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Unabhängige Medien in Russland und Belarus

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Im vergangenen Jahr sind die Freiheitsräume für Medien in Russland und Belarus nahezu verschwunden. In Russland sind sie stark verkleinert worden und in Belarus existieren sie de facto überhaupt nicht mehr. Angesichts des Krieges in der Ukraine erscheinen die Entwicklungen rückblickend in einem anderen Licht. Völlig frei war die kleine Szene unabhängiger (Online-)Medien in beiden Ländern nie: Über Gummiparagraphen oder fingierte Anschuldigungen schränkten Behörden bestehende Spielräume immer wieder ein – und zwar umso mehr, je größer die Bedeutung dieser Medien in beiden Ländern wurde. Doch mit dem Vorgehen gegen jede Art von Opposition – insbesondere im vergangenen Jahr – erreichte der Druck auf Medien und Journalisten in Russland ebenso wie Belarus traurige Höhepunkte. Die Vorzeichen, unter denen das geschieht, sind in beiden Ländern unterschiedlich. Auch wenn sich die Instrumentarien ähneln, so sind es jeweils andere Mittel und es ist eine unterschiedliche Intensität, mit der Staat und Behörden gegen unliebsame Stimmen vorgehen.

Seit den Solidaritätsprotesten für den inhaftierten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny im Frühjahr 2021 gerieten in Russland unabhängige russische Medien und einzelne Journalisten immer stärker unter Druck. „In den Augen der Machthaber übernehmen auch Medien indirekt eine oppositionelle Rolle“, schrieb die Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja Ende Mai 2021 in einer Analyse für das Online-Portal Projekt. „Das bedeutet, dass die unabhängigen Medien, aber auch Massenmedien mit einer unabhängigen Informationspolitik zunehmend politische Bedeutung zugeschrieben bekommen und zur offenen Zielscheibe für die Repressionswalze werden.“

Unabhängige Online-Medien wurden in den vergangenen Jahren zunehmend wichtiger – und damit in den Augen des Kremls auch „bedrohlicher“ –, weil das Internet als Informationsquelle dem traditionell dominierenden Staatsfernsehen Konkurrenz zu machen droht. Laut einer Umfrage des russischen Meinungsforschungszentrums Lewada informierten sich 64 Prozent der Befragten im Januar 2021 regelmäßig im Fernsehen – im Juni 2013 waren es noch über 80 Prozent. Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der Menschen, die soziale Netzwerke als primäre Informationsquelle verwenden, mehr als verdoppelt – von 18 auf 42 Prozent. Und auch die Zahl derer, die sich vorrangig in Online-Medien informieren, stieg um knapp das Doppelte von 21 auf 39 Prozent.

 

„Agentengesetz“ gilt auch für Medien

 

Schon während der Proteste im Frühjahr 2021 wurden einzelne Medien von der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor aufgefordert, Berichte über die Demonstrationen zu löschen. Mediazona-Chefredakteur Sergej Smirnow wurde zu einer mehrtägigen Haftstrafe verurteilt – aufgrund eines Retweets. Allein bei den Protesten am 23. Januar 2021 wurden laut „Reporter ohne Grenzen“ insgesamt mehr als fünfzig Journalistinnen und Journalisten zumindest vorübergehend festgenommen.

Doch mit dem Ende der Proteste waren die repressiven Maßnahmen nicht vorbei: Gegen internationale Plattformen wie Facebook, Twitter, Google & Co. haben russische Gerichte wegen des Nicht-Löschens „verbotener Informationen“ mehrfach Geldstrafen verhängt – allein 2021 insgesamt rund zwei Millionen Euro. Im April 2021 wurde Twitter verlangsamt, weil der Kurznachrichtendienst sich geweigert habe, „rechtswidrigen Content“ zu löschen.

Beim Vorgehen gegen russische Medien und Journalisten kam im weiteren Verlauf des Jahres 2021 meist das sogenannte „Agentengesetz“ zur Anwendung: Ursprünglich sollte es gezielt Nichtregierungsorganisationen sanktionieren, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhielten. Seit 2017 ist es aber auch auf Medien anwendbar. Auf der Liste der sogenannten „ausländischen Agenten“ standen bis Ende 2020 sieben Medien und Einzelpersonen, darunter staatliche Auslandsmedien wie Golos Ameriky (Voice of America). Für die meisten russischen unabhängigen (Online-)Medien diente dieses Vorgehen als Drohkulisse; 2021 wurde die Drohung für viele von ihnen Realität: Mitte Januar 2022 sind 113 Medien und auch einzelne Journalisten auf der Liste aufgeführt. Hinter dem Sammelbegriff „unabhängig“ verbergen sich dabei unterschiedliche Formate: Im April 2021 etwa war zunächst Meduza betroffen, ein erfolgreiches russisches Online-Medium mit Sitz im lettischen Exil, dem der Status als „ausländischer Agent“ vor allem deswegen schadet, weil damit wichtige russische Werbekunden weggebrochen sind. Das in den Niederlanden ansässige VTimes dagegen, eines von mehreren betroffenen Investigativmedien, gab nach Erhalt des Status sein Aus bekannt: Hierfür waren allerdings nicht die absehbaren finanziellen Probleme ausschlaggebend. Das Medium würde vielmehr durch das Agenten-Label in die Nische der politischen Opposition gedrängt, so die Redaktion in einem offenen Brief. In dieser Rolle habe man sich nie gesehen.

Trotz allem sind es weniger die behördlichen Schikanen, die betroffenen Medien zu schaffen machen, sondern die diffamierende Wirkung des Status „ausländischer Agent“. Dies gilt vor allem auch für einzelne Journalisten.

So war etwa Pjotr Manachin für das bereits erwähnte investigative Online-Portal Projekt tätig und erfuhr aus den Nachrichten, dass sein Name auf der Agentenliste steht. „Ich war erst mal geschockt“, erzählt er in einem Interview mit The Village, das dekoder ins Deutsche übersetzte. „Hatte keine Ahnung, was passiert, es war komisch, schrecklich und unklar.“ Wie es für ihn beruflich weitergehen soll, weiß er nicht – zumal Projekt gleichzeitig zur „unerwünschten Organisation“ erklärt wurde und damit seine Tätigkeit komplett einstellen musste.

 

Unsymmetrisches Vorgehen: Verbot der „Deutschen Welle“

 

Für Aufsehen sorgte außerdem das Verbot der Deutschen Welle in Russland. Am 2. Februar 2022 hatte zunächst die deutsche Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) ein Sendeverbot für den Fernsehkanal RT DE ausgesprochen. Die serbische Lizenz des Senders erkannte die ZAK nicht an, da die Kommission davon ausging, dass der Sender in Berlin produzierte. Auf diese medienrechtliche Entscheidung reagierte am Tag darauf das russische Außenministerium und kündigte „Gegenmaßnahmen“ an – die Schließung des Senders Deutsche Welle in Russland. Medienexperten und internationale Organisationen wie „Reporter ohne Grenzen“ weisen allerdings darauf hin, dass es sich dabei um ein unsymmetrisches Vorgehen seitens Russlands handelt: RT DE steht frei, weitere juristische Schritte einzuleiten oder eine Sendelizenz in Deutschland zu beantragen, was bislang nicht geschah. In jedem Fall ist die Online-Nachrichtenplattform RT davon weitgehend unberührt. Auch können RT-Journalisten in Deutschland weiter ihrer Arbeit nachgehen.

Im Gegenzug wurde die Redaktion der Deutschen Welle in Moskau geschlossen. Das heißt, die dort tätigen Journalisten verlieren ihre Akkreditierung – das ist die in Russland (im Unterschied zu Deutschland) notwendige behördliche Erlaubnis, um überhaupt als Journalist arbeiten zu dürfen. Außerdem wurde ein Verfahren eingeleitet, die Deutsche Welle auf die Liste der sogenannten „ausländischen Agenten“ zu setzen. Beim Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte Februar signalisierte Wladimir Putin wiederum Gesprächsbereitschaft; man wolle sich „Gedanken machen, wie das Problem gelöst werden kann“. Grundsätzlich passt jedoch auch der Fall Deutsche Welle ins Vorgehen einer politischen Führung, die aus einer Schwäche heraus nach außen auf Konfrontation und Machtdemonstration und nach innen verstärkt auf Repression setzt.

Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Sie ist Teil einer größeren „Repressionswalze“ (Tatjana Stanowaja), die in Russland derzeit rollt und immer mehr unabhängige Akteure erfasst – nicht nur Medien: Nawalnys Organisationen sind als „extremistisch“ gebrandmarkt. Auch die drei deutschen Organisationen Deutsch-Russischer Austausch, Zentrum Liberale Moderne und Forum russischsprachiger Europäer mussten als „unerwünscht“ ihre Arbeit in Russland einstellen. Die renommierte Menschenrechtsorganisation Memorial International, die sich wie keine zweite für eine Aufarbeitung der Verbrechen Josef Stalins einsetzt, wurde Ende 2021 per Gerichtsbeschluss aufgelöst. Die Räume für Medien- und Meinungsfreiheit waren unter Wladimir Putin noch nie so eingeschränkt wie heute.

Noch dramatischer als in Russland ist die Situation für den unabhängigen Journalismus in Belarus, der bereits in den vergangenen 26 Jahren unter Alexander Lukaschenko keinen leichten Stand hatte und immer wieder Ziel staatlicher Repressionen war. Das Regime Lukaschenkos, der Belarus seit 1994 regiert, hat sich im Zuge der Proteste nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen im Sommer 2020 deutlich radikalisiert. Fast 40.000 Menschen wurden seitdem inhaftiert, über 4.000 Strafprozesse angestrengt und über 300 zivilgesellschaftliche Organisationen verboten. Über 1.000 politische Gefangene sitzen in belarussischen Gefängnissen. Zehntausende haben das Land verlassen.

 

Bilanz staatlicher Repressionen in Belarus

 

Welches Ziel das Regime verfolgt, ist offensichtlich: Jeglicher Widerstand soll im Keim erstickt, jede Form des Andersdenkens unterbunden werden. „Der ganze Staat wurde auf das Ziel ausgerichtet, möglichst effektiv Repressionen durchsetzen zu können”, urteilt der politische Analyst und Experte des unabhängigen Minsker Analysezentrums „Strategie“ Waleri Karbalewitsch. „Das Regime hat kein Narrativ für die Zukunft, außer der Erhaltung des Status quo, der auf Angst und Gewalt beruht. Seit Monaten befindet sich das Land psychologisch im Zustand eines Bürgerkriegs.“

Die unabhängigen Medien, die sich trotz des feindlichen Umfeldes einen festen Stand für die Meinungsbildung und Berichterstattung erarbeitet hatten, waren seit Beginn der Proteste Ziel staatlicher Repressionen. In den vergangenen Monaten gab es unzählige Razzien bei Medienunternehmen, Material und Gerätschaften wurden konfisziert. Websites wurden und werden blockiert, auch die von internationalen Medien wie etwa die Seiten der Deutschen Welle oder von Euronews. Internationale Korrespondenten erhalten in der Regel keine Akkreditierungen mehr für Belarus, sodass nahezu keine fundierte Berichterstattung über die Vorgänge im Land durch renommierte internationale Medien mehr möglich ist. Belarussische Journalisten wurden und werden festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt, weil sie ihrer Arbeit nachgegangen sind und über die Proteste berichteten; wie beispielsweise die beiden Belsat-Journalistinnen Katarina Andrejewa und Darja Tschulzowa, die im Februar 2021 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurden.

Nach der Auffassung des Regimes sind es die Medien und Journalisten, die die Menschen zum Protest gegen Machthaber Lukaschenko anstacheln, auch wenn sie lediglich über die Ereignisse berichten. Viele Journalisten werden deshalb nach Paragraph 293 des Strafgesetzbuches der Republik Belarus wegen Aufrufs zu Massenunruhen und der Teilnahme an ihnen verurteilt. Eine andere „beliebte“ Anklage ist der Vorwurf von Steuerhinterziehung.

 

Hilfe für inhaftierte Journalisten

 

Auf diesem Wege wurde das größte unabhängige Medienportal tut.by im Mai 2021 liquidiert, das monatlich fast drei Millionen Leser hatte und damit auch ein bedeutendes Fundament nicht nur für den unabhängigen Journalismus in Belarus, sondern auch für die Bildung einer kritischen Leserschaft war. Fünfzehn Mitarbeiter, Redakteure und Journalisten der Online-Plattform sitzen bis heute in Haft, darunter ihre Chefredakteurin Maria Solotowa. Nach Informationen des unabhängigen Belarussischen Journalistenverbandes (Belarusian Association of Journalists, BAJ) sind immer noch 32 Medienschaffende in Haft.1 2021 haben Journalisten insgesamt 8.733 Tage hinter Gittern verbracht.

Dieser Verband, der Repressionen gegen Medien und Journalisten in Belarus seit vielen Jahren dokumentiert und inhaftierten Kollegen juristische Hilfe bietet, wurde verboten. Eine beträchtliche Zahl von Journalisten und Medien wurde außer Landes getrieben, darunter auch einflussreiche Medien wie Nascha Niva, Hrodna Life oder die Nachrichtenagentur BelaPAN. Aktuell arbeitet der Belarussische Journalistenverband von Kiew, Warschau und Vilnius aus und versucht weiterhin, den inhaftierten Journalisten zu helfen und die im Land verbliebenen Journalisten zu unterstützen. „Die Behörden haben die Zivilgesellschaft und die unabhängigen Medien des Landes zu einem Tumor erklärt, der herausgeschnitten werden muss, was in der Tat bereits geschehen ist“, erklärt Andrej Bastunets, der Vorsitzende des BAJ.

Das Regime um Lukaschenko versucht, die Deutungs- und Informationshoheit, die es über viele Jahre weitgehend an die unabhängigen Medien verloren hatte, zurückzuerlangen. Die Staatsmedien, von denen das Fernsehen eine traditionell wichtige Rolle spielte, haben seit dem Beginn der Corona-Pandemie, die der Staat nur zurückhaltend bekämpfte und auf die Lukaschenko zynisch reagierte, merklich an Vertrauen in der Bevölkerung verloren. Umso rigoroser geht der Staat gegen unabhängige Medien vor und erklärt sie per Gesetz zu „extremistischen Vereinigungen“ oder als „extremistisch“, was bereits auch Auslandsmedien wie Radio Svaboda, den belarussischsprachigen Dienst von Radio Liberty, oder den in Warschau ansässigen TV-Sender Belsat betrifft. Mit der Einstufung als „extremistische Vereinigung“ werden – und dies ist eine völlig neue Dimension der Repressionen – auch Leser, Hörer und User unabhängiger Medien kriminalisiert und womöglich festgenommen, wenn sie bestimmte Artikel in den sozialen Medien oder auf Telegram reposten oder weiterleiten. Um weiter in Belarus arbeiten zu können, durchforsten Medien deshalb ihre Webseiten nach Material, das als „extremistisch“ eingestuft werden könnte, und löschen es, da ihnen sonst hohe Geld- und Haftstrafen drohen.

 

Berichterstattung aus dem Ausland

 

Journalisten, die für „extremistische“ Medien arbeiten, laufen Gefahr, festgenommen zu werden und für viele Jahre ins Gefängnis zu wandern. „Das Label des Extremismus erschwert unsere Arbeit zusätzlich“, sagt Alexandra Puschkina von Zerkalo.io, dem Nachfolgemedium von tut.by, das aus dem Exil heraus agiert. „Die Leute im Land haben Angst, mit uns zu sprechen. Das gilt auch für viele Experten, die wir interviewen wollen. Die müssen wir alle anonymisieren, wenn sie denn mit uns reden.“

Viele Medien versuchen, aus dem Ausland heraus ihre Berichterstattung über Belarus aufrechtzuerhalten – trotz finanzieller Schwierigkeiten und bürokratischer Herausforderungen: „Wir müssen weitermachen“, sagt Puschkina. „Das sind wir denen, die weiterhin in Belarus leben, einfach schuldig.“ Dass der Bedarf an professionellem Journalismus ungebrochen ist, beweist unter anderem die Leserzahl von Zerkalo.io, die seit dem Start im Exil im November 2021 erstmals an der Drei-Millionen-Marke kratzte. Dem hat die Diktatur von Alexander Lukaschenko wenig entgegenzusetzen – außer Repressionen und Gewalt. Ob der Staat in Belarus mit diesen Mitteln den unabhängigen Journalismus vollständig zerstören und das Vertrauen nicht nur in die eigenen Institutionen, sondern auch in die Staatsmedien zurückerobern kann, bleibt mehr als fraglich.

Inzwischen überschlagen sich die Ereignisse in russischen Medien wie auch belarussischen Exilmedien: Einzelne russische Medien haben, nachdem ihre Seiten gesperrt wurden, bereits die Arbeit eingestellt. Zahlreiche Journalisten gehen ins Exil. Belarussische Medien, die in Kiew Zuflucht gesucht hatten, mussten die Ukraine verlassen und stehen nun vor erneutem Neuanfang.

 

Tamina Kutscher, geboren 1977 in München, Journalistin, Slawistin und Historikerin, Absolventin der katholischen Journalistenschule ifp (Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses e. V.), Chefredakteurin der Internetplattform „dekoder.org“.

Ingo Petz, geboren 1973 in Stolberg (Rheinland), Journalist, Publizist und Osteuropakenner, Redakteur der Internetplattform „dekoder.org“.

 

1 Belarusian Association of Journalists: Figures  of the Year. Repression of media and journalists in Belarus in 2021, 29.12.2021, https://baj.by/en/ analytics/figures-year-repression-media-and-journalists-belarus-2021 [letzter Zugriff: 20.01.2022].

 

Redaktionsschluss für diesen Beitrag war der 19. Januar 2022.

Aktuelle Fragen zum Thema beantwortet Tamina Kutscher auf blog.politische-meinung.de.