organischen Materials auch über Jahrmilliarden hinweg vielversprechender. Für wen klingt das nicht spannend?

Aber muss es bei allem Interesse und Forschungsdrang dann gleich ein Kolonisieren des Mars sein, wie es heutzutage immer mal wieder diskutiert wird? Wer sich das tatsächlich als machbar und erstrebenswert vorstellt, sollte den Gedanken zu Ende denken. Erdähnliche Planeten, die ein Leben für die Menschheit, wie wir es kennen, ermöglichen würden, gibt es nicht – nach jetzigem Forschungsstand zumindest nicht in einer Entfernung zur Erde, die auch nur in Ansätzen diskutabel, also für uns überwindbar ist. Der Mars ist keine Ausnahme, ganz gleich, was exzentrische Milliardäre proklamieren.

 

„Terraforming“ ist utopisch

Der Rote Planet ist eine polare Wüste mit Durchschnittstemperaturen um minus sechzig Grad Celsius und einem Atmosphärendruck von weniger als einem Prozent des Erdatmosphärendrucks. Unter diesen physikalischen Bedingungen kann Wasser nicht flüssig sein, auch nicht, wenn die Temperaturen einmal über den Gefrierpunkt steigen. Man muss kein Planetenforscher sein, um zu wissen, dass flüssiges Wasser die Grundvoraussetzung jeglichen Lebens ist – nicht nur für seine Entstehung, sondern auch für das Überleben. Obendrein besteht die extrem kalte und dünne Luft zu 95 Prozent aus Kohlendioxid – was soll der Mensch da atmen? Natürlich kann man Sauerstoff aus der Marsatmosphäre generieren, das haben neueste Experimente des NASA-Rovers Perseverance erfolgreich bewiesen. Sogar Wasser ist künstlich herstellbar: durch Wasserstoff-Sauerstoff-Elektrolyse aus vorhandenen Ressourcen, durch Extraktion aus der Marsatmosphäre (sie enthält immerhin etwa 0,02 Prozent Wasserdampf) oder durch gezieltes Schmelzen vorhandener Wassereisvorkommen des Mars (zum Beispiel Bodeneis und das Eis der Polkappen).

Dennoch: Die technisch umsetzbaren Mengen sind gering und lassen höchstens auf die Versorgung kleiner Personengruppen hoffen. Ein „Terraforming“, bei dem in der Vorstellung mancher Visionäre künstlich eine Atmosphäre erzeugt werden soll, ist darüber hinaus völlig utopisch, denn wir haben bereits gelernt, dass jegliche Marsatmosphäre ohne ein schützendes Magnetfeld nicht lange Bestand haben würde.

Ein weiteres Problem ist die Strahlung. Ohne Magnetfeld trifft hochenergetische kosmische Strahlung aus dem Weltraum ungehindert auf die Marsoberfläche. Ihre desaströse Wirkung auf biologisches Gewebe und die DNA ist allgemein bekannt, und ihre gesundheitlichen Schäden zu verhindern, stellt eine der größten Herausforderungen in der Raumfahrt dar. Sie ist selbst für begrenzte astronautische Marsmissionen ein Problem: Während eines 500-tägigen Aufenthalts auf dem Mars würde die Strahlenbelastung für einen Astronauten bei etwa 0,32 Sievert [Maßeinheit der Dosis ionisierender Strahlung, Anmerkung der Redaktion] liegen, was fast dem Hundertfachen der Strahlenbelastung auf der Erde im gleichen Zeitraum entspricht, die etwa 0,0037 Sievert beträgt. Wenn man Hin- und Rückflug einbezieht, würde die Strahlenbelastung für einen Astronauten insgesamt 1,26 Sievert betragen, was deutlich höher ist als die Dosis, der ein Astronaut gemäß den aktuellen Sicherheitsstandards während seiner gesamten beruflichen Laufbahn ausgesetzt sein darf. Auch die zellzersetzende Ultraviolettstrahlung der Sonne trifft ungefiltert auf die Marsoberfläche, würde jedoch durch ein Magnetfeld ohnehin nicht gänzlich abgeschirmt werden. Ein dauerhaftes, gesundes Leben in einer Marskolonie ist somit auf absehbare Zeit unmöglich.

 

Was ist wirklich wichtig?

Und wie sähe so ein Leben aus? Man atmet künstlich erzeugte Luft in künstlich geschaffenen Habitaten unter künstlich erzeugtem Druck in einer leblosen Landschaft aus Sand und Stein. Klingt das nach einem vielversprechendem „Plan B“ für die Menschheit? Ein Leben im ewigen Drinnen: ohne Spaziergänge an frischer Luft, ohne Wiesen und Wälder, ohne wildlebende Tiere, ohne Meere, Flüsse, Seen – angewiesen auf Druckanzüge, Strahlenschutz und regelmäßige Termine beim Psychologen. Die Menschheit ist für solch ein Leben nicht geschaffen. Das schließt jedoch wissenschaftliche Habitate, die einigen wenigen Astronauten auf begrenzte Zeit einen Ort zum Überleben bieten, nicht aus und ist durchaus Ziel seriösen Forschungsbestrebens. Es gibt schließlich noch so viel über den Mars zu lernen.

Dennoch, je mehr wir über andere Planeten lernen und unser Wissen über sie erweitern, desto mehr sollte uns klar werden, wie einzigartig, unfassbar schön und erhaltenswert unser Heimatplanet ist. Nur die Erde bietet für uns Menschen Nahrung, Luft und Wasser. Unser gesamter Organismus ist auf terrestrische Gravitations- und Umweltbedingungen angepasst. Nur hier finden wir alle die Gegebenheiten, um ein Leben zu führen, das den Grundbedürfnissen sozialer Wesen entspricht. Wir sollten mehr zu schätzen wissen, was wir haben. Wäre es nicht ein Frevel, dem großartigsten Planeten im Universum (den wir kennen) einfach den Rücken kehren zu wollen, sobald es schwierig wird? Ist es nicht sinnvoller, unser erlangtes Wissen für den Erhalt lebenswerter Klimabedingungen auf unserem Heimatplaneten zu nutzen, anstatt sich von ihm wegzuträumen? Die Marsforschung und die Raumfahrt im Allgemeinen haben der Menschheit bereits so manchen Technologiefortschritt beschert, der ohne dieses Unterfangen kaum denkbar gewesen oder zumindest nicht so schnell erreicht worden wäre.

Eines steht fest: Wenn wir die Mittel hätten, den Mars habitabel zu machen, hätten wir auch die Mittel, die Erde zu retten. Es ist alles eine Frage der Ziele, die man sich setzt.

 

Daniela Tirsch, geboren 1979 in Jena, promovierte Planetengeologin, Institut für Planetenforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Berlin.

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