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Warum es auf Solidarität ankommt

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Eine wesentliche Aufgabe der bundesdeutschen Politik ist die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilräumen des Gesamtstaates. Dieses Postulat spiegelt sich auch im Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes wider, welches unter anderem durch die Bereitstellung öffentlicher Güter und Leistungen eine entsprechende Chancengleichheit schaffen soll – unabhängig von strukturellen, wirtschaftlichen oder naturräumlichen Gegebenheiten. Das bedarf jedoch einer finanziellen Mindestausstattung der Gebietskörperschaften, die mit den entsprechenden Aufgaben betraut sind.

Um der im Grundgesetz verankerten Einheitlichkeit (Artikel 106 Absatz 3) beziehungsweise Gleichwertigkeit (Artikel 72 Absatz 2) der Lebensverhältnisse nachzukommen, müssen ausgleichende Mechanismen zwischen den Ländern und Gemeinden der disparaten Verteilung der Wirtschaftskraft in der Bundesrepublik Deutschland entgegenwirken. So beträgt aktuell die Spanne des Bruttoinlandsproduktes 30.794 Euro pro Einwohner. Mecklenburg-Vorpommern erreicht mit 22.817 Euro pro Einwohner gerade mal 43 Prozent des hamburgischen Wertes (53.611 Euro pro Einwohner). Ziel sollte es sein, der Bevölkerung flächendeckend einen Mindeststandard an staatlichen Leistungen insbesondere in der Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Das ist auch Aufgabe des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, in dem der Länderfinanzausgleich lediglich eine von mehreren Stufen ist.

 

Über acht Milliarden Euro: neuer Höchststand beim Finanzausgleich

Das Ausgleichsvolumen im Länderfinanzausgleich erreichte 2013 mit 8,46 Milliarden Euro einen neuen Höchststand, wobei Bayern mit 4,32 Milliarden Euro mehr als die Hälfte aufzubringen hatte. Vertreter der Zahlerländer reagieren heftig auf diese Diskrepanz. So soll beispielsweise Bayerns Finanzminister es als schreiend ungerecht empfinden, „dass sein Freistaat für die finanzpolitischen Schlampereien anderer Bundesländer zahlen soll“; „die Schmerzgrenze“ sei erreicht.[1] Bayern und Hessen haben daher beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen den Länderfinanzausgleich eingereicht und fordern dessen Neuregelung, um ihre Zahlungen deutlich zu reduzieren. Betrachtet man jedoch die verschiedenen Stufen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, so zeigt sich, dass 2013 der eigentliche Länderfinanzausgleich nur etwa ein Drittel des gesamten Ausgleichsvolumens von 26,76 Milliarden Euro ausmachte, gemessen an den Steuereinnahmen der Länder sogar nur 3,46 Prozent. Bezogen auf das Gesamtsteueraufkommen aller Gebietskörperschaften beläuft sich das Verteilungsvolumen des gesamten bundesstaatlichen Finanzausgleichs 2013 auf gerade einmal 4,32 Prozent beziehungsweise bezogen auf das oben benannte Volumen der Stufe des Länderfinanzausgleichs auf 1,36 Prozent. Es stellt sich deshalb die Frage, ob es in der Diskussion um die Zahlungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs tatsächlich um die Leistungsfähigkeit und die zu hohe Belastung der Zahlerländer geht.

Das Umverteilungsvolumen hängt wesentlich vom Niveau des anzustrebenden einheitlichen Mindeststandards der öffentlichen Leistungserstellung und der Umverteilung ab. Dieses sollte (regelmäßig) hinterfragt werden. Dennoch wird immer ein gewisses Maß an Solidarität und damit an Ressourcenumverteilung notwendig bleiben.

 

Ohne Umverteilung nicht funktionsfähig

Schaut man sich das eigene Steueraufkommen der Länder vor jeglicher Umverteilung als Ergebnis ihrer Wirtschaftskraft seit 1995 an (siehe Abbildung auf Seite 30), wird deutlich, dass die neuen Länder eine deutlich geringere originäre Steuerkraft als die alten Länder aufweisen. Bei ausschließlicher Betrachtung der Flächenländer kann festgestellt werden, dass Sachsen im Jahr 2013 je Einwohner über lediglich 53,8 Prozent der durchschnittlichen Steuereinnahmen verfügte, während Bayern mit 128,3 Prozent weit über dem Bundesdurchschnitt lag. Das ergibt einen Unterschied von etwa 74,5 Prozentpunkten. Bedenkt man zudem, dass über neunzig Prozent der Landesausgaben durch gesetzliche Regelungen und längerfristige Verträge (etwa Tarifverträge) determiniert sind, wird deutlich, dass manche Länder ohne Umverteilung nicht in der Lage wären, ihre Aufgaben zu erfüllen.

Zu erkennen ist auch, dass seit der Integration der neuen Länder in den Finanzausgleich 1995 das eigene Steueraufkommen in den neuen Ländern nach anfänglichem Rückgang zwar sukzessive ansteigt, aber auf absehbare Zeit deutlich geringer sein dürfte als das des Saarlandes, das das geringste Aufkommen in den alten Ländern hat. Von den alten Ländern verzeichnet nur Bayern im Trend steigende Einnahmen und ist inzwischen das „reichste“ Flächenland.

 

Bayern: Angesichts der Finanzkraft halten sich die Belastungen in Grenzen

Nun fordert der bayerische Finanzminister eine Reduzierung des bayerischen Beitrags auf eine Milliarde Euro. [2] Ist dies ein Zeichen der Endsolidarisierung oder sind die Zahlerländer tatsächlich überfordert?

Zieht man zur Beurteilung die Jahre seit 2005 heran – seit diesem Zeitpunkt gelten die Regeln des Solidarpaktes II –, kann festgehalten werden, dass das Länderfinanzausgleichsvolumen 2013 tatsächlich am größten war. Bisher lag das Maximum im Jahr 2008 bei 8,26 Milliarden Euro. Hier zeigt sich für den genannten Vergleichszeitraum, dass die Belastungen innerhalb der Zahlerländer im Zeitverlauf durchaus ungleich verteilt waren. Schulterte Hessen noch bis 2009 den jeweils größten Ausgleichsbetrag aller Zahlerländer, so kam es infolge der unterdurchschnittlichen Steuerentwicklung Hessens beziehungsweise der überdurchschnittlichen Steuerentwicklung Bayerns zu einer relativen Angleichung. Zwar ist es richtig, dass die absolute Belastung insbesondere für Bayern 2013 stark gestiegen ist, relativ zur Entwicklung der Finanzkraft halten sich die Belastungen hingegen deutlich in Grenzen und liegen für Bayern mit 8,8 Prozent in 2013 noch deutlich unter dem durchschnittlichen Wert Hessens für die Jahre 2005 bis 2013 (9,7 Prozent; Bayern 7,7 Prozent; der Spitzenwert Hessens lag 2007 bei 13,5 Prozent).

Es lohnt sich, im Zusammenhang mit der „Gerechtigkeitsdebatte“ des Länderfinanzausgleichs einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Betrachtet man die Finanzausgleichszahlungen seit 1950, so erstaunt, dass Bayern bis 1986 kontinuierlich Empfängerland und Nordrhein-Westfalen bis 1980 kontinuierlich Zahlerland war. Den Schwächen im derzeitigen System ist nicht mit Polemik beizukommen, sie verlangen nach einer sachlichen Debatte über eine Reform. Denn letztlich soll der bundesstaatliche Finanzausgleich dem eingangs beschriebenen Ziel der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse und den Bürgern in allen Regionen des Landes dienen.

Thomas Lenk, geboren 1958 in Mannheim, Inhaber des Lehrstuhls Finanzwissenschaft, Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen und Public Management und Prorektor für Entwicklung und Transfer an der Universität Leipzig.
 

[1] www.welt.de/print/die_welt/politik/article-123940287/Bayern-fordert-Radikalreform-des-Laenderfinanzausgleichs.html [nicht mehr abrufbar, Stand Oktober 2024].
[2] Siehe oben.

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