Asset-Herausgeber

Plädoyer für eine digitale Bildungsoffensive

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„Schlagt eure Laptops auf!“, so könnte es bald in deutschen Schulen lauten, wenn sich der Ruf nach dem „digitalen Klassenzimmer“ im Bildungsbereich durchsetzt. Mobil, interaktiv und multimediales Lernen, das sind Schlagworte moderner Pädagogik. Durch digitale Medien und interaktive Bildungsangebote eröffnen sich neue Möglichkeiten, das Lernen zu verbessern und den Zugang zu Bildung zu erweitern. Quer durch Deutschland werden Schulen mit digitalen Whiteboards und „iPad-Klassen“ ausgerüstet. Via Internet bereiten die Schüler das nächste Referat vor. Es gibt zweifelsohne gelungene Leuchtturmprojekte, engagierte Lehrkräfte, begeisterte Schüler und Fortschritte im digitalen Lernen. Gleichwohl schöpfen wir hierzulande dieses Potenzial noch nicht flächendeckend und nachhaltig aus.

Das Schulwesen liegt in Deutschland in der Verantwortung der Bundesländer. Einige gehen voran, einige hinken hinterher. Die Regelungen für technische und finanzielle Ausstattung, Lehrpläne, Lehrerfortbildungen oder für ein mögliches Engagement von IT-Unternehmen an Schulen sind heterogen. Noch immer gibt es viele Bildungseinrichtungen, in denen keine interaktive Tafel, sondern wie vor fünfzehn Jahren nur der verstaubte Computerraum für gelegentlichen PC-Unterricht zur Verfügung steht. Laut Erhebung von TNS Infratest nutzt nur gut ein Drittel der deutschen Schülerinnen und Schüler mehr als einmal in der Woche im Unterricht moderne IT. Dabei werden ihnen bloße Programmanwendung oder Internetrecherche vermittelt. Ein offener, vernetzter und integrativer Unterricht in Bildung und Ausbildung ist eher die Ausnahme.

 

Strategie für „digitales Lernen“

Auch Finanzierungsprobleme verhindern eine zeitgemäße Ausstattung mit moderner IT. Natürlich reicht es nicht, Hard- und Software einzukaufen, wenn anschließend die Finanzmittel einer Schule für die Wartung und Reparatur der Technik fehlen. So kann es vorkommen, dass wochenlang der IT-Unterricht ausfällt, weil ein Systemadministrator fehlt, der Störungen beheben oder Updates aufspielen könnte. Die Folge: Nur etwa jeder zweite Deutsche verfügt über mittlere oder gute Computerkenntnisse. Bei den 16- bis 24-Jährigen sind es vergleichbar magere 69 Prozent. Diese Gruppe nimmt somit im europäischen Vergleich laut einer Erhebung der EU-Statistikbehörde Eurostat nur Platz 27 von 31 Ländern ein. In einer Zeit, in der IT-Kompetenzen zum Alltag gehören und in fast allen Branchen und Berufen erforderlich sind, ist das ein beunruhigendes Ergebnis. Nicht nur der Branche der Informations- und Kommunikationstechnik selbst fehlen aktuell mindestens 40.000 Fachkräfte. Die Industrie 4.0 fragt auch im Automobilbau und in der chemischen Industrie Fachkräfte mit IT-Kompetenz nach. Die Journalistin muss sich als Multimedia-Produzentin behaupten, der Kassierer ein Scansystem bedienen können – um nur ein paar Beispiele herauszugreifen. Wenn dieser riesige Bedarf angemessen abgedeckt werden soll, muss der digitalen Bildung in Deutschland ein neuer Schub geben werden. Wir brauchen eine digitale Bildungsoffensive!

In den Koalitionsverhandlungen mit der SPD haben wir uns deshalb in der Verhandlungsgruppe „Digitale Agenda“ für eine gemeinsame Strategie „Digitales Lernen“ eingesetzt. Ziel ist es: Gemeinsam mit den Ländern und Akteuren aus allen Bildungsbereichen sollen die Chancen der neuen Medien für gute Bildung besser genutzt werden.

Das bedeutet, schon im Kindergarten mit digitalen Projekten zu beginnen, die ein Grundverständnis für die IT sowie Spaß an der Technik vermitteln. Dies hilft, eine digitale Spaltung zwischen bildungsaffinen und bildungsferneren Familien sowie geschlechterspezifische Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen zu verkleinern.

Im Schulbereich muss eine zügige Anpassung der Lehrpläne, insbesondere die Stärkung von MINT-Fächern – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik – und die Einführung eines zeitgemäßen Informatikunterrichts ab der Grundschule stattfinden. Ähnlich den Spitzenschulen des Sportes sollte auch über Profilschulen IT/Digital mit dem Schwerpunkt Informatik nachgedacht werden. So schafft man Leuchtturmprojekte mit einer großen Vorbildund Ausstrahlungswirkung.

Schließlich müssen ausreichend Bachelor- und Master-Studienplätze im IT-Bereich angeboten und die Vermittlung von Informatikkenntnissen in jeden Ausbildungsgang und in jedes Studienfach integriert werden. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die Förderung von Mädchen und Frauen zu richten. Deshalb sollte sich die Offensive auch speziell an Schülerinnen, Auszubildende und Studentinnen richten, um ihre Begeisterung und ihre Chancen für den MINT-orientierten Berufsmarkt zu erhöhen. Die Hochschulen sind aufgefordert, innovative Lernkonzepte zu erforschen und zu entwickeln. Im Saarland etwa existiert eine Initiative zur Erprobung IT-gestützten Mathematikunterrichts an einer Grundschule. Außerdem muss die IT-Ausstattung der Schulen flächendeckend modernisiert werden. „Jedem Schüler ein Endgerät“, das ist die Forderung der Enquetekommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ im Deutschen Bundestag. Dieses Ziel gilt es gemeinsam anzugehen.

Schließlich brauchen wir einen sicheren und schnellen Netzzugang für Bildungseinrichtungen in ganz Deutschland. Schnelles Internet und WLAN sind die Grundvoraussetzungen für eine digitale Offensive an Schulen, Hochschulen und in der Weiterbildung.

 

Offline-online lernen

Digitale Technik allein wird aber nicht ausreichen. Vor allem wird ein innovatives Lehr- und Lernverständnis gesucht, das den neuen Möglichkeiten hinsichtlich vernetzten Lernens und individueller Wissensaneignung im Bildungsbereich gerecht wird. Das Internet und die digitalen Medien haben den Informationszugang und die Kommunikation über Inhalte sowie das Lernen unumkehrbar und grundlegend verändert. Kinder und junge Erwachsene gehen heute schon ganz selbstverständlich mit den neuen Strukturen um.

Lerngelegenheiten können damit flexibel – unabhängig von Raum und Zeit – angeboten werden. Neben dem interaktiven Lernen im digital ausgestatteten Klassenzimmer oder Hörsaal sollte es deshalb verstärkt E-Learning Angebote geben, die mit Präsenzveranstaltungen abwechseln. Die Kombination von Online- und Offlinephasen bietet große Chancen. Gleichzeitig könnten so negative Entwicklungen wie Konzentrationsprobleme oder der Verlust handschriftlicher Fertigkeiten vermieden werden. Bildung darf sich nicht in einem Paralleluniversum bewegen, sondern muss Schülerinnen und Schüler in ihrer Lebenswirklichkeit abholen, und diese ist nun einmal stark durch das Internet geprägt. So ergab die aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI), dass in Deutschland 98 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen online sind; bei Kindern sind es 86 Prozent. Der spielerische Umgang mit Smartphones und Tablets sowie die stetige Nutzung von Apps und sozialen Netzwerken gehören zum persönlichen Alltag dieser Generation. Diese medialen Fertigkeiten können für den Bildungserwerb eingesetzt werden; damit würde zugleich der Stellenwert von IT-Kompetenz für den künftigen Beruf vermittelt. Es wurde festgestellt, dass das Internet von den Heranwachsenden hauptsächlich als Unterhaltungs- und Kommunikationsmedium wahrgenommen und kaum für Informations- und Bildungszwecke genutzt wird.

 

Medienpädagogische Defizite

Der Einsatz digitaler Medien in Schulen garantiert nicht per se einen guten Unterricht. Für ein erfolgreiches Arbeiten und Lernen wird vielmehr eine solide Medienkompetenz zur Voraussetzung. Diese entwickelt sich nicht von allein und auch nicht durch häufige Nutzung von Internet oder Informationstechnologie im privaten oder im Bildungsbereich. So ergab die DIVSI-Studie, dass Heranwachsende im Umgang mit digitalen Medien mehr Vertrauen in die Ratschläge ihrer Freundinnen und Freunde setzen als in die Kompetenzen ihrer Eltern oder Lehrerinnen und Lehrer. Daraus resultiert ein überwiegend diffuses Empfinden von Sicherheit beziehungsweise von Risiken oder Legalität, wie etwa bei dem Hoch- oder Herunterladen von Inhalten. Hier sind neue Konzepte für Beratung, Sensibilisierung und Aufklärung gefragt.

In den letzten Jahren wurden zwar zahlreiche Projekte, Modellversuche, Kompetenzentwicklungen und Ausstattungsinitiativen durchgeführt und schulische Rahmenpläne mehrfach überarbeitet. Alle Maßnahmen verfolgten das Ziel, Medienbildung und -kompetenz im schulischen Kontext zu stärken. Festzustellen bleibt aber, dass eine durchschlagende Wirkung noch nicht erreicht werden konnte.

Vor allem die Kompetenzen der Lehrenden werden noch als unzureichend eingeschätzt. So kam auch die Enquete-Kommission des Bundestages nach Berücksichtigung verschiedener Untersuchungen im Bereich Medienkompetenz zu dem Ergebnis, dass in deutschen Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen dieser Herausforderung nicht adäquat begegnet wird. Zu einer Strategie „Digitales Lernen“ gehören aber Pädagogen und Lehrkräfte, die Spaß an IT vermitteln.

Folglich muss eine medienpädagogische Grundbildung in den Studiengängen und in der praxisnahen Aus- und Weiterbildung von Pädagogen verpflichtend verankert werden; zudem müssen geeignete und standardisierte Lehrmaterialien eingeführt werden.

Dabei darf man die Eltern nicht vergessen: Ein ganzheitliches Konzept muss auch Eltern die Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung geben. Nur so bleiben sie auf der Höhe der Zeit und haben die Chance, ihre Kinder in der pädagogischen Entwicklung zu begleiten.

 

Urheberrecht anpassen

Viele Gesetze und Vorschriften erschweren es noch, neue digitale Lernformate in Unterricht, Ausbildung und Hochschullehre zu integrieren. So bedarf etwa das Urheberrecht dringend einer Modernisierung, um den neuen Möglichkeiten der Herstellung, Verbreitung und Nutzung von Text-, Musik- und Bildwerken im Internet gerecht zu werden.

Für den Bildungsbereich geht es vor allem um die Schrankenregelungen des Urheberrechtsgesetzes zugunsten der Lehre. Einheitliche sowie transparente Regelungen der Urheberrechte sollen in Bildung und Wissenschaft breitere Nutzungsmöglichkeiten eröffnen – ein Versprechen, das bereits bei der letzten Verlängerung des Paragraphen 52a im Urheberrechtsgesetz gegeben wurde. Dieser Paragraph erlaubt zwar zu Unterrichtszwecken die Veröffentlichung und die Vervielfältigung von Werken, setzt aber enge und teilweise praxisferne Grenzen, etwa hinsichtlich des Empfängerkreises oder der Bearbeitungsmöglichkeit.

 

Schlüsselkompetenzen erweitern

Zudem ist zu prüfen, wie im Rahmen einer umfassenden Open-Access-Strategie die Möglichkeiten für einen effektiven und dauerhaften Zugang zu öffentlich finanzierten Publikationen verbessert werden können. Ein Grundstein dafür ist durch die Einführung eines unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrechts in Paragraph 38 Absatz 4 Urheberrechtsgesetz im Oktober 2013 gelegt worden.

Investitionen in Bildung zahlen sich aus. Der Bund hat stetig mehr Geld in die Bildung investiert, dies muss aber auch als Entlastung im Bildungssystem ankommen und zielgerichtet eingesetzt werden. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die Länder ihre Verantwortung für eine weitsichtige Bildungspolitik wahrnehmen. Die Potenziale digitaler Bildung können nur genutzt werden, wenn sie hohen fachlichen und pädagogischen Ansprüchen gerecht werden. Es darf in Deutschland nicht allein darum gehen, Vorzeigeschulen auszurüsten oder sich auf die Selbsterfahrungskraft der Onliner-Generation zu verlassen. Digitale Kompetenz ist eine Schlüsselkompetenz. In einem Land, das zum digitalen Wachstumsland Nummer 1 in Europa aufsteigen möchte, muss diese systematisiert und flächendeckend an Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen vermittelt und gefördert werden.

Wissenschaft, Politik, Bund und Länder, Schulen, Bildungseinrichtungen und Hochschulen, Kinder und Eltern sind gemeinsam gefordert, wenn es darum geht, dass die junge Generation sicher und kompetent den Weg des lebenslangen digitalen Lernens beschreitet.

 

Nadine Schön, geboren 1983 in Lebach, Altstipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung, Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Digitale Agenda.

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