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Warum die Justiz angemessen ausgestattet werden muss

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Kriminalität und Sicherheit sind in das Zentrum der gesellschaftlichen Debatte gerückt. Terroranschläge und die Übergriffe an Silvester 2015 in Köln haben ebenso ihre Spuren hinterlassen wie die Alltagskriminalität: Wohnungseinbrüche, zunehmende Gewalt, Stalking im Internet. Die Sorge, Opfer eines Verbrechens zu werden, ist bei den Bürgern angekommen.

Nach einer Umfrage des ROLAND Rechtsreport 2017 haben etwa 65 Prozent der Befragten Angst, Opfer eines Anschlags zu werden – im Jahr 2006 waren es nur 39 Prozent. Akut bedroht fühlen sich 10 Prozent, 45 Prozent sind verunsichert, wenn sie an Orten sind, wo sich viele Menschen aufhalten, und 60 Prozent, die sich akut bedroht fühlen, meiden gefährliche Orte. Das Gefühl, nicht ausreichend geschützt zu werden, wirkt sich im Leben der Bürger aus. Es droht eine Vertrauenskrise.

Der Staat muss sich vorwerfen lassen, seine Sicherheitsorgane vernachlässigt zu haben. Stellen sind abgebaut worden, und die Justiz weist in den Landeshaushalten lediglich einen Anteil zwischen 1,5 und 4,5 Prozent aus. Das ist erkennbar zu wenig. Auch ist festzustellen, dass sich die Justiz immer häufiger Kritik aus der Gesellschaft stellen muss. Die Vorwürfe lauten, Richter seien zu lasch gewesen oder wieder einmal habe ein Richter einen von der Polizei gefassten Täter laufen lassen. Dass der Strafbereich in das Zentrum der gesellschaftlichen Debatte geraten ist, ist zugleich jedoch eine große Chance. Denn Aufmerksamkeit ist die erste Voraussetzung für Änderungen. Was also ist zu tun?

Zunächst sollten wir das, was gut ist, bewahren und nicht zerreden. Unser liberaler Rechtsstaat hat auch bei der Kriminalitätsbekämpfung Erfolg. Vergleiche mit Staaten, in denen viel härter bestraft wird – etwa den USA –, machen deutlich, dass die Gleichung „Höhere Strafen gleich weniger Kriminalität“ nicht aufgeht. Es ist wichtig, weiterhin bei der Kriminalitätsvermeidung auch auf einen starken Sozialstaat zu setzen, der verhindert, dass Menschen durchs Rost fallen und daher nichts mehr zu verlieren haben. Bestehende Gesetze müssen jedoch konsequent umgesetzt werden. Wir haben zugelassen, dass Graubereiche entstehen. Wir müssen wieder lernen, dass wir diese Bereiche auch klar benennen können, wie etwa das Ausländerrecht. Im Zuge der Flüchtlingsbewegungen sind viele Menschen ohne Bleibeperspektive zu uns gekommen. Der Kriminologe Christian Pfeiffer hat im Januar 2018 nachgewiesen, dass gerade diese Personen für den Anstieg der Gewaltkriminalität verantwortlich sind. Eine lückenlose Sicherung der Außengrenze und eine konsequente Integration der Ausländer mit Bleibeperspektive dienen der Kriminalitätsvermeidung.

Neue Initiative bei der Vorratsdatenspeicherung

Neben der Prophylaxe ist es für den Staat wichtig, eine konsequente Strafverfolgung zu gewährleisten. Spätestens der Fall Anis Amri hat gezeigt, dass in Zeiten grenzüberschreitender Kriminalität die Zusammenarbeit zwischen den Behörden von entscheidender Bedeutung ist. Sechzehn Bundesländer und der Bund selbst haben völlig unterschiedliche Strukturen entwickelt, was unnötige Reibungsverluste verursacht. Anfänge verbesserter Zusammenarbeit – etwa im Gemeinsamen Extremismus und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) – sind gemacht.

Weiterhin müssen die Ermittlungsmöglichkeiten des Staates auf die Höhe der Zeit gebracht werden. Polizei und Justiz müssen mit den Methoden Krimineller mithalten können. Mit Vorschriften, die sich noch mit der Beschlagnahme von Telegrammen beschäftigen – dies ist in Paragraph 99 der Strafprozessordnung tatsächlich der Fall –, kommen wir nicht mehr weiter. Ein neues Grundkonzept zur Überwachung der Kommunikation zwischen Kriminellen muss erarbeitet werden. Bisher sind die Vorschriften an der Form der Nachricht ausgerichtet. Dies hat dazu geführt, dass bei jeder neuen technischen Entwicklung eine Rechtslücke entsteht. Wir müssen zu einem anderen Ansatz kommen, der nicht auf die Form der Nachricht abstellt, sondern Inhalte abgrenzt. Nachrichten an Familienangehörige oder Anwälte dürfen im Zweifel nicht überwacht werden – andere schon, und zwar unabhängig von der technischen Form der Übermittlung.

Unbedingt wieder aufgegriffen werden muss das Thema „Vorratsdatenspeicherung“. Nachdem der Gesetzgeber seine Arbeit getan hatte, war es der Europäische Gerichtshof (EuGH), der neue Hürden errichtete. Die Umsetzung des Rechts zur Vorratsdatenspeicherung ist deshalb zurzeit ausgesetzt. Die Bedenken dagegen halte ich für übertrieben. In der Sache geht es nicht darum, zu wissen, was die Beteiligten in einem Telefonat miteinander besprochen haben, sondern wer wann wen von welchem Telefon aus angerufen hat. Früher haben wir zur Abrechnung von der Telefongesellschaft den Nachweis der Verbindungsdaten gefordert. Es ist unverständlich, warum einige Bürger nunmehr gegen diese Speicherung Sturm laufen, die sie früher selbst verlangt haben. Wichtig ist dieser Ermittlungsansatz beispielsweise bei den Enkeltrickbetrügern. Es bedarf deshalb einer neuen Initiative, um die Vorgaben des EuGH umzusetzen.

Straftatbestand Schwarzfahren

Wir benötigen auch die technischen Mittel, um Kriminalität im Netz, wie Kinderpornographie, Drogenhandel oder Identitätsdiebstahl, einzugrenzen. Mit der Gründung von Zentralstellen für Cybercrime – etwa in Nordrhein Westfalen, Hessen und Bayern – hat es deutliche Fortschritte gegeben. Wir stehen aber noch am Anfang. Dieser Weg muss so ausgebaut werden, dass die Justiz in der Lage ist, flächendeckend Kriminalität im Netz aufzuklären. Dabei wird auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) helfen. Dieses Gesetz nimmt die Online-Plattformen in die Pflicht und sorgt dafür, dass der Bürger seine Persönlichkeitsrechte im Internet schneller durchsetzen kann. Die Anbieter sind verpflichtet, strafbare Inhalte zu löschen. Dies ist aus meiner Sicht kein unzulässiger Eingriff in die Meinungsfreiheit – wie einige Kritiker meinen –, sondern ein völlig normaler Vorgang. Wer etwa eine Einkaufspassage eröffnet, in der Hehlerware verkauft wird, kann sich auch nicht darauf zurückziehen, er vermiete nur Ladenflächen.

Sind Beschuldigte ermittelt, müssen sie einer schnellen und konsequenten Verurteilung zugeführt werden. Daran hapert es. Vor allem an den Landgerichten dauern die Verfahren immer länger, und die Staatsanwaltschaften müssen immer öfter Verfahren einstellen. Mittlerweile werden mehr Strafverfahren nach Ermessensüberlegungen eingestellt, als dass die Täter angeklagt werden. Das war vor zehn Jahren noch anders, und diese Praxis führt auch zu Gerechtigkeitsproblemen. Denn der Bürger versteht nicht, warum seine Ordnungswidrigkeit wegen Falschparken konsequent verfolgt, ein Verfahren wegen Diebstahl aus seinem Laden jedoch aufgrund von Geringfügigkeit eingestellt wird.

Der Justiz muss ermöglicht werden, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Stattdessen wird sie von immer mehr Gesetzen belastet. Natürlich muss der Gesetzgeber auf Missstände reagieren können. Die Angriffe auf Sanitäter zu Silvester 2017 in Berlin haben verdeutlicht, dass das Gesetz zum verbesserten Schutz von Vollstreckungsbeamten aus dem Jahr 2017 notwendig war. Gleich wohl ist es nicht richtig, jedes gesellschaftliche Phänomen mit neuen Gesetzen zu verfolgen – etwa bei Sportwettenbetrug oder Doping im Profisport.

Die vorhandenen Strafgesetze müssen auf Überflüssiges durchforstet werden. So trete ich der Initiative des Justizministers des Landes Nordrhein Westfalen, Peter Biesenbach, bei, den Straftatbestand des Schwarzfahrens zu überdenken. Verkehrsbetriebe können sich durch technische Einrichtungen selbst sehr gut gegen Schwarzfahren wappnen. Wenn sie dies aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen heraus nicht tun, dann darf nicht der Steuerzahler als Lückenbüßer herhalten. In Berlin muss die Justiz 40.000 Fälle von Schwarzfahren im Jahr bearbeiten – gleichzeitig haben aber nahezu alle Kammern des Landgerichts Berlin Überlastung angezeigt. Nach meiner persönlichen Auffassung sollten wir uns auch über die Ordnungswidrigkeiten Gedanken machen. An vielen Gerichten werden mehr Bußgeld als Strafverfahren geführt. Es müssen deshalb Ideen entwickelt werden, wie die Belastung der Gerichte mit Ordnungswidrigkeitsprozessen minimiert werden kann.

Reform der Strafprozessordnung

Die Strafe muss auf dem Fuße folgen – eine Forderung, die in jeder Hinsicht berechtigt ist. Die Strafprozessordnung hält dafür auch ein Instrument bereit, das die Justiz vermehrt nutzen sollte: das beschleunigte Verfahren. Formerfordernisse sind in diesem Verfahren herabgesetzt, und es kann gegen einen Angeklagten bis zu einer Woche Hauptverhandlungshaft angeordnet werden, um die Verhandlung zu sichern. Diese Verfahrensform hat sich bewährt. So werden etwa in Köln über 1.000 Strafverfahren jährlich in dieser Prozessart bearbeitet. Es müssen jedoch die Voraussetzungen geschaffen werden, um das beschleunigte Verfahren in die Fläche zu bringen. Es geht um Kapazitäten für das zwar schnellere, aber personalaufwendigere Verfahren. Erwogen werden könnte auch, die Haftzeit maßvoll von einer Woche auf zehn Tage auszuweiten. Die Strafprozessordnung ist für Richter und Staatsanwälte immer weniger praktikabel. Nicht selten platzt ein Prozess nach Jahren – so in Koblenz, wo ein Strafverfahren vor dem Landgericht nach über fünf Jahren aufgrund von mehr als 1.000 Prozessanträgen der Verteidigung nicht zu Ende geführt werden konnte. Die Strafprozessordnung muss mehr Möglichkeiten für die Gerichte vorsehen, sich gegen Prozessverschleppung zu wehren. Dabei geht es in erster Linie um das sogenannte Beweisantragsrecht der Verteidigung, das notwendig ist, aber in der gegenwärtigen Form eben auch zu Missbrauch einlädt. Befangenheitsanträge sollten einfacher zurückgewiesen werden können. Der Gesetzgeber hat zwar im letzten Jahr diesbezüglich nachgearbeitet, die Reformen reichen aber nicht aus. Vorschläge sind im Jahr 2017 vom Strafkammertag unterbreitet worden. Dass es auch anders geht, zeigt der Blick ins Ausland: Bei dem Verfahren gegen den rechtsradikalen norwegischen Massenmörder Anders Breivik benötigte das Gericht nur vier Monate bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung.

Richter und Staatsanwälte fehlen

Auch das Recht der Nebenklage führt zu Behinderungen im Strafverfahren. Das NSU-Verfahren mit seinen 65 Nebenklagevertretern verdeutlicht, dass die Gerichte an der Grenze des Praktikablen arbeiten. Das Recht der Nebenklage soll verhindern, dass das Opfer einer Straftat im Prozess zum zweiten Mal Opfer wird. Zu Recht werden deshalb umfangreiche Beteiligungsrechte gewährt. Wenn diese Rechte aber dazu genutzt werden, verfahrensfremde Zwecke durchzusetzen – etwa eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts durch das Gericht im Sinn einer Wahrheitskommission –, dann muss der Gesetzgeber Änderungen prüfen.

All diese Maßnahmen setzen voraus, dass die Justiz mit Personal und Sachmitteln angemessen ausgestattet ist. Bundesweit fehlen rund 2.000 Richter und Staatsanwälte. Vor deutschen Gerichten geht es heute um Völkermord im Kongo, um Steuerhinterziehung international tätiger Konzerne oder grenzüberschreitende Bandenkriminalität. Es liegt auf der Hand, dass diese Prozesse immer personalintensiver werden. Gerade hat der Gesetzgeber die Vermögensabschöpfung neu geregelt, um die Organisierte Kriminalität (OK) zu bekämpfen. Nunmehr gibt es viel mehr Möglichkeiten, Vermögen, das aus einer Straftat generiert wurde, einzuziehen. Das ist zwar richtig, kostet aber wieder Personal und macht noch einmal deutlich: Wer eine starke Justiz möchte, der muss sie auch angemessen ausstatten, technisch und personell. Dies erwartet der Bürger in seinem Anspruch, vom Staat geschützt zu werden, zu Recht.

Immerhin: In der Koalitionsvereinbarung ist in Berlin ein erster wichtiger Schritt angekündigt worden: Man will einen Rechtsstaatspakt zwischen dem Bund und den Ländern schließen. Das weckt Hoffnung. Richter erhoffen sich aber auch von der Gesellschaft manchmal mehr Rückendeckung. Lassen wir es nicht zu, dass der Rechtsstaat Schaden nimmt. In einer immer bunter werdenden Gesellschaft gibt es zum Recht keine Alternative.

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Jens Gnisa, geboren 1963 in Bielefeld, Richter, seit 2012 Direktor des Amtsgerichts Bielefeld, seit 2016 Vorsitzender des Deutschen Richterbundes (DRB).

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