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Außenpolitische Positionen populistischer Parteien

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Eine verbreitete Illusion über die neuen Populisten, die man besser als Neue Rechte oder – wie sich ihr radikaler Flügel in den USA nennt – „Alternative Rechte“ bezeichnet, sieht in ihnen lediglich einen Ausdruck der Versäumnisse konservativer Volksparteien: Hätte etwa Angela Merkel in der Flüchtlingskrise anders gehandelt, die „Alternative für Deutschland“ (AfD) wäre nie so groß geworden. Hätte die Merkel-Union nicht versucht, der SPD die linke Mitte abspenstig zu machen, hätte sich am rechten Rand keine Lücke aufgetan. Jedoch ist die Neue Rechte nicht einfach, wie einige ihrer Sprecher mit unschuldigem Augenaufschlag behaupten, die Wiedergängerin der rechten Mitte von einst. Sie bietet eine Alternative: etwas Neues – und zugleich Altes. Das wird nirgends deutlicher als in der Außenpolitik.

Die Neue Rechte ist eine internationale Erscheinung; die Kritik an Merkel greift daher ohnehin zu kurz. Premierminister David Cameron etwa vertrat in Sachen Europäische Union (EU), Euro und Flüchtlingspolitik Positionen, die denen der frühen AfD entsprechen. Das hat den Aufstieg der United Kingdom Independence Party (UKIP) ebensowenig verhindert wie den Brexit. Frankreich hat in der Flüchtlingskrise eine Blockadepolitik betrieben, um die es ein Viktor Orbán beneiden könnte; und dennoch kann sich Marine Le Pen vom Front National Hoffnungen auf das Präsidentenamt machen. Und dann ist da noch Donald Trump.

Beginnen wir jedoch in Deutschland, bei der AfD. Deren Entwicklung ist eine fortschreitende Selbstradikalisierung, eine Konterrevolution, die ihre Väter frisst und die noch kein Ende gefunden hat. Das Wahlprogramm der AfD von 2013 wies keinen eigenen Passus zur Außenpolitik auf.

 

Europa als „undemokratisches Konstrukt“

Unter „Europapolitik“ standen neben der Abschaffung des Euro folgende Positionsbestimmungen: „Wir bejahen ein Europa souveräner Staaten mit einem gemeinsamen Binnenmarkt. Wir wollen in Freundschaft und guter Nachbarschaft zusammenleben. Wir bestehen auf dem uneingeschränkten Budgetrecht der nationalen Parlamente. Eine Transferunion oder gar einen zentralisierten Europastaat lehnen wir entschieden ab. Wir werden dafür sorgen, dass Gesetzgebungskompetenzen zurück zu den nationalen Parlamenten verlagert werden. Wir werden uns für eine Reform der EU stark machen, um die Brüsseler Bürokratie abzubauen und Transparenz und Bürgernähe zu fördern. Das europäische Parlament hat bei der Kontrolle Brüssels versagt. Wir unterstützen nachdrücklich die Positionen David Camerons, die EU durch mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung zu verschlanken.“

In der Tat finden sich viele dieser Positionen im Cameron-Tusk-Papier wieder, das auch von der Europäischen Kommission und vom Europäischen Rat gebilligt wurde. Die Tatsache, dass der „Finalität“ eines föderalen Staats im Cameron-Tusk-Papier eine Absage erteilt wird, hat aber die AfD nicht daran gehindert, ihren Ton gegen Europa zu verschärfen.

Im Leitantrag der Programmkommission und des Bundesvorstands für das Grundsatzprogramm der AfD vom Sommer 2016 wird die EU schlicht als „undemokratisches Konstrukt“ bezeichnet. Obwohl keine deutsche Partei außer der FDP die Forderung nach einem europäischen Bundesstaat in ihr Programm aufgenommen hat, betont die AfD: „Wir sind dagegen, die EU in einen zentralistischen Bundesstaat umzuwandeln. Stattdessen treten wir dafür ein, die EU zurückzuführen zu einer Wirtschafts- und Interessengemeinschaft souveräner, lose verbundener Einzelstaaten in ihrem ursprünglichen Sinne.“

 

Ziel nationaler Außenpolitik

Sehen wir darüber hinweg, dass die Formulierung „zentralistischer Bundesstaat“ ein Widerspruch in sich ist! Die lose Verbindung souveräner Staaten als „ursprünglichen Sinn“ der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) auszugeben, ist freilich eine bezeichnende Geschichtsfälschung. Denn die Keimzelle europäischer Einigung war die Montanunion. Die Verschmelzung der Schlüsselindustrien Kohle, Eisen und Stahl sollte es den ehemaligen Rivalen Deutschland und Frankreich (in Wirklichkeit natürlich Deutschland) unmöglich machen, eine selbstständige Rüstungsindustrie aufzubauen. Genau dies fordert aber die AfD, nämlich „unverzichtbare nationale wehrtechnische Kernfähigkeiten zu erhalten und zu fördern, um in Schlüsselbereichen von Technik und Technologie national unabhängig zu bleiben“. Zu bleiben? Wann war denn Deutschland in der Nachkriegszeit wehrtechnisch je unabhängig? Wann baute es selbstständig Atombomben oder Interkontinentalraketen, Flugzeugträger oder auch nur Abfangjäger? Wann wäre die Erlangung solcher Fähigkeiten auf Kosten Europas je konservative Politik gewesen?

Die AfD, so sehr sie die „abendländische“ Kultur beschwört, will von abendländischen Gemeinsamkeiten nichts wissen. Eine „formelle gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik lehnen wir ab“, heißt es im Leitantrag. Stattdessen befürwortet die AfD eine national ausgerichtete Außenpolitik. Ohne Beleg wird behauptet, „dass zunehmend andere Staaten und Institutionen die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik beeinflussen und steuern“. Wer diese anderen Staaten sein sollen, bleibt zunächst unklar, doch wenig später heißt es: „Sicherheitspolitische Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit in Deutschland und Europa sind erodiert. Deswegen ist Deutschland zunehmend auf den Schutz … von Bündnispartnern, besonders der USA, angewiesen und kann eigene Interessen nicht angemessen vertreten.“

 

Ablehnung der NATO

Sehen wir darüber hinweg, dass man nicht einerseits fordern kann, die EU auf eine lose Verbindung einzelner Staaten zu reduzieren, andererseits aber das Erodieren europäischer Handlungsfähigkeit in Sicherheitsfragen beklagen. Um Konsistenz geht es ja nicht vorrangig, sondern um die antiwestliche Positionierung der Partei. Die Mitgliedschaft in der NATO zum Beispiel, die eine Marine Le Pen für Frankreich schlichtweg ablehnt, wird zwar von der AfD bejaht, aber nur soweit sie „den Außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands“ entspricht, und das heißt, „soweit sich die NATO auf ihre Aufgabe als Verteidigungsbündnis beschränkt“. Implizit wird damit unterstellt, dass jene „anderen Staaten“, die unsere Außen- und Sicherheitspolitik „steuern“, die NATO zu einem Angriffsbündnis umfunktionieren wollten – eine Position, die zwar in Teilen der linken SPD, aber nie von den konservativen Volksparteien CDU und CSU vertreten wurde.

Denn was bei der AfD fehlt, ist das Bekenntnis zu NATO und EU als Freiheitsund Wertegemeinschaften. Die AfD „vertritt eine Außenpolitik, die verpflichtet ist, die Außen- und sicherheitspolitischen, die wirtschaftlichen und kulturellen Interessen Deutschlands zu wahren“. Und zwar sie allein. Von übergeordneten westlichen Interessen will die AfD so wenig wissen wie von einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik.

In diesem Zusammenhang sind die „kulturellen Interessen“, die außenpolitisch „gewahrt“ werden sollen, interessant. Der Begriff kann alles bedeuten, von der Unterstützung der Goethe-Institute über die Förderung deutscher Filme bis hin zur Abwehr islamischer Einwanderung und angelsächsischer Einflüsse in den Medien. Der neue starke Mann der AfD, Björn Höcke, ließ wohl die Katze aus dem Sack, als er sagte, „der materielle Liberalismus“ – Codewort für den Einfluss Amerikas – habe zu einer „kulturellen Gleichschaltung dieses Landes geführt“.

 

„Kulturelle Gleichschaltung“ mit den USA?

Die Abwehr dieser „Gleichschaltung“ bedeutet für die AfD außenpolitisch die Annäherung an Russland. „Das Verhältnis zu Russland ist für Deutschland, Europa und die NATO von maßgeblicher Bedeutung“, heißt es denn auch im Leitantrag, „denn Sicherheit in und für Europa kann ohne Russlands Einbindung nicht gelingen.“ Das klingt wie eine Binsenwahrheit. In der Praxis bedeutet aber die Forderung nach der „Einbindung“ Russlands in Europa die Einbindung der AfD in Russlands Pläne für Europa.

So hieß es in einer AfD-Resolution nach der Annexion der Krim durch Russland: „In dieser instabilen Lage ist es von größter Bedeutung, keine Sanktionen zu verhängen, und keine weiteren Maßnahmen der Eingliederung der Ukraine oder Teilen davon in die EU oder in die Russische Föderation zu betreiben. […] Die AfD spricht sich gegen jede weitere Erweiterung der NATO nach Osten aus.“ Auf perfide Art wird die souveräne Entscheidung einer demokratisch gewählten Regierung, sich um Mitgliedschaft in der EU oder der NATO zu bewerben, als „Eingliederung“ gleichgesetzt mit der Annexion oder Besetzung von Teilen dieses Landes durch Russland.

Die bereits erfolgte Rechts- und Ostdrift der AfD ist bemerkenswert. Wenn man sich fragt, wohin sie noch treiben wird, sollte man sich die anderen „populistischen“ Parteien Europas anschauen, und zwar zunächst die Parteien der Alternativen Rechten in Osteuropa. Dort sind der Nationalismus und der Rassismus von Parteien wie Jobbik in Ungarn oder Ataka in Bulgarien nur rabiater als in den Reihen der AfD. Gleichzeitig sind Ataa und Jobik offen antisemitisch; eine Haltung, die sich in Osteuropa, anders als in Westeuropa, nicht als „Israelkritik“ oder Kritik des „materiellen Liberalismus“ tarnen muss, um salonfähig zu sein.

Bindeglied zwischen den radikalen ost- und den sich noch um einen bürgerlichen Habitus bemühenden westeuropäischen Bewegungen sind die Ablehnung der USA und der Europäischen Union und die Bewunderung für Wladimir Putin. Am deutlichsten ist das bei Marine Le Pen. Die EU ist für sie ein „undemokratisches Monstrum“, Putin hingegen ein „Verteidiger des christlichen Erbes europäischer Zivilisation“. Kein Wunder, dass sie – wie alle anderen Parteien der Neuen Rechten – Russlands Annexion der Krim gerechtfertigt hat. Wie die AfD fordert Le Pen die „Wiederherstellung der diplomatischen und militärischen Unabhängigkeit“ ihres Landes, was in ihren Worten den Rückzug aus der NATO und „ein militärisches Bündnis mit Russland“ bedeutet. Im Deutschland der frühen Weimarer Republik einte der Traum eines Bündnisses mit einem vom Bolschewismus befreiten Russland gegen die Entente-Mächte die gesamte antirepublikanische Rechte – einschließlich Adolf Hitlers. Im 21. Jahrhundert wurde er von „Geopolitikern“ wie Aymeric Chauprade, der als Abgeordneter des Front National ins Europaparlament einzog, wiederbelebt. Chauprade befürwortet eine Achse Paris-Berlin-Moskau zum Kampf gegen den „neuen Totalitarismus“, den er – Björn Höcke lässt grüßen – im amerikanischen „Materialismus“ erblickt.

„Es kann kein Projekt einer Großmacht Europa geben ohne ein starkes und unabhängiges Deutschland“, schrieb Chauprade 2012 in Le Bohémien. Deutschland sei jedoch „seit 1945 weitgehend unter amerikanischem Einfluss“, der gebrochen werden müsse. Es könne aber „kein weltweites Gleichgewicht gegenüber dem amerikanischen Globalismus geben ohne ein starkes Russland“. Originell sind diese Gedanken nicht. Wladimir Putin schrieb im November 2010 in der Süddeutschen Zeitung: „Auch Europa braucht eigene Zukunftsvisionen. Und so schlagen wir vor, diese Zukunft durch die Partnerschaft zwischen Russland und der EU gemeinsam zu gestalten. Damit könnten wir unser Anrecht auf Erfolg […] in der modernen Welt gemeinsam geltend machen.“

Mit der EU gegen Amerika, und wenn das nicht geht, dann mit Europas Neuen Rechten gegen die EU und die NATO – so könnte man das Programm Putins umschreiben. Wer ihn, wie Barack Obama, unterschätzt, zahlt dafür einen hohen Preis. Nun, da sich die Möglichkeit einer Präsidentschaft Donald Trumps abzeichnet, wird die Lage noch brisanter. Denn Trump ist bei allem Säbelrasseln ein in der Wolle gefärbter Isolationist, für den Amerikas Bündnisverpflichtungen lediglich als Kostenfaktoren eine Rolle spielen. Ein sich abwendendes Amerika, ein Europa ohne Großbritannien, das weder Wachstum noch Wohlstand generiert, und eine Phalanx rechtsalternativer Parteien, die Putins Programm einer Abkoppelung Europas vom Westen und seiner Desintegration bewusst oder als nützliche Idioten vorantreiben, machen eine selbstbewusste Verteidigung jener Positionierung notwendig, die seit Konrad Adenauer für die rechte Mitte gilt: Deutschlands Platz ist im Westen. Diese Lehre aus zwei Weltkriegen – im Nachkriegsdeutschland gegen Ewiggestrige von rechts und links vertreten – muss heute erst recht gegen Linkspopulisten und Neue Rechte verteidigt werden.

 

Alan Posener, geboren 1949 in London, Korrespondent für Politik und Gesellschaft, „Welt“-Gruppe.

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