Serbien
Die meisten serbischen Asylbewerber verlassen ihr Heimatland aus wirtschaftlichen Gründen. Generell gilt Serbien als ein sogenanntes sicheres Herkunftsland. Die monatliche Unterstützung in Deutschland ist bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 380 Euro in Serbien – in Südserbien sogar nur von 150 Euro – eine nachvollzieh bare Motivation vieler Flüchtlinge. Der serbische Premierminister Aleksandar Vučić kritisiert seine flüchtenden Landsleute: Für ihn sind serbische Flüchtlinge lediglich an deutschem Geld interessiert; Serbien unternehme selbst doch einige s, um den Lebensstandard im eigenen Land zu verbessern. Die serbische Regierung hat mit der Umsetzung von Reformen begonnen, um die Staatsverschuldung abzubauen. Die Gehälter im öffentlichen Dienst wurden gekürzt, Staatsunternehmen wurden privatisiert und die Korruption wird spürbar bekämpft.
Erste Erfolge sind sichtbar: So sollen die zu Jahresbeginn wieder holt gekürzten Renten zum Jahresende moderat erhöht werden. Bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juli 2015 verkündete Vučić, dass seine Regierung das Haushaltsdefizit von 6,6 auf 1,6 Prozent verringern konnte. Diese Zahlen belegen die positive wirtschaftliche Entwicklung Serbiens. Man habeeinen anderen Weg als Griechenland eingeschlagen, betonte Premierminister Vučić nicht ganz ohne Stolz.
Analysiert man die serbischen Asylanträge genauer, fällt auf, dass zwei Drittel der Anträge von Roma gestellt werden, deren soziale Situation in Serbien schwierig ist. Sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auch im Bildungsbereich sind Roma benachteiligt. Besonders jene, die in informellen Siedlungen leben, haben Schwierigkeiten, einen Zugang zu Sozialhilfe, Gesundheitsvorsorge, Arbeit und angemessenem Wohnraum zu erhalten. Die serbische Politik ist bemüht, ihre Situation zu verbessern, etwa durch die Beteiligung Serbiens an der Dekade zur Inklusion der Roma. In Belgrad wurden mehrere Slums aufgelöst und die Bewohner in Containerdörfer umgesiedelt. Diese Maßnahmen finden sowohl auf serbische Eigeninitiative hin statt als auch auf Drängen der Europäischen Union. Die erste Verhandlungsrunde zum EU-Beitritt Serbiens ist in Vorbereitung. Eine der wichtigsten EU-Auflagen für einen erfolgreichen Beitritt Serbiens ist die Verbesserung der Lebensbedingungen der Romabevölkerung.
Nach der Abschiebung versuchen die meisten Rückkehrer, sich eine Existenz in Belgrad oder in Gemeinden in Südserbien, die eine höhere Romapopulation verzeichnen (etwa Vranje, Leskovac, Niš) aufzubauen. Die Perspektiven eines solchen Neubeginns sind nach der Rückkehr nicht rosig. Viele Rückkehrer leben in Armut, besitzen keine Ausweisdokumente und bleiben häufig arbeits- und mittellos.
Um wirtschaftliche Anreize für eine Flucht zu minimieren, bedarf es weiterer wirtschafts- und sozialpolitischer Anstrengungen, einer Straffung und Reduzierung der Verwaltungsbürokratie, verlässlicher Rechtsgrundlagen und einer Entwicklung, die das ganze Land, die ganze Region in den Blick nimmt. Das kann Belgrad allein nicht leisten, hier sind die Hilfe und die Solidarität Europas notwendig.
Die Menschen in Serbien haben Verständnis für die Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan, die Erinnerung an Krieg und Flucht ist bei ihnen selbst noch sehr lebendig. Doch wie lange das Flüchtlingsdrama in Serbien oder in Europa noch friedlich bleibt, ist fraglich. Die Zahl der Schleuser und anderer Menschen, die aus der Notsituation der Flüchtlinge durch kriminelle Machenschaften Kapital schlagen, wird immer größer. Viele Menschen in Serbien stellen sich der aktuellen Situation; personelle, finanzielle und technische Hilfe ist auf lange Sicht gefordert.
Für Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, aber auch aus afrikanischen Ländern, ist Serbien lediglich ein Transitland auf dem Weg in die EU. Als Ziele gelten etwa Deutschland und Schweden. Nach ihrem Weg durch Griechenland und Mazedonien überqueren die Flüchtlinge die serbisch-mazedonische Grenze und kommen im Aufnahmezentrum in Preševo, im Süden Serbiens, an. Dort werden sie, nach einer Sicherheitskontrolle und einer medizinischen Untersuchung, registriert und darüber informiert, dass es auch die Möglichkeit gibt, in Serbien Asyl zu beantragen. Die wenigsten aber stellen ihren Antrag hier, denn sie wollen weiter in Richtung EU.
In Preševo ist man sichtlich bemüht, den Flüchtlingen in ihrer Situation so gut wie möglich zu helfen. Auf Aushängen im Aufnahmezentrum wird beispielsweise darüber informiert, wie viel die Weiterfahrt mit dem Zug oder Bus nach Belgrad kostet. Sollte es jemandem nicht möglich sein, die Fahrkarte zu bezahlen, so trägt das Zentrum Sorge dafür, dass er dennoch eine Karte erhält. Die humanitäre Versorgung hat in Preševo oberste Priorität. Die Flüchtlinge können sich waschen und ausruhen; für Mütter und Kinder gibt es einen separaten Ruheraum. Es ist beachtlich, wie friedlich und ruhig sich die Flüchtlinge in ihrer doch angespannten Situation verhalten. So gab es in Preševo bisher keinen Vorfall, bei dem die Polizei eingreifen musste.
Hilfsorganisationen stellen Nahrungs- und Hygienepakete bereit, und es wird sogar geplant, einen Spielplatz für die große Zahl von Kindern zu bauen. Ärzte aus der Umgebung tun alles dafür, die medizinische Versorgung in der Einrichtung zu gewährleisten. Die Kapazitäten sind jedoch begrenzt, und zusätzliche medizinische Unterstützung ist notwendig. Um die Situation insgesamt zu verbessern, wird viel mehr praktische Hilfe von der internationalen Gemeinschaft benötigt.
Norbert Beckmann-Dierkes Auslandsbüro Serbien der Konrad-Adenauer-Stiftung
Kosovo
Deutschland spricht über die Ausweitung des Kreises sicherer Herkunftsstaaten, der Kosovo über Visaliberalisierung. Beide Debatten treffen nicht den Kern: die Hoffnungslosigkeit Hunderttausender Menschen. Kein Plädoyer für das Verbleiben kann wirtschaftliche Perspektive und demokratischen Fortschritt schaffen und damit die schwerwiegendsten Fluchtgründe beseitigen. Es gilt, ebendiese zu bekämpfen und den Flüchtlingen zu verdeutlichen, dass es kein Menschenrecht auf Einwanderung gibt und Asyl Schutz vor politischer Verfolgung meint.
Die Kosovaren stimmen mit ihren Füßen ab, nicht aufgrund politischer Verfolgung oder staatlicher Repressalien, sondern weil sich seit der Beendigung des Krieges (1999) und der Unabhängigkeit (2008) die Lebensbedingungen nach wie vor nicht verbessert haben. Politik und Gesellschaft gelten immer noch als durch und durch korrupt. Die Mehrheit der Bürger wünscht sich einen spürbaren politischen Machtwechsel. Sie sind von der Demokratie und der zähen Integration in die Europäische Union (EU) enttäuscht. Noch immer erkennen fünf EU-Staaten den Kosovo nicht als souveränen Staat an. Es bedarf einer einheitlichen Haltung Europas zum Kosovo.
Inzwischen hat sich im Kosovo die geringe Aussicht auf Asyl in Deutschland herumgesprochen. Die Regierung in Priština, aber auch die in ihrer Heimat gebliebenen Familien sind mit den Rückkehrern heillos überfordert. Viele haben Haus und Hof verkauft, um mithilfe von Schleppern die gelobten Länder zu erreichen. Das Innenministerium versucht zusammen mit der Internationalen Organisation für Migration, Notunterkünfte zur Verfügung zu stellen. Hier könnte die EU kurzfristig helfen.
Langfristig braucht es jedoch mehr. Der richtige Anfang wurde mit der Einrichtung des „Deutschen Informationspunktes für Migration, Ausbildung und Karriere“ (DIMAK) bei der Deutschen Botschaft gemacht. Der DIMAK klärt über die Möglichkeiten einer legalen Einwanderung nach Deutschland auf.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung kann unter anderem mit dem Ausbau ihres Stipendienprogramms ihren eigenen kleinen Beitrag leisten, um die Situation im Land zu verbessern. Alle geförderten Auslands und Surplace-Stipendiaten sind zurück gekehrt oder im Kosovo geblieben und helfen beim Aufbau der Gesellschaft tatkräftig mit. Aber zuallererst bedarf es ausländischer Direktinvestitionen, basierend auf mehr Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung. Neben politischer Stabilität wird für die Bürger die wirtschaftliche Entwicklung zum wichtigsten Schlüsselfaktor, ihr eigenes Land nicht zu verlassen.
Mazedonien
Das Innenministerium hat am 20. August 2015 den Ausnahme zustand ausgerufen und registrierte Flüchtlinge durch Mazedonien. Die reale Zahl ist nicht greifbar. Die Vereinten Nationen rechnen in den nächsten Monaten mit 3.000 Flüchtlingen pro versperrte an der Südgrenze zu Griechenland circa 5.000 Flüchtlingen den Weg durch Mazedonien. Das erlaubte der Regierung, geltende Bestimmungen außer Kraft zu setzen und der Polizei durch den Einsatz des Militärs zu helfen. Doch schon am Samstag musste die Grenze wieder geöffnet werden. Selbst mit vereinzeltem Einsatz von Blendgranaten konnte der massive Andrang der Flüchtlinge nicht aufgehalten werden. Die Regierung hat nach anfänglicher Unsicherheit nun einen pragmatischen Weg eingeschlagen: Endlich werden Sonderbusse und -züge für einen geordneten Weitertransport nach Serbien zur Verfügung gestellt. Ein Fahr schein kostet pro Person zehn Euro.
Vor Ausrufung des Ausnahmezustandes spielten sich auf dem Bahnhof der Grenzstadt Gevgelija dramatische Szenen ab, die in Bildern um die Welt gingen. In den Medien wurde einhellig von der Überforderung der Behörden vor Ort berichtet. Zum damaligen Zeitpunkt stimmte das nicht, da die Polizei die Situation schlichtweg ignorierte und gar nicht gewillt war, ordnend einzugreifen. Für die Registrierung von etwa 2.000 Flüchtlingen standen nur fünf Polizeibeamte und vier Helfer des UN-Flüchtlingshilfswerks zur Verfügung, die am Tag „nur“ 400 bis 500 Anträge bearbeiten konnten. Das im Juni verabschiedete Gesetz, welches den Flüchtlingen nach der Registrierung 72 Stunden Zeit gibt, legal durch Mazedonien zu reisen, geriet so zur Farce. Nach offiziellen Angaben reisten allein in den letzten drei Monaten über 100.000 Tag. Momentan überqueren täglich circa 2.000 die Grenze. Damit hat sich Mazedonien zu einem Transitland entwickelt. Die Behörden sind jetzt redlich bemüht, der Situation Herr zu werden. An der Grenze zu Griechenland gibt es inzwischen ein „Empfangszentrum“ für die Registrierung, und ein Auffanglager ist im Entstehen. Die Versorgung der Flüchtlinge mit Wasser und Nahrung hat sich deutlich verbessert.
Die Regierung und die Bürger Mazedoniens fühlen sich von der EU im Stich gelassen. Sie fragen sich, warum die Behörden in Griechenland keine Verpflichtung verspüren, die Flüchtlinge zu registrieren, und Griechenland als EU-Mitgliedsland die Grenzen öffnen darf. Am Abend des 26. August verbreitete sich die Nachricht rasch, dass die EU 1,5 Millionen Euro und Deutschland eine Million Euro für die Transitländer der Balkan route als Soforthilfe zur Verfügung stellen. Hinzu kommen weitere acht Millionen Euro an Flüchtlingshilfe der EU für den Westbalkan und für die Türkei. Ende August wurden auf der Balkankonferenz in Wien (Infrastrukturprojekte, Kooperation der Jugendwerke) weitere Millionen zur Ursachenbekämpfung der Flüchtlings welle angekündigt; Mazedonien soll außer dem 24 Millionen Euro aus dem Instrument für Heranführungshilfe (Instrument for Pre-Accession Assistance, IPA) erhalten.
Johannes D. Rey Auslandsbüro Mazedonien und Kosovo der Konrad-Adenauer-Stiftung