Über eine Million Flüchtlinge kamen im vergangenen Jahr nach Deutschland. Die Bilder vom Münchener Hauptbahnhof oder vom Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales sind jedem noch in Erinnerung. Sehr unterschiedlich war die Funktionsweise der staatlichen Organisation. Das verbindende Element jedoch war das große Engagement unzähliger Bürgerinnen und Bürger und natürlich vieler Mitarbeitender der Behörden und Wohlfahrtsverbände. Dieses Engagement hält bis heute an.
Ehrenamtliches Engagement hat in Deutschland Tradition und ist in unserer Gesellschaft fest verankert. Die Formen des sozialen Ehrenamts haben sich jedoch verändert. Viele können und wollen sich nicht mehr über Jahrzehnte an eine Aufgabe binden, und manche Formen des Engagements finden wenig Nachwuchs. Die Zeitressourcen sind knapper geworden. Sowohl im ländlichen als auch im städtischen Raum erleben wir, dass viele Menschen bereit sind, sich für soziale Belange zu engagieren. Aber sie müssen anders begleitet werden. Sie wünschen sich Qualifizierung, feste Ansprechpartner und sind eher für einzelne Projekte zu begeistern.
Ökologie und Soziales – für diese Verbindung sind junge Leute besonders gut zu gewinnen, wie wir bei „youngcaritas“ – einem Angebot für junge Zielgruppen – erleben. Die Profile der Aktiven sind bunter geworden. Die Muslima engagiert sich für ihren Kiez an der Seite einer Dame aus der Kirchengemeinde, Menschen aus unterschiedlichen Bildungs- und Einkommensschichten arbeiten Hand in Hand, wenn plötzlich große Not entsteht – so etwa bei Flutkatastrophen oder bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Soziale Aktivität ist ein Bindeglied unserer Gesellschaft – sie bringt Menschen zusammen, stiftet den Helfern Sinn und schafft Solidarität für die, die auf Hilfe angewiesen sind. Und viele entdecken dadurch ihre Neigung und Begabung für einen sozialen Beruf.
Soziales Engagement braucht Fachkompetenz
Wer Engagierte als „nützliche Idioten“ bezeichnet, nur weil – wie dies bei einem Vertreter der Alternative für Deutschland (AfD) der Fall war – ihnen das Ziel der Engagierten nicht passt, der stellt sich selbst ins Aus. Gleichzeitig ist aber auch nicht jedes ehrenamtliche Engagement zweckdienlich, weil es Menschen in Abhängigkeiten bringen und damit unbeabsichtigt an den Rand drängen oder Helfer überfordern könnte. Soziales Engagement braucht Fachkompetenz, Begleitung und immer wieder auch die kritische Selbstreflexion.
Freiwilliges Engagement darf nicht zum Sparfaktor und zur verdeckten staatlichen Rationierungsmaßnahme aufgrund knapper Kassenlage werden. Soziales Engagement braucht das politische Engagement. Denn es kann nicht darum gehen, etwa 25 Jahre lang eine Suppenküche als Selbstzweck zu betreiben. Das Ziel muss letztlich sein, die sozialen Verhältnisse gerechter zu gestalten und strukturelle Lösungen zu finden.
Viele Menschen aus bildungsfernen und einkommensschwachen Milieus sind vom Ehrenamt ausgeschlossen. Sie trauen es sich oft nicht zu oder finden keinen Anschluss, weil viele Ehrenamtsgruppen mittelschichtorientiert sind. Soziales Engagement braucht deshalb Integration und Teilhabe – nicht nur der geflüchteten Menschen. Für viele, die sich bei uns engagieren und auf Arbeitslosengeld oder Grundsicherung angewiesen sind, ist die Ehrenamtspauschale ein notwendiger Zuverdienst für ihren Lebens- unterhalt. Ist das verwerflich? Ich meine: nein. Denn in der Praxis zeigt sich, dass die Kolleginnen und Kollegen mit vollem Herzen dabei sind. Schwierig ist jedoch, dass immer mehr Menschen bei uns nachfragen, ob sie sich engagieren können, da sie mit ihrer kleinen Rente nicht mehr auskommen. Hier entsteht eine neue soziale Schieflage. Soziales Engagement ist für unsere Gesellschaft ein Seismograf für Solidarität, Teilhabe, aber auch für soziale Nöte.
Ulrike Kostka, geboren 1971 in Celle, Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin und außerplanmäßige Professorin für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster.