Die Kulturgeschichte der Neuzeit beginnt mit dem Ausbruch der Pest, des Schwarzen Todes, im Jahr 1348. Der plötzliche Tod eines Drittels der europäischen Bevölkerung habe den Überlebenden eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und durch die Umverteilung irdischer Güter sogar Wohlstand ermöglicht. Bereits das Auftreten der Pest in Europa sei Folge einer bahnbrechenden Neuerung gewesen: der Etablierung transkontinentaler Handelswege. Jede Zeit bringe ihre Seuchen eben selbst hervor. So stellte es Egon Friedell vor annähernd 100 Jahren in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit dar. Der Münchner C.H. Beck Verlag hatte die drei zwischen 1927 und 1931 erschienenen Bände mit dem Untertitel „Die Krisis der europäischen Seele von der Schwarzen Pest bis zum Weltkrieg“ herausgebracht.
Das Heraufbeschwören von Krisen verkaufte sich gut in dem Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg und der Spanischen Grippe. Oswald Spengler hatte die publizistische Welle 1918 mit seinem düsteren „Untergang des Abendlandes“ eingeleitet, in dem er den Niedergang Roms und anderer Hochkulturen mit dem von ihm als Werteverfall aufgefassten Aufstieg der Demokratie in Beziehung setzte. Friedells Kulturgeschichte hingegen war bis zu ihrem Verbot im Jahr 1938 ein Bestseller, der den Bildungskanon eines weltoffeneren Bürgertums formte. Das galt auch für die außerordentlich erfolgreiche Wiederauflage der Bände im Jahr 1954. Die Kunst seiner Darstellung hatte darin bestanden, Geschichte einem breiten Publikum unterhaltsam zu erzählen und die Trennung zwischen Kultur, Anekdotischem und Politik scheinbar aufzuheben.
Eine um Seriosität bemühte Geschichtswissenschaft begegnet der Definition historischer Epochenwenden mit reservierter Skepsis. Das gilt auch für die jüngst ausgelobte Zeitenwende. Der irritierte Blick des Neuzeithistorikers ins Vorlesungsverzeichnis offenbart: Die von ihm behandelte Neuzeit ist eine Periode, die bis heute andauert. Wohin will man die Zeit denn künftig wenden?
Auch Friedells Einteilung fehlt die Historizität. Das Massensterben in den Pestzügen um 1350 als Anbruch der Neuzeit zu betrachten, gibt vielmehr die geschickt eingesetzte Kaffeehausperspektive der Roaring Twenties wieder. Einer Zeit, die der Kabarettist Wolfgang Neuss – ebenfalls retrospektiv – in dem Film Wir Wunderkinder (1958) so treffend mit der Zeile „Leute genießt bloß die Nachkriegszeit, denn bald wird sie wieder zur Vorkriegszeit“ charakterisiert hat.1 Und so lohnt sich eine Lektüre der Kulturgeschichte der Neuzeit heute auch für jene, die sich mit dem Geschichtsbild einer als krisenhaft empfundenen Zeit befassen wollen.
Aderlässe, Einläufe, Schwitzkuren, Operationen
Auch in der Medizin hatte „Krise“ in den 1920er-Jahren Konjunktur. Die Entdeckungen der Bakteriologie, Gesundheits- und Sozialfürsorge, so las man in von mehr oder weniger prominenten Ärzten verfassten Bestsellern,2 hätten Degeneration und Niedergang bewirkt. Die moderne Medizin führe zu einer Vermehrung der Schwachen, der Krieg hingegen habe die Tauglichen, die konstitutionell starken Männer, dezimiert.3 Es waren diese Thesen, im Biologieunterricht der Gymnasien zu Lehrbuchwissen geadelt, die maßgeblich zur Popularisierung von Rassenkunde und Eugenik beitrugen. Die Reinigungsutopien der 1920er-Jahre – Ausmerzung und Auslese – wurden ebenso in sozialhygienischen Schriften wie in politischer Propaganda formuliert. Das Krisengeschrei sollte Debatten anheizen und bestehende Strukturen zerstören, denn nur aus der Zerstörung der alten Werte lasse sich Neues schöpfen.
Der Begriff „Krisis“ bezeichnete in der antiken Humoralpathologie den Wendepunkt einer Krankheit. Kehrte sie sich zum Guten, ging das mit einer Katharsis, einer Reinigung einher – der Entleerung von Blut, Schweiß oder Eiter. Ärzte konnten nachhelfen – mit Aderlässen, Einläufen, Schwitzkuren, Operationen. Der Katharsis-Begriff der antiken Tragödie hat denselben Ursprung. Auf der Bühne werden die großen Gefühle inszeniert.
Allem Wissen um „One Health“, um die Entstehung neuer Viren und ihrem Übergang von Tier auf Mensch zum Trotz schien der Begriff „Seuche“ noch vor fünf Jahren definitiv der Vergangenheit anzugehören. Er war aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden, und die Politik hatte nachgeholfen. Ende Januar 2020 zeigten Fernsehbilder den Aufbau von Massenunterkünften in Wuhan, verbunden mit Kommentaren über die drakonischen Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung. In der fernen Diktatur wurden Erkrankte und Verdachtsfälle offensichtlich ihrer Freiheitsrechte beraubt, lautete der Tenor dieser ersten Berichte über die neue Krankheit. Dass auch in Deutschland zur Eindämmung ansteckender Krankheiten massive Einschnitte in die persönlichen Freiheitsrechte möglich waren, überrumpelte einen Teil der Bevölkerung.
Festes Element „sozialistischer Werbung“
Gesundheitsaufklärung hat in Deutschland eine lange, wechselvolle Geschichte. In den 1920er-Jahren bombardierten sogenannte Kulturfilme das Publikum in jeder Kinovorführung mit ernsten Belehrungen, über die sich Kurt Tucholsky und viele weitere Kritiker lustig machten.4 Die Nationalsozialisten stellten die Gesundheitspropaganda im Kino komplett ein, störte diese doch die penibel orchestrierte Harmonie aus Spielfilm und Wochenschau. In der DDR wiederum waren Gesundheitsfilme festes Element „sozialistischer Werbung“, und eine Dramaturgin der Deutschen Film AG (DEFA) stöhnte angesichts eines didaktischen Drehbuchs: „Wer lässt sich schon gerne belehren? […] in der DDR wurden die Leute schon genug belehrt.“5
Auch in der Bundesrepublik wurden Kampagnen zur gesundheitlichen Aufklärung bisweilen als Imagekampagnen genutzt. Dann kam HIV/Aids. Während die Leitmedien die Angst vor einer „Schwulenseuche“ heraufbeschworen, hatten Robert Koch-Institut (RKI) und regionale Initiativen frühzeitig Konzepte für eine differenzierte Beratung entwickelt. Die bundesdeutsche Kampagne zur HIV-Prävention griff auf diese Expertise zurück und gilt bis heute als Glanzlicht gelungener Gesundheitsberatung.6 Doch bald darauf führte der Skandal um infektiöse Blutprodukte zur Schließung des Bundesgesundheitsamts. Seitdem griff in der Politik eine panische Scheu um sich, mit gesundheitspolitischen Fehlentscheidungen oder mit rigiden Maßnahmen in Verbindung gebracht zu werden. Positive Kommunikation lautete fortan die Prämisse. Aus dem Bundesseuchengesetz war zum 1. Januar 2001 das Infektionsschutzgesetz (Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen) geworden. Das klang harmloser. Eindämmungsmaßnahmen sollten möglichst unsichtbar bleiben. Markantes Beispiel ist die intelligent gemachte Kampagne „Deutschland sucht den Impfpass“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Sie sollte zur Masernimpfung aufrufen. Doch die Krankheit wurde in den Werbespots und auf den Plakaten nur am Rande erwähnt. Menschen auf Regalen und hinter Sofas, auf der Suche nach dem Gelben Heft, vermittelten primär, dass Seuchenprävention ganz easy sei. Staatliche Impflisten gibt es nicht, und Nachweise dazu verwaltet jeder selbst. Der verlegte Impfpass wurde als eine sympathische Nachlässigkeit dargestellt. Tatsächlich war die Kampagne ein letzter Appell an die Vernunft vor der Einführung einer Masernimpfpflicht in Kindergärten und Schulen.
Als die SARS-CoV-2-Pandemie Ende Februar 2020 als unabwendbar erkannt wurde, fühlten sich viele Menschen wie aus der Zeit gefallen. In der Berichterstattung und auch in wissenschaftlichen Diskursen etablierte es sich, die gerade beginnende Seuche von ihrem Ende her zu denken. Die Hoffnung, diesen Anachronismus bald hinter sich zu haben, war groß. Der Philosoph Hans Blumenberg hat in seinem Buch Schiffbruch mit Zuschauer Berichte über Naturkatastrophen analysiert. Der Rückblick auf sie wirke stabilisierend. Analog zu Blumenberg ließe sich sagen, „die Seuche, als Überwundene betrachtet, ist eine das Vertrauen in die moderne Medizin begründende Figur“.7
Gesundheitlicher Wohlstand ist jung und fragil
Zahlreiche Presseanfragen belegen: Trost sollte die Medizingeschichte spenden. Pest, Cholera und Tuberkulose seien ja auch vorübergegangen. Doch die Antworten aus der Geschichte sind nicht so einfach. Die Verdrängung der Seuchen und die Verlängerung der Lebenserwartung, auf die sich das Vertrauen gründete, wahrscheinlich nicht an einer plötzlich auftretenden Infektionskrankheit zu sterben, beruht nur zum Teil auf naturwissenschaftlich-medizinischem Fortschritt. Aufwendige soziale Maßnahmen auf kommunaler Ebene spielen in Deutschland eine weit größere Rolle. Im Globalen Süden freilich sterben jährlich noch immer 1,5 Millionen Menschen an der seit siebzig Jahren therapierbaren Tuberkulose. Der Blick in die Seuchengeschichte belegt: Auch bei uns ist der gesundheitliche Wohlstand noch jung, und er bleibt fragil.
Neue Seuchen mit jenen Mitteln zu bekämpfen, die sich bei den vorangegangenen Plagen als wirksam erwiesen hatten, ist seit Langem ein erfolgreich erprobter Ansatz. Bisweilen kann er auch in die Irre leiten. Als die Cholera 1831 erstmals nach Deutschland kam, begegneten ihr die vielen großen und kleinen Staaten und Reichsstädte, wie sie es seit Jahrhunderten mit der Pest aufgenommen hatten: Militärische Absperrungen, Quarantäne und Isolierung der Kranken schienen die geeigneten Maßnahmen zu sein. Besonders düster ist die Geschichte der französischen Fregatte Melpomène. Das Kriegsschiff hatte sich im Sommer 1833 für Wochen in Quarantäne begeben, um die Cholera nicht an Land zu verbreiten. Legenden feierten die Matrosen als Helden, die die Stadt Marseille vor der Cholera bewahrt hätten. Fast alle seien auf dem Schiff gestorben. Vergeblich, wie wir heute wissen. Denn die Cholera wird durch das Wasser verbreitet. Wer im Haushalt für das Waschen der Lebensmittel und des Geschirrs, zum Zähneputzen und als Getränk nur abgekochtes Wasser nutzte, war geschützt. Dieses Wissen aber etablierte sich erst über zwanzig Jahre nach Entdeckung der Krankheit. In Hamburg fassten die Lehren der Bakteriologie erst Fuß, nachdem die Stadt 1892 Schauplatz der letzten großen Cholera-Epidemie Europas geworden war – mit über 8.000 Toten.
Spanische Grippe als Blaupause für die Bekämpfung künftiger Pandemien
Durch welche Brille Westeuropa und die USA in den ersten Monaten die Corona-Pandemie betrachtet haben, ist kein Geheimnis. Unsere Blaupause war die Spanische Grippe von 1918. Anthony Fauci, der heute 83-jährige damalige Direktor des US-Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten, hatte ab 2007 gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen eine Serie von Artikeln veröffentlicht, in denen er die Maßnahmen zur Bekämpfung der Spanischen Grippe auswertete und dies mit der Frage verband, was aus den Zahlen von damals für eine ähnlich bedrohliche Pandemie der Zukunft zu lernen sei.8 Das Deutsche Reich führte 1918 keine Grippestatistik. Viren konnte man noch nicht sehen (das gelang erst nach Einführung der Elektronenmikroskopie), und 1890 hatte ein Mitarbeiter Robert Kochs irrtümlicherweise ein Bakterium zum Erreger der Influenza erklärt, das die Pathologen jedoch bei den Obduktionen der vielen Opfer dieser neuen Welle von Atemwegserkrankungen nicht entdecken konnten.
Auch war das Kaiserliche Statistische Amt Ende des Ersten Weltkriegs zu einer reinen Propagandainstitution verkommen. Die einzigen verlässlichen Zahlen, anhand derer Mediziner schätzen konnten, wie viele Menschen innerhalb kürzester Zeit an der Spanischen Grippe starben, lieferte ein Mathematiker der Gothaer Lebensversicherungsgesellschaft.9 Fauci dagegen verfügte über reichliches Material. In den USA, wo vor 100 Jahren ähnliche Mentalitätsunterschiede herrschten wie heute, entschieden sich einige Städte und Bundesstaaten für, andere gegen Eindämmungsmaßnahmen wie das Verbot von Massenveranstaltungen oder die Maskenpflicht. Neun Jahrzehnte später verglich Fauci die Todesstatistiken. 2007 kam er aufgrund der Erfahrungen von 1918 zu dem Schluss: Schulschließungen, Lockdowns und Maskenpflicht können einen großen Teil der Bevölkerung retten, bis es eine Impfung gibt. Nun, im Coronajahr 2020, stand er mit rollenden Augen hinter seinem Präsidenten Donald Trump und musste um die Umsetzung seines Plans bangen. Auch in Deutschland orientierten sich 2020 die COVID-Eindämmungsmaßnahmen an den amerikanischen Zahlen zur Spanischen Grippe von 1918. Wie für ein Dokument an der Grenze zwischen wissenschaftlichem Expertenpapier und Handreichung für politische Entscheidungen üblich, sammelte der zuletzt 2017 aktualisierte Pandemieplan des RKI nur die Fakten, und dazu gehörten auch Faucis Auswertungen zum Jahr 1918.
In ihrer Bereitschaft, Eindämmungsmaßnahmen zu verhängen, unterschieden sich die Europäischen Staaten sehr. Ein häufiges Argument gegen Beschränkungen lautete: „Man stirbt nicht an Corona, sondern mit Corona.“ Tatsächlich bestimmten Alter und Vorerkrankungen bei Ungeimpften maßgeblich das Risiko für schwere Verläufe. Krebspatienten mit guter Prognose bezüglich ihrer Grunderkrankung wurden zu einer Hochrisikogruppe. In Norditalien starben überdurchschnittlich viele Menschen auch deshalb, weil Italien die höchste Lebenserwartung in Europa hatte, was bedeutet, dass ein großer Teil der Bevölkerung älter ist. Und ältere Menschen sind anfälliger für schwere Corona-Verläufe.
Verheerende Folgen vernachlässigter Gesundheitspolitik
Todesstatistiken aus Seuchenzeiten offenbaren schonungslos die gesundheitliche Lage einer Bevölkerung. Was für eine gewaltige Rolle die allgemeinen Lebensbedingungen für das Überleben einer Seuche spielen, zeigt das Beispiel der Masern. Wer vor 1970 , geboren ist, muss sich heute nicht gegen die Masern impfen lassen. Die Krankheit ist so ansteckend, dass jeder sie bekam; wer überlebte, war lebenslang immun – eine klassische Kinderkrankheit. Damals starb an den Masern jeder 50. Patient. 45.000 Kinder starben Anfang des 20. Jahrhunderts jedes Jahr in Deutschland an den Masern. Untersuchungen in Hamburg belegten die soziale Dimension der Krankheit: „Im ärmsten Stadtteil lag die Masernmortalität (6,4 %) dreizehnmal höher als im reichsten (0,55 %).“10
Ursache der Diskrepanz waren Vorerkrankungen. Besonders mit schlechten Wohn- und Ernährungsverhältnissen vergesellschaftet waren Rachitis und Tuberkulose. Ähnliches wird für die Influenza gegolten haben. Die Statistiken der Weimarer Republik offenbarten die verheerenden Folgen einer seit 1890 vernachlässigten Gesundheitspolitik. Frauen und Kinder waren in der Regel nicht krankenversichert. Mutterschutz existierte nicht. Indikator der Zustände war die Säuglingssterblichkeit: 1901 lag sie in Deutschland zwischen zwanzig und 25 Prozent – mit Abstand die höchsten Werte in Europa.11
Ab Beginn der Weimarer Republik wetteiferten viele Städte um eine stetige Verbesserung ihrer Gesundheitsverhältnisse. Die badische Industriestadt Mannheim verhundertfachte zwischen 1918 und 1923 die Bettenzahl in Geburtskliniken. Einrichtungen der Jugendfürsorge wurden konzipiert. Zeitgleich gingen die meisten privaten Stiftungen, bisher gefeierte Träger der Wohlfahrtspflege und von Kliniken, in der Inflation bankrott. Auch hier musste der Staat einspringen. Die Einführung einer Grunderwerbssteuer füllte just in dieser Zeit effektiv die kommunalen Kassen. Die raschen Erfolge von Kinderfürsorge, Krankenhausund Wohnungsbau verblüffen: Trotz Hyperinflation und Hungerzeit halbierte sich die Säuglingssterblichkeit. Und da nun nicht mehr ein Viertel der Bevölkerung schon im ersten Lebensjahr starb, stieg auch die statistische Lebenserwartung auf das Niveau Großbritanniens. Es zeigte sich: Die beste Prävention gegen Seuchen war die Hebung der Lebensverhältnisse durch Investitionen in die soziale Infrastruktur der Kommunen.
Unübersehbar haben Corona-Pandemie und die Abkehr von preiswertem Gas aus Russland zu wirtschaftlichen Härten geführt. Die Versuchung ist groß, jetzt Existenzängste zu schüren und die Grundlagen des gesellschaftlichen Miteinanders zugunsten autoritärer Strukturen infrage zu stellen. Eine aggressive Krisenrhetorik hat die großen sozialen Errungenschaften der frühen Weimarer Republik ins Gegenteil verkehrt. Sie wurden als Ursache nationaler Degeneration bezeichnet.
Heute wird erregt über eine Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen debattiert. Sie basierten auf dem Ziel, vulnerable Gruppen zu schützen und wirtschaftliche Interessen dem Überleben möglichst vieler Menschen unterzuordnen. Die ökonomischen Schäden sind erheblich. Und doch war diese Krise in Wahrheit der Beleg für eine intakte Gesellschaftsordnung, die sich ihrer ethischen Prioritäten bewusst war.
Philipp Osten, geboren 1970 in Düsseldorf, Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Direktor des Medizinhistorischen Museums Hamburg.
1 Wolfgang Neuss / Wolfgang Müller: Chanson vom Wirtschaftswunder. Wir Wunderkinder (7" EP, Heliodor), Hannover 1958.
2 Größte Resonanz fand Erwin Liek: Der Arzt und seine Sendung, Berlin 1926. Zur Einordnung vgl.: Heinz-Peter Schmiedebach: „Medizin und Ärzte in der Krise. Ein Blick in die 1920er Jahre“, in: Oliver Erens / Andreas Otto (Hrsg.): Geschichte(n) der Medizin, Stuttgart 2015, S. 117–126.
3 Vgl. Wilhelm Schallmayer: Vererbung und Auslese: Grundriß der Gesellschaftsbiologie und der Lehre vom Rassedienst, Jena 1918.
4 Vgl. Peter Panter [eines der Pseudonyme Kurt Tucholskys, Anm. d. Redaktion]: „Der Lese-Film“, in: Unterhaltungsblatt der Vossischen Zeitung, 6. Mai 1927; Rudolf Arnheim: „Paukerfilme“, in: Die Weltbühne, 28. Jg., Band 5, 02.02.1932, S. 185–187.
5 Yvonne Merin-Georgi (1921–2012) in einem Interview mit dem Verfasser, Januar 2011.
6 Differenziert betrachtet bei Henning Tümmers: „‚Gib AIDS keine Chance‘. Eine Präventionsbotschaft in zwei deutschen Staaten“, in: Zeithistorische Forschungen, 10. Jg., Heft 3/2013, S. 491–501.
7 Vgl. Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt am Main 1979.
8 David Morens / Anthony S. Fauci: „The 1918 Influenza Pandemic: Insights for the 21st Century“, in: The Journal of Infectious Diseases, 195. Jg., Nr. 7/2007, S. 1018–1028.
9 Georg Florschütz: „Die Grippeepidemie in der Statistik der Lebensversicherung“, Münchener medizinische Wochenschrift, 6. Jg., 1919, S. 690–691.
10 Rudolf Degkwitz: „Ueber Masernschutzserum“, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift, 48. Jg., Band 1/1922, S. 26–27.
11 Marie Baum: „Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit“, in: Zeitschrift für das Armenwesen, 7. Jg., 1906, S. 45–52.