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Zivilgesellschaften stehen international unter wachsendem Druck

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„Ziemlich abrupt, während der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts, hat die Demokratie aufgehört, in der Welt voranzukommen.“ Diese Bilanz von Thomas Carothers und Oren Samet-Marram (The New Global Marketplace of Political Change, Washington 2015: Carnegie Endowment for International Peace, S. 6) mag sehr pauschal sein, aber sie trifft einen wunden Punkt. Nicht, dass es in der Demokratieförderung, wie sie die Konrad-Adenauer-Stiftung betreibt, keine Fortschritte gäbe, aber auch bei unserer internationalen Arbeit merken wir deutlich: Die Jahre des Sonnenscheins nach dem Ende des Kalten Krieges sind vorüber, ein raueres Klima zieht auf, teilweise drohen stürmische Zeiten. Anders, als es manche angenommen hatten, ist Demokratie kein Selbstläufer, der automatisch spätestens dann siegt, wenn undemokratische Systeme wirtschaftlichen Erfolg haben und eine aufstrebende Mittelschicht größere Beteiligungsrechte reklamiert – das lässt sich inzwischen wohl gut belegen. Längst ist ein internationaler Systemwettbewerb entstanden, bei dem die Kombination von wirtschaftlicher Effizienz und autoritärer Herrschaft durch aus ihre Anhänger findet. Selbst wirtschaftlich wenig leistungsfähige Regime können Zustimmung für repressive Maß nahmen generieren, wenn sie nur heftig genug auf der nationalistischen Klaviatur spielen oder sich auf traditionelle Werte berufen, die im dekadent-demokratischen Westen angeblich unter die Räder kommen. Auch lässt sich beobachten, dass einmal erreichte Demokratiestandards in frühere Stadien zurückfallen. Wenn Institutionalisierung misslingt und gerade eine junge demokratische Transitionsgesellschaft die Erwartungen der Menschen enttäuscht, sind demokratische Systeme keineswegs vor Zusammenbruch gefeit. Eine Delegitimierung der Demokratie als Modell und Lebensform kann die Folgesein.

Umgekehrt gilt: Viele autoritäre Regime sehen sich zu umfassenden Maßnahmen gegen die eigenen Bürger veranlasst, gerade weil diese wacher, aktiver und vernetzter geworden sind. Es ist die einheimische Zivilgesellschaft, die in allererster Linie getroffen werden soll. Ihre Vertreter zahlen den höchsten Preis, wenn sie Opfer von Repressionen werden und plötzlich Schwierigkeiten am Arbeitsplatz haben, für minimale Äußerungen ihrer Meinung zu absurd hohen Strafen verurteilt, eingesperrt oder sogar ermordet werden.

 

NGO als „ausländische Agenten“

Empfindlich treffen kann man diese Zivilgesellschaft aber auch dadurch, dass man internationale Organisationen behindert, unterdrückt oder außer Landes drängt, auf deren Unterstützung sie oft angewiesen ist. In einem Klima von Angst und Einschüchterung lassen sich national kaum Mittel akquirieren, die man für ein stark ehrenamtlich gestütztes Engagement braucht. Dazu ist internationale Sichtbarkeit sowohl Schutz als auch Druckmittel – und somit für die internationalen Organisationen oft eine entscheidende Motivation, selbst unter schwierigsten Umständen in einem Land zu bleiben. Hier nun setzt derzeit weltweit eine ganze Flut von sogenannten NGO (Nicht-Regierungs-Organisationen) Gesetzen an, die besser als Anti-NGO-Gesetze zu beschreiben wären – eine bedrohliche Entwicklung für nationale und internationale Akteure.

Die Bandbreite der Maßnahmen ist vielfältig: Sie beginnt mit komplizierten Registrierungs- und Akkreditierungsprozeduren – politische Obstruktion lässt sich allzu leicht zum puren Verwaltungsakt deklarieren. Sie setzt sich fort mit einer engmaschigen Kontrolle und gegebenenfalls Behinderung von Projektfinanzierungen, ausgeweiteten Genehmigungsverfahren, exzessiven Berichterstattungspflichten, Anhörungen. Letztlich kommt es sogar zu Büroschließungen und Ausweisungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Einheimische Partner werden bisweilen mit schwammigen Spionage- und Sabotageparagrafen verunsichert, wobei sie nie wissen, wie eine meist nicht unabhängige Justiz die Kooperation mit ausländischen NGOs auslegen wird – da ist es nur konsequent, wenn diese sich schon vorab als „ausländische Agenten“ anmelden müssen. Große und einflussreichere Staaten gehen voran, in ihrem Windschatten folgen andere.

 

Vorwurf des missionarischen Eifers

Leider sind es nicht nur autoritäre Staaten, die verstärkt Druck ausüben, sondern auch langjährige Demokratien, etwa in Asien oder Lateinamerika, werden zunehmend misstrauisch gegenüber in und ausländischen NGOs. Daher lohnt ein etwas tieferer Blick auf die Motivlage: Das Verlangen nach „Nichteinmischung in innere Angelegenheiten“ hat Tradition, wenn es um ausländische Akteure geht. Ihnen wird Beeinflussung zugunsten fremder Interessen vorgeworfen, ein missionarischer Eifer ohnehin. Verschwiegen wird: Die ausländischen Akteure werden meist nur dann tätig, wenn nationale Partner – etwa Parteien, Verbände, NGOs – von ihrem Recht Gebrauch machen, sich international mit Partnern ihrer Wahl zu vernetzen. Zudem existieren in den gleichen Ländern oftmals parallel wichtige Kontakte und Kooperationen zwischen Politischen Stiftungen und Regierungsinstitutionen, wo thematische Interessen übereinstimmen.

Der „Westen“ – allen voran natürlich die westliche Vormacht USA – wird undifferenziert zum Kontrahenten erklärt; mindestens unterschwellig findet sich in vielen Gesellschaften Sympathie für das Argument, dass man sich von diesem nicht mehr schulmeistern lassen will. Schnell sind dann Vorwürfe von doppelten Standards zur Hand und der Hinweis auf eine koloniale Vergangenheit, in der die „westlichen Werte“ mindestens im Verhalten gegenüber Nicht-Westlern nicht allzu viel galten. Nationales Selbstwertgefühl und ein enger Souveränitätsbegriff tun ein Übriges. Wenn dann noch unsensibles oder mindestens als arrogant empfundenes Auftreten einzelner Vertreter internationaler Organisationen hinzukommt, die Erfahrungen und Wertvorstellungen moderner westlicher Gesellschaften eins zu eins auf das Einsatzland zu übertragen versuchen, ist das Feindbild schnell fertig. Besonders brisant wird ein erweiterter Demokratiebegriff dann, wenn dessen Vertreter Ansprüche an bestimmte zivile Rechte geltend machen, die etwa mit Glaubenstraditionen nicht selten archaischer Gesellschaften kollidieren. Auch deren Repräsentanten nehmen für sich ja Legitimation vielfältigster Art in Anspruch.

Ein neues Selbstbewusstsein erwächst aus den größeren finanziellen Spielräumen gerade aufstrebender Staaten: Deren Bereitschaft, Maßnahmen der Demokratieförderung durch westliche Akteure zu zulassen, mag in den vergangenen Jahr zehnten für Akzeptanz gehalten worden sein; in Wirklichkeit stand vielfach die utilitaristische Hinnahme westlicher Wünsche dahinter, ohne die etwa eine intensive Entwicklungsfinanzierung nicht geflossen wäre. In Zeiten zurückgehender Bedeutung staatlicher Entwicklungshilfe und steigender Möglichkeiten vieler Län der, sich am internationalen Kapitalmarkt oder über „new donors“ auch ohne lästige Auflagen zu finanzieren, sinkt die Kompromissbereitschaft. Dass neues Selbstbewusstsein und eine größere internationale Rolle mit kleinlicher Kontrolle und Unterdrückung nach innen nicht harmonieren, wird als Widerspruch nicht hinreichend wahrgenommen.

Dabei muss das legitime Bedürfnis nationaler Stellen, von ausländischen Akteuren wissen zu wollen, was diese auf dem jeweiligen Staatsgebiet tun, von repressiven und undemokratischen Praktiken deutlich unterschieden werden. Nicht gleich jede Verweigerung steuerlicher Vorteile für solche Aktivitäten ist ein feindlicher Akt. Und natürlich muss von internationalen Gästen erwartet werden, dass sie sich an die Landesgesetze halten. Es kann auch nicht die Aufgabe entsandter Kräfte sein, selbst in vorderster Reihe an politischen Aktivitäten im jeweiligen Einsatzland teilzunehmen und dabei als politische Lautsprecher zu fungieren. Hier sind Organisationen, die kontinuierlich und transparent mit eigenem Personal vor Ort sind, möglicherweise sensibler als solche, die nur zu singulären Maßnahmen einfliegen und eher das Publikum in ihren Heimatländern im Blick haben.

 

Doppelbödige Lobbyarbeit von Autokraten

Überraschend und scheinheilig ist, dass Restriktion nach innen bei zahlreichen Ländern mit starker eigener Auslandstätigkeit korrespondiert. Während westliche Demokratieförderung unter dem Generalverdacht steht, „Farbenrevolutionen“ oder „regime change“ auslösen zu wollen, ist man selbst ganz ungeniert einflussnehmend international unterwegs. Da werden offen politische Parteien und Gruppen finanziert – etwa im rechtsextremen Spektrum –, die den eigenen Zielen nützlich zu sein scheinen; der eigene Propagandaapparat wird aufgeblasen, und es wird in großem Stile Einfluss gekauft. Die Lobbyarbeit der Autokraten ist massiv spürbar – egal ob in Berlin oder Brüssel oder beim Europarat in Straßburg. Län der, die die Ausübung anderer Religionen auf ihrem Staatsgebiet rigoros unterbinden, missionieren anderswo in überaus aggressiver Form. Selbst die Finanzierung religiös motivierten Terrors durch eigene Staatsbürger wird so langegeduldet, bis die Welle aufs eigene Territorium zurück schwappt. Anderenorts werden überholte linksextreme Ideologien, gestützt auf Ölmilliarden, erneut zum Exportartikel.

Nun ist es für demokratische Staaten seit jeher schwierig, mit den Behinderungen demokratischer Bewegungen anders wo angemessen umzugehen. Das Problem ist: Die Autokraten wissen das ganz genau! Sie kennen die Spannungsverhältnisse gut, unter denen das Außenhandeln der Demokratien steht. Der bereits er wähnte Respekt vor den „inneren Angelegenheiten“ ist für ein zivilisiertes Zusammenleben von Staaten bedeutend: Wenn selbst Völkermord und massivste Menschenrechtsverletzungen mit Rücksicht darauf oft ungesühnt geblieben sind, welchen Druck wollte man da gegenüber Beeinträchtigungen der Zivilgesellschaft unterhalb der Schwelle brutaler Aggression ergreifen?

Hinzu kommt das Interesse der Demokratien an mindestens kurzfristiger Stabilität in Krisenregionen, das bisweilen aus Despoten plötzlich wieder geschätzte Gesprächspartner werden lässt. Mit Rücksicht auf dieses Interesse muss immer wieder in Kauf genommen werden, dass solche Gespräche die Zivilgesellschaft vor Ort frustrieren, den Westen Glaubwürdigkeit kosten und Stabilität bestenfalls kurzfristig garantieren. Gesinnungs- und Verantwortungsethik liegen im Streit, widerstreitende Interessen kollidieren. Nicht selten sind Autokratien auch geschätzte Wirtschaftspartner, zu denen für die eigenen Unternehmen der Zugang gesichert werden soll – der eigene Wähler erwartet zwar Standhaftigkeit in Menschenrechtsfragen, aber bei der Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes hört der Spaß auf.

Schwierig heißt aber keineswegs: ausgeschlossen. Auch für Autokraten ist es keineswegs angenehm, an die eigenen demokratischen Defizite erinnert zu werden und international am Pranger zu stehen. Immer wieder erlebt man, dass für sie nicht nur ihr Image zu Hause zählt. Vor wichtigen Staatsbesuchen gibt es da gelegentlich Bewegungen, mit denen zuvor niemand rechnen konnte. Auch autoritär regierte Staaten haben Interessen, die von ihrem internationalen Ansehen tangiert werden: Wenn etwa internationale Investitionen daran scheitern, dass kein internationales Fachpersonal zu einem dauerhaften Aufenthalt vor Ort motiviert werden kann, zeigt sich, dass Standortentscheidungen auch „weiche“ Faktoren enthalten.

 

Demokratien sind stärker, als sie glauben

Wissenschaftler wie der schon erwähnte Thomas Carothers und Saskia Brechenmacher (Closing Space – Democracy and Human Rights Support Under Fire, Washington, DC 2014: Carnegie Endowment for International Peace) schlagen deshalb vor, diplomatischen Druck gegenüber antiliberaler NGO-Gesetzgebung aufrechtzuerhalten, aus Fehlern zu lernen und besser zu koordinieren. Nach Meinung langjähriger Beobachter der Demokratieförderung weltweit sollten Regierungen weiterhin versuchen, die Vereinten Nationen, regionale Zusammenschlüsse und die Post2015Entwicklungsagenda für eine Stärkung der Zivilgesellschaft zu nutzen. Ob sich gerade Letzteres im Kon sens vereinbaren lässt, dürfte zumindest fraglich sein. Besonders im Bereich der Koordination scheint es aber einen großen Spielraum zu geben: Gemeinsam sind demokratische Staaten stärker, als sie selbst glauben, und auch neue demokratische Akteure könnten mehr Gewicht entwickeln, als sie es bisher tun.

Für Politische Stiftungen ist die Situation insgesamt keineswegs neu. Erfahrungen im Umgang mit autoritären Regimen konnten in den über fünfzig Jahren Auslandsengagement in vielfältiger Form gesammelt werden. Immer wieder wurden Wegegefunden, bedrängten Partnern vor Ort zu helfen, Kontaktnetze intensiv zu pflegen und Arbeitsbedingungen aufrechtzuerhalten. Nicht immer geht es ja konfrontativ zu: Es gibt zahlreiche Felder, auf denen intensive und für beide Seiten fruchtbringende Dialoge auch mit und in Staaten möglich sind, mit denen die gemeinsame Wertebasis nur schwach entwickelt ist. Interessen decken sich vielfach, wenn es etwa um Fragen von Sicherheit, Klima und Ressourcenschutz oder um erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung geht. So kann die Basis für einen verlässlichen Dialog wachsen, der nach und nach einen größeren Spielraum bei den heikleren Themen schafft.

 

Frank Priess, geboren 1957 in Wolfsburg, Stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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