Im Bundestag stehen gesetzliche Regelungen zur Diskussion, die die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung regeln sollen. Außerdem ist geplant, die palliativmedizinische Versorgung zu verbessern. Beide Gesetzesvorhaben ergänzen vorangegangene Maßnahmen der letzten Jahre, die dazu dienten, verbesserte Bedingungen für die Sterbephase eines Menschen zu schaffen.
Der Zeitplan für die Gesetzgebungsverfahren steht inzwischen fest. Mitte Juni soll das vom Bundesgesundheitsministerium federführend vorbereitete Gesetz für eine bessere Palliativversorgung in erster Lesung beraten werden, Anfang Juli dann das Verbot der organisierten Suizidbeihilfe. Diskussionsgrundlage sind fünf Positionspapiere, die vor einigen Monaten veröffentlicht worden sind und die unterschiedlichen Sichtweisen – vom Verbot der organisierten Suizidbeihilfe bis hin zu deren Zulassung unter Beachtung von „Sorgfältigkeitskriterien“ – widerspiegeln. In der zweiten Septemberhälfte ist eine Anhörung im Bundestag vorgesehen. Die abschließende Beratung der Gesetzentwürfe zur Verbesserung der palliativmedizinischen Versorgung und zum Verbot der organisierten Suizidbeihilfe erfolgt voraussichtlich am 6. November 2015.
Über die Frage, was getan werden kann, um ein Sterben in Würde zu ermöglichen, gehen die Meinungen weit auseinander. Vor allem der medizinische Fortschritt, aber auch die veränderten Werthaltungen und Lebensstile in der Gesellschaft treiben die Diskussion an. Dabei ist bemerkenswert, dass es bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen einen „Wertekern“ zu geben scheint, der den meisten Menschen wichtig ist: „Menschenwürde“ und „Selbstbestimmung“ sind die zentralen Begriffe.
Zum modernen Menschen gehört der Anspruch, sein Leben eigenverantwortlich zu führen – und zwar in allen Lebensphasen, also auch in der Sterbephase. Allerdings wird dieses Selbstverständnis selten hinterfragt, denn schon in vielen Alltagssituationen lässt sich der damit verbundene hohe Anspruch nicht immer realisieren. Abhängigkeiten und Asymmetrien bestehen etwa schon in einem normalen Arzt-Patienten-Verhältnis zwischen dem Ratsuchenden und dem Ratgebenden. Das gilt erst recht am Lebensende, wenn die Fähigkeit des Patienten zur Selbstbestimmung schon physisch an Grenzen stößt und sein Bedürfnis nach ärztlicher Fürsorge in den Vordergrund tritt. Ohne die grundsätzliche Bedeutung der freien Entscheidung infrage zu stellen, dürfen diese Einschränkungen nicht unbeachtet bleiben, um den sterbenden Menschen nicht zu überfordern. In der Sterbephase können das körperliche Leiden und die seelische Not so groß werden, dass der Patient nur sehr schwer über den weiteren Behandlungsweg entscheiden kann; ärztlicher Rat wird notwendiger denn je.
Argumente gegen die organisierte Suizidbeihilfe
Im Raum steht ein Verbot der organisierten Sterbehilfe, bei der beispielsweise Sterbehilfeorganisationen gewerbs- oder geschäftsmäßig die Beihilfe zur Selbsttötung als Dienstleistung anbieten könnten. Es geht allein um diese Suizidbeihilfe in „organisierter“ Form. Alle anderen Formen der Suizidbeihilfe würden auch weiterhin grundsätzlich straffrei bleiben.
Die Befürworter der organisierten Sterbehilfe verweisen darauf, dass in bestimmten Situationen das Leiden sterbender Menschen so stark werden könne, dass das Leben von den Betroffenen nicht mehr als lebenswert empfunden werde und die Möglichkeit, dieses Leiden zu mindern, unter Umständen fehle. Es gehöre daher grundsätzlich zum Selbstbestimmungsrecht, Suizidbeihilfe, auch in organisierter Form, in Anspruch zu nehmen.
Ihre Gegner sehen darin eine Pervertierung des Freiheitsgedankens und heben hervor, dass durch die Selbsttötung die Grundlage für jede Selbstbestimmung, nämlich das eigene Leben, zerstört würde. Sie sehen das Selbstbestimmungsrecht durch ein Verbot der organisierten Suizidbeihilfe nicht in unzulässiger Weise eingeschränkt und führen an, dass es auch bei einem Verbot der organisierten Suizidbeihilfe immer noch Möglichkeiten gebe, die Sterbephase nach eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Zudem sei die Verbindlichkeit des Patientenwillens ohnehin gesetzlich verankert. Palliativmedizin und Hospize könnten auch in diesen schwierigen Situationen für ein menschenwürdiges Dasein bis zuletzt sorgen. Als Konsequenz der organisierten Suizidbeihilfe befürchten sie das Aufkommen eines neuen gesellschaftlichen Drucks, der die Freiräume sterbender Menschen einengen würde. Sie könnten vor allem leicht den Eindruck gewinnen, anderen zur Last zu fallen. So würden sich wohl vor allem alte Menschen gedrängt fühlen, die „Dienstleistungs“-Angebote von Sterbehilfeorganisationen in Anspruch zu nehmen. Daher halten es die Gegner der organisierten Sterbehilfe für zentral, dass die lebensdienlichen Alternativen zur Selbsttötung stärker in den Blick gerückt werden. Kranke und Sterbende, die ihre Situation als unerträglich empfänden und daher einen Suizid in Erwägung zögen, gewännen oft wieder Lebensmut und Lebenskraft, wenn das Leiden – etwa durch Palliativmedizin und psychologische und seelsorgerische Hilfe – gemindert werde. Demnach sei an erster Stelle Hilfe zur Bewältigung der Krisensituation notwendig.
Auch die Befürworter der organisierten Suizidbeihilfe betonen, dass Palliativmedizin und Hospize im Sinne der Patienten zu stärken seien. Sie verweisen jedoch darauf, dass diese Maßnahmen allein nicht ausreichten. Die Gefahr von Missbrauch, von entstehenden gesellschaftlichen Zwängen auf Sterbende sowie von ethisch-rechtlichen Dammbrüchen wird von ihnen hingegen – beispielsweise mit Hinweis auf die moderate Entwicklung der Sterbehilfezahlen in der Schweiz, wo Sterbehilfeorganisationen schon lange tätig sind – als gering erachtet.
Ärzte als Sterbehelfer?
In der Sterbehilfedebatte kommt Ärzten eine besondere Rolle zu. Heilung und Leidminderung sind fraglos ihre zentralen Aufgaben. Dies gilt auch für die letzte Phase des menschlichen Lebens, in der bei infauster Prognose Heilung als therapeutisches Ziel in den Hintergrund tritt und durch den palliativen Aspekt ersetzt wird. Dabei geht es nicht um die Verlängerung des erlöschenden Lebens um jeden Preis, sondern um die Erhaltung oder Wiederherstellung einer möglichst guten Lebensqualität bis zum natürlichen Ende des Sterbenden. In diesen Fällen sind Ärzte Helfer „im“ Sterben.
Kontrovers wird darüber debattiert, ob Ärzte unheilbar kranken und leidenden Menschen auf deren Wunsch hin auch „zum“ Sterben verhelfen dürfen. Gemeint ist die ärztliche Beihilfe beim Suizid, nicht aber die strafrechtlich verbotene Tötung auf Verlangen, bei der die Tatherrschaft, anders als bei der Suizidbeihilfe, nicht beim Patienten, sondern beim „Sterbehelfer“ liegt. Im Gegensatz dazu ist die Suizidbeihilfe für Ärzte – wie für jeden anderen – strafrechtlich nicht verboten. Allerdings widerspricht sie dem ärztlichen Ethos und ist in den Berufsordnungen der Landesärztekammern mehr oder weniger eindeutig untersagt. Aus Politik und Gesellschaft, aber auch aus der Ärzteschaft selbst gibt es die Forderung, dieses standesrechtliche Verbot aufzuheben und die Zulässigkeit der ärztlichen Suizidbeihilfe rechtlich eindeutiger festzulegen.
Dafür spricht, dass Ärzte aufgrund ihres Know-how in der Lage sind, eine Selbsttötung „professionell“ zu unterstützen. Im Falle von Familienärzten, die Menschen ein Leben lang gesundheitlich betreut haben, gibt es darüber hinaus ein besonders enges Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, sodass die Authentizität des vom Patienten geäußerten Sterbewunsches von diesen Ärzten mit hoher Wahrscheinlichkeit realistisch eingeschätzt werden kann.
Gegen die ärztliche Suizidbeihilfe spricht, dass das grundlegende Vertrauen zwischen Ärzten und Patienten nachhaltig belastet werden könnte, wenn das Selbstverständnis des Arztes nicht mehr allein auf Heilung und Leidminderung ausgerichtet ist, sondern auch die Beihilfe zur Tötung als reguläre ärztliche Dienstleistung einschließt.
Vor diesem Hintergrund sollten die Argumente sehr sorgfältig abgewogen werden: Ist es zielführend – oder vielleicht sogar notwendig –, den ärztlich assistierten Suizid – über die bestehenden Regeln im Strafrecht und im Standesrecht hinaus – explizit zu regeln?
Mehrheiten und Kontroversen
Es zeichnet sich eine politische Mehrheit für ein Verbot von Sterbehilfevereinen und den organisierten Formen der Suizidbeihilfe ab; ebenso herrscht ein weitgehender Konsens darüber, eine Überregulierung zu vermeiden und die Selbsttötung sowie die individuelle, auf den einzelnen Härtefall bezogene Beihilfe straffrei zu belassen. Über alle politischen Lager hinweg ist damit das Bestreben erkennbar, Sterbehilfe als Dienstleistung im großen Stil zu verbieten, aber ansonsten Freiräume für die individuellen Bedürfnisse sterbender Menschen zu erhalten – und sie durch den weiteren Ausbau von Palliativmedizin und Hospizeinrichtungen zu fördern.
Noch nicht absehbar ist das Meinungsbild zur speziellen Frage der ärztlichen Suizidassistenz, die im Zusammenhang mit dem Verbot der organisierten Suizidbeihilfe kontrovers diskutiert wird. Die Bundesärztekammer lehnt eine ärztliche Beteiligung an der Selbsttötung eines Patienten grundsätzlich ab. Allerdings scheint die Ärzteschaft gespalten: Umfragen deuten darauf hin, dass rund ein Drittel der Ärzte mit dem standesrechtlichen Verbot nicht einverstanden ist.
Während im politischen Raum die organisierte Suizidbeihilfe mehrheitlich auf Skepsis stößt, scheint es in der Gesellschaft insgesamt eine große Zustimmung dafür zu geben. Annähernd eine Zweidrittelmehrheit der Bevölkerung spricht sich in Umfragen für Sterbehilfeorganisationen und organisierte Suizidbeihilfe aus. Selbst für eine Legalisierung der bisher verbotenen Tötung auf Verlangen scheint es eine Mehrheit zu geben, wobei diese Haltung wiederum im politischen Raum kaum Widerhall findet. Offensichtlich wird diese Mehrheitsmeinung in erster Linie nicht von der Sorge um einen ethisch-rechtlichen Dammbruch geprägt, sondern vor allem von der Sorge vor einem qualvollen Sterben. Dies ist nachvollziehbar – wer hätte keine Angst vor Sterben und Tod?
Allerdings deuten andere Umfragen darauf hin, dass viele Menschen nicht ausreichend über Palliativmedizin und Hospize informiert sind und daher gar nicht wissen, dass auch auf andere Weise ein qualvolles Sterben vermieden werden kann. Vielen ist außerdem der schon jetzt hohe Stellenwert des Patientenwillens auch in der Sterbephase nicht bewusst, die Tatsache also, dass das Sterben in Selbstbestimmung nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. Aufklärung kann die Angst vor der Sterbephase mindern. Wenn sie gelingt, wird voraussichtlich auch die Zustimmung zur organisierten Suizidbeihilfe und zur Tötung auf Verlangen nachlassen.
Der Wandel der Sterbekultur in Deutschland, der weit über Suizidbeihilfe und Sterbehilfe hinausgeht, vollzieht sich schleichend. Gerade bei solchen Themen, die gesellschaftlich in der Regel nur am Rande behandelt werden, obwohl sie für jeden Menschen von existenzieller Bedeutung sind, entstehen durch politische Kontroversen wie die aktuelle Sterbehilfedebatte wertvolle Kristallisationspunkte der gesellschaftlichen Reflexion.
Bisher verlief die Sterbehilfedebatte im politischen Bereich auf einem hohen Niveau. Es ist damit gelungen, das Tabuthema Sterben und Tod in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken. Dies stimmt hoffnungsvoll für den weiteren Diskurs über die Rahmenbedingungen für ein Sterben in Würde.
Norbert Arnold, geboren 1959 in Ellar, Leiter Team Gesellschaftspolitik, Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.