„Reiche trotz Finanzkrise immer reicher“[1] – mit dieser medialen Kernbotschaft hat die Veröffentlichung des Entwurfes des Vierten Armuts- und Reichtumsberichts im Herbst 2012 eine andauernde Debatte zur Vermögensverteilung in Deutschland entfacht. Seither wurde eine Vielzahl von weiteren Studien mit dem gleichen Tenor in die Öffentlichkeit getragen, die genau dieses Bild weiter zu bestätigen scheinen: Die Vermögen sind zunehmend ungleich verteilt, da die Vermögenskonzentration bei den Reichen und Superreichen unentwegt steigt. Kaum ein Bundesbürger würde diesen Trend infrage stellen, würde er zu der wahrgenommenen Entwicklung der Vermögensverteilung befragt.
Im Gegensatz zur Analyse der Einkommensungleichheit steckt die Forschung zur Verteilung der Vermögen noch nahezu in den Kinderschuhen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Daten zur Vermögensverteilung wesentlich schwerer zu erfassen sind und es nur wenige Datensätze gibt, mithilfe derer sich die Entwicklung der Vermögensverteilung im Zeitablauf darstellen lässt. Der oben zitierte Befund im aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung geht auf die Haushaltsbefragungsdaten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes zurück. „Danach verfügen die Haushalte in der unteren Hälfte der Verteilung nur über gut ein Prozent des gesamten Nettovermögens, während die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte über die Hälfte des gesamten Nettovermögens auf sich vereinen. Der Vermögensanteil des obersten Dezils ist dabei im Zeitverlauf immer weiter angestiegen.“ [2] 1998 belief er sich demnach noch auf 45 Prozent, 2008 lag er bereits bei mehr als 53 Prozent des Nettogesamtvermögens. Die Bewertung dieser Vermögensverteilung als „äußerst ungleich“ fiel zwar der Ressortabstimmung zum Opfer, in der Öffentlichkeit hat sich diese aber durch die medial wirksame Diskussion um den „geschönten Armutsbericht“ weiter festgesetzt.
Was eigentlich alle vermuten …
Indes, der Berichtszeitraum der Vermögensdaten im Vierten Armuts- und Reichtumsbericht reicht nur bis 2008, die Wirkungen der Finanzkrise auf die Vermögensverteilung werden somit allenfalls teilweise erfasst. Darüber hinaus werden in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe die einkommensstärksten Haushalte aus Datenschutzgründen nicht ausgewiesen. Da aber gerade bei den einkommensreichen Haushalten hohe Vermögen zu vermuten sind, eignen sich die Ergebnisse des ebenfalls im Armuts- und Reichtumsbericht verwendeten Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) besser zur Untersuchung der Vermögenskonzentration. Durch eine spezielle Hocheinkommensstichprobe werden einkommensstarke Haushalte überrepräsentiert. Die im Armuts- und Reichtumsbericht ausgewiesene – aber nicht öffentlich diskutierte – Ungleichheit auf Basis des SOEP ist entsprechend höher. Allerdings werden Vermögenswerte im Rahmen des SOEP nicht jährlich abgefragt, sondern erstmals im Jahr 2002 und in der Folge nur alle fünf Jahre. Im Bericht konnten daher neben 2002 nur die Ergebnisse von 2007 einbezogen werden. Die entsprechenden Ungleichheitskennziffern beider Jahre sind nahezu gleich. Um den Einfluss der Finanzkrise auf die Vermögensverteilung abzuschätzen, konnte man mit Spannung die Veröffentlichung der neuen SOEP-Vermögensdaten für das Jahr 2012 erwarten. Waren doch insbesondere die gesunkenen Kapitaleinkommen der Reichen ein wesentlicher Grund dafür, dass sich die Ungleichheit der Nettoeinkommen in den letzten Jahren etwas verringert hat. „Arme bleiben arm, Reiche werden reicher“, titelte die Presse dann im Frühjahr 2014, als erstmals Ergebnisse der Vermögensverteilung 2012 auf Basis des SOEP öffentlich wurden. [3] Die neuen Daten schienen zu bestätigen, was alle sowieso schon wussten: Die Ungleichverteilung der Vermögen hat weiter zugenommen. Aber das zeigen die abgefragten Vermögensdaten gerade nicht. Zwischen 2002 und 2012 hat sich an der Vermögensungleichheit nur wenig getan. Zwar hat die Vermögenskonzentration bei den oberen zehn Prozent (und auch insgesamt) zwischen 2002 und 2007 etwas zugenommen. Dann ist aber ein gegenläufiger Effekt erkennbar: Einzig der Vermögensanteil der vermögensreichsten zehn Prozent hat zwischen 2007 und 2012 abgenommen – von 61,6 Prozent auf 58,1 Prozent – und liegt nun wieder nahe bei den 58,4 Prozent, die sich für das Jahr 2002 ergeben (siehe Grafik Seite 23). [4] Im Zuge der Finanzkrise haben sich die Vermögensunterschiede also wieder etwas nivelliert.
Vermögensanteil Superreicher nicht gestiegen
Aus den Mikrodaten des SOEP lässt sich kein Anstieg der Vermögensungleichheit ablesen. Die Schlagzeile bezieht sich auf einen Makro-Befund: „Es kann vermutet werden, dass es in den vergangenen zehn Jahren zu einem Anstieg der Vermögensungleichheit gekommen ist, da nach der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen im Vergleich zu den Arbeitnehmerentgelten überdurchschnittlich gestiegen sind.“ [5] Dass der vermutete Anstieg in den Mikrodaten nicht nachweisbar ist, wird auf eine Untererfassung „sehr hoher Vermögen“ zurückgeführt, da Milliardäre in derartigen Befragungen nicht erfasst sind. In einer darauf folgenden Studie werden die Mikrodaten des SOEP mit Angaben der Forbes-Reichenliste kombiniert, um auch die Vermögen der Superreichen abzubilden. Erwartungsgemäß führt diese Hinzuschätzung zu einer deutlich höheren Vermögenskonzentration bei den Reichen: Der Vermögensanteil der oberen zehn Prozent erreicht nach der Hinzuschätzung je nach Szenario zwischen 63 und 74 Prozent am gesamten Nettovermögen.[6] Die medialen Schlagzeilen, dass „die Reichen noch reicher“ als gedacht sind, folgten. Ein anderer Befund der Studie hat es aber nicht in die Medien geschafft: Unabhängig vom Simulationsszenario ist weder der Vermögensanteil der Top-1-Prozent noch der Anteil der Top-0,1-Prozent zwischen 2002 und 2012 gestiegen. Gleiches gilt auch für den Anteil der Nettovermögen deutscher Milliardäre in der Forbes-Liste am Gesamtvermögen gemäß Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung. Die Vermögensstudie der Credit Suisse – deren Daten vor allem über den Oxfam-Armutsbericht mit der Meldung „1 Prozent der Weltbevölkerung besitzt bald mehr als der gesamte Rest“ in den Medien wahrgenommen wurden – zeigt für die Entwicklung der Vermögensungleichheit in Deutschland sogar einen leicht sinkenden Trend: Der Vermögensanteil der Top-1-Prozent ist von 31,0 Prozent in 2000 auf 28,1 Prozent, der Anteil der Top-10-Prozent von 63,9 Prozent auf 61,7 Prozent in 2014 gesunken. [7] Auch bei dieser Studie werden die Vermögen der reichsten Deutschen mithilfe der Forbes-Liste hinzugeschätzt.
Wie ungleich?
Unabhängig von der Entwicklung der Vermögensverteilung bleibt eine Beobachtung unbestritten: Die Vermögen sind ungleich verteilt – und deutlich ungleicher als beispielsweise die Einkommen. Eine länderübergreifende Vermögensbefragung der Europäischen Zentralbank (EZB) dokumentiert die Vermögensungleichheit hierzulande im Vergleich zu den Euroländern als besonders hoch. [8] Ähnlich schwierig wie die Erfassung der exakten Höhe der Vermögensungleichheit verhält es sich allerdings mit der Erklärung der Ungleichheitshöhe. Ohne Einordnung in den spezifischen Länderkontext lassen sich die internationalen Vermögensunterschiede kaum bewerten. Ein Teil der eingeschränkten Vergleichbarkeit beruht bereits auf der Methode: divergierenden Betrachtungszeiträumen, unterschiedlichen Haushaltsgrößen sowie der unterschiedlichen Erfassung sehr vermögender Haushalte in den einzelnen Befragungsländern. Insgesamt ist die Forschung zur Vermögensverteilung weit weniger standardisiert als die Veröffentlichung von Kennziffern der Einkommensverteilung, bei denen sich die Verwendung von bedarfsgewichteten[9] Nettoeinkommen (inklusive Mietvorteilen aus selbst genutztem Wohneigentum) weitgehend als Standard durchgesetzt hat. Statistiken zur Vermögensungleichheit werden hingegen häufig auf Basis unterschiedlicher Untersuchungseinheiten (auf individueller Basis, je Erwachsenen oder auch auf Haushaltsbasis) veröffentlicht. Der Gini-Koeffizient auf Basis der individuellen Nettovermögen aus den SOEP-Daten lässt sich beispielsweise nicht unmittelbar mit der EZB-Studie vergleichen, deren Angaben auf Haushaltsvermögen basieren. Im Gegensatz zu individuellen Vermögen unterstellen die EZB-Statistiken eine maximal mögliche haushaltsinterne Umverteilung. Dadurch liegt die personelle Vermögensungleichheit unter sonst gleichen Bedingungen höher als jene auf Haushaltsebene.
Ein wesentlicher Erklärungsfaktor für die vergleichsweise hohe Vermögensungleichheit in Deutschland wird bereits aus der EZB-Studie erkennbar: die geringe Wohneigentumsquote. Die Korrelation der Eigentumsquote mit dem Gini-Koeffizienten der Vermögensverteilung liegt bei minus 0,83. International zeigt sich somit, dass je seltener die Menschen in den eigenen vier Wänden leben, desto größer die Ungleichheit der Vermögen ausfällt. Anders als in vielen anderen Ländern verfügt Deutschland aber über einen funktionierenden Mietwohnungsmarkt, sodass die Bildung von Wohneigentum nicht zwingend erforderlich ist, um gut wohnen zu können. Da hierzulande bonitätsschwache Haushalte eben kein kreditfinanziertes Wohneigentum haben, sind sie – und Deutschland insgesamt – auch so gut durch die Finanzkrise gekommen.
Soziale Sicherung kann Vermögensaufbau hemmen
Darüber hinaus wäre die Vermögensungleichheit bereits deutlich geringer, wenn man die (gesetzlichen) Altersvorsorgevermögen berücksichtigen würde. Das wurde bereits an vielen Stellen angemerkt. Allerdings werden die Sozialversicherungsansprüche auch in den anderen Ländern nicht berücksichtigt.
Neben der analytischen Wirkung auf das Ungleichheitsmaß hat eine gute soziale Absicherung aber noch eine weitere Wirkung: Grundlegende Anreize zur Vermögensbildung entfallen. Interessant bei der Einordnung Deutschlands in einen internationalen Kontext ist in diesem Zusammenhang auch ein erneuter Blick in die Vermögensstudie der Credit Suisse: Dort liegt die Vermögenskonzentration bei den oberen zehn Prozent im Jahr 2014 in Norwegen bei 65,8 Prozent und in Schweden sogar bei 68,6 Prozent[10] – beides Länder, die häufig als Musterbeispiele für Egalität und soziale Absicherung genannt werden. Zum einen deutet dies darauf hin, dass Vermögensungleichheit und Einkommensunterschiede im Ländervergleich keineswegs Hand in Hand gehen müssen. Zum anderen kann das aber auch ein Hinweis darauf sein, dass hohe staatliche Umverteilung mit höherer Vermögensungleichheit einhergehen kann – indem etwa Steuern und Abgaben die Vermögensbildung in der Mittelschicht erschweren und gleichzeitig Sparanreize im unteren Einkommensbereich entfallen.
Werden die Reichen immer reicher? Zumindest nicht auf Kosten der weniger Vermögenden – denn aus den vorhandenen Vermögensdaten geht erstaunlich deutlich hervor, dass die Vermögensungleichheit während des letzten Jahrzehnts nicht gestiegen ist. Sogar dann nicht, wenn die Vermögen der Superreichen durch Hinzuschätzung mitberücksichtigt werden. Angesichts der deutlichen Verluste der Vermögenden während der Finanz- und Wirtschaftskrise ist dies eigentlich gar nicht so überraschend. In die medialen Botschaften schafft es dieser Befund aber nicht – die Vermutung einer sich stetig öffnenden Vermögensschere hält sich beharrlich.
Judith Niehues, geboren 1982 in Münster, Senior Economist im Kompetenzfeld Öffentliche Finanzen, Soziale Sicherung, Verteilung, Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
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[1] Süddeutsche Zeitung, 19. September 2012.
[2] BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2013, Lebenslagen in Deutschland. Der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, S. XII.
[3] Grabka, Markus M. / Westermeier, Christian, 2014, Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland, DIW-Wochenbericht Nr. 9 – Artikelüberschrift der Süddeutschen Zeitung, 26. Februar 2015.
[4] Niehues, Judith / Schröder, Christoph, 2014, Einkommens- und Vermögensverteilung: zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit, Wirtschaftsdienst, 94 (10), S. 700–703.
[5] Grabka, Markus M. / Westermeier, Christian, 2014 (s. o.), S. 157–158.
[6] Grabka, Markus M. / Westermeier, Christian, 2015, Große statistische Unsicherheit beim Anteil der Top-Vermögenden in Deutschland, DIW-Wochenbericht Nr. 7.
[7] Credit Suisse Global Wealth Databook 2014, S. 125–126.
[8] ECB, 2013, The Eurosystem Household Finance and Consumption Survey – Results from the first wave, Statistics Paper Series, No 2, April 2013.
[9] Bedarfsgewichtet bedeutet: Jedem Haushaltsmitglied wird ein bestimmtes rechnerisches Gewicht zugewiesen, wobei die erste erwachsene Person das höchste Gewicht bekommt, die zweite erwachsene ein geringeres und Kinder je nach Altersklasse noch niedriger gewichtet werden. Auf diese Weise werden Einsparungseffekte, die durch das gemeinsame Wirtschaften entstehen, berücksichtigt und Haushalte unterschiedlicher Struktur und Größe können direkt miteinander verglichen werden (Anmerkung der Redaktion).
[10] Credit Suisse Global Wealth Databook 2014 (s. o.), S. 126.