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Europäische Restitution und afrikanische Museen

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In Deutschland sollte man beim Gang ins Museum bereits vorab eine Haltung zu dem haben, was man dort sehen wird. Idealerweise erachtet man die bedingungslose Restitution afrikanischer Kunstschätze als eine gute Sache. Zwischentöne und Nachfragen, auch Zweifel sind bei einer scheinbar klaren Angelegenheit unangebracht. Und wir stehen nun einmal alle gern auf der richtigen Seite der Geschichte.

Im MARKK – Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt in Hamburg, früher hieß es Völkerkundemuseum – fand 2022 eine Ausstellung mit dem selbstanklagenden Titel „Benin. Geraubte Geschichte“ statt. Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die ein halbes Jahr später gemeinsam mit der Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und einigen Dutzend Plastiken nach Nigeria flog, war da. Damit diese beschwerliche Debatte um Rückgabe und koloniale Verstrickung endlich entschieden ist, die Geschichte begraben werden kann, man nicht immer mit schlechtem Gewissen den afrikanischen Partnern bei Konferenzen begegnet, nur weil man noch etwas in der Asservatenkammer am Rothenbaum oder im Humboldt Forum hat.

Dass Nigerias Präsident die von Roth und Baerbock heimgeschafften Bronzen, seinerzeit hergestellt mit aus Deutschland geliefertem Messing, an einen König, den Oba, in dessen Familiengeschichte sich düstere Flecken – Sklavenhandel! – finden, weitergab, war im Voraus zu ahnen. Der Afrikakorrespondent der Süddeutschen Zeitung hatte bereits ein halbes Jahr, bevor Roth und Baerbock nach Nigeria reisten, geschrieben: „Wer ist schon der Oba, sagten manche Befürworter des Museums in Berlin, London und Lagos. Ein König ohne Macht“ (Bernd Dörries, Süddeutsche Zeitung, 23. April 2022). Und auch die Nigeria-Experten im Auswärtigen Amt dürften auf diese Gefahr hingewiesen haben. Aber es macht sich nicht gut, wenn einem Geschädigten etwas zurückgegeben wird und man dann auch noch bestimmen möchte, was damit unbedingt und auf gar keinen Fall zu geschehen habe.

 

Verstörende Selbstgewissheit

Die Lage ist doch komplizierter als bei einem Raub. Und die Debatte wird in einem Ton geführt, bei dem nicht klar ist, ob man die Selbstbezichtigung braucht, um sich besser zu fühlen, weil man ja endlich wieder auf der Seite des Guten steht.

Deutschland, oder der kleine Teil der Gesellschaft, den das Thema interessiert, hatte sich gründlich auf die Rückgabe vorbereitet, wie etwa durch die Ausstellung in Hamburg. Andreas Kilb lobte diese in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und merkte kritisch an, die Folgerung, dass „die Blütezeit Benins ein Nebenprodukt des Kolonialismus war“, werde „in der Hamburger Ausstellung nur hinter vorgehaltener Hand gezogen“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Januar 2022). Dabei war die Ausstellung von einer Betulichkeit geprägt, die unentspannt wirkte, immer bedacht darauf, dass möglichst viele Menschen bitte merken sollen, dass man sich selbstkritisch seiner Geschichte gestellt hat und nun auch Vergebung erwarten kann. Viele der in Hamburg ausgestellten Exponate stammten von Händlern; sie waren also nicht geraubt worden, soweit die Provenienzforschung das bestätigen kann. Dennoch wurden sie mit dem Unterton ausgestellt, dass alle Europäer natürlich in Afrika geraubt hätten und wir Deutschen auch schuldig seien und zurückgeben müssten.

Auf einen Deutschen, der die vergangenen sechs Jahre in Afrika verbracht und dabei viele Museen besucht hat, wirkt dies wie eine sehr deutsche Diskussion, die die vielen afrikanischen Wirklichkeiten des Umgangs mit Geschichte und Artefakten ignoriert.

Offenbar will man keine wirkliche Auseinandersetzung, sondern eine Wohlfühlveranstaltung, bei der erklärt wird, man habe sich schuldig gemacht, bereue das aber und wolle jetzt bitte schön Nachsicht und Vergebung. Viele Diskutanten in Deutschland genehmigen sich dabei eine Selbstgewissheit, wieder einmal alles richtig zu machen, die verstörend wirkt. Geschichte, auch und gerade in Afrika, ist vielfältiger, auch reicher und oft viel weniger eindeutig, als es sich im Feuilleton plakativ abbilden ließe.

 

Fremdheit zum Eigenen

Ich bin mit Museen aufgewachsen. Am besten fand ich immer jene, die erklärten, dass man selbst, die Mitschüler, die Familie und die Freunde Teil einer größeren Geschichte sind. Und dass es unsere Aufgabe ist, zu versuchen, die Gegenwart mitzugestalten. Als Erwachsener bin ich in Afrika immer wieder in Museen gegangen. Ich habe mich dabei oft fremd gefühlt, weil diese Ausstellungen wie die halbherzige Fortsetzung eines Konzepts wirken, das die Kolonialherren hinterlassen hatten. Sie schienen keine Verbindung mit dem Leben draußen zu haben. Es gibt nur wenige Museen in Afrika, in denen nicht auf vergilbten oder schlecht beleuchteten Schautafeln erklärt wird, dass der erste Homo erectus in Afrika durch die Savanne schritt. Der Stolz auf die eigene Geschichte scheint jedoch selten dabei hervor.

Ich wollte immer Lucy sehen, das Skelett einer über drei Millionen Jahre alten aufrecht gehenden Frau. Sie liegt in einem Schaukasten in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens. Bei solchen Museumsbesuchen versuche ich mich hineinzuversetzen, etwa in einen äthiopischen Vater, der am Sonntag seine Kinder ins Museum führt, damit sie etwas von der Geschichte verstehen, deren Teil sie sind. Doch leider scheint das Nationalmuseum in Addis Abeba unterfinanziert. Jedenfalls kümmert man sich nicht so recht oder weil man es nicht für wichtig hält, den Teppichboden zu säubern oder auch nur ausreichende Beleuchtung zu installieren, damit Besucher die Schautafeln lesen können. Da hängen Bilder und Exponate an den Wänden ohne Erklärungen. Immerhin ist in dieser distanzierten Ansammlung von Ausstellungsstücken das Skelett von Lucy in einer ordentlichen Vitrine geschützt.

Die uninspirierte Zurschaustellung von Exponaten steht in lebhaftem Kontrast zur Kreativität der Menschen unmittelbar vor dem Museum, die versuchen, ihre Gebrauchskunst aus Holzlöffeln und schnellen Ölbildern des afrikanischen Alltags an die Museumsbesucher zu verkaufen. Drinnen äußert sich eine Fremdheit zum Ausgestellten, die erschreckend wirkt, vielleicht aber auch erklärbar ist, weil das museale Konzept, dem dort gefolgt wird, eben auch ein koloniales Erbe ist. Es entsteht eine Fremdheit zum Eigenen.

 

Gefrorene, erstarrte Geschichte

Kuratoren in Deutschland, die Beninbronzen und anderes zur Schau stellen, sind oft genug in Afrika unterwegs, um zu wissen, dass ihre Kollegen in Nigeria oder Kenia meist keine oder sehr kleine Budgets haben. Oder dass sie die Wirklichkeit nicht abbilden können, weil sie den Herrschenden nicht gefällt. So gibt es in Addis Abeba zwar ein Museum über die Verbrechen unter der kommunistischen Herrschaft der äthiopischen Militärjunta Derg von Mengistu Haile Mariam; die Untaten unter Kaiser Haile Selassie oder den tigraiischen Herrschern um Meles Zenawi harren jedoch der breiten Aufarbeitung.

Selten sind Museen in Afrika so vorwärtsgerichtet und nehmen die Besucher in die Pflicht wie etwa im Apartheid-Museum oder im Holocaust- und Genozid-Zentrum in Johannesburg. Dort wird vor allem über die Shoa und daneben über die Apartheid, den Genozid in Ruanda und auch über jenen an den Armeniern informiert.

Viele andere Museen auf dem Kontinent sind dagegen gefrorene, wie erstarrte Geschichte, etwa das „Museum der schwarzen Zivilisationen“ in Dakar, Senegal, das Musée des Civilisations Noires, ein imposanter Bau, errichtet von Chinesen. Draußen an den Säulen hängen große Messingschilder, die darauf hinweisen, wer dieses Gebäude wann und warum eingeweiht hat. Zuoberst steht der chinesische Text, darunter der französische, der den senegalesischen Besuchern, die bereit sind, vier Euro Eintritt zu zahlen, erklärt, was man eigentlich sieht. Es gibt Schautafeln, auf denen erklärt wird, wann zum ersten Mal Afrikaner am Victoriasee einen Kaiserschnitt vorgenommen haben. All das wirkt wie der ungelenke Versuch, umgeben von chinesischem Bombast zu erklären, dass auch Afrika eine Entwicklung durchlaufen habe. Das ist unbestritten, aber es wirkt paternalistisch, gut gemeint, am Ziel vorbei. Es werden Fotografien schwarzer Gesichter gezeigt, von Barack Obama bis Macky Sall. Das Ganze strahlt eine protzige Lustlosigkeit aus in einer Ästhetik, die nicht bereit scheint, mit dem Betrachter in einen Dialog zu treten. Es tropft Kondenswasser von der hohen Decke.

Das Nationalmuseum in Sambias Hauptstadt Lusaka erinnert äußerlich an ein Gebäude auf dem Berliner Alexanderplatz zu DDR-Zeiten. Früher war dies ein Museum zum Ruhme der Einheitspartei United National Independence Party (UNIP) unter Kenneth Kaunda, dem Präsidenten, der mit seinem weißen Taschentuch in der Hand oft öffentlich geweint hat. Unter dem späteren Präsidenten Frederick Chiluba sei dann, sagt der Kartenverkäufer am Eingang stolz, das Ganze zu einem Museum für die Nation geworden.

Man geht eine Treppe hinauf, und oben auf den umlaufenden Balkonen des Innenhofs wird die Geschichte der Region erklärt, vom Homo erectus, den es auch in Sambia gab und der von dem Schweizer Minenarbeiter Tom Zwigelaar entdeckt worden sei. Warum es immer Weiße waren, die die ersten Menschen in Afrika entdeckten, fragt man sich, denn Donald Johanson und Tom Gray gelten als die Entdecker von Lucy, obwohl selbstredend Heerscharen schwarzer Arbeiter, Fahrer und Geologen an der Suche beteiligt waren.

Im Museum in Lusaka geht man sehr entspannt mit historischen Details um. Manchem Museumsmacher aus Europa würde gar nicht gefallen, wie Geschichte in ihrer Vielfalt und so widersprüchlich, wie sie nun einmal ist, dargestellt wird. So ist die Rede von european agents, gemeint sind die ersten Händler und vermutlich auch Missionare. Natürlich habe es damals auch in Sambia lokalen Sklavenhandel gegeben, nur sei der eben viel weniger brutal gewesen als der europäische, denn Sklaven seien oft Schuldner gewesen, die ihre Schuld hätten abarbeiten müssen, jedoch in die Familien integriert gewesen seien, erklärt eine Schautafel. Würde ein europäischer Kurator, etwa in Deutschland, so etwas schreiben: Er müsste sich vermutlich nach einer anderen Betätigung umsehen, weil er etwas aussprach, das es nicht geben durfte.

Selbst wenn es eigentlich ein Museum für die Nation werden sollte, kamen die Kuratoren nach dem Tod Kenneth Kaundas nicht umhin, eine hagiographische Schau über ihn herzurichten: Auf Tafeln wird über seine Geburtstage, seine Liebe zum Golfspiel, seine Besuche bei Saddam Hussein in Bagdad, bei Martin Luther King und Mao Tse-tung berichtet. Auch ein Bild mit Nicolae Ceaușescu, dem rumänischen Diktator, bei der Jagd 1979 ist dabei; zehn Jahre später wurde der Herrscher aus Bukarest selbst gejagt und exekutiert.

Unter kritischen Museumsexperten in Afrika werden Rückgaben durchaus diskutiert. So schreibt der ugandische Kurator Nelson Adebo Abiti gemeinsam mit dem Schweizer Anthropologen Thomas Laely über die Notwendigkeit zur Differenzierung in der Restitutionsdebatte. „Viele kulturgeschichtliche Museen in Afrika ringen immer noch mit der Tatsache, dass sie selbst Produkte der Kolonialherrschaft sind“ (Towards a renewed concept of museum in Africa – and in Europe, Conference paper, 16. Februar 2021). Dekolonisation könne nicht allein auf den schlichten Vorgang der Rückgabe reduziert werden, vermerken die beiden kritisch. Doch genau das scheint das deutsche Beispiel zu dokumentieren: Bevor die Exponate, ob nun gekauft oder gestohlen oder gar geplündert, zurückgegeben werden, werden sie alle nochmals in einer großen Schau gezeigt. Anschließend kann man sich an der Erzählung erwärmen, dass man ja zu den Guten gehört, weil man die Exponate zurückgegeben hat. Abiti und Laely weisen auch darauf hin, dass gerade Museen in Afrika, die Rückgaben erhalten, oft genug jene Einrichtungen waren, die ursprünglich am Raub oder Erwerb unter der Kolonialherrschaft beteiligt gewesen sind.

Ein wenig zu oft betonen Kuratoren in Europa, dass die Rückgabe von Artefakten aus der Kolonialzeit ein Prozess der Heilung sei. Das klingt gut, muss aber genauer untersucht werden: Heilung für wen, und wird das Thema dadurch nicht ein wenig überhöht?

 

Christoph Plate, geboren 1961 in Höxter, 2017 bis 2023 Leiter des Medienprogramms Subsahara-Afrika der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Johannesburg/ Südafrika, seit 2023 Leiter des Medienprogramms Südosteuropa mit Sitz in Sofia/Bulgarien.

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